VwGH 89/15/0083

VwGH89/15/00834.7.1990

X gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom 23. Jänner 1989, Zl. 6/3 - 3506/88, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 1972

Normen

ABGB §5;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §209 Abs3 idF 1980/151;
BAO §209 Abs3 idF 1987/312;
BAO §209a idF 1980/151;
BAO §209a;
BAO §289 Abs2;
BAO §92;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;
ABGB §5;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §209 Abs3 idF 1980/151;
BAO §209 Abs3 idF 1987/312;
BAO §209a idF 1980/151;
BAO §209a;
BAO §289 Abs2;
BAO §92;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Im Zuge einer beim Beschwerdeführer durchgeführten Betriebsprüfung nahm das Finanzamt mit Bescheid vom 21. August 1985 gemäß § 303 Abs. 4 BAO die Verfahren betreffend Umsatz, Einkommen- und Gewerbesteuer für 1971, 1972 und 1973 wieder auf und erließ neue Sachbescheide. Unter anderem setzte es die Umsatzsteuer für 1972 (anstelle bisher mit S 373.155,--) mit S 475.648,-- fest.

Mit der dagegen erhobenen Berufung begehrte der Beschwerdeführer zunächst die Aufhebung der Wiederaufnahmsbescheide sowie der Sachbescheide und beantragte, "die bisherigen Feststellungs-Abgabenbescheide mit dem Inhalt wie vor der Betriebsprüfung wieder in Kraft zu setzen". Am 11. Juli 1988 schränkte der Beschwerdeführer sein Berufungsbegehren "einvernehmlich mit der Betriebsprüfungsstelle auf folgende Besteuerungsgrundlagen" ein; von den im einzelnen angeführten, die Jahre 1971 bis 1981 betreffenden Besteuerungsgrundlagen ist im Beschwerdeverfahren der für das Jahr 1972 vom Beschwerdeführer mit S 7,244.138,-- bezifferte steuerpflichtige Umsatz von Bedeutung. Der Beschwerdeführer vertrat in diesem Schriftsatz die Auffassung, für die Wirtschaftsjahre, für welche die absolute Verjährung eingetreten sei, sei eine Abgabenabschreibung vorzunehmen.

Das Finanzamt gab mit Berufungsvorentscheidung - nach dem Wortlaut des Spruches - der Berufung des Beschwerdeführers gegen die Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide für das Jahr 1972 statt und setzte unter anderem die Umsatzsteuer 1972 mit S 398.428,-- fest. Begründend führte es aus, zur Frage der absoluten Verjährung werde auf § 209a BAO und auf die Ausführungen in Stoll, Bundesabgabenordnung - Handbuch 497 verwiesen.

In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte der Beschwerdeführer, unter anderem die Abgabenfestsetzungen betreffend die Umsatzsteuer 1971, 1972 sowie Jänner bis September 1973, soweit sie von der Abgabenfestsetzung der vor der Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen "Erstbescheide" abwichen, aufzuheben. Er vertrat die Auffassung, die für die Jahre 1971 und 1972 festgesetzte Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer sowie die für das Jahr 1973 festgesetzte Umsatzsteuer seien auf Grund der in § 209 Abs. 3 BAO bestimmten Frist absolut verjährt.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde die Bescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für 1971 ersatzlos auf. Der Berufung gegen die Bescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für 1972 und die Umsatzsteuer 1973 gab sie teilweise Folge, wobei sie die in der Berufungsvorentscheidung festgesetzten Bemessungsgrundlagen übernahm. Begründend führte sie aus, gemäß § 209 Abs. 3 letzter Halbsatz BAO in der bis 18. Juli 1987 geltenden Fassung dürfe ein Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit seiner Entstehung 15 Jahre verstrichen seien. Diese als absolute Verjährung bezeichnete Regelung führe dazu, daß nach Ablauf von 15 Jahren der Abgabenanspruch ohne Rücksicht auf eingetretene Unterbrechungen und Hemmungen der Verjährungsfrist nicht mehr geltend gemacht werden dürfe. Daran ändere bis zum 17. Juli 1987 auch § 209a BAO nichts. Die bis Ende 1986 verjährten Ansprüche könnten auch durch die Novellierung des § 209 Abs. 3 BAO nicht mehr geltend gemacht werden. Die das Jahr 1971 betreffenden Abgabenbescheide seien daher ersatzlos aufzuheben gewesen. Gemäß § 209a Abs. 1 BAO stehe einer Abgabenfestsetzung, die in einer Berufungsentscheidung zu erfolgen habe, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen. Nach § 209 Abs. 3 BAO in der Fassung BGBl. Nr. 312/1987 verjähre das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens 15 Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches. Durch die Neufassung des § 209 Abs. 3 BAO sei die sogenannte "absolute Verjährung" ausdrücklich als Bemessungs- (Festsetzungs)verjährung gestaltet worden. Damit sei die Anwendbarkeit des § 209a BAO auch in Fällen bereits eingetretener absoluter Verjährung gesichert. Der Berufung gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 1972 und 1973, Einkommensteuer 1972 sowie Gewerbesteuer 1972 sei daher teilweise stattzugeben gewesen. Die Bemessungsgrundlagen der Berufungsvorentscheidung seien unverändert geblieben.

Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den über die Umsatzsteuer für 1972 absprechenden Teil dieses Bescheides.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 209 Abs. 3 letzter Halbsatz BAO in der vor dem zweiten Abgabenänderungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 312/1987, geltenden Fassung (im folgenden: aF) darf ein Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit seiner Entstehung (§ 4) 15 Jahre verstrichen sind. Diese als "absolute Verjährung" bezeichnete Regelung führt dazu, daß nach Ablauf von 15 Jahren der Abgabenanspruch ohne Rücksicht auf eingetretene Hemmungen und Unterbrechungen der Verjährungsfristen nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die "absolute Verjährung" beginnt nicht erst mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, sondern bereits in dem Zeitpunkt, in dem der schuldrechtsbegründende Sachverhalt gesetzt, das tatbestandskonforme Verhalten also abgeschlossen ist. Gemäß § 4 Abs. 2 lit. c BAO in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung ist der Abgabenanspruch die Umsatzsteuer betreffend mit Ablauf des Monates, in dem die Umsätze angeführt bzw. die Entgelte vereinnahmt wurden, entstanden.

Die Vorschrift des § 209a BAO, wonach einer Abgabenfestsetzung, die in einer Berufungsentscheidung zu erfolgen hat, der Eintritt der Verjährung nicht entgegensteht, ändert nichts daran, daß im Hinblick auf § 209 Abs. 3 letzter Halbsatz BAO aF nach Ablauf von 15 Jahren der Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die zeitliche Schranke des § 209 Abs. 3 BAO aF ist nämlich nicht als Verjährungsbestimmung anzusehen; sie schließt vielmehr jede auf Realisierung des Abgabenanspruches gerichtete Maßnahme schlechthin aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Jänner 1986, Slg. 6070/F, vom 19. März 1986, Zl. 83/13/0109, 0139, und vom 10. März 1988, Zl. 86/16/0254, sowie Stoll, BAO - Handbuch 496, 498).

§ 209 Abs. 3 BAO erster Satz in der durch Abschnitt XV Art. I Z. 9 des zweiten Abgabenänderungsgesetzes 1987, BGBl. Nr. 312/1987, geänderten, nach Ablauf des 17. Juli 1987 in Kraft getretenen Fassung (im folgenden nF) lautet:

"Das Recht auf Festsetzung einer Abgabe verjährt spätestens 15 Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4)."

Nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (108 Blg. NR. XVII GP) solle die sogenannte absolute Verjährung im Interesse der Vermeidung der Probleme, die sich aus der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch Berufungserledigungen von der Befristung des § 209 Abs. 3 BAO betroffen sind, insbesondere in Fällen von langwährenden Berufungsverfahren ergäben, ausdrücklich als Bemessungs(Festsetzungs-)verjährung gestaltet werden.

