VwGH 88/18/0095

VwGH88/18/009522.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Herbert N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Februar 1988, Zl. MA 70-11/506/87/Str, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs2;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Hinsichtlich des Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens bis zum hg. Erkenntnis vom 13. Februar 1987, Zl. 86/18/0245, wird auf die diesbezügliche Darstellung in diesem Erkenntnis verwiesen.

Mit dem zitierten Erkenntis hob der Verwaltungsgerichtshof den Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 2. September 1986, mit welchem der Beschwerdeführer schuldig erkannt wurde, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden ursächlich beteiligt gewesen zu sein und es unterlassen zu haben, 1. unverzüglich für fremde Hilfe hinsichtlich der verletzten Person zu sorgen und 2. sofort die nächste Polizeidienststelle von diesem Verkehrsunfall zu verständigen, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Der Verwaltungsgerichtshof führte im wesentlichen aus, entgegen den Begründungsdarlegungen der belangten Behörde habe den Beschwerdeführer eine Verpflichtung der Beobachtung des Verkehrsgeschehens im rechten Außenrückspiegel nicht getroffen, sodaß in der Unterlassung eines Blickes in diesen Außenrückspiegel kein rechtswidriges Verhalten des Beschwerdeführers gelegen sei. Hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles für den Beschwerdeführer wertete es der Verwaltungsgerichtshof als Verfahrensmangel, daß von der belangten Behörde konkrete Anhaltspunkte dafür, daß ein Anstoßgeräusch akustisch nicht wahrgenommen werden konnte, nicht näher untersucht und mit der Aussage abgetan wurden, das Anstoßgeräusch habe "zwingend wahrgenommen" werden müssen. In der Frage des Verhältnisses eines Anstoßgeräusches zum Eigenlärm des Fahrzeuges genüge der bloße Hinweis auf die praktischen Erfahrungen allein nicht; vielmehr müsse aus dem bestimmten Ausmaß der Kontaktspuren ein wissenschaftlicher Schluß auf die Wucht gezogen werden, mit der die beiden Kraftfahrzeuge miteinander kollidierten; daraus müßten wieder Schlüsse auf Geräusch und Erschütterung und ihre Wahrnehmbarkeit durch einen Lenker von gehöriger Aufmerksamkeit gezogen werden. Es sei Aufgabe des Sachverständigen, bestimmte Schlüsse aus der Art und dem Umfang der Anstoßstellen auf die Intensität des dadurch verursachten Lärmes zu ziehen, wobei auch der Umgebungslärm am Tatort zu berücksichtigen sei.

Im fortgesetzten Verfahren holte die belangte Behörde ein ergänzendes Gutachten des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, mit folgendem Wortlaut ein:

"Ergänzend zum Gutachten vom 30. Mai 1986 wird festgestellt, daß unter Zugrundelegung des entstandenen Schadensausmaßes - 30 mm langer Kratzer an der rechten Türe des Toyota Corolla 1300 - Baujahr 1983 (Blatt 8 Rückseite) sowie der Angaben des Fahrzeuglenkers, er hätte den zweiten Gang eingelegt gehabt und der Abbiegegeschwindigkeit von 20 km/h, wobei sich das gegenständliche Fahrzeug auf Grund der gewählten Übersetzung und der gefahrenen Geschwindigkeit im untersten Drehzahlbereich des Antriebsmotors befand, woraus sich eine untergeordnete Bedeutung der Motorlärmentwicklung auf das Erkennen von Anstoßgeräuschen ableiten läßt, - auf eine derartige Anstoßintensität geschlossen werden muß, auf Grund derer hätte der Lenker des Toyota - wenn er die für diese Verkehrssituation notwendige Aufmerksamkeit walten ließ - die Kontaktnahme des Motorfahrrades mit seinem Kraftfahrzeug - unter Berücksichtigung des herrschenden Umgebungsschallpegels in akustischer Weise wahrnehmen müssen.

Dies begründet sich auf der Tatsache, daß die Fahrzeugkarosserie ausgezeichnete Schalleitfähigkeit besitzt, wodurch schon geringste Anstoßgeräusche gut wahrnehmbar sind."

