VwGH 94/19/0169

VwGH94/19/016917.2.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der L in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, dieser vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Juni 1993, Zl. 4.327.221/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. November 1991 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin - eine nigerianische Staatsangehörige, die am 14. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Juni 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin hat anläßlich ihrer ersten Befragung im Asylverfahren am 18. November 1991 im wesentlichen angegeben, in ihrer Heimat keiner politischen Organisation oder Partei angehört zu haben. Am 14. Juni 1991 sei sie mit ihrem Mann nach Kaduna gefahren um dort an "Feierlichkeiten" teilzunehmen; als sie in der Kirche gebetet hätten, seien plötzlich bewaffnete Moslems in die Kirche gekommen und hätten die Christen angegriffen. Ihr Mann und sie hätten vorher nicht gewußt, daß die Christen dort ständig von den Moslems angegriffen würden. Dabei sei ihr Mann getötet und andere Kirchenbesucher seien schwer verletzt worden. Sie selbst habe fluchtartig die Kirche verlassen und sei nach Benin City zurückgefahren. Dort habe sie ihren Schwiegereltern erzählt, was geschehen sei. Da die Schwiegereltern keine Christen seien, vielmehr einer Stammesreligion angehörten, hätten sie sie beschuldigt, den Tod ihres Mannes verschuldet zu haben, indem sie ihn zur Kirche mitgenommen habe. Die Schwiegereltern hätten sie umbringen wollen und hätten auch Anzeige gegen sie erstattet. Sie, die Beschwerdeführerin, habe sich daher an ihre christlichen Freunde gewandt, die sie einige Zeit in der Kirche versteckt gehalten hätten. Diese Freunde hätten ihr geraten, die Heimat zu verlassen und sie mit einem Reisepaß, einem Visum für Ungarn und einem Flugticket versehen. Die Beschwerdeführerin habe nicht einmal mehr ihre Kinder besuchen können, sondern sofort ihr "Dorf" verlassen. Am 29. September 1991 sei sie mit einer Maschine der Alitalia von Lagos nach Budapest geflogen, wo sie sich dann vorwiegend am Hauptbahnhof aufgehalten habe. Dort habe sie auch andere Flüchtlinge kennengelernt, die ebenfalls nach Österreich gewollt hätten; diesen Leuten habe sie sich angeschlossen. Schließlich sei sie unter Umgehung der Grenzposten zu Fuß nach Österreich gekommen.

In ihrer Berufung bezog sich die Beschwerdeführerin im wesentlichen auf ihre bereits gemachten Angaben, wobei sie noch ergänzte, daß die Polizei im Gebiet von Kaduna nicht gewillt sei, die Christen vor den Angriffen der Moslems zu schützen. Die Beschuldigung durch ihre Schwiegereltern, daß sie am Tod ihres Mannes Mitschuld habe, sei nur ein Vorwand gewesen, um sie anzeigen zu können. Sie, die Beschwerdeführerin, habe sich aus Angst, ihre Schwiegereltern würden sie "auch" töten, falls sie in ihrer Nähe bliebe, versteckt; wenn sie zurück in ihre Heimat müßte, "so würden ihre Schwiegereltern sie sicher wieder anzeigen und töten wollen". Die Polizei sei weder willens noch in der Lage, sie zu schützen.

Die belangte Behörde vertrat in Anwendung des Asylgesetzes 1991 die Auffassung, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte für die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin ergeben. Die von ihr behaupteten Verfolgungen seien nicht ihrem Heimatstaat zuzurechnen, weil sie nicht von staatlichen Stellen ausgegangen seien. Eine derartige Verfolgung sei asylrechtlich nur dann relevant, wenn der Heimatstaat des Asylwerbers nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, solche Verfolgungen hintanzuhalten. Der in der Berufung aufgestellten Behauptung der Beschwerdeführerin, es sei ihr nicht möglich gewesen, in Nigeria Schutz zu finden, schenkte die belangte Behörde keinen Glauben, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß die Polizeibehörden Nigerias nicht in der Lage oder nicht gewillt wären, die Beschwerdeführerin zu schützen. Die Beschwerdeführerin habe offensichtlich gar nicht versucht, sich an die Polizei zu wenden. Es könne daher nicht davon ausgegangen weden, daß die Beschwerdeführerin gegen sie selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Asylgewährung verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und den Antrag gestellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

