VwGH 89/14/0073

VwGH89/14/007329.1.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde 1. des AH und 2. der HH gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Salzburg als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz (Berufungssenat) vom 19. Juli 1988, Straflisten-Nr. 42 und 43/83, betreffend Abgabenhinterziehung (Umsatzsteuer, Alkoholabgabe, Einkommensteuer, Gewerbesteuer 1975 und 1976), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §289 Abs1;
BAO §289 Abs2;
FinStrG §161 Abs1;
FinStrG §31 Abs5;
VStG §31 Abs3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §289 Abs1;
BAO §289 Abs2;
FinStrG §161 Abs1;
FinStrG §31 Abs5;
VStG §31 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer betrieben ein Gasthaus und ein Restaurant in Form einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht. Im Jahr 1978 fand eine Betriebsprüfung über die Jahre 1974 bis 1976 statt. Dabei wurden schwere Mängel in der Erlösermittlung und in der Kassabuchführung festgestellt. Auf Grund der Betriebsprüfung ergingen im wiederaufgenommenen Verfahren neue Abgabenbescheide, wobei seitens der Beschwerdeführer (erfolglos) lediglich gegen zwei das Jahr 1976 betreffende Bescheide berufen wurde.

Im Jahr 1983 wurde vom Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz das Finanzstrafverfahren wegen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG eingeleitet. Mit Erkenntnis vom 10. November 1986 wurden die Beschwerdeführer für schuldig erkannt, vorsätzlich unter Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen für die Jahre 1975 und 1976 (Nichterfassung von Erlösen, Aufnahme privater Aufwendungen in die Betriebsausgaben) Abgaben (Umsatzsteuer, Alkoholabgabe, Einkommensteuer und Gewerbesteuer) um insgesamt S 207.462,-- verkürzt zu haben. Über den Erstbeschwerdeführer wurde eine Geldstrafe von S 30.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 25 Tage), über die Zweitbeschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 40.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 30 Tage) verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19. Juli 1988 wurde die Berufung der Beschwerdeführer, soweit sie den Schuldspruch betraf, abgewiesen. Die Geldstrafen wurden auf je S 25.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je drei Wochen) herabgesetzt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer machen unter anderem Verjährung der Strafbarkeit geltend.

Unstrittig ist, daß im Beschwerdefall die sogenannte absolute Verjährungsfrist des § 31 Abs. 5 FinStrG zwischen den Entscheidungen erster und zweiter Instanz abgelaufen ist. Dies trifft unabhängig davon zu, ob man - wie die belangte Behörde - den Fristenlauf bei fortgesetzt begangener Abgabenhinterziehung mit der Zustellung des letzten unrichtigen Steuerbescheides - hier vom 5. April 1978 für das Jahr 1976 - oder erst mit dessen Rechtskraft (vgl. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 12. Jänner 1977, 10 Os 127/76, SSt 48/1) beginnen lassen will.

Beide Parteien gehen davon aus, daß eine bestätigende Berufungsentscheidung auch noch nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist zulässig wäre. Die Beschwerdeführer meinen aber, jegliche Abänderung (auch nur des Strafausmaßes) wäre gesetzwidrig; es wäre diesfalls auf Verjährung zu erkennen gewesen.

Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Wäre es zulässig, eine zeitgerecht gefällte Entscheidung nach Fristablauf (vollinhaltlich) zu bestätigen, so könnte in der Vorgangsweise der belangten Behörde, nur den Schuldspruch zu bestätigen, jedoch die zeitgerecht verhängte Strafe herabzusetzen, eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer nicht gelegen sein.

Zu prüfen ist allerdings, ob die von den Parteien angenommene Prämisse zutrifft:

Eine sogenannte absolute Verjährung kannte das Finanzstrafgesetz schon vor der Novelle 1975 in § 55 Abs. 8; die Bestimmung lautete:

"Sind seit dem erstmaligen Beginn der Verfolgungsverjährungsfrist mehr als zehn Jahre verstrichen, so kann das Finanzvergehen nicht mehr geahndet werden."

Mit der Frage des Fristablaufes während des Rechtsmittelverfahrens befaßte sich der zwölfte Senat des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 1968, 12 Os 61/68, RZ 1969, 31. Er erwog, ob der Begriff der Ahndung im Sinne des § 55 Abs. 8 FinStrG auch die nach § 288 Abs. 1 StPO ergehende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes auf Verwerfung einer Nichtigkeitsbeschwerde mitumfasse. Er bejahte dies aus der Erwägung, daß die Verwerfung einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Schuldspruch im Ergebnis einem Schuldspruch und somit einer Ahndung gleichkomme, zumal ein Strafurteil in der Regel erst mit seiner Rechtskraft rechtlich bedeutsam werde. Es wäre im übrigen auch nicht einzusehen, warum etwa ein nach dem § 288 Abs. 2 Z. 3 erster Satz StPO in der Sache selbst ergehendes und verurteilendes Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes als eine "Ahndung" durch die Bestimmung des § 55 Abs. 8 FinStrG erfaßt sein sollte, nicht aber ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes, in dem der Schuldspruch erster Instanz bestätigt werde. Der Gerichtshof gelangte damals zu einem Freispruch.

