VwGH 94/09/0043

VwGH94/09/004318.5.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des J in X, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (Senat 47) vom 24. Mai 1993, Zl. 19-DK/47/92, betreffend Einleitungsbeschluß in einem Disziplinarverfahren, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §109 Abs1;
BDG 1979 §109 Abs3;
BDG 1979 §110 Abs1;
BDG 1979 §118 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §109 Abs1;
BDG 1979 §109 Abs3;
BDG 1979 §110 Abs1;
BDG 1979 §118 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 31. Oktober 1947 geborene Beschwerdeführer ist Revierinspektor bei der Gendarmerie und war zuletzt (bis zu seiner Suspendierung) dem Gendarmerieposten L zur Dienstleistung zugeteilt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren eingeleitet, "weil der in der Disziplinaranzeige des Gendarmerieabteilungskommandos L vom 28.4.1992 (richtig: 1993), GZ 6530/92 (richtig: 6530/93), angezeigte Sachverhalt den Verdacht einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung nach § 91 BDG 1979 erkennen läßt". Gemäß dem Spruch des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführer beschuldigt,

"1. am 31.3.1993, als er auf Grund eines gegen seine Person gerichteten Vorführungsbefehles des LG für Strafsachen Graz von GendBeamten der GP X und Y von seinem Wohnort in X nach Graz dem Sachverständigen des LG für Strafsachen Graz, Dr. A, vorgeführt werden mußte, sich der Vorführung sowohl in X als auch in Graz passiv widersetzt zu haben, sodaß die GendBeamten zur ordnungsgemäßen Durchführung der Amtshandlung Handschellen anlegen und Körperkraft anwenden mußten,

2. während der gesamten Dauer der Vorführung eine weiße Gendarmerietellerkappe unter dem Arm getragen und dadurch gegen das mit LGK-Befehl vom 2.4.1992, GZ 6531/1-2/92 (vorl Suspendierung) angewiesene Uniformtrageverbot verstoßen zu haben,

3. am 21.4.1993 einer Zeugenladung des BG L nicht nachgekommen zu sein, obwohl er vom Landesgendarmeriekommando zeitgerecht schriftlich von der Verpflichtung zur Wahrung des Amtsgeheimnisses entbunden wurde, sodaß vom Vorsitzenden gegen ihn wegen unentschuldigten Fernbleibens bei einer Hauptverhandlung eine Ordnungsstrafe in der Höhe von 1.000,-- Schilling verhängt wurde."

In der Begründung zu dem Vorwurf unter 1. und 2. ging die belangte Behörde von der gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachtes des Amtsmißbrauches und der Freiheitsbeschränkung ausgesprochenen Suspendierung und von dem gleichzeitig gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Uniformtrageverbot aus. Gegen den Beschwerdeführer sei bereits am 4. April 1992 Straf- und Disziplinaranzeige erstattet worden. Das Verhalten des Beschwerdeführers in einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung am 13. November 1992 habe die Anordnung der psychiatrischen Untersuchung des Beschwerdeführers durch das Gericht zur Folge gehabt. Der Beschwerdeführer sei mehrmaliger gerichtlicher Aufforderung, dieser Anordnung Folge zu leisten, nicht nachgekommen, weshalb schließlich seine zwangsweise Vorführung zum Gerichtssachverständigen in Graz verfügt worden sei. Der gerichtliche Vorführungsbefehl sei dem Beschwerdeführer am 23. März 1993 ausgefolgt worden. Der Beschwerdeführer, der während der folgenden Vorfälle stets eine weiße Gendarmerietellerkappe unter dem Arm getragen habe, habe sich jedoch am 31. März 1993 in X und später auch in Graz der Vorführung durch passiven Widerstand widersetzt, was das Einschreiten von mehreren Gendarmeriebeamten und das Anlegen von Handschellen sowie die Anwendung von Körperkraft nach sich gezogen habe, um den Beschwerdeführer zum Ein- und Aussteigen in das Dienst-Kfz zu veranlassen. Der ganze Vorgang sei von einem Bekannten des Beschwerdeführers, nämlich Dkfm. Dr. H, aus vielen Positionen fotografiert worden und sei durch Zeitungsberichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Es bestehe der Verdacht, daß dieses Verhalten des Beschwerdeführers in mehrfacher Hinsicht gegen seine Dienstpflichten als Gendarmeriebeamter verstoßen habe. Der Vorwurf unter 2. betreffe das weisungswidrige Tragen der weißen Tellerkappe durch den Beschwerdeführer während der gesamten zu

1. geschilderten Amtshandlung. Zum Vorwurf unter 3. führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, der Beschwerdeführer habe in einem Schreiben vom 16. April 1993 um Entbindung von der Amtsverschwiegenheit aus Anlaß einer Zeugenaussage in einem Gerichtsverfahren ersucht. Von dieser Entbindung sei der Beschwerdeführer am 20. April 1993 verständigt worden, er sei aber der Verhandlung am 21. April 1993 unentschuldigt ferngeblieben, weshalb über ihn vom Richter eine Ordnungsstrafe in der Höhe von S 1.000,-- verhängt worden sei. Da es sich bei der Zeugenaussage im weiteren Sinne auch um eine dienstliche Tätigkeit gehandelt habe (es sei ein Verkehrsunfall verhandelt worden, bei dem der Beschwerdeführer als Gendarmeriebeamter erhoben hatte), dürfte ein disziplinärer Überhang gegeben sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen "formeller und materieller Rechtswidrigkeit" erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht "auf Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens" verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 91 BDG 1979 ist der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach diesem Abschnitt (d.h. dem neunten Abschnitt des BDG 1979) zur Verantwortung zu ziehen.