In ihrer Beschwerde versucht die Beschwerdeführerin darzutun, daß sie aus religiösen Gründen verfolgt worden sei. Sie geht davon aus, daß in Nigeria die dem Militär nahestehende Regierung von der nationalrepublikanischen Partei unterstützt werde, welche die Mehrheit habe und moslemisch sei. Die sozialdemokratische Partei, deren Mehrheit aus Christen bestehe, sei ihrerseits in der Minderheit und habe keinerlei politischen Einfluß.

Soweit die Beschwerdeführerin weiter ausführt, daß ihr die Familie ihres getöteten Mannes, die sich zum Islam bekenne, "Rache geschworen und mit dem Tode gedroht" habe, entfernt sie sich von dem Sachverhalt, den die belangte Behörde - den Angaben der Beschwerdeführerin folgend - zugrundegelegt hat. Die Beschwerdeführerin hat nämlich sowohl in ihrer Einvernahme am 19. November 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich wie auch in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid angegeben, daß ihre Schwiegereltern einer Stammesreligion angehörten.

Die Beschwerdeführerin verweist weiters darauf, daß ihre neuerliche Einvernahme erforderlich gewesen sei, "weil sich in der Zwischenzeit die politische Situation in Nigeria wesentlich geändert" habe; sie führt aber weder aus, wie diese Änderung der politischen Verhältnisse beschaffen sei und welchen Bezug sie zur Person der Beschwerdeführerin habe, noch welche Angaben sie diesbezüglich bei einer ergänzenden Vernehmung hätte machen können, sodaß sie keinen relevanten Verfahrensmangel aufzeigt.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde "es im übrigen überhaupt unterlassen, sich über die politische Situation in Nigeria zu informieren." - Dazu ist die Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen, daß die belangte Behörde in Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen hatte. Da die Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung in erster Instanz nicht angegeben hatte, einen Versuch unternommen zu haben, in ihrer Heimat bei den dortigen Behörden Schutz gegenüber ihren Schwiegereltern zu suchen, kann der belangten Behörde weder Unschlüssigkeit in ihrer Beweiswürdigung betreffend die ausdrücklichen Behauptungen in der Berufung (die Beschwerdeführerin hätte in Nigeria keinen Schutz gefunden) vorgeworfen werden noch eine Unterlassung der Wahrnehmung eines offenkundigen Mangels des Ermittlungsverfahrens erster Instanz iSd § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991. Dazu kommt, daß auch in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde keineswegs dezidiert behauptet wird, die Beschwerdeführerin habe tatsächlich ohne Erfolg den Schutz der Behörden ihrer Heimat gesucht, bzw. dies von vornherein unterlassen, weil die Behörden ihres Heimatlandes sie gegen ihre (nicht moslemischen) Schwiegereltern nicht schützen könnten oder wollten. In der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde werden diesbezüglich nämlich nur Vermutungen angestellt. Selbst dann also, wenn man einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel annehmen wollte, den die belangte Behörde nicht aufgegriffen hätte, wäre daraus mangels zur Darstellung gebrachter Relevanz für den Standpunkt der Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen.

Was die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit anlangt, ist den Ausführungen in der Beschwerde entgegenzuhalten, daß sich der angefochtene Bescheid völlig im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes befindet, wonach eine nicht von staatlichen Stellen des Heimatlandes eines Asylwerbers ausgehende Verfolgung nur dann von Bedeutung ist, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. nur das hg. Erkenntnis vom 10. März 1993, Zl. 92/01/1090); dies gilt auch für die behauptete Verfolgung von Christen durch Moslems in Nigeria, da es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen grundsätzlich auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers und erst in zweiter Linie auf die allgemeinen politischen Verhältnisse in seinem Heimatland ankommt. Es genügt daher der Hinweis auf die allgemeine Lage der Christen in Nigeria nicht, sondern es müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und glaubhaft gemacht werden, aus denen dem § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 1993, Zl. 93/01/1082).

Da sich der angefochtene Bescheid sohin auch als frei von der behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes erweist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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