Hingegen vertrat der neunte Senat des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 1. April 1971, 9 Os 25/70, EvBl. 1971/327, eine andere Auffassung. Schon aus dem in § 55 Abs. 8 FinStrG verwendeten Begriff der "Ahndung", worunter entsprechend dem allgemeinen wie dem juristischen Sprachgebrauch die Verurteilung durch das erkennende Gericht - in der Regel also durch das in erster Instanz zuständige Schöffengericht; durch den Obersten Gerichtshof dann, wenn er gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkennend den Angeklagten schuldig spreche - zu verstehen sei, folge nämlich, daß zur Wahrung der absoluten zehnjährigen Frist des § 55 Abs. 8 FinStrG die zeitgerechte Fällung des Schuldspruches genüge und es nicht etwa auch noch des Eintrittes der Rechtskraft während dieser Frist bedürfe. Hiefür spreche ferner der Motivenbericht, nenne er doch für die Vorschrift, "daß nach Ablauf von zehn Jahren nach begangener Tat eine Strafverfolgung ohne Rücksicht auf eine zeitweilig eingetretene Unterbrechung der Verjährung unzulässig sein soll", in erster Linie als Grund, "daß die Wahrheitsfindung nach diesem Zeitraum in der Regel schon beträchtlich erschwert wäre". Eine derartige Erwägung könne nämlich für das Rechtsmittelverfahren, soweit es wie beim kassatorischen Rechtsmittel, als das sich die Nichtigkeitsbeschwerde in der Regel darstelle, in materiell-rechtlicher Beziehung nur um eine Überprüfung des angefochtenen Urteils auf seine Übereinstimmung mit der im Zeitpunkt der Urteilsfällung bestandenen Rechtslage (und seine Mängelfreiheit in formeller Beziehung) gehe, keinesfalls Platz greifen. Bei der bezüglichen Prüfung sei der Oberste Gerichtshof an die urteilsmäßigen Sachverhaltsfeststellungen gebunden. Nicht insofern Schranken zu schaffen, sondern den der Wahrheitsfindung und mithin der Sachverhaltsermittlung dienenden Verfahrensabschnitt zeitlich zu begrenzen, sei klar erkennbarer Sinn und Zweck des § 55 Abs. 8 FinStrG. Dazu komme, daß weder die StPO noch das FinStrG, welches eine Reihe prozessualer Sonderregelungen enthalte, eine Möglichkeit zur Geltendmachung des im Zuge eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens eingetretenen Ablaufes der in der obigen Bestimmung normierten 10-Jahres-Frist oder zu deren amtswegiger Wahrnehmung durch die Rechtsmittelinstanz (in bezug auf ein sonst formell wie materiell-rechtlich fehlerfreies erstinstanzliches Urteil) eröffne.

Der Verfassungsgerichtshof befaßte sich in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1975, B 55/75, Slg. 7632, mit der Verjährung nach § 55 Abs. 8 FinStrG, gelangte aber in der im vorliegenden Beschwerdefall strittigen Frage zu keinem abschließenden Ergebnis: Wie immer der Begriff der "Ahndung" im Sinne des § 55 Abs. 8 FinStrG in einem Berufungsverfahren zu verstehen sei, d.h. unter welchen Voraussetzungen immer eine Berufungsentscheidung als Ahndung zu gelten habe, jedenfalls sei eine solche Ahndung dann gegeben, wenn die Berufungsbehörde eine von der ersten Instanz abweichende Entscheidung fälle (damals: statt auf Beihilfe auf Anstiftung erkenne) und wenn statt einer für mehrere Finanzvergehen einheitlichen Strafe für ein einzelnes Vergehen eine gesonderte Strafe verhängt werde.

Anläßlich der Novelle 1975 wurde auf die "bewährte Einrichtung der absoluten Verjährung" (erst) durch den Finanz- und Budgetausschuß für die in verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit zu verfolgenden Finanzvergehen in § 31 Abs. 5 FinStrG zurückgegriffen (1548 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates

13. Gesetzgebungsperiode, Seite 3). Seit der Novelle 1985 gilt die absolute Verfolgungsverjährung auch (wieder) für Finanzvergehen in gerichtlicher Zuständigkeit. Die Bestimmung lautet:

"Die Strafbarkeit erlischt jedenfalls, wenn seit dem Beginn der Verjährungsfrist bei Finanzvergehen, für deren Verfolgung das Gericht zuständig ist, fünfzehn Jahre, bei Finanzvergehen, für deren Verfolgung die Finanzstrafbehörde zuständig ist, zehn Jahre verstrichen sind."

Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Kommentar zum Finanzstrafgesetz, Anm 9 zu § 31, vertreten hiezu die Auffassung, Abs. 5 "hebe" auf "die Strafbarkeit" eines Finanzvergehens ab; es erlösche also nur die Möglichkeit der Bestrafung. Werde im Rechtsmittelverfahren keine Strafe verhängt, sondern die angefochtene Entscheidung bestätigt, so sei Abs. 5 nicht anwendbar. Im Gegensatz zu einer solchen assertorischen Rechtsmittelerledigung sei, wenn reformatorisch oder kassatorisch entschieden werden müßte, die Verjährung zu beachten und mit Einstellung bzw. Freispruch vorzugehen.

Diese Differenzierung ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes mit den Regeln eines verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelverfahrens nicht in Einklang zu bringen. Gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG (vgl. § 66 Abs. 4 AVG und § 289 BAO) hat die Rechtsmittelbehörde grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden; sie ist (im Strafverfahren unter Beachtung des Verschlimmerungsverbotes) berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung der Rechtsmittelentscheidung ihre Anschauung an die Stelle jener der ersten Instanz zu setzen.

Zutreffend führen Sommergruber-Reger, Finanzstrafrecht II (1990) Seite 214, aus, daß weder ein Neuerungsverbot herrscht, noch die Berufungsbehörde an das Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens gebunden ist; der maßgebende Sachverhalt ist auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen festzustellen. Im verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelverfahren ist eben nicht nur die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Zeitpunkt des Ergehens zu prüfen, sondern muß eine eigenständige Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorgenommen werden. Eine das angefochtene Erkenntnis bestätigende Berufungsentscheidung darf daher im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren nur dann ergehen, wenn die der Rechtsmittelinstanz vorliegende Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtsmittelerledigung im Ergebnis keine anders lautende Entscheidung erfordert. Dies ist aber bei Eintritt der absoluten Verjährung während des anhängigen Rechtsmittelverfahrens nicht der Fall, da sich die rechtlichen Voraussetzungen entscheidend geändert haben.

Im Anschluß an die in der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 23. Oktober 1968 angestellten Überlegungen ist darauf hinzuweisen, daß es für die Beachtung der während des Rechtsmittelverfahrens abgelaufenen absoluten Verjährungsfrist keinen Unterschied machen kann, ob die Rechtsmittelbehörde ein verurteilendes erstinstanzliches Straferkenntnis zu bestätigen oder ob sie infolge Berufung des Amtsbeauftragten gegen eine erstinstanzliche Einstellung nun mit Strafausspruch abzuändern hätte.

Zur ebenfalls bereits zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. April 1971 ist einerseits zu bemerken, daß der Begriff der "Ahndung", an den diese Entscheidung besonders anknüpft, im durch die Novelle 1975 geschaffenen § 31 Abs. 5 FinStrG nicht mehr verwendet wird. Andererseits treffen die dort angestellten Erwägungen über die bloße Prüfung angefochtener Urteile auf ihre Übereinstimmung mit der bei Urteilsfällung bestandenen Rechtslage unter Bindung an die urteilsmäßigen Sachverhaltsfeststellungen und über das Fehlen einer prozessualen Möglichkeit, absolute Verjährung während des Rechtsmittelverfahrens geltend zu machen oder von Amts wegen wahrzunehmen, jedenfalls für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren zweiter Instanz nicht zu.

Ein Vergleich mit der Bundesabgabenordnung zeigt, daß das Finanzstrafgesetz eben keine dem § 209a in Verbindung mit § 209 Abs. 3 BAO in der Fassung des zweiten Abgabenänderungsgesetzes 1987, BGBl. 312 (vgl. zur Änderung der Rechtslage das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 1990, Zl. 89/15/0083) entsprechende Bestimmung kennt. Mangels einer solchen Regel kann nicht davon ausgegangen werden, daß im Finanzstrafverfahren die Berufungserledigungen von der Befristung des § 31 Abs. 5 FinStrG nicht betroffen wären.

Schließlich ist auch noch auf die Bestimmung des § 31 Abs. 3 VStG hinzuweisen. Nach Ablauf der dort genannten Frist kann im (allgemeinen) Verwaltungsstrafverfahren auch keine (selbst bestätigende) Berufungsentscheidung mehr gefällt werden (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens,

4. Auflage, § 31 VStG Anm. 12, sowie z.B. die hg. Erkenntnisse vom 5. Dezember 1977, Slg. 9447/A, sowie vom 10. Oktober 1990, Zl. 90/03/0187).

Zusammenfassend ergibt sich somit, daß das Erlöschen der Strafbarkeit wegen Ablaufes der Frist gemäß § 31 Abs. 5 FinStrG im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren auch bei Fristablauf während des Rechtsmittelverfahrens von der Finanzstrafbehörde zweiter Instanz jedenfalls wahrzunehmen ist. Indem die belangte Behörde dies verkannte, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Auf das weitere Beschwerdevorbringen mußte nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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