Normen
ASVG §4;
ASVG §410;
ASVG §500;
ASVG §502 Abs1 idF 1987/609;
ASVG §502 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
AVG §59 Abs1;
OFG §13a Abs1 impl;
OFG §13a Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ASVG §4;
ASVG §410;
ASVG §500;
ASVG §502 Abs1 idF 1987/609;
ASVG §502 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
AVG §59 Abs1;
OFG §13a Abs1 impl;
OFG §13a Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Zeitraumes vom 14. April 1942 bis 30. Juni 1944 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, im übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch des am 6. August 1930 geborenen Mitbeteiligten gegen den Bescheid der Beschwerdeführerin vom 10. Mai 1988 "gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 500 ff ASVG Folge" und stellte fest, "daß die Zeit vom 14.4.1942 bis Mai 1945 gemäß der obgenannten Bestimmung als begünstigte Zeit anzurechnen" sei. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Mitbeteiligte anläßlich seines Pensionsfeststellungsverfahrens geltend gemacht, daß er vom 14. April 1942 bis Mai 1945 "Kriegsdienst geleistet habe bzw. interniert gewesen sei". Die Beschwerdeführerin habe mit (dem im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten) Bescheid diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, der Mitbeteiligte gehöre nicht dem Kreis der nach § 500 ASVG zu begünstigenden Personen an. Es sei unbestritten, daß der Mitbeteiligte aus nationalen Gründen (Kärntner Slowene) am 14. April 1942 ausgesiedelt worden sei und sich bis Kriegsende in den Lagern Hesselberg und Weißenburg befunden habe, sowie, daß für ihn ein Opferausweis mit der Nummer K 123 gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes ausgestellt worden sei. Unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 9. September 1989, Zl. 88/08/0102, wonach die Vorlage einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweises "nach dem vierten Satz" (gemeint: des § 506 Abs. 3 ASVG) für den Versicherungsträger "bindend" sei, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die Beschwerdeführerin hätte unter Berücksichtigung der gegebenen Bindung davon ausgehen müssen, daß der Mitbeteiligte dem gemäß § 500 ASVG zu begünstigenden Personenkreis gehört. Die politischen Gründe des § 500 ASVG umfaßten auch die Gründe der Nationalität.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Darin läßt die Beschwerdeführerin ausdrücklich unbestritten, daß der Mitbeteiligte der Volksgruppe der Slowenen angehört und - im Hinblick auf das hg. Erkenntnis vom 19. September 1988, Zl. 88/08/0102 - die "politischen Gründe" des § 500 ASVG auch die Gründe der Nationalität umfassen. Die belangte Behörde habe jedoch das Ende des Zeitraumes ihres Abspruches mit "Mai 1945" nicht ausreichend präzisiert, die angewendeten Gesetzesbestimmungen im Spruch ihres Bescheides nicht genannt, vor allem aber übersehen, daß die Tatsache der Innehabung eines Opferausweises als Nachweis dafür, daß es sich bei dem Aufenthalt in den Lagern Hesselberg und Weißenburg um eine Haft oder Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG handle, nicht ausreiche. Dafür sei nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0318, eine volle Freiheitsentziehung erforderlich. Das Amt der Kärntner Landesregierung habe in einer im Akt befindlichen Note ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die ausgesiedelten Slowenen während ihrer Aussiedlung "in fast allen Fällen einer Beschäftigung nachgegangen seien bzw. nachgehen mußten". Dies treffe nach Auffassung der Beschwerdeführerin auch auf den Aufenthalt des Mitbeteiligten in den genannten Lagern zu. Die belangte Behörde habe es jedenfalls zu Unrecht unterlassen, eine entsprechende Klärung herbeizuführen. Hinzu komme, daß der Eintritt eines Nachteiles in den sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen im Sinne des § 500 ASVG erst nach Vollendung des 14. Lebensjahres (und zwar ab dem 1. Juli des Jahres der Vollendung des 14. Lebensjahres) möglich sei, da der Aufbau einer Anwartschaft in der Pensionsversicherung im allgemeinen erst nach dem Pflichtschulalter erfolge. Der Mitbeteiligte sei bis Juni 1944 schulpflichtig gewesen. Selbst unter der Annahme, daß der strittige Aufenthalt in den Lagern Hesselberg und Weißenburg einen zu begünstigenden Tatbestand darstellen sollte, wäre die von der belangten Behörde verfügte Begünstigung vom 14. April 1942 bis 30. Juni 1944 jedenfalls rechtswidrig.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.
