VwGH 92/08/0224

VwGH92/08/022416.3.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des K in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt, I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. September 1992, Zl. Va-456-18.171/1, betreffend Ersatz von Sozialhilfekosten nach § 9 des Tiroler Sozialhilfegesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §143;
AVG §56;
SHG Tir 1973 §9 Abs1;
VwRallg;
ABGB §143;
AVG §56;
SHG Tir 1973 §9 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als der Beschwerdeführer zum Ersatz von Sozialhilfekosten ab 1. Juli 1992 verpflichtet wurde; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Mutter des Beschwerdeführers steht seit Jahren im Bezug von laufenden Sozialhilfeleistungen nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz (im folgenden SHG). Zuletzt wurde ihr mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 15. Jänner 1992 gemäß § 4 Abs. 1 SHG ab 1. Februar 1992 auf die Dauer des Zutreffens der gesetzlichen Voraussetzungen bis auf weiteres, längstens jedoch bis 31. Jänner 1993, eine laufende Sozialhilfe in Höhe von pauschal S 4.600,--, davon S 2.000,-- für Miete, gewährt. Ferner wurde ausgesprochen, daß die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung laufend übernommen und direkt mit der Tiroler Gebietskrankenkasse verrechnet würden.

Mit Bescheid vom 5. Mai 1992 verpflichtete die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck den Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 1 SHG zu einem monatlichen Kostenersatz von S 942,-- ab Juni 1992, der bis jeweils 20. eines jeden Monates bei Terminverlust zu bezahlen sei. In der Bescheidbegründung wird nach Zitierung des § 9 Abs. 1 SHG ausgeführt, die Mutter des Beschwerdeführers werde aufgrund einer vorhandenen Notlage aus Mitteln der Sozialhilfe unterstützt. Gemäß § 143 ABGB schulde der Beschwerdeführer seiner Mutter unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, weil seine Mutter nicht in der Lage sei, sich selbst zu erhalten. Umstände, die die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers ausschlössen, seien nicht bekannt geworden. Der Beschwerdeführer habe am 4. Mai 1992 bei der erstinstanzlichen Behörde vorgesprochen und mitgeteilt, daß er bei der Firma X als Lagerarbeiter beschäftigt sei und dabei ein monatliches Nettoeinkommen von S 11.000,-- (richtig: 11.200,--) erziele. Er habe zwar angegeben, per 30. Juni 1992 gekündigt zu werden, habe aber allerdings mitgeteilt, daß er auch bei Aufnahme einer Arbeit bei einer anderen Firma sicher mit dem gleichen Verdienst rechnen könne. An Miete habe der Beschwerdeführer inklusive Strom und Heizung an seinen Onkel S 4.500,-- zu bezahlen. Der Beschwerdeführer wohne mit seiner Freundin in Lebensgemeinschaft. Außerdem lebe noch das außereheliche Kind der Freundin (dessen Vater nicht der Beschwerdeführer sei) im gemeinsamen Haushalt. Laut Mitteilung des Beschwerdeführers erhalte seine Lebensgefährtin vom Kindesvater für das Kind Alimente von monatlich S 1.700,--. Sie selbst beziehe nach Mitteilung des Beschwerdeführers bis Februar 1993 noch Sondernotstandshilfe, deren genaue Höhe er allerdings nicht bekannt geben könne. Bei seiner Vorsprache habe sich der Beschwerdeführer nicht in der Lage gesehen, einen Kostenbeitrag für seine Mutter zu leisten. Gehe man allerdings von einem monatlichen Nettoeinkommen von S 11.200,-- aus, so ergebe sich ein aliquotes Einkommen von S 13.066,-- (S 11.200,-- mal 14 dividiert durch 12). Rechne man davon noch die Miete in der Höhe von S 4.500,-- ab, so ergebe sich eine Bemessungsgrundlage von S 8.566,--. Davon müßte der Beschwerdeführer für seine Mutter elf Prozent zahlen, was einem Betrag von S 942,-- entspreche. Da der Beschwerdeführer keine Sorgepflichten habe, könnten auch keine Abzüge getätigt werden. Aufgrund der Einkommenssituation des Beschwerdeführer sei die erstinstanzliche Behörde der Ansicht, daß er in der Lage sei, ab Juni 1992 einen monatlichen Kostenbeitrag von S 942,-- für seine Mutter zu bezahlen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die mit 29. Mai 1992 datierte Berufung, in der er sich gegen die Verpflichtung zum Kostenersatz wandte. Seine Mutter erhalte eine Sozialhilfe von S 4.400,--, wovon sie S 2.000,-- an Miete bezahlen müsse. Ihr blieben daher zum Leben nur S 2.400,--. Wie man sich vorstellen könne, könne ein Mensch mit diesem Betrag unmöglich auskommen. Daher bezahle der Beschwerdeführer "schon seit Jahren fleißig für den Lebensunterhalt meiner Mutter mit". Die "Berechnung" (zu ergänzen: des dem Beschwerdeführer verbleibenden Einkommens) stimme daher bei weitem nicht. Er sehe sich daher außerstande, jetzt noch S 942,-- zu bezahlen, da er schauen müsse, wie er über die Runden komme.