VwGH 93/01/1449

VwGH93/01/144930.6.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Oktober 1993, Zl. 4.340.674/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs.4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. September 1992, mit dem ihr Asylantrag gemäß § 3 AsylG 1991 abgewiesen worden war, ab. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin, nach den Feststellungen in der Beschwerdebegründung eine Staatsangehörige "bosnische Staatsangehörige" bzw. Staatsangehörige "der früheren SFRJ" moslemischen Glaubens, die mit ihren beiden mj. Kindern am 30. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat anläßlich ihrer niederschriftlichen Befragungen im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, am 8. April 1992 habe der Krieg in Zvornik, wo sie gelebt hätten, begonnen. In den letzten beiden Monaten habe sie sich mit ihren Kindern in den Wäldern versteckt und sich von Vorräten und Dingen, die sie irgendwo bekommen hätten, ernährt. Ihr Haus sei von Granaten getroffen worden. Sie hätten beobachten können, wie die ganze Stadt systematisch zerstört worden sei. Die Menschen seien mißhandelt und getötet worden, es fände eine "ethnische Säuberung" statt. Die serbische Armee vertreibe die Bosnier. Da sie in letzter Zeit nicht einmal mehr Brot für sich und ihre Kinder habe besorgen können, habe sie sich entschlossen, ihr Heimatland zu verlassen.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen von Gründen im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 schon allein deshalb verneint, weil sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin lediglich auf allgemeine Umstände in ihrem Heimatland bezogen habe. Übergriffe und Bedrohungen im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen würden keine gegen sie selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlungen darstellen und seien daher nicht als Verfolgung i.S. des AsylG zu qualifizieren. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit stelle als solche noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl dar.

Aus den Verwaltungsakten geht - i.S. des Beschwerdevorbringens - hervor, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise in Bosnien gelebt hat. Sie bezeichnet sich selbst als "bosnische Staatsangehörige", und auch die belangte Behörde sieht offensichtlich Bosnien-Herzegowina (seit März 1992 ein unabhängiger und als solcher von Österreich am 7. April 1992 anerkannter Staat) als Heimatland der Beschwerdeführerin im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 an. Die Auffassung der belangten Behörde, den Behauptungen der Beschwerdeführerin könne nicht entnommen werden, daß sie konkrete Verfolgung in ihrem Heimatland zu befürchten habe, kann nicht geteilt werden. Die Annahme einer derartigen Befürchtung setzt nämlich nicht voraus, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung erlitten hätte oder ihr zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Auch dann, wenn die Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführerin dergestalt wären, daß davon gesprochen werden müßte, daß systematisch eine Gruppenverfolgung der Moslems, denen die Beschwerdeführerin angehört, aus Gründen ihrer Nationalität (davon offenbar nicht zu trennen, auch ihrer Religion) erfolgt, wäre eine derartige Befürchtung gerechtfertigt, weil die Beschwerdeführerin dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, davon unmittelbar betroffen zu sein (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1993, Zl. 92/01/0982). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin enthielt ganz konkrete Hinweise darauf, daß für sie und ihre Kinder eine daraus resultierende Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bestanden habe. Hiebei war nicht allein die Tatsache von Bedeutung, daß es im Heimatland der Beschwerdeführerin zu kriegerischen Handlungen gekommen ist, worin noch kein Grund gelegen wäre, darin gegen sie selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlungen zu erblicken (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 1989, Zlen. 89/01/0283-0286); vielmehr hatten (nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin) diese (bereits in Gang befindlichen) Aktivitäten gegen die Gesamtheit der dort lebenden Moslems gerichtete Maßnahmen zum Ziel, die nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur, die von allen hingenommen werden müßten, bestanden. Die Beschwerdeführerin spricht in diesem Zusammenhang von "ethnischen Säuberungen". Es wäre der Beschwerdeführerin (auf dem Boden ihres Vorbringens im Zusammenhalt mit den allgemein bekannten Ereignissen in ihrem Heimatland) auch nicht zumutbar gewesen, sich den auch von ihr persönlich zu erwartenden Repressionshandlungen nicht rechtzeitig durch ihre Flucht zu entziehen. Inwieweit diese, der Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen von "den Serben" drohende Verfolgung staatlichen Stellen ihres Heimatlandes zuzurechnen wäre, ist davon abhängig, ob der betreffende Staat in der Lage ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. März 1993, Zl. 92/01/1090). Hätte daher die staatliche Autorität zufolge der Besetzung nach Angaben der Beschwerdeführerin durch die "serbische Armee" ihre Wirksamkeit in dem davon betroffenen Gebiet verloren, so wären die dort gesetzten Verfolgungshandlungen in asylrechtlicher Hinsicht staatlichen Maßnahmen gleichzuhalten, wobei sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch nicht ergibt, daß eine inländische Fluchtalternative bestanden habe (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0034 und Zl. 93/01/0291).

Da somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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