VwGH 92/01/0068

VwGH92/01/006816.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Februar 1991, Zl. 4.289.032/2-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1 idF 1974/796;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnA;
AsylG 1968 §1 idF 1974/796;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnA;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Februar 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Rüge des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid enthalte keine eindeutigen Sachverhaltsfeststellungen, ist insofern berechtigt, als die belangte Behörde zwar einerseits die Angaben des Beschwerdeführers in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 10. Mai 1990, soweit sie über seine Angaben bei der Erstbefragung am 21. Dezember 1989 hinausgehen, nicht als glaubwürdig erachtet hat, sie aber andererseits dessenungeachtet in weiterer Folge bei Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers offenbar auch von jenen ergänzenden Angaben, auch wenn sie sich damit nur unzureichend auseinandergesetzt hat, ausgegangen ist. Darin liegt aber kein wesentlicher, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führender Verfahrensmangel, weil die belangte Behörde auch bei dessen Unterlassung nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können.

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der ehemaligen UdSSR, der (nach einer am 9. November 1989 im Rahmen einer Reisegruppe begonnenen, zweiwöchigen Rundreise in Ungarn) am 7. Dezember 1989 in das Bundesgebiet eingereist ist, macht geltend, daß die Verfolgungen, denen er nach seiner Behauptung in seinem Heimatland ausgesetzt gewesen sei, wegen seiner politischen Gesinnung (und demnach aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe) erfolgt seien. Zum einen sei er im Jahre 1987 aus dem Komsomol, der kommunistischen Jugendorganisation, ausgetreten, zum anderen habe er im März 1988 zu westlichen Sportlern während deren Aufenthaltes in seinem Heimatort Kontakte geknüpft. Auf beides hat sich der Beschwerdeführer im wesentlichen bereits anläßlich seiner Erstbefragung bezogen, wobei er aber (auch in der Berufung) nur in Ansehung des zweitgenannten Umstandes von unmittelbar im Anschluß daran nachteiligen Folgen für ihn gesprochen hat. Dabei handelte es sich nach den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung darum, daß der Beschwerdeführer (nach dem Kontakt mit den Sportlern) zum KGB vorgeladen, er diesbezüglich verhört und in der Folge auch sein Telefon abgehört worden sei. Daraus läßt sich (auch in Verbindung mit der in der Berufung erfolgten Ergänzung, im Wohnort des Beschwerdeführers hätten sich militärische Einrichtungen befunden, weshalb die Sportler beobachtet worden seien, und er sei gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, welches das Gespräch mit den ausländischen Sportlern zum Inhalt gehabt habe) nicht ableiten, daß gegen den Beschwerdeführer Verfolgungshandlungen im Sinne der Konvention gesetzt worden seien, haben doch diese Folgen nicht jenes Ausmaß erreicht, daß dadurch dem Beschwerdeführer aus objektiver Sicht ein Aufenthalt in seinem Heimatland unerträglich geworden wäre. Der Beschwerdeführer hat sie auch nicht zum Anlaß angenommen, sein Heimatland zu verlassen; vielmehr bestand ein zeitlicher Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und seiner tatsächlichen Ausreise nicht mehr. Dies gilt - abgesehen von der ausdrücklichen Erklärung des Beschwerdeführers bei seiner Erstbefragung, daß er dadurch keinerlei Repressalien habe erleiden müssen, und das Argument der belangten Behörde, erfahrungsgemäß machten Asylwerber bei der Erstbefragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kommen, und daher seien seine Berufungsangaben nicht glaubwürdig, nicht als unschlüssig angesehen werden kann (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0133, und vom 20. Mai 1992, Zl. 92/01/0407) - auch hinsichtlich des Berufungsvorbringens, der Beschwerdeführer sei deshalb in der Folge verhaftet und für kurze Zeit ins Gefängnis gebracht worden, sodaß selbst unter Berücksichtigung dieses (sich steigernden) Vorbringens für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen wäre. Aber auch die weiteren vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründe, sollten sie allenfalls auch auf seine durch sein genanntes Verhalten zum Ausdruck gebrachte politische Gesinnung zurückzuführen sein, vermögen der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Der Beschwerdeführer erblickt auch darin, daß er nicht mehr habe weiterstudieren dürfen, eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung. Bei seiner Erstbefragung hat er dazu vorgebracht, von 1987 bis 1989 an der Universität N englische Literatur studiert zu haben. Im Mai 1989 habe der KGB auf der Universität alle seine Prüfungspapiere an sich genommen, sodaß er keine Prüfung habe ablegen können. Die Papiere seien dann im September 1989 wieder an die Universität zurückgebracht worden. Die (bei der Erstbefragung) daraus gezogene Schlußfolgerung des Beschwerdeführers, er habe aus diesem Grund sein Heimatland verlassen, da es ihm dort nicht möglich gewesen sei, frei zu studieren, ist nicht nachvollziehbar, weil daraus nicht hervorgeht, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer (nachdem die betreffenden Papiere wieder an die Universität zurückgebracht worden waren) sein Studium nicht habe fortsetzen können und daß mit weiteren derartigen Maßnahmen zu rechnen gewesen sei. In der Berufung wies er diesbezüglich lediglich darauf hin, daß er "im darauffolgenden Sommer" (nach dem Kontakt mit den westlichen Sportlern) die Universität habe verlassen müssen. Abgesehen davon, daß diese Angaben nicht im Einklang mit jenen bei der Erstbefragung stehen und auch diesbezüglich der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden kann, übersieht der Beschwerdeführer hiebei, daß selbst die Annahme eines derartigen Eingriffes nicht geeignet wäre, seine Anerkennung als Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes herbeizuführen. Von einer relevanten Verfolgung kann nämlich erst dann die Rede sein, wenn eine Maßnahme eine solche Intensität erreicht, daß damit für den Betroffenen eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden wäre (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0202, mit weiteren Judikaturhinweisen). Der Beschwerdeführer hat aber nie behauptet, daß ihm in seinem Heimatland jedwede Arbeitsmöglichkeit, auf Grund der er seinen Lebensunterhalt hätte befriedigen können, genommen worden wäre.

