VwGH 89/08/0282

VwGH89/08/028224.4.1990

H gegen Landeshauptmann von Niederösterreich vom 21. September 1989, GZ VII/2-4127/7-1989, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse)

Normen

ABGB §6;
ABGB §7;
ABGB §8;
ArbVG §2;
ASVG §44 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
KollV Friseurgewerbe §9 Z3;
KollV Friseurgewerbe §9 Z4;
KollV Friseurgewerbe §9;
VwRallg;
ABGB §6;
ABGB §7;
ABGB §8;
ArbVG §2;
ASVG §44 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
KollV Friseurgewerbe §9 Z3;
KollV Friseurgewerbe §9 Z4;
KollV Friseurgewerbe §9;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid vom 28. Februar 1989 verpflichtete die mitbeteiligte Partei den Beschwerdeführer Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 9.361,01 zu entrichten. Nach dem für den beschwerdegegenständlichen Sachverhalt maßgebenden Begründungsteil dieses Bescheides habe die mitbeteiligte Partei anläßlich einer Beitragsprüfung u.a. festgestellt, daß für zwei Dienstnehmerinnen, die unter der Bezeichnung Friseuraushilfe bzw. Aushilfskraft mit einer Arbeitszeit von 3 Tagen bzw. 23 Wochenstunden zur Versicherung angemeldet worden seien, vom Beschwerdeführer bei Berechnung der Beitragsgrundlagen nicht der gebührende Stundenlohn für Aushilfen, sondern der aliquote Gehilfinnenlohn herangezogen worden sei. Die mitbeteiligte Partei habe daher eine entsprechende Nachberechnung vorgenommen und die Differenzbeträge vorgeschrieben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung für die Dienstnehmerin W; diese sei in seinem Friseurbetrieb 22 Stunden in der Woche beschäftigt, nämlich Donnerstag und Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr und 14.00 bis 18.00 Uhr sowie am Samstag von 8.00 bis 14.00 Uhr. Ferner sei gemäß § 9 Abs. 3 des Kollektivvertrages für das Friseurgewerbe mit W. Halbtagsbeschäftigung schriftlich vereinbart worden. Die von der mitbeteiligten Partei vertretene Rechtsansicht, in diesem Fall liege keine Halbtagsbeschäftigung gemäß § 9 Abs. 3 des Kollektivvertrages, sondern eine Aushilfe gemäß § 9 Abs. 4 des Kollektivvertrages vor, sei nicht richtig; nach den betreffenden Bestimmungen würden nur Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 30 Stunden nach dem jeweils gültigen Stundenlohn für Aushelfer entlohnt, soferne nicht Halbtagsbeschäftigung gemäß § 9 Abs. 3 vorliege; Halbtagsbeschäftigung liege vor, wenn für die ganze Woche eine diesbezügliche schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber getroffen worden sei. Die Formulierung "für die ganze Woche" bedeute nicht, daß damit eine Tätigkeit gemeint sei, die an allen Tagen, an denen das Geschäft geöffnet sei, erbracht werde, sondern lediglich, daß ein ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis von mindestens einer Woche vorliegen müsse, wobei es auf die Verteilung der Arbeitszeit nicht ankomme. Nur in den Fällen, in denen nicht ein unbefristetes Dienstverhältnis, sondern ein Dienstverhältnis für einzelne Tage vereinbart worden sei, liege eine Aushilfstätigkeit im Sinne des § 9 Abs. 4 KV vor. Die Dienstnehmerin W. sei demzufolge in die normale Lohnkategorie einzustufen und nicht als Aushilfe zu entlohnen.

Die belangte Behörde hat mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und den Bescheid der mitbeteiligten Partei bestätigt. Begründend führt die belangte Behörde aus, daß in § 9 des Kollektivvertrages für das Friseurgewerbe drei Arten der Beschäftigung bei einer Arbeitszeit unter der wöchentlichen Beschäftigung angeführt seien, und zwar 1. Kurzarbeit, wobei die wöchentliche Arbeitszeit zwischen 30 Stunden und der Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 2 des Kollektivvertrages (40 Stunden) betrage,

