VwGH 91/11/0140

VwGH91/11/014017.11.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in P, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. August 1991, Zl. VerkR-390.040/4-1991/F, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §52;
AVG §56;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs3;
AVG §37;
AVG §52;
AVG §56;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. August 1991 wurde dem Ansuchen des Beschwerdeführers um Wiederausfolgung des Führerscheines keine Folge gegeben und die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen. Es wurde ausgesprochen, daß bis zur amtsärztlichen Feststellung der geistigen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung das Gutachten einer Amtsärztin vom 17. April 1991, insbesondere ihr ergänzendes Gutachten vom 12. Juli 1991, unter Berücksichtigung der Ausführungen eines Verkehrspsychologen beim Kuratorium für Verkehrssicherheit zugrunde. Insbesondere gehe aus dem verkehrspsychologischen Befund hervor, welchen Untersuchungsmethoden verkehrspsychologischer Natur in Verbindung mit den jeweils ermittelten Ergebnissen welche Aussagekraft zukomme. Auch wenn im vorliegenden Fall die Persönlichkeitstests keine Basis für die Beurteilung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers bilden, seien andere Persönlichkeitsverfahren herangezogen worden, nämlich Exploration und Verhaltensbeobachtung; die in diesem Rahmen vom Verkehrspsychologen vorgenommene Wertung sei fachlich fundiert, daraus ergäben sich die Argumente gegen eine ausreichende Stabilisierung im Bereich der Persönlichkeit des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde sucht zunächst aus dem Umstand, daß mit

Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 7. Jänner 1991 "der Führerschein des Beschwerdeführers für vier Wochen entzogen worden sei" abzuleiten, daß die Behörde damit die Verkehrszuverlässigkeit und die körperliche und geistige Eignung des Beschwerdeführers bejaht habe, und sieht einen Widerspruch darin, daß dieselbe Behörde mit Bescheid vom 29. Jänner 1991 den Antrag auf Wiederausfolgung des Führerscheins abgelehnt und die Lenkerberechtigung entzogen hat, weil bei ihm keine ausreichende Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sei.

Dazu ist zu bemerken, daß bei Erlassung des Bescheides vom 7. Jänner 1991 die Behörde zunächst nur das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entziehungsmaßnahme nach § 73 Abs. 3 KFG 1967 zu prüfen hatte. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens kommt in diesem Fall wegen der Besonderheit dieser im Gesetz gesondert geregelten Entziehungsmaßnahme nicht zum Tragen, sodaß in einem späteren Entziehungsverfahren der Bescheid auch auf Sachverhaltselemente gestützt werden kann, die schon vor der Erlassung des Entziehungsbescheides nach § 73 Abs. 3 KFG 1967 verwirklicht waren.

Es fehlt auch dem Antrag des Beschwerdeführers auf Einvernahme von Zeugen zum Beweis dafür, daß es sich beim Fahrzeug des Beschwerdeführers um ein Firmenfahrzeug handle, das von anderen Betriebsangehörigen benützt worden sei, die damit ebenfalls Verwaltungsübertretungen begangen hätten, und er, weil er die Strafe ohnehin nicht bezahlen habe müssen, sondern diese Strafen von der Firma beglichen worden seien, gegen die jeweiligen Strafverfügungen keinen Einspruch erhoben hätte, die nötige Relevanz, weil die Behörde an die rechtskräftige Bestrafung gebunden war.

Zu Recht wendet sich der Beschwerdeführer jedoch gegen die von der belangten Behörde zur Beurteilung der Frage seiner Bereitschaft zur Verkehrsanpassung herangezogenen Grundlagen.

Was unter dem im KFG 1967 nicht verwendeten Begriff der "Bereitschaft zur Verkehrsanpassung" zu verstehen ist, wird in der KDV 1967 nicht erläutert. Es kann jedoch - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143, bereits ausführlich dargelegt hat - kein Zweifel darüber bestehen, daß der Verordnungsgeber sowohl hinsichtlich der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit als auch insbesondere hinsichtlich der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung die Beurteilung vom Vorliegen eines verkehrspsychologischen Befundes abhängig macht. Es geht dabei um Fragen der Verkehrspsychologie, wobei eine verständige Würdigung der Bestimmung des § 31a Abs. 2 KDV nur den Schluß zuläßt, daß den Voraussetzungen der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einerseits und der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung andererseits gemeinsam die sich insbesondere aus Gründen der Verkehrssicherheit ergebende Notwendigkeit der Anpassung von Kraftfahrzeuglenkern im Verkehr zugrunde liegt und jeweils innerhalb des damit vorgegebenen, in den Bereich der Verkehrspsychologie fallenden Rahmens die erstgenannte Voraussetzung die - vom Willen einer Person unabhängige - Fähigkeit hiezu betrifft, hingegen die zweitgenannte Voraussetzung darauf abstellt, daß eine Person (trotz ihrer Fähigkeit hiezu) nicht bereit, also nicht Willens ist, sich entsprechend anzupassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143, mit weiteren Literaturhinweisen). Der Basis der Beurteilung der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung bildende, vom Amtssachverständigen seinem Gutachten zugrunde zu legende verkehrspsychologische Befund hat im einzelnen nachvollziehbar festzuhalten, welche Untersuchungsverfahren tatsächlich angewendet wurden, welche Ergebnisse sie erbracht haben und welche Schlußfolgerungen daraus konkret gezogen wurden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0153).