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, die Ermittlungen hätten ergeben, daß der Beschwerdeführer über ein aliquotes monatliches Einkommen von S 13.066,-- verfüge, wovon die Mietkosten von S 4.500,-- abgezogen würden. Daraus ergebe sich die für den Beschwerdeführer anzuwendende Bemessungsgrundlage von S 8.566,--. Davon ausgehend habe die erstinstanzliche Behörde zu Recht dem Beschwerdeführer im Sinne des § 9 Abs. 1 SHG einen monatlichen Kostenersatz von S 942,-- auferlegt. In Hinblick auf die Einkommenssituation des Beschwerdeführers sowie die Tatsache, daß er keine Sorgepflichten habe, sei der ausgesprochene Kostenersatz zumutbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Verwaltungsbehörden hätten die Aussagen und die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen in keiner Weise zur Kenntnis genommen. Tatsache sei, daß er schon der erstinstanzlichen Behörde das Kündigungsschreiben vom 24. März 1992 vorgelegt habe. Seit 30. Juni 1992 sei der Beschwerdeführer arbeitslos und lebe lediglich vom Arbeitslosengeld. Hiebei sei zu berücksichtigen, daß er für die monatliche Miete einen Betrag von S 4.500,-- aufwenden müsse und darüberhinaus noch eine Reihe weiterer abzugsfähiger Ausgaben vorliege, sodaß die Bemessungsgrundlage vollkommen falsch und unrichtig berechnet worden sei. Aufgrund des Arbeitslosengeldbezuges des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde im Hinblick auf § 9 SHG und § 143 ABGB dem Beschwerdeführer keinen Kostenersatz auferlegen dürfen. Denn aufgrund der Arbeitslosigkeit sei nicht nur der eigene angemessene Unterhalt des Beschwerdeführers gefährdet, sondern es sei ihm nicht einmal möglich für seinen eigenen Unterhalt aufzukommen. Überdies ergebe sich aus dem angefochtenen Bescheid nicht, welche Landesregierung über die Berufung entschieden habe. Auch sei der angefochtene Bescheid nicht ordnungsgemäß vom zuständigen Sachbearbeiter unterfertigt. Außerdem sei von der belangten Behörde das AVG falsch zitiert worden und basiere daher der Bescheid auf keiner gesetzlichen Grundlage. Es gebe nämlich kein "Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991", auf das sich die Behörde berufe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unbegründet sind zunächst die Formaleinwände des Beschwerdeführers. Denn da die dem Beschwerdeführer zugestellte Ausfertigung des angefochtenen Bescheides, wie die von ihm vorgelegte Fotokopie erweist, auf der Seite eins links oben die Aufschrift "Amt der Tiroler Landesregierung" trägt und am Ende einen Beglaubigungsvermerk aufweist, ist der nach § 58 Abs. 3 AVG geltenden Bestimmung des § 18 Abs. 4 leg. cit. hinsichtlich der Bezeichnung der Behörde, ungeachtet der bloßen Verwendung des Wortes "Landesregierung" im Text des Bescheides, sowie der Fertigung des Bescheides entsprochen. Die Zitierung des AVG mit "Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991" steht im Einklang mit der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 51/1991. Abgesehen davon vermöchte eine derartige Fehlzitierung (bloße Hinzufügung des im amtlichen Titel nicht vorgesehenen Jahres der Verlautbarung) dem dieses Gesetz anwendenden Bescheid nicht die gesetzliche Grundlage zu nehmen.

In der Sache selbst ist die Beschwerde aber aus nachstehenden Gründen zum Teil berechtigt:

Gemäß § 9 Abs. 1 SHG haben Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Empfängers der Sozialhilfe verpflichtet sind, die Kosten der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu ersetzen.

Mit der Wendung "im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht" verweist das Gesetz auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über die gesetzliche Unterhaltspflicht (vgl. zu wortgleichen Wendungen in anderen Sozialhilfegesetzen die Erkenntnisse vom 18. Oktober 1988, Zl. 87/11/0127, und vom 20. Februar 1987, Zl. 86/11/0058).

Gemäß § 143 Abs. 1 ABGB schuldet das Kind unter anderem seinen Eltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten. Nach § 143 Abs. 3 ABGB hat ein Kind nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es dadurch bei Berücksichtigung seiner sonstigen Sorgepflichten den eigenen angemessenen Unterhalt nicht gefährdet.