2. Halbtagsbeschäftigung, die auf Wunsch des Arbeitnehmers für die ganze Woche vereinbart worden sei, und 3. die Tätigkeit als Aushilfe, wobei die wöchentliche Arbeitszeit bis zu 30 Stunden betrage. Die Arbeitszeit der Dienstnehmerin W. von 22 Stunden pro Woche sei auf nur drei Tage aufgeteilt und umfasse an diesen Tagen im vollen Umfang die täglichen Öffnungszeiten. Dies sei mit dem Begriff der Halbtagsbeschäftigung nicht vereinbar, für die u.a. maßgebend sei, daß sie für die ganze Woche vereinbart wurde; dies lasse nur die Interpretation zu, daß damit eine Tätigkeit gemeint sei, die an allen Tagen, an welchen das Geschäft geöffnet sei, tatsächlich erbracht werde. Halbtagsbeschäftigung könne überdies nur eine Tätigkeit sein, die nicht in vollem Umfang, sondern nur im Ausmaß von annähernd der Hälfte der täglichen Normalarbeitszeit erbracht werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellen die §§ 49 Abs. 1 ASVG und 44 Abs. 1 ASVG auf den sogenannten "Anspruchslohn" ab, und zwar unabhängig davon, ob der jeweils strittige Lohnteil tatsächlich zur Auszahlung gelangt (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211, und vom 24. Jänner 1985, Zl. 83/08/0259); in denjenigen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, hat zumindest das nach diesen Vereinbarungen dem Dienstnehmer zustehende Entgelt die Beitragsgrundlage für die Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge zu bilden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1982, Zl. 81/08/0191).

Im Beschwerdefall ist strittig, ob nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages für das Friseurgewerbe der Dienstnehmerin W. der aliquote Gehilfenlohn (den sie auch tatsächlich erhalten hat) oder der höhere Stundenlohn für Aushilfskräfte gebührt. Unbestritten ist, daß mit der Dienstnehmerin eine arbeitsrechtliche Vereinbarung über eine Arbeitsleistung von 22 Wochenstunden und zwar jeweils während der Öffnungszeiten des Geschäftes am Donnerstag und Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr und 14.00 bis 18.00 Uhr sowie am Samstagvormittag von 8.00 bis 14.00 Uhr vereinbart wurde.

2.2. Obgleich der Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrages für das Friseurgewerbe von den Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht ausdrücklich festgestellt wurde (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1987, Zl. 87/08/0126, vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0161, und vom 8. Juni 1989, Zl. 87/08/0321), lassen die im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen und die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Schriftsätze erkennen, daß alle Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von dem mit "Kurzarbeit" überschriebenen § 9 des - in Ablichtung bei den Verwaltungsakten befindlichen - Kollektivvertrages für das Friseurgewerbe vom 27. Mai 1970 in der ab 1. November 1977 geltenden Fassung ausgehen; diese Bestimmung lautet:

"§ 9

 

Kurzarbeit

 

  1. 1. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer kann die wöchentliche Arbeitszeit bis auf 30 Stunden herabgesetzt werden. Zwischen 30 Stunden und der Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 2 kann die wöchentliche Arbeitszeit für einzelne Arbeitnehmer verschieden vereinbart werden, jedoch soll die Kurzarbeit für alle Arbeitnehmer gleichmäßig zur Anwendung kommen.

 

  1. 2. Bei Bemessung des Urlaubsentgeltes, des Urlaubszuschusses, der Weihnachtsremuneration und bei der Berechnung der Überstunden ist die ungekürzte wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen.

 

  1. 3. Auf Wunsch der Arbeitnehmer für die ganze Woche vereinbarte Halbtagsbeschäftigung wird von diesen Bestimmungen nicht berührt, sofern diese Vereinbarung vom Arbeitnehmer bei Eintritt in das Dienstverhältnis bzw. bei Eintritt der Voraussetzung für die Halbtagsbeschäftigung eigenhändig unterschrieben wurde.

 

  1. 4. Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 30 Stunden werden nach dem jeweils gültigen Stundenlohn für Aushelfer entlohnt, sofern es sich nicht um eine Halbtagsbeschäftigung gemäß Abs. 3 handelt."

Der Anspruchslohn der Dienstnehmerin W. hängt davon ab, ob ihre Tätigkeit als Halbtagsbeschäftigung im Sinne der Z. 3 des § 9 KV angesehen werden kann. Dies ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - entgegen den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen - deshalb nicht der Fall, weil die von der Dienstnehmerin W. am Donnerstag und Freitag ganztags sowie am Samstag bis 14.00 Uhr verrichtete Beschäftigung schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als "Halbtagsbeschäftigung" anzusehen ist. Unter einer Halbtagsbeschäftigung wird im allgemeinen Sprachgebrauch nämlich ein Beschäftigungsverhältnis verstanden, bei welchem während der einzelnen Tage der Beschäftigung nicht in der Dauer der vollen täglichen Arbeitszeit, sondern nur im Ausmaß von (etwa) der halben täglichen Arbeitszeit Arbeitsleistungen erbracht werden. Der Umstand allein, daß die vereinbarte WOCHENarbeitszeit etwa die Hälfte der betrieblichen wöchentlichen Normalarbeitszeit beträgt, macht eine Beschäftigung nicht zur Halbtagsbeschäftigung. Aus den hier anzuwendenden Normen des Kollektivvertrages, die nach ständiger Lehre und Rechtsprechung gesetzesgleich (§§ 6 und 7 ABGB) auszulegen sind (vgl. Schwarz - Löschnigg, Arbeitsrecht, 71 f mit weiteren Nachweisen), kann nicht entnommen werden, daß der Begriff der Halbtagsbeschäftigung darin abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch gemeint sein sollte. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Zusammenhalt des § 9 Z. 3 KV mit seinen Ziffern 1, 2 und 4.

