VwGH 91/02/0105

VwGH91/02/010525.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Bernard und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerden der L in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide 1. der Wr LReg vom 8.7.1991, Zl. MA 70-10/957/90/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (hg. Zl. 91/02/0105), und

2. des Landeshauptmannes von Wien vom 8. Juli 1991, Zl. MA 70-10/958/90/Str, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967 (hg. Zl. 91/02/0106), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
KFG 1967 §102 Abs2;
StVO 1960 §2 Abs1 Z26;
StVO 1960 §2 Abs1 Z27;
StVO 1960 §23 Abs2;
StVO 1960 §97 Abs4 litb;
StVO 1960 §97 Abs4;
StVO 1960 §99 Abs4 liti;
VStG §24;
VwGG §48 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
KFG 1967 §102 Abs2;
StVO 1960 §2 Abs1 Z26;
StVO 1960 §2 Abs1 Z27;
StVO 1960 §23 Abs2;
StVO 1960 §97 Abs4 litb;
StVO 1960 §97 Abs4;
StVO 1960 §99 Abs4 liti;
VStG §24;
VwGG §48 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien und dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 2.782,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Wiener Landesregierung wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem näher genannten Ort als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges "in 2. Spur, somit nicht am Rande der Fahrbahn, gehalten" und "die Weisung eines

Straßenaufsichtsorganes mit dem Kraftfahrzeug ... wegzufahren

und es auf den vorhandenen Parkstreifen zu stellen, um die durch das Kraftfahrzeug verursachte Verkehrsbeeinträchtigung aufzulösen, nicht befolgt". Dadurch habe sie Übertretungen nach § 23 Abs. 2 und nach § 97 Abs. 4 in Verbindung mit § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 begangen. Über sie wurden zwei Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) verhängt.

1.2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe zur Tatzeit am Tatort wie zu obigem Punkt 1.1. bei dem in Rede stehenden Fahrzeug "die Alarmblinkanlage vorschriftswidrig, nämlich nicht zur Warnung bei einer Panne, zum Schutz ein- und aussteigender Schüler bei einem Schülertransport oder zum Schutz auf- und absitzender Mannschaften bei einem Mannschaftstransport, eingeschaltet". Dadurch habe sie eine Übertretung nach § 102 Abs. 2 KFG 1967 begangen. Über sie wurde deswegen eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt.

2. In ihren an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerden macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Die belangten Behörden haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragen.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerdesachen wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und erwogen:

3.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, ihr Fahrzeug am Tatort in 2. Spur abgestellt zu haben. Sie wendet sich aber insofern gegen die Tatbestandsmäßigkeit ihres Verhaltens nach § 23 Abs. 2 StVO 1960, als ihr Stehenbleiben nicht als Halten, sondern vielmehr als Anhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 26 StVO 1960 zu qualifizieren sei, weil bei ihrer Brille plötzlich ein Brillenglas herausgefallen sei und sie deswegen nicht habe weiterfahren können; sie habe sich deswegen in das unmittelbar neben dem Abstellort befindliche Optikergeschäft begeben, um die Reparatur ihrer Brille durchführen zu lassen.

Die dazu geäußerte Ansicht der belangten Behörde, es könne sich um kein Anhalten im Sinne des Gesetzes gehandelt haben, weil die Beschwerdeführerin "nicht im Fahrzeug verblieben ist", ist unzutreffend, weil es für ein Anhalten - welches gemäß § 2 Abs. 1 Z. 26 StVO 1960 in einem durch die Verkehrslage oder durch sonstige wichtige Umstände erzwungenen Zum-Stillstand-Bringen eines Fahrzeuges besteht - unerheblich ist, ob der Lenker im Fahrzeug verbleibt oder nicht. Es wird umgekehrt sogar häufig notwendig sein, das Fahrzeug zu verlassen, um - etwa durch Veranlassen der Reparatur oder Abschleppung eines defekten Fahrzeuges - zu verhindern, daß das (zunächst erlaubte) Anhalten in ein (unerlaubtes) Halten übergeht.

Die belangte Behörde steht im übrigen diesbezüglich auf dem Standpunkt, daß die Beschwerdeführerin mit Hilfe ihrer Reservebrille, die sie ihren eigenen Angaben zufolge in dem Pkw mitgeführt hat, einen erlaubten Parkplatz hätte suchen müssen.

Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, daß aus dem Umstand, daß sie im Besitze einer Reservebrille gewesen sei, nicht abzuleiten sei, daß ihr diese Reservebrille auch das sichere Lenken ihres Kraftfahrzeuges ermöglicht hätte. Die belangte Behörde hätte davon ausgehen müssen, daß es sich bei dieser Brille um eine ältere Brille gehandelt habe, "die den Notwendigkeiten nicht mehr genügt hat".

Diese Äußerung ist - abgesehen davon, daß sie keine dezidierte Behauptung hinsichtlich der Untauglichkeit der Brille enthält - eine unzulässige Neuerung, auf die nicht weiter einzugehen war. Selbst wenn das Abstellen des Pkws in

2. Spur zunächst als Anhalten zu qualifizieren gewesen wäre, wäre es nur solange erlaubt, als die Beschwerdeführerin benötigt hätte, anstelle ihrer defekten Brille die Reservebrille aufzusetzen. Da das vorliegende Abstellen des Fahrzeugs in 2. Spur unbestrittenermaßen länger gedauert hat, hat die Beschwerdeführerin die ihr zur Last gelegte Übertretung nach § 23 Abs. 2 StVO 1960 zu vertreten.

Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang auch, daß ihr die Zeugenaussage des Meldungslegers - eines Sicherheitswachebeamten - im Berufungsverfahren mit der Einräumung einer bloß dreitägigen Frist zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht wurde; dem mit der Behauptung, daß es in dieser kurzen Zeit nicht möglich sei, zwischen den Beschwerdevertreterinnen und der Beschwerdeführerin Kontakt herzustellen und die Beweisergebnisse zu erörtern, begründeten Fristerstreckungsantrag wurde keine Folge gegeben, da die Frist "als ausreichend erscheint".

Zwar ist eine dreitägige Frist zur Stellungnahme zu dem Ergebnis einer (erstmaligen) Beweisaufnahme durch Vernehmung des Meldungslegers als Zeugen im Hinblick darauf, daß in der Regel ein Kontakt zwischen der Partei und ihrem Vertreter herzustellen sein wird, bevor die Stellungnahme erstellt wird, grundsätzlich zu kurz; die Bemessung der konkreten Frist ist der Aktenlage nach nur damit zu erklären, daß der Verwaltungsstrafakt während des Berufungsverfahrens zeitweise in Verstoß geraten ist und die Frist nach § 51 Abs. 5 VStG 1950 abzulaufen drohte (der angefochtene Bescheid wurde auch am letzten Tag dieser Frist zugestellt). Zur Wesentlichkeit dieses Verfahrensmangels führt die Beschwerdeführerin aus, daß sie vor Ablauf der in Rede stehenden Frist eine Stellungnahme abgegeben und darin einen Beweisantrag gestellt habe. Diese Stellungnahme wurde am letzten Tag der Frist zur Post gegeben, allerdings an die unrichtige Stelle - die Erstbehörde - adressiert. Der darin gestellte Beweisantrag ist für die Lösung der Frage unerheblich. Die Beschwerdeführerin beantragte nämlich die Einvernahme des Optikers zu dem Thema, daß die Beschwerdeführerin von ihm ihre Brille habe instandsetzen lassen und daß es sich dabei um eine verhältnismäßig geringfügige Reparatur gehandelt habe. Dies ist aber von der Behörde nicht in Zweifel gezogen worden und hat keinen Einfluß darauf, ob der Beschwerdeführerin ein während der Reparaturarbeit zum unzulässigen Halten gewordenes Anhalten zur Last gelegt werden kann. Das Zum-Stillstand-Bringen des Pkws wäre - wie bereits ausgeführt - nur zu dem Zweck gerechtfertigt gewesen, um an Stelle der defekten Brille die Reservebrille aufzusetzen; sodann hätte die Beschwerdeführerin ihre Fahrt fortzusetzen gehabt.

3.2. Die Übertretung nach § 97 Abs. 4 in Verbindung mit § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 erblickt die belangte Behörde darin, daß sich die Beschwerdeführerin geweigert habe, der Anweisung des Meldungslegers, den Pkw von seinem Abstellplatz in 2. Spur auf einen in der Nähe befindlichen freien Parkplatz zu lenken, zu folgen.

Die Beschwerdeführerin verantwortet sich damit, daß sie erst die Reparatur ihrer Brille habe abwarten müssen, bevor sie ihren Pkw wieder habe in Betrieb nehmen können.

Diese Verantwortung geht schon im Hinblick auf die Möglichkeit der Verwendung der Reservebrille (obiger Pkt. 3.1.) ins Leere. Die Befolgung der Anweisung des Meldungslegers wäre unter Verwendung der Reservebrille ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen (§ 97 Abs. 4 lit. b StVO 1960).

4. Gemäß dem 4. Satz des § 102 Abs. 2 KFG 1967 darf der Lenker eines Kraftfahrzeuges Alarmblinkanlagen nur einschalten, wenn das Fahrzeug stillsteht und nur zur Warnung bei Pannen, zum Schutz ein- und aussteigender Schüler bei Schülertransporten oder zum Schutz auf- und absitzender Mannschaften bei Mannschaftstransporten, sowie unter näher genannten Umständen durch Taxilenker.

Hinsichtlich der Einschaltung der Alarmblinkanlage an dem in 2. Spur abgestellten Fahrzeug kann dahinstehen, ob nicht der Begriff der "Panne" unter teleologischen Gesichtspunkten im Interesse der Verkehrssicherheit ausdehnend auszulegen ist oder ob die Fälle, in denen aus in der Person des Lenkers gelegenen Ursachen von einem erlaubten Anhalten auszugehen ist, im Wege der Analogie den Pannen gleichzuhalten sind. Hier handelte es sich - wie dargetan - nicht um ein erlaubtes Anhalten, sondern um ein verbotenes Halten. Deswegen muß auch das Einschalten der Alarmblinkanlage durch die Beschwerdeführerin als rechtswidrig angesehen werden.

Die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang schon deswegen unbegründet, weil für den Verwaltungsgerichtshof überhaupt nicht erkennbar ist, was die Beschwerdeführerin bei Gewährung einer längeren Frist zur Stellungnahme zur Zeugenaussage des Meldungslegers vorgebracht hätte und auch die verspätet beantragte Einvernahme des Optikers zur Übertretung nach § 102 Abs. 2 KFG 1967 nichts hätte erbringen können.

Die Beschwerden erweisen sich als unbegründet. Sie waren gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Zusprüche von Aufwandersatz gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren der beiden belangten Behörden war abzuweisen, weil von beiden Behörden gemeinsam lediglich ein Verwaltungsstrafakt vorgelegt worden ist, sodaß der Vorlageaufwand nur einmal gebührte, nämlich jeder der belangten Behörden zur Hälfte.

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