Gemäß § 502 Abs. 1 ASVG gelten (unter anderem) Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßten Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe und Anhaltung für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juni 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten- Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961, erworben haben, als Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage, und zwar in der Pensionsversicherung, in der der Versicherte vor der Haft, Strafe oder Anhaltung zuletzt Beitrags- oder Ersatzzeiten nachweist.
Gemäß § 502 Abs. 6 ASVG gilt Abs. 1 auch für Personen, die vor der (u.a.) Haft bzw. Anhaltung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitrags- oder Ersatzzeit in der im § 502 Abs. 1 erster Satz genannten Art zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte.
Gemäß § 506 Abs. 3 ASVG sind (im Zusammenhang mit dem Nachweis, daß ein sozialversicherungsrechtlicher Nachteil aus einem der in § 500 bezeichneten Gründe erwachsen ist) die Bescheinigungen des Landeshauptmannes (Amtsbescheinigung oder Opferausweise nach § 4 des Opferfürsorgesetzes) für die Versicherungsträger bindend.
Im Beschwerdefall ist die Zugehörigkeit des Mitbeteiligten als Slowene zum Personenkreis des § 500 ASVG (zu Recht: vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0102, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur) nicht strittig. Strittig ist vielmehr einerseits, ob der Mitbeteiligte aus diesen Gründen eine Haft oder Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 6 ASVG in Verbindung mit Abs. 1 erster Satz ASVG erlitten hat und - bejahendenfalls - ab welchem Zeitpunkt (bezogen auf das Lebensalter) ein solcher Vorgang gegebenenfalls zur Anrechnung von Versicherungszeiten führen kann.
Die Beschwerdeführerin begründete ihren abweislichen erstinstanzlichen Bescheid vom 10. Mai 1988 - nach Einsichtnahme in den Opferfürsorgeakt des Mitbeteiligten - noch damit, daß der Mitbeteiligte dem gemäß § 500 ASVG zu begünstigenden Personenkreis nicht angehöre und vertrat diese Auffassung auch noch in ihrem (vor dem Erkenntnis vom 19. September 1989 verfaßten) Vorlagebericht an die belangte Behörde, die schließlich - nach Vorliegen des zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes ohne weiteres Ermittlungsverfahren - im Sinne des Einspruchsbegehrens entschieden hat.
Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Gemäß § 39 Abs. 2 AVG hat die Behörde, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnung enthalten, von Amts wegen vorzugehen.
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid schon deshalb nicht, weil ihm nicht zu entnehmen ist, von welchem Sachverhalt die Behörde hinsichtlich der näheren Umstände des Aufenthaltes des Mitbeteiligten in den Lagern Hesselberg und Weißenburg ausgegangen ist. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist für den (dem § 502 Abs. 1 ASVG entsprechenden, im § 13a des Opferfürsorgegesetzes umschriebenen) Begriff der Haft wesentlich, daß die Bewegungsfreiheit auf einen ausschließlich zur Anhaltung bestimmten Raum eingeschränkt wird, das Zusammenkommen mit Personen, deren Freiheit nicht beschränkt ist, ausgeschlossen wird, die Angehaltenen der Disziplinargewalt der Haftanstalt (des Haftlagers) unterworfen sind und der Tagesablauf des Angehaltenen durch die Haftanstalt geregelt wird (vgl. das Erkenntnis vom 3. September 1956, Slg. Nr. 4132/A). Unter einer
- wenn auch die Schärfe der Haft nicht erreichenden - Anhaltung ist (zumindest) eine volle Freiheitsentziehung und nicht etwa eine bloß mit Meldezwang verbundene Konfinierung zu verstehen (vgl. die Erkenntnisse vom 25. Juni 1952, Slg. Nr. 2590/A, vom 21. April 1977, Slg. Nr. 9304/A, und vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0318). Aus dem von der belangten Behörde
- unbekämpft - festgestellten "Aufenthalt" des Beschwerdeführers in den genannten Lagern ist daher ein endgültiger Schluß darauf, ob (zumindest) Anhaltung im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegt, nicht möglich, sodaß die Beschwerdeführerin mit Recht rügt, daß das Verfahren in diesem Punkt ergänzungsbedürftig geblieben ist.
