VwGH 92/01/0596

VwGH92/01/059614.10.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. der AV, 2. der mj. UV, und 3. des mj. KV, alle wohnhaft in E, Zweit- und Drittbeschwerdeführer vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin als Mutter, alle vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. April 1992, Zl. 4.299.871/2-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, alle bulgarische Staatsangehörige, reisten am 11. August 1990 legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 13. August 1990 einen Asylantrag. Bei ihrer niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab die Erstbeschwerdeführerin im wesentlichen folgendes an:

Sie sei - wie ihr Gatte (= Beschwerdeführer im hg. Verfahren Zl. 92/01/0595) - von Geburt an moslemischen Glaubens. Ihre Familie und sie seien, wie überhaupt alle Moslems, in Bulgarien seit Jahrzehnten verfolgt worden, woran sich bis heute nichts geändert habe. Ihr Mann sei von allen seinen Arbeitsplätzen nach kurzer Zeit auf Grund seines Glaubens entlassen worden. An seinem letzten Arbeitsplatz auf einer Vogelfarm habe auch die Beschwerdeführerin gearbeitet. Sie seien zusammen aus dieser Firma "hinausgeflogen" und hätte man ihnen gesagt, sie sollten aus Bulgarien verschwinden.

Auf den Vorhalt, daß seit 2. August 1990 ein Demokrat Ministerpräsident sei, meinte die Beschwerdeführerin, daß sich nichts ändern werde, weil zwar der Ministerpräsident Demokrat, alle anderen Regierungsmitglieder aber Kommunisten seien.

Mit Bescheid vom 14. November 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes seien.

Dagegen beriefen die Beschwerdeführer, wobei sie sich insbesondere ausdrücklich auf die vom Gatten der Erstbeschwerdeführerin in seinem Asylverfahren erhobene Berufung bezogen und ihren Inhalt als richtig bestätigten (vgl. dazu die beim hg. Akt Zl. 92/01/0595 befindlichen Verwaltungsakten).

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, daß sie nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes seien. In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, daß den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Beeinträchtigungen kein Gewicht mehr zukomme, weil sich seit dem Sturz Schiwkoffs im November 1989 die Lage der Moslems in Bulgarien entscheidend verändert habe. Den Moslems seien wieder ihre religiösen und kulturellen Rechte garantiert, der Gebrauch der türkischen Sprache ebenso wie der ungestörte Besuch der Moscheen gestattet worden; auch die Beschneidung in Spitälern sei wieder zugelassen worden. Eine Anerkennung der Beschwerdeführer als Konventionsflüchtlinge sei daher wegen geänderter Verhältnisse nicht gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft verletzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer rügen sowohl bei Darstellung des Beschwerdegrundes der inhaltlichen Rechtswidrigkeit als auch unter dem Aspekt eines Verfahrensmangels, daß die belangte Behörde keine ausreichende Begründung dafür gegeben habe, daß sich die Situation der Moslems in Bulgarien tatsächlich so geändert hätte, daß für die Zukunft keine Verfolgungen mehr zu befürchten seien. Insbesondere habe die belangte Behörde in keiner Weise angeführt, woraus sie die Änderung der Lage in Bulgarien ableite. Die Beschwerdeführer behaupten dazu, daß in Bulgarien noch immer Kommunisten hohe Regierungsämter innehätten und daß auch die Geheimpolizei noch immer aktiv sei. Die Beschwerdeführer verweisen in diesem Zusammenhang auf einen (nicht näher bezeichneten) Zeitungsartikel wonach am 7. April 1992 der moslemische Lehrer des Dorfes P, von Kommunisten geschlagen worden sei; die Kommunisten wollten nicht, daß Kinder den Koran in der Moschee lernten. Ebenso sei gemeldet worden, daß am 7. April 1992 ein Mordversuch gegen D,den Führer der Bewegung für Ehrlichkeit und Freiheit, unternommen worden sei. Die Kommunisten versuchten nach wie vor, ihre Machtpositionen zu behaupten und vor allem religös geführte Bewegungen zu bekämpfen. Die Beschwerdeführer rügen schließlich, daß ihnen die belangte Behörde die Möglichkeit hätte geben müssen, zur behaupteten Änderung der Verhältnisse in Bulgarien Stellung zu nehmen.

Diesen Argumenten der Beschwerdeführer kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht verschließen. Zunächst ist festzuhalten, daß die belangte Behörde hinsichtlich der von ihr getroffenen Feststellungen über die Änderung der Verhältnisse in Bulgarien mit keinem Wort näher begründet, worauf sich diese Tatsachenfeststellungen im einzelnen stützen. Bereits dadurch ist der Verwaltungsgerichtshof an der ihm obliegenden nachprüfenden Kontrolle des Bescheides gehindert (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahren4 unter ENr. 34 zu § 60 AVG referierte hg. Entscheidung vom 28. Jänner 1987, Zl. 86/01/0125) worin eine Verletzung von Verfahrensvorschriften gelegen ist (vgl. dazu bei Hauer-Leukauf aaO. unter ENr. 30 referierte hg. Judikatur, insbesondere das hg. Erkenntnis vom 24. September 1986, Zl. 85/01/0143). Dazu kommt, daß die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, zu den von ihr angenommenen Änderungen der Verhältnisse in Bulgarien den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör zu verschaffen (§§ 37 AVG), welchem Umstand im vorliegenden Fall Relevanz zukommt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, wenn sie sich mit den zur Frage der Verhältnisse in Bulgarien von den Beschwerdeführern jetzt in ihrer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vorgetragenen Argumenten auseinandergesetzt hätte.

Der angefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf die übrigen Beschwerdeausführungen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 4/1991; die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren für die überflüssigerweise eingebrachte dritte und vierte Ausfertigung der Beschwerdeschrift.

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