VwGH 89/03/0100

VwGH89/03/01009.5.1990

N gegen Steiermärkische Landesregierung vom 20. Jänner 1989, Zl. 11-75 We 46-1988, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BAO §167 Abs2;
BAO §279 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VwGG §41 Abs1 impl;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc Z2;
VwGG §42 Abs2 litc Z3 impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;
AVG §37;
AVG §45 Abs2 impl;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BAO §167 Abs2;
BAO §279 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VwGG §41 Abs1 impl;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc Z2;
VwGG §42 Abs2 litc Z3 impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. Jänner 1989 wurde der Beschwerdeführer wegen der Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO bestraft, weil er am 6. November 1987 um 16.40 Uhr den dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der Bundesstraße 23 durch das Ortsgebiet von Mürzzuschlag in Richtung Hönigsberg gelenkt und auf dieser Fahrt auf Höhe des Straßenkilometers 1.4 die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten habe (um 30 km/h). Zur Begrüdung führte die Behörde aus, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verwaltungsübertretung sei auf Grund der unter Erinnerung an den Diensteid abgegebenen klaren und widerspruchsfreien Zeugenaussage des Meldungslegers sowie der im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebenen Zeugenaussage des Gendarmeriebeamten, dem die Geschwindigkeitsüberschreitung vom Meldungsleger per Funkt mitgeteilt worden sei und der den Beschwerdeführer angehalten habe, als erwiesen anzusehen. Der Meldungsleger habe die Geschwindigkeitsüberschreitung im Herannahen (auf eine eingesehene Wegstrecke von 200 m) und Vorbeifahren des Fahrzeuges sowie im Nachschauen (eingesehene Wegstrecke von ca. 100 m) geschätzt. Im Wege der freien Beweiswürdigung werde der klaren und widerspruchsfreien Zeugenaussage des Meldungslegers mehr Glauben geschenkt als der Rechtfertigung des Beschwerdeführers, weil den verkehrsgeschulten Sicherheitsorganen der Polizei und der Gendarmerie ein im Schätzungswege gewonnenes Urteil darüber zuzubilligen sei, ob ein Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Maß überschritten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt der Beschwerdeführer darin, daß es zwar richtig sei, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Geschwindigkeitsschätzung durch besonders geschulte Beamte ein taugliches Beweismittel dargestellt habe. Die letzten diesbezüglichen Entscheidungen stammten (jedoch) aus dem Jahre 1976. Seither seien mehr als zehn Jahre vergangen. Die Ausrüstung der verschiedenen Dienststellen der Gendarmerie habe sich wesentlich verbessert. Nicht nur kostspielige Radaranlagen würden verwendet, sondern es gebe auch Radarpistolen und als besonderes Hilfsmittel die relativ einfach anzuwendende Stoppuhr, um die Geschwindigkeit exakt feststellen zu können. "Nunmehr im Jahre 1989 erscheint die Schätzung einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr als taugliches Mittel einer Verkehrskontrolle."

Abgesehen davon, daß dem angefochtenen Bescheid eine Schätzung der Geschwindigkeitsüberschreitung durch ein Straßenaufsichtsorgan aus dem Jahre 1987 zugrundeliegt, die Bezugnahme des Beschwerdeführers auf das Jahr 1989 im gegebenen Zusammenhang sohin verfehlt ist, trifft es nicht zu, daß die letzten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Schätzung der Geschwindigkeit durch ein Straßenaufsichtsorgan ein zulässiges Beweismittel dafür darstellen kann, daß die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde, aus dem Jahre 1976 stammen. Der Verwaltungsgerichtshof hat vielmehr auch in der Folge an dieser Rechtsprechung festgehalten (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 14. Mai 1982, Zl. 81/02/0202, vom 9. April 1986, Zl. 86/02/0180, vom 4. Juni 1987, Zl. 87/02/0031, und vom 17. Februar 1989, Zl. 88/18/0357). Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, und zwar auch nicht im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen, im Beschwerdefall von dieser Rechtsansicht abzugehen. Mit dem vorstehend angeführten Einwand vermag daher der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

Als eine Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, daß nur einer seiner beiden Mitfahrer bei der beanstandeten Fahrt einvernommen wurde. Die Vernehmung des zweiten Mitfahrers hätte in der Schweiz durchgeführt werden müssen, da für die Vernehmung es grundsätzlich kein Hindernis bilde, daß der Zeuge im Ausland lebt.