Daß die Mutter des Beschwerdeführers im Sinne des § 143 Abs. 1 ABGB nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Ausgehend vom festgestellten Einkommen des Beschwerdeführers, seinen (mit Ausnahme gegenüber seiner Mutter) fehlenden sonstigen Sorgepflichten und (mit Ausnahme des ohnedies berücksichtigten Mietzinses) mangelnden besonderen finanziellen Belastungen widerspricht die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei zu einer monatlichen Unterhaltsleistung gegenüber seiner Mutter von S 942,-- verpflichtet - trotz des Ausnahmecharakters des § 143 ABGB (Regierungsvorlage zum Kindschaftsgesetz, 60 BlgNR, 14. GP 7; EFSlg. 40.717; Schwimann/Schlemmer, ABGB I, § 143 Rz 7) - nicht dem Gesetz, ist doch nicht erkennbar, daß bei einem dem Beschwerdeführer verbleibenden monatlichen Einkommen von rund S 7.600,-- der eigenene angemessene Unterhalt gefährdet wäre (vgl. dazu die Entscheidung des OGH vom 1. September 1982, 1 Ob 712/82, veröffentlicht in = Der Österreichische Amtsvormund 1983, 58). Daran änderte es nichts, daß der Beschwerdeführer, wie er in seiner Berufung behauptet hat, schon bisher zum Lebensunterhalt seiner Mutter beigetragen hat (vgl. zur grundsätzlichen Berücksichtigung von Unterstützungsleistungen bei Bemessung des Unterhaltes für die Vergangenheit OGH, SSV-NF 4/139, sowie Entscheidung vom 8. Oktober 1991, 5 Ob 544/91), weil es im Beschwerdefall ja um künftige Leistungen (ab Juni 1992) geht. Da der Beschwerdeführer gegen die eben genannten maßgeblichen Feststellungen betreffend Juni 1992 auch in der Beschwerde keine Einwendungen erhebt, ist der angefochtene Bescheid, soweit er die Kostenersatzpflicht für diesen Monat betrifft, nicht mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid, dessen Spruch durch die Abweisung der Berufung zum Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides wurde, wurde der Beschwerdeführer aber zu einem Kostenersatz "ab Juni 1992" verpflichtet. Ein derartiger Ausspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. zur verwandten Rechtslage in bezug auf Gewährungsbescheide das Erkenntnis vom 17. September 1991, Zlen. 91/08/0004, 0093). Das ist im Beschwerdefall der 25. September 1992. Wegen dieser Rechtswirkungen (nämlich der genannten Geltung und der daraus folgenden Unzulässigkeit der Geltendmachung von Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse bis zu diesem Zeitpunkt außerhalb des dem Beschwerdefall zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens) hätte die belangte Behörde daher vor ihrer Entscheidung prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer auch nach der von ihm schon in der Niederschrift vom 4. Mai 1992 bekannt gegebenen Beendigung seines Dienstverhältnisses ein zumindest gleich hohes Einkommen bezieht. Mit der Antwort auf die vom Vernehmenden in der Niederschrift vom 4. Mai 1992 gestellten Frage, "ob er bereits eine Arbeit in Aussicht hat", er habe sich bei der Bahn beworben und werde, sollte dies nicht klappen, wiederum als Lagerarbeiter eine Beschäftigung suchen, dem der Satz folgt:

"Auf alle Fälle wird sich sein Verdienst in etwa gleichbleiben", durfte sich die belangte Behörde nicht begnügen, weil der Beschwerdeführer mit dem zuletzt genannten Satz eine bloße Vermutung aussprach. Im Hinblick darauf, daß die Berufung des Beschwerdeführers mit 29. Mai 1992 datiert ist und er aus der damaligen Situation andere Einwände gegen seine Kostenersatzverpflichtung erhoben hat, fällt dem Beschwerdeführer auch nicht etwa eine Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht zur Last. Das wäre erst dann der Fall gewesen, wenn er auf eine diesbezügliche Anfrage der belangten Behörde (nach seinem nunmehrigen Einkommen ab 1. Juli 1992) nicht geantwortet hätte. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Klärung der Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ab 1. Juli 1992 zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, ist der angefochtene Bescheid, soweit er die Zeit ab 1. Juli 1992 betrifft, mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet.

Der angefochtene Bescheid war daher insoweit, als mit ihm die Ersatzverpflichtung des Beschwerdeführers für die Zeit ab 1. Juli 1992 ausgeprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben; im übrigen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Begehren auf weiteren Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil für das Beschwerdeverfahren die Vorlage zweier Ausfertigungen der Beschwerde sowie einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides genügte.

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