Mit Ersatzbescheid vom 12. Februar 1988 erkannte die belangte Behörde den Beschwerdeführer neuerlich im Instanzenzug schuldig, am 19. August 1985 um ca. 16.10 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kombinationskraftwagens an der Kreuzung Handelskai-Auffahrt Floridsdorfer Brücke, vom Handelskai Richtung Nordbrücke kommend, beim Linkseinbiegen in die Auffahrt zur Floridsdorferbrücke an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden ursächlich beteiligt gewesen zu sein und es unterlassen zu haben, 1. unverzüglich für fremde Hilfe hinsichtlich der verletzten Person zu sorgen und 2. sofort die nächste Polizeidienststelle von diesem Verkehrsunfall zu verständigen. Er habe dadurch je eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO 1960 und § 4 Abs. 2 letzter Satz leg. cit. begangen, weshalb gemäß § 99 Abs. 2 lit. a leg. cit. über ihn Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) verhängt wurden. Zur Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges aus, es habe für sie kein Anlaß bestanden, an den klaren, schlüssigen und in sich widerspruchsfreien Ausführungen des ergänzenden (bereits oben wiedergegebenen) Gutachtens zu zweifeln, zumal dieses weder mit den Erfahrungen des täglichen Lebens und der einschlägigen Wissenschaften, noch mit den logischen Denkgesetzen in Widerspruch stehe. Auch habe der Gutachter nunmehr hinreichend dargetan, worauf er seine Schlußfolgerung stütze, sodaß eine Schlüssigkeitsüberprüfung dieses Gutachtens möglich sei. Es sei somit als erwiesen zu erachten, daß dem Beschwerdeführer bei gehöriger Aufmerksamkeit seine ursächliche Beteiligung an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden auf Grund objektiver Umstände zu Bewußtsein hätte kommen müssen, nämlich durch einen Blick in den Rückspiegel und/oder auf Grund des Kontaktgeräusches. Daß der Beschwerdeführer demnach nichts bemerkt habe, sei ihm als Mangel der erforderlichen Sorgfaltspflicht anzulasten... Der Beweisantrag auf Abhaltung eines Lokalaugenscheines sei abzuweisen gewesen, da 1. sowohl das Gutachten des Sachverständigen der Magistratsabteilung 46 als auch das beigebrachte gerichtliche Gutachten ergeben habe, eine Rekonstruktion der Positionen, in welcher sich die Kraftfahrzeuge genau befunden haben, inklusive deren genauer Geschwindigkeiten sei technisch nicht nachvollziehbar, sodaß ein Lokalaugenschein daher wenig sinnvoll erscheine, 2. der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf eine subjektive Erkennbarkeit eines Geräusches abstelle, das gestellte Beweisthema aber die objektiven Umstände, aus denen er die Möglichkeit der ursächlichen Beteiligung an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden zu erkennen vermocht hätte, betreffe und es seien diese objektiven Umstände auf Grund des bisher durchgeführten Beweisverfahrens hinlänglich erwiesen und

3. diene der diesbezügliche Beweisantrag auf Grund des vorgenannten einzig und alleine der Verfahrensverzögerung. Es folgen sodann Ausführungen über die für die Strafbemessung maßgebenden Erwägungen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In Erwiderung eines diesbezüglichen Beschwerdevorbringens ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm obliegenden eingeschränkten Prüfungsbefugnis (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) in der zur Feststellung der belangten Behörde, der am Pkw des Beschwerdeführers gefundene Kratzer stamme von einem Kontakt mit dem in der Folge verunfallten Moped, führenden Beweiswürdigung eine Rechtswidrigkeit nicht zu erblicken vermag. Auch der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde keine konkreten Bedenken gegen die diesbezügliche Beweiswürdigung der belangten Behörde vor.

Im übrigen erweist sich die Beschwerde jedoch deshalb als berechtigt, weil das von der belangten Behörde eingeholte ergänzende Gutachten neuerlich den im hg. Vorerkenntnis vom 13. Februar 1987 genannten Anforderungen nicht entspricht. Denn einerseits fehlen darin Feststellungen über die genaue Beschaffenheit (Verformung auch des Metalls, Tiefe des Kratzers bis aufs Metall, oder lediglich oberflächliche Lackverletzung?) des Kratzers und daraus abgeleitete Sachverständigenaussagen über die Intensität des bei Entstehung dieses Kratzers entstandenen Lärms. Andererseits unterließ es der Sachverständige, nachprüfbare Aussagen über die Höhe des Umgebungsschallpegels (außerhalb und innerhalb des Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers am Tatort zur Tatzeit) zu machen.

Solange dem Gutachten des Sachverständigen derartige Aussagen nicht zu entnehmen sind, ist dem Verwaltungsgerichtshof eine Überprüfung dieses Gutachtens auf seine Schlüssigkeit nicht möglich.

Soweit die belangte Behörde neuerlich eine Verletzung der dem Beschwerdeführer obliegenden Sorgfaltspflicht darin erblickte, daß er einen Blick in den rechten Außenrückspiegel unterließ, ist auf die diesbezüglichen Ausführungen im hg. Vorerkenntis vom 13. Februar 1987 zu verweisen.

Aus den dargelegten Gründen erweist sich auch der angefochtene Bescheid neuerlich mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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