VwGH 94/19/0280

VwGH94/19/028024.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des E in L, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. August 1992, Zl. 4.320.761/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1968 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, der am 22. Juli 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. August 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm läge die Voraussetzung für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft. Mit Bescheid vom 3. August 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

In der vorliegenden Beschwerde gegen diesen Bescheid macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 27. Juli 1991 angegeben, er sei römisch-katholisch. In seiner Heimat herrsche Krieg zwischen Christen und Moslems. Am 15. Mai 1991 seien viele, die genaue Zahl könne er nicht angeben, Moslems zu seinem Elternhaus gekommen und hätten dieses in Brand gesteckt. Seine Eltern seien erstochen worden. Dem Rest der Familie sei es gelungen, zu entkommen. Seit diesem Zeitpunkt wisse er nicht mehr, wo sie sich befinde. Da er Angst um sein Leben in seiner Heimat gehabt habe, habe er sich entschlossen diese zu verlassen.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer neben Begründungsmängeln im Sinn des § 60 AVG auch geltend, sein bisheriges Vorbringen anläßlich seines Erstinterviews, welches grundsätzlich geeignet gewesen sei, seine Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention zu begründen, sei zwar im wesentlichen richtig, aber unvollständig protokolliert worden. Er ergänzte sein diesbezügliches in erster Instanz erstattetes, angeblich nicht protokolliertes Vorbringen in der Berufung nunmehr dahingehend, daß die nigerianische Militärregierung moslemisch sei, wie etwa 70 bis 80 % der Bevölkerung. Die christliche Minderheit, der er angehöre und die hauptsächlich im Süden des Landes lebe, sei von der Mehrheitsreligion schwer verfolgt. Seit Anfang April 1991 herrsche Krieg zwischen Moslems und Christen, was zum Teil mit den politischen Differenzen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg zu tun gehabt habe. Auch in der Vergangenheit habe es immer wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen den Religionen gegeben, bei denen die Regierung und sonstige Administration, vor allem die Gerichte auf der Seite der Moslems stünden. Christen seien in solchen Kämpfen immer die Schuldigen. Aufgrund der im Norden - Bundesstaaten Kaduna und Bauchi, wo vorherrschend Moslems lebten - ausgebrochenen Kämpfe zwischen Christen und Moslems im April 1991 habe die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen. Am 15. Mai 1991 seien Dutzende Moslems zu dem Haus des Beschwerdeführers in dessen Abwesenheit gekommen und hätten es in Brand gesteckt sowie seine Eltern ermordet. Seine Geschwister hätten sich retten können, er habe allerdings keine Ahnung, wo sie jetzt seien. Er sei seit seiner Flucht nicht mehr in der Lage gewesen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Da bei solchen Vorfällen immer die Schuld bei den Christen gesucht werde und es keine fairen Gerichtsverfahren gebe, sei er um sein Leben geflohen. Die Moslems seien mit traditionellen Waffen - Messern, Speeren - gekommen und hätten seine Eltern erstochen. Ähnliche Attacken seitens der Moslems auf Christen hätten schon seit Anfang April 1991 stattgefunden, weshalb sich die Regierung veranlaßt gesehen habe, das Militär einzusetzen. Christen würden allerdings von der Regierung nicht geschützt und fühlten sich daher von Moslems ständig bedroht. Immer wieder arteten diese Bedrohungen dann in physische Attacken aus, bei denen viele Christen getötet und die Schuldigen nicht zur Verantwortung gezogen würden. Die Christen in Nigeria wehrten sich auch gegen die Versuche der Regierung, das Land in die OIC (Organisation of Islamic Conference) einzubinden.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers insbesondere damit begründet, daß es unglaubhaft sei, daß die nigerianische Regierung und die Gerichte auf Seiten der Moslems stünden, der Heimatstaat des Beschwerdeführers daher weder in der Lage noch gewillt sei, Verfolgung der Christen durch moslemische Gruppierungen zu unterbinden. Darüberhinaus hätte für den Beschwerdeführer eine "inländische Fluchtalternative" bestanden, da im Süden seines Heimatlandes mehrheitlich Christen lebten und er dort daher vor allfälligen Verfolgungen durch Moslems sicher gewesen wäre.

Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Dem Beschwerdeführer ist - von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0019) - darin beizupflichten, daß die Erwägungen der belangten Behörde bei der Würdigung seines Vorbringens als unglaubwürdig nicht zu überzeugen vermögen. Allein die Tatsache, daß die nigerianische Regierung für gewisse - im Norden des Landes gelegene - Regionen den Ausnahmezustand ausgerufen hat und bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems Militär einsetzt, läßt nicht den zwingenden Schluß zu, die Behauptungen des Beschwerdeführers, die nigerianische Administration und die Gerichte stünden auf Seiten der Moslems, mit fairen Gerichtsverfahren sei in seinem Heimatland nicht zu rechnen, seien von vornherein unrichtig. Soweit die belangte Behörde daher ausschließlich aus diesen Erwägungen dem Vorbringen des Beschwerdeführers ohne weitere Begründung insgesamt die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat, ist diese Würdigung als unschlüssig zu erkennen.

Die belangte Behörde hätte aber auch nicht ohne Einräumung des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG davon ausgehen dürfen, der Beschwerdeführer sei im Süden seines Heimatlandes vor allfälligen Verfolgungen durch Moslems sicher gewesen, es habe daher für ihn eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" bestanden. Wenn der Beschwerdeführer dies in der Beschwerde nunmehr bestreitet, verstößt er nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, weil ihm nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten entgegen der Vorschrift des § 37 AVG im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit geboten wurde, hiezu Stellung zu nehmen und ihm der belangten Behörde allenfalls zur Verfügung stehende weitere Ermittlungsergebnisse (z.B. Länderberichte) nicht vorgehalten wurden.

Da der Sachverhalt daher in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verwaltungsvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 ff VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

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