VwGH 89/09/0164

VwGH89/09/016425.6.1990

N gegen Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 8. November 1989, GZ. 85/9-DOK/89, betreffend Disziplinarschuldspruch ohne Strafe.

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
BAO §167 Abs2;
BDG 1979 §43 Abs2;
FinStrG §114 Abs2;
FinStrG §98 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
BAO §167 Abs2;
BDG 1979 §43 Abs2;
FinStrG §114 Abs2;
FinStrG §98 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Kommissär in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine Dienststelle ist das Finanzamt G.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. November 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 8. März 1988 bei einer außerdienstlichen Versammlung der Mitarbeiter der Veranlagungsabteilung des Finanzamtes G die Äußerung abgegeben, der E-Manager, der zwei Vorgesetzte erschossen habe, imponiere ihm und auch er werde sich über kurz oder lang aufhängen, jedoch dabei noch einige mitnehmen. Der Beschwerdeführer habe damit schuldhaft die Dienstpflicht des § 43 Abs. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), verletzt. Von dem weiters wider den Beschwerdeführer erhobenen Anschuldigungspunkt, die Dienstpflicht des § 46 Abs. 1 BDG 1979 dadurch verletzt zu haben, daß er im Kaffeehaus B zu F in Anwesenheit mehrerer Gäste bemerkt habe, er kenne diesen aus den auf seinem Tisch befindlichen Strafakt bereits genau, wurde der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 126 Abs. 2 BDG 1979 freigesprochen. Von der Verhängung einer Disziplinarstrafe wurde gemäß § 115 BDG 1979 abgesehen. Zur Begründung des Schuldspruches wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe, wie in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde dargelegt, an die inkriminierten Vorgänge vom 8. März 1988 selbst keine Erinnerung mehr. Im Rahmen der Feier auf der Dienststelle habe er auf nüchternen Magen einige Gläser Wein getrunken, die offenbar stärker als erwartet gewirkt hätten. Diese Angaben stünden nach Meinung der belangten Behörde im krassen Gegensatz zu den Angaben der übrigen Beteiligten. Insbesondere der als Zeuge vor der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe vernommene W habe ausdrücklich angegeben, nichts von einer Anheiterung des Beschwerdeführers wahrgenommen zu haben. Dies sei auch von den übrigen Kollegen, die an der Feier teilgenommen hätten, in ihren niederschriftlichen Einvernahmen vom 22. bzw. 23. März 1989 bestätigt worden. Für die belangte Behörde habe sich hieraus ergeben, daß etwaige Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht bestünden. Der Beschwerdeführer selbst habe in seiner Stellungnahme vom 15. April 1988 eingeräumt, wenn er solche Erklärungen abgegeben hätte, so wäre dies nur eine deprimierte Reaktion auf die Beschimpfungen des Revidenten K gewesen. Hieraus sei zu ersehen, daß dem Beschwerdeführer zumindest die Auseinandersetzung mit K bestens erinnerlich sei. Die Verantwortung, er könne sich an seine nachfolgende, nunmehr angelastete Äußerung nicht erinnern, erscheine daher als reine Schutzbehauptung. Auch wenn der Beschwerdeführer in der Berufung versuche, die Glaubwürdigkeit des Zeugen W und der übrigen vernommenen Bediensteten in Frage zu stellen, sei der erstinstanzlichen Beweiswürdigung vollinhaltlich beizutreten. Obschon im Verfahren vor der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe nur der Bedienstete W zeugenschaftlich vernommen worden sei, so habe sich schon aus seiner Aussage die Bestätigung jener Angaben ergeben, die er selbst und auch die übrigen Beteiligten schon anläßlich ihrer niederschriftlichen Einvernahmen im März 1988 gemacht hätten. Daß einige dieser niederschriftlich vernommenen Bediensteten die Erklärung des Beschwerdeführers über das "Mitnehmen" nicht gehört hätten, sei in Anbetracht des großen Personenkreises, der an der Feier teilgenommen habe, durchaus erklärlich und ändere nichts daran, daß R, P und W auch diese Äußerung des Beschwerdeführers bestätigt hätten. Da sohin der eindeutigen Aussage des W, die durch die niederschriftlichen Angaben der übrigen genannten Bediensteten untermauert erschienen, lediglich die Angaben des Beschwerdeführers gegenübergestanden seien und für die belangte Behörde kein Grund zu erkennen gewesen sei, die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der unter Wahrheitspflicht gestanden sei und dem somit im Fall einer falschen Beweisaussage ein wesentlich schwererer Nachteil erwachsen würde als die vom Beschwerdeführer behaupteten angeblichen dienstrechtlichen Konsequenzen, in Zweifel zu ziehen, sei der dem Beschwerdeführer in diesem Anschuldigungspunkt angelastete Sachverhalt als erwiesen anzunehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde beantragte.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf, daß er nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 BDG 1979 einer Dienstpflichtverletzung schuldig erkannt werde und in seinem Recht auf Abführung der beantragten Beweise verletzt. In Ausführung des so bezeichnenden Beschwerdepunktes trägt er hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die belangte Behörde nehme Bezug auf die Zeugenaussage des W vom 3. Juli 1989 vor der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe und auf die informellen Gesprächsnotizen vom 22. und 23. März 1989, die im Verfahren vor der Disziplinarbehörde erster Instanz lediglich verlesen worden seien. Die dort angehörten Personen seien nie unter Wahrheitspflicht gestanden, weil sie nicht als Zeugen vernommen worden seien. Die belangte Behörde habe ihrer Verpflichtung, den Sachverhalt hinreichend von Amts wegen zu ermitteln, nicht entsprochen. Von den zehn am 22. und 23. März 1988 einvernommenen Personen hätten sieben Beamte erklärt, sie hätten die Äußerung "... er werde andere mitnehmen" nicht gehört. Die belangte Behörde habe keinen dieser Beamten einvernommen, von denen eine Aussage zugunsten des Beschwerdeführers zu erwarten gewesen wäre. Sie berufe sich auf die Vertragsbediensteten P, W und R. Dem Beweisantrag des Beschwerdeführers in seiner Berufung vom 9. Juli 1989 auf Einvernahme der Zeugen L, H, S, T u.a. sei keine Folge gegeben worden. Dies stelle einen schweren Verfahrensmangel dar. Wenn die belangte Behörde den Beweisanträgen des Beschwerdeführers und ihrer eigenen Verpflichtung zur Ermittlung des wahren und relevanten Sachverhaltes entsprochen hätte, dann wäre hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer die von ihm geleugneten Erklärungen (zumindest so) nicht und nie abgegeben habe.

