VwGH 89/03/0113

VwGH89/03/011321.2.1990

N gegen Steiermärkische Landesregierung vom 31. Jänner 1989, Zl. 11-75 Ko 29-87, betreffend Strafbemessung (Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960)

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
VStG §19;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VStG §55 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
VStG §19;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VStG §55 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

1. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid die Schuldsprüche neuerlich bestätigt wurden, wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung des Ausspruches über die nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO verhängte Strafe einschließlich der hierauf anteilsmäßig entfallenden Kosten des erstbehördlichen Strafverfahrens und des Berufungsverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und hinsichtlich der Aussprüche über die nach § 99 Abs. 3 lit. a und nach § 99 Abs. 4 lit. i StVO verhängten Strafen und der hierauf anteilsmäßig entfallenden Kosten des erstbehördlichen Strafverfahrens und des Berufungsverfahrens wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.440,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf das hg. Vorerkenntnis vom 21. September 1988, Zl. 88/03/0042, wird hingewiesen. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung hinsichtlich der Punkte 2.) bis 4.) - neuerlich - gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 abgewiesen. Ferner wurde ausgesprochen, daß das erstbehördliche Straferkenntnis hinsichtlich des Punktes 1.) dahin gehend abgeändert werde, "daß unter Anwendung des § 99 Abs. 4 lit. i leg.cit. eine Geldstrafe von S 700,-- (32 Stunden Ersatzarrest) zu verhängen ist".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem Vorerkenntnis vom 21. September 1988, Zl. 88/03/0042, ist ausgesprochen worden, daß der Bescheid der belangten Behörde vom 21. Jänner 1988 - nur - in Ansehung der Aussprüche über die verhängten Strafen und über die Kosten des erstbehördlichen Strafverfahrens und des Berufungsverfahrens aufgehoben wird. Im übrigen ist die Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden. Das heißt, daß die Rechtskraft der betreffenden Schuldsprüche (im Verwaltungsrechtszug bestätigte Spruchteile nach § 44a lit. a und b VStG 1950) durch das Vorerkenntnis nicht berührt worden ist. Die belangte Behörde hätte sich bei Erlassung des Ersatzbescheides daher darauf zu beschränken gehabt, neuerlich einen Ausspruch über die verhängten Strafen zu treffen. Die belangte Behörde verkennt die Rechtslage, wenn sie in ihrer Gegenschrift die Meinung vertritt, sie hätte die Schuldsprüche in Bindung an das hg. Vorerkenntnis zu bestätigen gehabt. Sie hätte sich vielmehr in Beachtung der Rechtskraft der durch das Vorerkenntnis nicht aufgehobenen Schuldsprüche eines neuerlichen Ausspruches hierüber zu enthalten gehabt. Darin, daß der Spruch des nunmehr angefochtenen Bescheides auch die Schuldaussprüche zum Gegenstand hat, liegt objektiv gesehen eine Rechtswidrigkeit. Der Beschwerdeführer wurde dadurch aber in einem subjektiven Recht nicht verletzt, weil ihm durch die neuerliche Bestätigung der Schuldsprüche kein über den Bescheid der belangten Behörde vom 21. Jänner 1988 hinausgehender Rechtsnachteil erwachsen ist (vgl. den rechtsähnlichen Fall des hg. Erkenntnisses vom 28. September 1988, Zlen. 88/02/0059, 0067).

Die Beschwerde war daher in diesem Umfang mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

2. Im Verwaltungsstrafverfahren nach dem VStG 1950 darf nur bis zum Ablauf eines Jahres eine (nicht bloß auf Einstellung nach § 51 Abs. 5 leg.cit. lautende) Berufungsentscheidung erlassen werden. § 51 Abs. 5 stellt auf den Fall der "Einbringung" der Berufung ab. Diesem Fall steht jedoch die an die belangte Behörde erfolgte Zustellung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem ein im Verwaltungsstrafverfahren ergangener Berufungsbescheid aufgehoben wurde, in Ansehung des "Ersatzbescheides" gleich (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1984, Slg. N. F. Nr. 11.621/A).