Die belangte Behörde hat, wie bereits angeführt, ihrer Entscheidung das Gutachten der Amtssachverständigen zugrunde gelegt. Sie hat hiezu die Auffassung vertreten, daß das ergänzende Gutachten der Amtsärztin vom 12. Juli 1991 in Verbindung mit den Aussagen im Gutachten vom 17. April 1991, "unter Berücksichtigung der nunmehrigen Ausführungen des Verkehrspsychologen beim Kuratorium für Verkehrssicherheit vom 9. Juli 1991 geeignet ist, jenen Schlüssigkeitsvoraussetzungen, denen ein Sachverständigengutachten in diesem Verfahren zu entsprechen hat, in ausreichendem Maß gerecht" zu werden.

Dem Amtssachverständigen ist es zwar nicht verwehrt, auch die Vorgeschichte und die bei der amtsärztlichen Untersuchung gewonnenen subjektiven Eindrücke in seine Überlegungen miteinzubeziehen, diesen kann jedoch in bezug auf den verkehrspsychologischen Befund nur unterstützende Funktion zukommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143). Es wurde jedoch den Ausführungen des Verkehrspsychologen, insbesondere in seinem Befund vom 9. Juli 1991, nicht das nötige Gewicht beigemessen. Darin führt der Verkehrspsychologe unter anderem aus:

"Wie bereits im Gutachten angeführt, sind im Falle von Herrn Pletl die Persönlichkeitstests nicht sinnvoll interpretierbar, da der Untersuchte zu einem extrem taktierenden Verhalten im Sinne eines Schönfärbens der eigenen Persönlichkeit neigt. Die nicht gegebene Interpretationsfähigkeit der Fragebogenwerte wird auch durch die Kontrollskala "unkritische Selbstbeschreibung" im 8-PF-Test (B+) objektiv bestätigt. Demnach muß eingeräumt werden, daß im Sinne der momentanen Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes die Beurteilung auf derzeitige Nichteignung nicht mit entsprechend negativen Befunddaten aus den Persönlichkeitstests belegt werden kann, da diese Daten eben unbrauchbar sind. Die nicht gegebene Interpretationsfähigkeit bedeutet, daß aus den Ergebnissen der Persönlichkeitstests wohl keine für den Untersuchten negativen, aber natürlich auch keine positiven Schlüsse gezogen werden können. Das heißt, die Persönlichkeitstests bieten in diesem Fall überhaupt keine Basis für die Beurteilung der Persönlichkeit. Im Rahmen der verkehrspsychologischen Untersuchung werden aber neben den Persönlichkeitstests auch andere Persönlichkeitsverfahren zur Diagnostik der Persönlichkeit herangezogen, und zwar Exploration und Verhaltensbeobachtung. Im Rahmen dieser Methoden kommt es auch zu einer genauen Besprechung und Würdigung der Vorgeschichte."

Im weiteren Zuge seines Befundes führt der Verkehrspsychologe jedoch keine Details aus, welche konkrete Exploration und insbesondere die Beobachtung welchen weiteren Verhaltens den Ergebnissen der Persönlichkeitsverfahren zugrunde gelegt wurden, sondern er stützt sich im wesentlichen auf die vierzig Verkehrsverwaltungsstrafen des Beschwerdeführers, darunter "viele Delikte, die eindeutig auf ein erhöhtes Risikoverhalten hinweisen, zuletzt am 6. Oktober 1990 ein Alkoholdelikt". Diese Fakten wurden dem Beschwerdeführer vom Verkehrspsychologen vorgehalten, worauf der Verkehrspsychologe festhielt, daß der Beschwerdeführer "zu einer überaus oberflächlichen Realitätsbewältigung tendiert" habe. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer nicht bestritten, ein provokantes Verhalten anläßlich von Beanstandungen im Straßenverkehr an den Tag gelegt zu haben, was auf einem erheblichen Imponiergehaben basiere.

Auf Grund welcher konkreten Sachverhaltsannahmen, insbesondere welcher konkreten eigenen Wahrnehmung der Verkehrspsychologe in seinem Befund im einzelnen seine Schlüsse auf eine "oberflächliche Realitätsbewältigung" und auf ein "erhebliches Imponiergehaben" gewinnt, wird im Detail nicht dargelegt. Insbesondere bieten aber auch in diesem Zusammenhang die hier vom Verkehrspsychologen zugrunde gelegten "Fakten", nämlich Verkehrsstraftaten des Beschwerdeführers, für sich allein keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der hier relevanten Frage der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung. Hiefür sind in erster Linie die spezifischen Methoden der Verkehrspsychologie anzuwenden. Der Verkehrspsychologe selbst legt dar, daß aus der Vorgeschichte des Untersuchten, und hier werden in diesem Zusammenhang konkret ausschließlich die bereits erwähnten Verwaltungsstraftaten genannt, sich der Verdacht auf persönlichkeitbedingte Einschränkungen ergebe. Wenn jedoch, wie der Verkehrspsychologe ausführte, Persönlichkeitstests mit dem Beschwerdeführer keine brauchbaren Ergebnisse erbrachten, können derartige Mängel nicht dadurch saniert werden, daß aus den festgestellten Straftaten auf den Mangel der nötigen Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung geschlossen wird. Es fehlt daher an einer entsprechenden Entscheidungsgrundlage für die diesbezügliche im angefochtenen Bescheid getroffene Annahme.

Es wurden somit durch die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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