Die Beschwerde ist begründet.

Wenn der Beschwerdeführer zunächst die Meinung vertritt, die ihm angelastete Äußerung stelle keine Dienstpflichtverletzung dar, weil sie bei einer keinesfalls öffentlichen Geburtstagsfeier an einem Nachmittag abgegeben worden sei, an dem das Finanzamt für den Parteienverkehr geschlossen gewesen sei, so verkennt er damit die Rechtslage.

Wird eine derartige Äußerung gegenüber Mitarbeitern während einer DIENSTLICH GEDULDETEN und üblichen Geburtstags(Beförderungs-)feier während des Dienstes im Amtsgebäude abgegeben, so liegt eine innerdienstliche Pflichtverletzung vor. Auch bei solchen Anlässen hat sich ein Vorgesetzter gegen seine Mitarbeiter und Untergebenen vorbildlich und rücksichtsvoll zu verhalten.

Dem Beschwerdeführer, welcher mit der vorliegenden Beschwerde vor allem die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung bekämpft, ist aber darin beizupflichten, daß die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen nicht auf Grund eines mängelfreien Verfahrens gewonnen wurden.

Gemäß § 58 Abs. 2 AVG 1950 sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkte der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Nach der Anordnung des § 45 Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Aus der Begründung eines Bescheides muß unter anderem hervorgehen, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangt ist, daß gerade der festgestellte Sachverhalt vorliegt; die die Beweiswürdigung betreffenden Erwägungen haben schlüssig darzulegen, was die Behörde veranlaßt hat, ein Beweismittel dem anderen vorzuziehen.

Gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen. Diese Regelung schließt jedoch keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d. h. den Denkgesetzen entsprechen. Die Beweiswürdigung der Behörde ist der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof daher insoweit nicht entzogen, als die Feststellungen der Behörde auf aktenwidrigen Annahmen, auf den Denkgesetzen widersprechenden Schlußfolgerungen oder auf einer mangelhaften Ermittlung des Sachverhaltes beruhen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 549 ff, angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Einer solchen Überprüfung hält die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht stand.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung vom 9. Juli 1989 gegen das Erkenntnis der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe zum Beweis dafür, daß er von einem "Mitnehmen" nicht gesprochen hat, die zeugenschaftliche Vernehmung des L, des Z, des S, des A, des T und der H beantragt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. im Zusammenhang die Erkenntnisse je vom 22. Jänner 1987, Zlen. 86/16/0199 und 86/16/0221) ist derartigen Beweisanträgen stattzugeben, falls dies im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Daraus folgt, daß Beweisanträge nur abgelehnt werden dürfen, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist. Diese Voraussetzungen lagen im Beschwerdefall nicht vor.

Durch die Nichtdurchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Beweise hat die belangte Behörde den Bescheid in einem wesentlichen Punkt mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil nicht auszuschließen ist, daß durch die Aufnahme jener Beweise die Gewißheit über die tatsächliche Äußerung des Beschwerdeführers herzustellen gewesen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch den nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.

Wenn demgegenüber die belangte Behörde in der Gegenschrift die Meinung vertritt, die Beschwerde wäre in Beachtung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Oktober 1969, Zl. 741/68, mangels Beschwer des Beschwerdeführers deshalb zurückzuweisen, weil mit dem angefochtenen Bescheid dem "Eventualantrag" des Beschwerdeführers im Berufungsschriftsatz vom 9. Juli 1989 auf "Herabsetzung der Strafe auf ein angemessenes Maß" ohnedies entsprochen worden sei, so steht dem nach Auffassung des erkennenden Senates der Antrag des Beschwerdeführers in diesem Schriftsatz auf Freispruch in allen Punkten entgegen. Damit wurde klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht, das erstinstanzliche Erkenntnis in den beiden - verbleibenden - Schuldsprüchen nicht hinzunehmen und es jedenfalls zur Gänze anfechten zu wollen. Diese eine prozessuale Erklärung bildende Willensäußerung hat zur Folge, daß der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Entscheidung über seine Berufung in Hinsicht auf die beiden erstinstanzlichen Schuldsprüche nicht verlor.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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