Nach § 123 Abs. 1 BDG 1979 hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission nach Einlangen der Disziplinaranzeige die Disziplinarkommission zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen. Gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist gemäß dem zweiten Satz des § 123 Abs. 2 BDG 1979 kein Rechtsmittel zulässig.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe ihre Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung in einem unter Wahrung des Parteiengehörs durchzuführenden Ermittlungsverfahren verletzt, insbesondere sei die Einvernahme der Zeugen Dkfm. Dr. H und M sowie die Beischaffung des Strafaktes, in welchem die Vorführung angeordnet worden sei, unterlassen worden. Damit zeigt der Beschwerdeführer schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel auf, weil er seinerseits nicht dartut, zu welchen von der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Disziplinaranzeige abweichenden Sachverhaltsfeststellungen die belangte Behörde bei Vermeidung des behaupteten Mangels hätte gelangen sollen. Dem weiteren Beschwerdevorbringen ist sogar zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer die in der Disziplinaranzeige und dieser folgend im angefochtenen Bescheid festgehaltenen tatsächlichen Umstände gar nicht bestreitet. Der einzige in der Beschwerde enthaltene im angefochtenen Bescheid nicht behandelte Hinweis, der Vorführungsbefehl sei von einem vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter erlassen worden, besagt weder, daß dieser Vorführungsbefehl rechtswidrig ergangen wäre noch läßt er erkennen, daß sich der Beschwerdeführer diesem Befehl zu Recht widersetzt hätte.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt auch nicht die aus der Beschwerde ableitbare Auffassung, die Disziplinaranzeige komme nicht als ausreichende Grundlage für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in Betracht. Die Disziplinarkommission ist nach dem Gesetz nicht gezwungen, vor Erlassung eines Einleitungsbeschlusses über die Disziplinaranzeige hinausgehende Ermittlungen durchführen zu lassen. In dieser Phase des Verfahrens ist zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind oder ob allenfalls (offenkundige) Gründe für eine sofortige Einstellung des Disziplinarverfahrens (§ 118 Abs. 1 BDG 1979) vorliegen. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Über die Disziplinaranzeige hinausgehende Ermittlungen werden vor der Einleitung des Verfahrens daher nur im Zweifelsfalle notwendig sein (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1993, 92/09/0398, vom 22. April 1993, 93/09/0030, vom 17. Juni 1993, 93/09/0224, und vom 8. September 1993, 93/09/0253, letzteres denselben Beschwerdeführer wie im vorliegenden Fall betreffend).

Ein solcher Zweifelsfall lag der belangten Behörde nach dem Beschwerdevorbringen nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Beschwerdeführer zu allen drei im angefochtenen Bescheid abgehandelten Vorwürfen die Richtigkeit des Sachverhalts laut Disziplinaranzeige zugestanden. Völlige Klarheit darüber, ob die Dienstpflichtverletzungen begangen wurden, muß die Disziplinarkommission bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht haben; dies ist erst in dem der Einleitung nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Ebensowenig muß im Einleitungsbeschluß das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzungen ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, was insbesondere für die Frage einer allfälligen Verjährung von ausschlaggebender Bedeutung ist (siehe auch dazu die bereits oben angeführte Vorjudikatur).

Von diesen Erwägungen ausgehend erweist sich die Beschwerde auch hinsichtlich der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit als unbegründet. Eine Begründung dafür, daß der (noch dazu spektakulär aufgezogene) passive Widerstand eines Gendarmeriebeamten gegen eine durch sein eigenes vorangegangenes Verhalten notwendig gewordene zwangsweise Vorführung "noch keine Dienstpflichtverletzung" begründet, bleibt die Beschwerde schuldig. Das behauptete Vorliegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums des Beschwerdeführers wird im weiteren Disziplinarverfahren zu prüfen und zu beurteilen sein. Ebenso unbegründet ist die Behauptung geblieben, das Tragen einer Gendarmerietellerkappe unter dem Arm sei nicht als Tragen einer Uniform zu qualifizieren. Zu diesem Anschuldigungspunkt ist der Beschwerdeführer im übrigen auf die ebenfalls seine Person betreffenden Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, 93/09/0253, zu verweisen. Wenn der Beschwerdeführer schließlich zum dritten Anschuldigungspunkt ausführt, es liege darin keine Dienstpflichtverletzung, weil es "heutzutage alltäglich (ist), daß Zeugen zu einer Streitverhandlung nicht erscheinen und die Entschuldigung erst nachträglich beibringen", ist schon darin allein eine für einen Gendarmeriebeamten bedenkliche Geringschätzung einer gesetzlichen Verpflichtung gegenüber dem Gericht und den am dortigen Verfahren beteiligten Personen zu erkennen, wie sie auch bereits mit der im Gesetz dafür vorgesehenen Ordnungsstrafe für den gerichtlichen Bereich geahndet worden ist. Im übrigen geht weder aus der Beschwerde hervor, daß der Beschwerdeführer eine Entschuldigung für sein Fernbleiben als Zeuge vor Gericht nachgebracht hätte, noch bringt der Beschwerdeführer vor, welchen Entschuldigungsgrund er überhaupt geltend hätte machen können. Außerdem ist unbestritten, daß die Zeugenaussage im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers stand.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als frei von der vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtswidrigkeit, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

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