Bei der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer, was seinen Militärdienst anlangt, nur angegeben, ihn noch nicht abgeleistet zu haben und noch nicht bei der Stellung gewesen zu sein; im Zusammenhang damit stehende Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes hat der Beschwerdeführer damals nicht genannt. In der Berufung wurde behauptet, daß der Beschwerdeführer im Herbst und Winter 1988 in die Armee eigezogen worden sei. Bald darauf sei er in das Spital gekommen, wo er eine Bestätigung erhalten habe, daß er auf Grund seiner Krankheit für den Militärdienst untauglich sei. Trotzdem habe er im Sommer 1989 - entgegen den gesetzlichen Vorschriften - neuerlich einen "Einrückungsbescheid" erhalten. Im Herbst 1989 habe man ihm anläßlich eines Spitalsaufenthaltes erklärt, daß er ins Gefängnis müsse, sollte er nicht den Militärdienst leisten. Da Polizei und Militär zusammengehörten, sei es ihm unmöglich gewesen, einen Anwalt zu bekommen, um (dagegen) Schritte zu unternehmen. Wenn die belangte Behörde auch diesem zusätzlichen Vorbringen den Glauben versagt hat, hält dies der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof aus den schon oben angeführten Gründen stand. Im übrigen ist dem Beschwerdeführer die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach die "Flucht" eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst für sich allein ebensowenig einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstellt wie die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0243, und vom 6. Mai 1992, Zl. 92/01/0408). Der vom Beschwerdeführer behauptete Umstand, daß er aus gesundheitlichen Gründen zum Wehrdienst nicht geeignet und demnach rechtswidrigerweise einberufen worden sei, vermag daran nichts zu ändern, betrifft er doch die Frage des Bestehens seiner gesetzlichen Wehrpflicht, der er grundsätzlich nachzukommen hat. Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, daß die Militärbehörden seines Heimatlandes trotz Kenntnis seiner Krankheit und daraus resultierender fehlender Wehrpflicht, jedoch im Hinblick auf seine politische Gesinnung auf einem von ihm zu erbringenden Militärdienst beharrten. Das Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention ist daher auch in Ansehung dieses Grundes nicht gegeben.

Dem vom Beschwerdeführer gerügten Widerspruch, daß er in der Niederschrift über seine Erstbefragung konkrete Gründe für seine Verfolgung genannt habe und es dennoch darin heißt, daß er konkret nicht "politisch, religiös oder wirtschaftlich verfolgt" worden sei, kommt nach dem bisher Gesagten keine Bedeutung zu. Der Beschwerdeführer wurde auch sonst durch den angefochtenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt. Ob gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge von der Einleitung des Feststellungsverfahrens Mitteilung gemacht wurde und dieser im erstinstanzlichen Verfahren gemäß Abs. 3 dieses Paragraphen gehört wurde, läßt sich den vorgelegten Verwaltungsakten nicht einwandfrei entnehmen. Auch wenn dies nicht geschehen sein sollte, läge insoweit jeweils ein der Erstbehörde unterlaufener Verfahrensmangel vor, der aber nicht den angefochtenen Bescheid, den der Verwaltungsgerichtshof auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen hat, mit einer Rechtswidrigkeit belasten würde. Das Beschwerdevorbringen, der betreffende Hochkommissär sei im Berufungsverfahren nicht gehört worden, ist anhand der vorgelegten Verwaltungsakten jedenfalls aktenwidrig. Eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers ist auch darin nicht gelegen, daß im Spruch des angefochtenen Bescheides nicht gemäß § 59 Abs. 1 in Verbindung mit § 67 AVG die hinsichtlich der getroffenen Feststellung, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei, angewendete Gesetzesvorschrift näher bezeichnet wurde, weil der Begründung des angefochtenen Bescheides zweifelsfrei entnommen werden kann, auf welche materiell-rechtlichen Bestimmungen (§ 1 Asylgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) sich diese Entscheidung stützt.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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