Aus prozeßökonomischen Gründen weist der Verwaltungsgerichtshof jedoch ergänzend darauf hin, daß aus dem beigeschafften Opferfürsorgeakt des Mitbeteiligten eine (in einem Rechtsmittel vom 10. Oktober 1953 enthaltene) vom Mitbeteiligten stammende Darstellung des Sachverhaltes enthalten ist. Danach sei der Mitbeteiligte am 14. April 1942 von der Gestapo von seiner "Herdstätte" unter Zurücklassung seines sämtlichen, persönlichen Eigentums "entführt" und in den Lagern Hesselberg und Weißenburg unter SS-Bewachung festgehalten worden. Er habe im Lager schwere Arbeiten unentlohnt verrichten müssen und weder eine Schul- noch eine Berufsausbildung absolvieren können. Er habe sich auch nicht frei bewegen und seinen religiösen Pflichten nicht nachkommen können.
Die belangte Behörde wird sich im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht mit diesem Vorbringen des Mitbeteiligten auseinanderzusetzen und der Beschwerdeführerin dazu Parteiengehör zu gewähren haben. Für den Fall, daß die belangte Behörde den vom Mitbeteiligten so umschriebenen Sachverhalt als erwiesen annehmen sollte, bestünde am Vorliegen (zumindest) von Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 6 und 1 ASVG kein Zweifel; dem Umstand, daß der Mitbeteiligte danach unter Bewachung (sei es innerhalb oder außerhalb des Lagers) Arbeiten zu verrichten gehabt hätte, käme jedenfalls keine gegen das Vorliegen von Anhaltung sprechende Bedeutung zu.
Die Beschwerde ist aber auch berechtigt, soweit sie rügt, daß die belangte Behörde den Zeitraum vom 14. April 1942 bis Juni 1944 als Versicherungszeit begünstigt angerechnet hat, obwohl der Beschwerdeführer erst am 6. August 1944 das 14. Lebensjahr vollendete. Entgegen der in den Gegenschriften zum Ausdruck kommenden Auffassung ist es nicht Zweck der §§ 500 ff ASVG dem verfolgten Personenkreis (u.a.) die entgangene SchulAUSBILDUNG zu entschädigen, sondern für die durch Haft, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit aus den im § 500 genannten Gründen (bzw. aufgrund der damit eingetretenen Hinderung am Erwerb von Versicherungszeiten) entstandenen Versicherungslücken zu schließen. Dies erfolgt dadurch, daß für jene Zeiträume, in denen bei normalem Verlauf der Dinge der Erwerb von Versicherungszeiten anzunehmen gewesen wäre, für die Dauer entsprechender verfolgungsbedingter Lücken im Versicherungslauf entsprechende Versicherungszeiten angerechnet werden. Die Annahme des Entstehens einer solchen Versicherungslücke ist aber für einen Zeitraum vor dem üblicherweise frühestens erfolgenden Eintritt in das Erwerbsleben regelmäßig nicht angebracht, worauf die Beschwerdeführerin mit Recht hinweist. Die ausdrücklich nur für den Zeitraum vom 14. April 1942 bis 30. Juni 1944 erhobene Rechtsrüge der Beschwerdeführerin führt daher (zufolge der Trennbarkeit eines zeitraumbezogenen Abspruches, vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 81/08/0185) zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, im übrigen jedoch gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Im Hinblick auf den für die begünstigte Anrechnung von Zeiten der Haft bzw. Anhaltung zulässigen, in jedem Fall mit 9. Mai 1945 endenden Zeitraum (§ 502 Abs. 6 in Verbindung mit § 502 Abs. 1 und § 500 ASVG) wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren auch für den Fall eines neuerlich dem Einspruch stattgebenden Bescheides auf diesen Endzeitpunkt Bedacht zu nehmen haben; die (diesen Zeitpunkt überschreitende) Umschreibung des Haftendes mit "Mai 1945" wäre - worauf die Beschwerdeführerin im Ergebnis mit Recht hinweist - rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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