Auch mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 29. September 1988 diesen zweiten in der Schweiz lebenden Zeugen, zum "genauen Vorgang" Stellung zu nehmen, welchem Ersuchen der Zeuge mit Schreiben vom 3. Oktober 1988 auch nachkam. Da mit der Schweiz kein Abkommen über die Rechtshilfe in Verwaltungsstrafsachen besteht - auch vom Beschwerdeführer wird Gegenteiliges nicht behauptet -, ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie von einer förmlichen Einvernahme dieses im Ausland wohnhaften Zeugen Abstand nahm (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1988, Zlen. 88/03/0100, 0101, und die weitere darin angeführte Vorjudikatur).

Der Beschwerdeführer ist allerdings im Recht, wenn er einwendet, daß auch das Schreiben des im Ausland lebenden Zeugen als Beweismittel berücksichtigt hätte werden müssen und daß die einzelnen Aussagen, insbesondere jener der Beifahrer mit denen des Meldungslegers und der anderen Beteiligten, nicht "abgewogen" worden seien.

Gemäß § 25 Abs. 2 VStG 1950 sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Gemäß § 60 AVG 1950, der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides die Gedankengänge und Eindrücke aufzudecken, die dafür maßgebend waren, daß sie das eine Beweismittel dem anderen vorgezogen und eine Tatsache für wahr oder unwahr gehalten hat (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1952, Slg. Nr. 2411/A). Eine dem Gesetz entsprechende Bescheidbegründung muß (auch) zu widersprechenden Beweisergebnissen im einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was die Behörde veranlaßt hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1986, Zl. 86/07/0082). Ein diesen Erfordernissen nicht Rechnung tragender Bescheid ist, sofern durch diesen Mangel die Parteien in der Verfolgung ihrer Rechte beeinträchtigt sind, mit einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG behaftet (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 1974, Zl. 1579/73).

Die belangte Behörde schenkte nach der Begründung des angefochtenen Bescheides im Rahmen der Beweiswürdigung der unter Diensteid abgelegten, klaren und widerspruchsfreien Zeugenaussage des Meldungslegers sowie der Zeugenaussage eines weiteren Gendarmeriebeamten mehr Glauben als der Rechtfertigung des Beschwerdeführers, weil den verkehrsgeschulten Sicherheitsorganen der Polizei und Gendarmerie ein im Schätzungswege gewonnenes Urteil über die mit einem Fahrzeug begangene Geschwindigkeitsüberschreitung zuzubilligen sei. Die belangte Behörde hätte damit, wenn sie nur diese Beweise zu würdigen gehabt hätte, ihrer Begründungspflicht in einer nicht als rechtswidrig zu erkennenden Weise entsprochen. Nun lagen aber der belangten Behörde eine weitere Zeugenaussage eines Mitfahrers sowie die schriftliche Stellungnahme des zweiten Mitfahrers als Beweismittel vor, durch die die Rechtfertigung des Beschwerdeführers gestützt wird, die aber die belangte Behörde vollkommen überging. In einem Fall, in dem die Verantwortung des Beschuldigten durch mehrere, ebenfalls der Wahrheitspflicht unterliegende Zeugen untermauert wird, bedarf es zur Feststellung des Sachverhaltes besonders sorgfältiger Ermittlungen, etwa durch eine eingehende Zeugenbefragung zu allen Einzelheiten des Geschehens, und ausführlicher Darlegungen in der Begründung des Bescheides, zumindest aber der Anführung jener auf die Darstellung auch der Zeugen eingehenden Erwägungen, daß ungeachtet dessen die Tat als erwiesen anzunehmen ist (vgl. dazu etwa die Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/02/0144), zumal die Nachholung der Begründung in der Gegenschrift nicht möglich ist. Da die belangte Behörde die Angaben der beiden Zeugen des Beschwerdeführers nicht einmal erwähnte, war nicht nur der Beschwerdeführer in der Verfolgung seiner Rechte beeinträchtigt, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof an einer nachprüfenden Kontrolle gehindert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Mängel, allenfalls nach einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens hat nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand zum Gegenstand.

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