Bei § 209 Abs. 3 BAO nF handelt es sich somit - im Gegensatz zur alten Rechtslage, wo nach Fristablauf ausdrücklich die Geltendmachung des Abgabenanspruches ausgeschlossen war - um eine Vorschrift, die eine Bemessungs(Festsetzungs-)verjährung nach Ablauf von 15 Jahren nach Entstehung des Abgabenanspruches, die keiner Hemmung oder Unterbrechung unterliegt, normiert. Damit steht nach neuer Rechtslage im Hinblick auf § 209a BAO einer Abgabenfestsetzung, die in einer Berufungsentscheidung zu erfolgen hat, der Ablauf der in § 209 Abs. 3 BAO normierten Frist nicht entgegen. Den Beginn der Verjährung betreffend stellt § 209 Abs. 3 BAO nF nach wie vor auf die ENTSTEHUNG DES ABGABENANSPRUCHES ab.

Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides waren seit der Entstehung der Abgabenansprüche (Umsatzsteuer für 1972) mehr als 15 Jahre verstrichen; im Zeitpunkt der Rechtsänderung war dies betreffend einen Teil der geltend gemachten Abgabenansprüche, nämlich die bis 17. Juli 1972 entstandenen, der Fall. Für das Schicksal der Beschwerde ist somit ausschlaggebend, welche Rechtslage die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen hatte.

Die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, ist eine Auslegungsfrage jener Vorschriften, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm), gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. Mai 1977, Slg. 9315/A, und vom 23. Oktober 1986, Slg. 12.280/A).

Im vorliegenden Fall ist zunächst zu beachten, daß dem § 209 Abs. 3 BAO aF durch das zweite Abgabenänderungsgesetz 1987 mangels ausdrücklicher, die genannte Vorschrift betreffender Übergangsregelungen nach Ablauf des Tages der Kundmachung (Art. 49 Abs. 1 B-VG), das war der 17. Juli 1987, derogiert wurde. Die Änderung der Rechtslage erfolgte somit in einem Zeitpunkt, als einen Teil der streitverfangenen Abgabenansprüche betreffend - nämlich die bis 17. Juli 1972 entstandenen - im Hinblick auf den Ablauf der fünfzehnjährigen Frist seit Entstehung des Anspruches das Recht zur Geltendmachung bereits ausgeschlossen war. Gemäß § 5 ABGB wirken Gesetze nicht zurück. Sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluß. Daraus ergibt sich auch, daß die Änderung oder das Erlöschen von Rechten, Pflichten und Rechtsverhältnissen überhaupt nach dem jeweils geltenden Recht zu beurteilen ist (vgl. Wolff in Klang, Kommentar zum ABGB I/12 74). Nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte sind nach dem neuen Gesetz zu beurteilen. Vorher geschehene Handlungen (und analog sonstige Sachverhalte) sowie vorher entstandene ("wohlerworbene") Rechte unterliegen weiterhin dem alten bereits "außer Kraft getretenen" Gesetz (vgl. OGH RdA 1988, 333; Bydlinski in Rummel, ABGB2, § 5, Rz 1).

Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde somit darauf Bedacht nehmen müssen, daß im Zeitpunkt der Änderung der Rechtslage (mit Ablauf des 17. Juli 1987) das Recht zur Festsetzung der bis zum 17. Juli 1972, d.s. im vorliegenden Fall die Zeiträume bis einschließlich Juni 1972, entstandenen Abgabenansprüche ausgeschlossen war. Damit war es der belangten Behörde verwehrt, eine auf die Realisierung dieser Abgabenansprüche gerichtete Maßnahme zu setzen.

Die weniger als 15 Jahre vor der Änderung der Rechtslage durch das zweite Abgabenänderungsgesetz 1987 und somit nach dem 17. Juli 1972 entstandenen Abgabenansprüche betreffend durfte die belangte Behörde hingegen mit Recht davon ausgehen, daß die durch § 209 Abs. 3 BAO nF angeordnete Bemessungsverjährung im Hinblick auf § 209a BAO der Abgabenfestsetzung in der Berufungsentscheidung nicht entgegenstand.

Da der angefochtene Bescheid, soweit er auf die vor dem 17. Juli 1972 entstandenen Abgabenansprüche die nach dem 17. Juli 1987 geltende Rechtslage anwendet, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet ist, war er im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Eine Entscheidung über einen allfälligen Aufwandersatz entfällt mangels entsprechenden Antrages (vgl. § 59 VwGG).

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