2.3. Der Beschwerdeführer ist insbesondere auch damit nicht im Recht, wenn er meint, daß die Auslegung der belangten Behörde eine regelmäßige tageweise Beschäftigung mit einem unbefristeten Dienstverhältnis gleichsetze. Die Bestimmung des § 9 Z. 4 KV behandelt nicht eine tageweise Beschäftigung, sondern durchaus den Fall einer regelmäßigen, dauernden Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 30 Stunden und ordnet für diese Beschäftigungsverhältnisse an, daß sie nach dem (höheren) jeweils gültigen Stundenlohn für Aushelfer zu entlohnen sind, sofern es sich nicht um eine Halbtagsbeschäftigung gemäß Abs. 3 handelt. Den Fall der tageweisen Aushilfstätigkeit im engeren Sinn, der bei der Dienstnehmerin W. zweifellos nicht vorliegt, ist in § 9 des Kollektivvertrages nicht geregelt; derartige Tätigkeiten werden nämlich schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Aushilfstätigkeiten verstanden und es ist daher ohne weiters einsichtig, daß diese Tätigkeiten nach dem in Punkt C (Aushilfen) der Lohntafel normierten Stundenlohn zu entlohnen sind.

Die unterschiedliche Behandlung "echter" Halbtagsbeschäftigung und sonstiger Teilzeitbeschäftigung bis zu 30 Wochenstunden entspricht auch der ratio des § 9 KV: Die Parteien des Kollektivvertrages wollen erkennbar jenen Tendenzen entgegenwirken, die zufolge der im Tages- und Wochenablauf schwankenden Auslastung von Friseurbetrieben zu überwiegender Teilzeitarbeit in diesem Bereich führen könnten, wobei diese Teilzeitbeschäftigung - wenn sie sich nur am vermehrten Arbeitskräftebedarf zu Spitzenzeiten orientieren würde - nicht nur zu einer höheren Durchschnittsbelastung des einzelnen Arbeitnehmers in gesundheitlicher Hinsicht, sondern auch zu einkommenspolitisch unerwünschten Ergebnissen führen könnte. Als - gemessen an diesen Zielsetzungen - besonders sensiblen Bereich sahen die Partner des Kollektivvertrages offenbar Teilzeitbeschäftigungen bis zu 30 Wochenstunden an, wenn nicht sichergestellt ist, daß durch die Art der Vereinbarung eine gleichmäßige Belastung der Arbeitnehmer durch eine annähernd gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit über die gesamte Woche erzielt wird, wie dies bei Halbtagsbeschäftigung der Fall ist. Aus diesem Grund ist es auch - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - durchaus sachgerecht, bestimmte Teilzeitbeschäftigungen zu verteuern, und zwar unabhängig davon, ob damit dem Ausufern solcher Teilzeitbeschäftigungen entgegengewirkt werden oder ob es den Kollektivvertragsparteien nur darauf angekommen sein sollte, die mit solchen Teilzeitbeschäftigungen verbundene intensivere Belastung des einzelnen Arbeitnehmers durch einen erhöhten Stundenlohn abzugelten. In jedem Fall ist die Regelung des Kollektivvertrages unbedenklich.

2.4. Da der Beschwerdeführer mit der Dienstnehmerin W. eine wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 30 Stunden vereinbart hat, ohne daß aus den dargelegten Gründen Halbtagsarbeit im Sinne des § 9 Z. 3 KV vorliegt, gebührt der Dienstnehmerin der jeweils gültige Stundenlohn für Aushelfer, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat.

Dem steht auch nicht entgegen, daß die Parteien des Arbeitsvertrages in ihren (den formalen Kriterien des § 9 Z. 3 KV durchaus entsprechenden) schriftlichen Vereinbarungen von Halbtagsbeschäftigung sprechen, zumal es auf die Parteienbezeichnung nicht ankommt und die zwingenden Normen des Kollektivvertrages auch durch Parteienvereinbarung nicht zum Nachteil der Dienstnehmer abbedungen werden können (§ 3 Abs. 1 ArbVG). Da der angefochtene Bescheid somit rechtlich nicht zu beanstanden ist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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