Das Vorerkenntnis vom 21. September 1988 wurde der belangten Behörde am 3. November 1988, der nunmehr angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 21. Februar 1989 zugestellt. Mit dem auf § 51 Abs. 5 VStG 1950 abgestellten Beschwerdevorbringen vermag der Beschwerdeführer somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde "hinsichtlich Punkt 1.)" "§ 99 Abs. 4 lit. i leg.cit." angewendet. Punkt 1.) des im Verwaltungsrechtszug bestätigten Straferkenntnisses vom 15. Jänner 1987 enthält einen Schuldspruch wegen Verwaltungsübertretung nach § 97 Abs. 5, zweiter Satz, StVO. Es liegt somit auf der Hand, daß die zitierte Rechtsgrundlage für die "hinsichtlich Punkt 1" verhängte Strafe, nämlich "§ 99 Abs. 4 lit. i leg.cit." die Bestimmung des § 99 Abs. 4 lit. i StVO bedeutet. Im gegebenen Zusammenhang ist - im Hinblick auf § 44a lit. c VStG 1950 - keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides festzustellen.

4. Das VStG 1950 sieht für das Verhältnis zwischen Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe keinen festen Umrechnungsschlüssel vor. Unter dem Gesichtspunkt des auf einen festen Umrechnungsschlüssel abgestellten Beschwerdevorbringens liegt somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor.

5. Für die Geldstrafe sieht § 99 Abs. 1 StVO, in der Fassung der 13. StVO-Novelle, einen Strafrahmen von S 8.000,-- bis S 50.000,--, § 99 Abs. 3 StVO einen Strafrahmen bis zu

S 10.000,-- und § 99 Abs. 4 StVO einen Strafrahmen bis zu

S 1.000,-- vor.

Nach § 19 Abs. 1 VStG 1950 ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind im Grunde des § 19 Abs. 2 VStG 1950 überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Ein wegen einer Verwaltungsübertretung verhängtes Straferkenntnis zieht gemäß § 55 Abs. 1 VStG 1950, sofern gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, keinerlei Straffolgen nach sich und gilt nach Ablauf von fünf Jahren nach Fällung des Straferkenntnisses als getilgt. Nach § 55 Abs. 2 VStG 1950 dürfen getilgte Verwaltungsstrafen u.a. bei der Strafbemessung im Verwaltungsstrafverfahren nicht berücksichtigt werden.

Auf der Grundlage des § 19 Abs. 1 VStG 1950 legte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid Motive dar, die den Bestimmungen der §§ 97 Abs. 5, 20 Abs. 2, 7 Abs. 1 und 99 Abs. 1 lit. b StVO zugrunde liegen. In Hinsicht auf den konkreten Fall begnügte sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides allerdings mit dem Halbsatz, "diese oben erwähnten Schutzzwecke" seien "durch das vorgeworfene Verhalten" vom Beschwerdeführer "verletzt worden". Die belangte Behörde unterließ es somit, auf die Frage des "Ausmaßes" im Sinne des § 19 Abs. 1 VStG 1950 konkret einzugehen. In dieser Mangelhaftigkeit ist hinsichtlich der Feststellung der dem § 19 Abs. 1 VStG 1950 entsprechenden Grundlagen (Schädigungs-, Gefährdungs- und Folgentatbestand) nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken. Schon im Spruch des im Verwaltungsrechtszug insoweit bestätigten Straferkenntnisses wurde in Übereinstimmung mit der Aktenlage festgestellt, daß die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit "erheblich" gewesen sei. Auf dem Boden der Aktenlage durfte die belangte Behörde weiters davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer auf der gesamten Länge der Einsichtsstrecke der Gendarmeriebeamten, also auf einer größeren Strecke (laut Anzeige ca. 200 m) durchgehend die linke Fahrbahnseite benutzt habe. Schließlich waren hinsichtlich der Verwaltungsübertretungen nach § 97 Abs. 5, zweiter Satz, und nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO der Aktenlage keine für das "Ausmaß" einer Schädigung oder Gefährdung im Sinne des § 19 Abs. 1 VStG 1950 entscheidende Kriterien ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof vermag es auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde in Anwendung des zweiten Satzes des § 19 Abs. 2 VStG 1950 dem Beschwerdeführer bei allen Übertretungen ein - zumindest - grob fahrlässiges Verschulden anlastete.

Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers (§ 19 Abs. 2, vierter Satz, VStG 1950) traf die belangte Behörde allerdings keine hinlänglichen Feststellungen. Der betreffende Satz in der Begründung des angefochtenen Bescheides lautet: "Auch die nunmehr von der belangten Behörde eingeholten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen, da die verhängten Strafen zu Punkt 2.), 3.) und 4.) angepaßt erscheinen." Eine Feststellung, von welchen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen die belangte Behörde ausging, ist im angefochtenen Bescheid nicht zu finden. Nach der Aktenlage bestehen hiefür keine entsprechend den Bestimmungen des AVG 1950 aufgenommenen Ermittlungsergebnisse. Der Beschwerdeführer gab seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse weder der belangten Behörde selbst noch einer ersuchten oder beauftragten Verwaltungsbehörde bekannt. Vielmehr liegt hierüber nur der Gendarmeriebericht vom 14. November 1988, also lediglich ein Ermittlungsergebnis im Sinne des § 55 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) vor. Zu diesem Ermittlungsergebnis hätte, da der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsstrafverfahren vertreten war, dem Vertreter des Beschwerdeführers gemäß § 45 Abs. 3 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) Parteiengehör eingeräumt werden müssen. Die belangte Behörde unterließ es, einen solchen Verfahrensschritt vorzunehmen. Wenn der Beschwerdeführer in der vorliegenden Beschwerde vorträgt, daß das im Erhebungsbereich angeführte Arbeitsverhältnis noch im November 1988 aus Gründen des Konkurses des Arbeitgebers aufgelöst wurde, zeigt er damit sohin einen wesentlichen Verfahrensmangel auf.

Im gegebenen Zusammenhang liegt auch ein wesentlicher Begründungsmangel vor. Zunächst ist die Bedeutung des Satzteiles, daß "die verhängten Strafen zu Punkt 2.), 3.) und

3.) angepaßt erscheinen" unklar: Wem und inwiefern angepaßt? Ferner läßt der Satzteil "nicht geeignet, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen", nicht erkennen, in welcher Weise die belangte Behörde die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse bei der Bemessung der Geldstrafen im Sinne des vierten Satzes des § 19 Abs. 2 VStG 1950 berücksichtigt oder ob sie diese Verhältnisse in Wahrheit entgegen dieser Bestimmung vernachlässigt hat.

Dem in den Akten des Verwaltungsstrafverfahrens erliegenden Vorstrafenverzeichnis ist eine Vormerkung zu § 5 Abs. 1 StVO mit dem Datum des Erkenntnisses der Erstbehörde

1. September 1981 und weiters ist einem Aktenvermerk zu entnehmen, daß die damals verhängte Geldstrafe am 5. Jänner 1982 bezahlt worden sei. Die Erstbehörde hatte im Straferkenntnis vom 15. Jänner 1987 entsprechend der Aktenlage festgestellt, daß hinsichtlich der nunmehr verfolgten Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO lediglich im Tatzeitpunkt, nicht aber im Zeitpunkt der "jetzigen Entscheidung" eine einschlägige Vorstrafe vorgelegen gewesen sei. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid feststellte, daß das bereits einmal begangene Alkoholdelikt einen Erschwerungsgrund darstelle, setzte sie sich mit der Bestimmung des § 55 Abs. 2 VStG 1950 in Widerspruch. Nach dieser Bestimmung dürfen getilgte Verwaltungsstrafen bei der Strafbemessung im Verwaltungsverfahren, d.h. jene Verwaltungsstrafen, hinsichtlich welcher zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Strafbemessung bereits Tilgung eingetreten ist, nicht berücksichtigt werden (siehe auch das hg. Erkenntnis vom 11. April 1983, Zl. 83/10/0058, vorletzter Absatz der Entscheidungsgründe). Hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO liegt somit, abgesehen von den vorstehend aufgezeigten Verfahrensmängel eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes vor.

Aus den dargelegten Gründen war in dem jeweils im Spruch bezeichneten Umfang einerseits die Beschwerde teilweise mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen, andererseits der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Strafbemessung wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 97 Abs. 5, zweiter Satz, § 20 Abs. 2 und § 7 Abs. 1 StVO einschließlich des entsprechenden Anteiles der Kostenentscheidungen, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und weil die Verfahrensvorschriften der §§ 45 Abs. 3 und 60 AVG 1950 außer acht gelassen wurden, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei deren Einhaltung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hinsichtlich der Strafbemessung wegen der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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