VwGH 82/08/0030

VwGH82/08/003015.5.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerde der NH in Brooklyn, USA, vertreten durch Dr. Kurt Lindenthaler, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Dezember 1981, Zl. MA 14-H 108/80, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Rossauer Lände 3, Wien IX), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §229 Abs1 Z4 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs1 Z3;
ASVG §229 Abs1 Z4 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs1 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der Beschwerdeführerin zuhanden des Beschwerdevertreters Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die am 15. Jänner 1920 in Wien geborene Beschwerdeführerin stellte zunächst bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Antrag auf begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 9. Mai 1973 abgewiesen. Einem dagegen erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 26. Mai 1975 nicht statt und stellte fest, daß die Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten für die Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung der Angestellten zu Recht erfolgt sei. Eine dagegen erhobene Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung wurde von diesem als unzulässig zurückgewiesen.

1.2. Mit Eingabe vom 28. Dezember 1979 beantragte die Beschwerdeführerin (nunmehr) bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter die begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten. Ihrem Antrag legte sie eine eidesstattliche Erklärung von F und IR bei, in der diese im wesentlichen angaben, die Beschwerdeführerin habe von 1926 bis 1930 die Volksschule und von 1930 bis 1934 die Bürgerschule besucht. Vom 15. September 1936 bis 15. April 1938 habe sie die Vorbereitungsschule für Kindergärtnerinnen besucht, die unter der Leitung von HP gestanden sei. Die Beschwerdeführerin habe auch von 1934 bis 1938 ganztägig im Geschäft der Mutter (Lebensmittelgeschäft und Geflügelhandel) gearbeitet und dafür monatlich S 325,-- als Lohn erhalten. Außerdem sei die Beschwerdeführerin von 1934 bis 1938 im Montessorie-Heim beschäftigt gewesen, allerdings nicht vollbeschäftigt, jedoch habe sie auch dafür einen gewissen Lohn erhalten.

In einem an die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt übersandten Lebenslauf gab die Beschwerdeführerin an, von 1934 bis 1938 im Lebensmittel- und Geflügelgeschäft ihrer Mutter als Arbeiterin (sogenanntes "Mädchen für alles") gegen eine monatliche Entlohnung von S 325,-- voll beschäftigt gewesen zu sein. Außerdem habe sie von 1936 bis April 1938 gegen Entlohnung in Wien im Montessorie-Heim gearbeitet.

Nach einer Meldebestätigung der Bundespolizeidirektion Wien, Zentralmeldeamt, war die Beschwerdeführerin vom 19. November 1929 bis 5. Februar 1938 ohne Berufs- und Religionsangabe bei der Mutter in Wien XX, X-Straße 34, mitgemeldet. Vom 5. Februar 1938 bis 17. März 1938 war sie selbständig als angestellte Kindergärtnerin, mosaisch als österreichische Staatsangehörige an der genannten Adresse gemeldet. Vom 17. März 1938 an war sie als angestellte Kindergärtnerin, mosaisch als polnische Staatsangehörige an derselben Adresse gemeldet und mit 26. November 1938 nach St. Gallen abgemeldet. Seither war sie selbständig nicht mehr neu gemeldet.

Die Wiener Gebietskrankenkasse teilte auf eine Anfrage der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt mit, daß die Beschwerdeführerin in den Lohn- und Gehaltsunterlagen nicht aufscheine.

1.3.1. Mit Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 1. September 1980 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung der Arbeiter gemäß den §§ 500 ff ASVG abgelehnt.

In der Begründung wurde unter Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben von 1934 bis März 1938 in Wien beschäftigt gewesen sei. Einen Nachweis darüber, daß sie in einem die Krankenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden sei und damit eine Ersatzzeit gemäß § 229 ASVG erworben habe, habe sie nicht erbringen können. Andere Versicherungszeiten habe sie weder behauptet noch nachgewiesen. Einen Nachteil in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen habe sie daher nicht erleiden können.

1.3.2. Die Beschwerdeführerin hat gegen diesen Bescheid Einspruch erhoben.

In der Folge wurde eine eidesstattliche Erklärung der FE vorgelegt, in der diese im wesentlichen angab, es sei ihr bekannt, daß die Beschwerdeführerin im Geschäft ihrer Mutter von 1934 bis 1936 volltägig gearbeitet habe. Nach ihrem Eintritt und während des Besuches der Kindergartenschule von 1936 bis 1938 habe sie auch viele Stunden und Samstage im Geschäft ihrer Mutter gearbeitet.

Die Beschwerdeführerin gab in einer niederschriftlichen Einvernahme vom 23. Februar 1981 vor dem österreichischen Generalkonsulat in New York im wesentlichen an, sie habe bei ihrer Mutter seit dem Jahre 1932 gearbeitet. Gegen Entgelt sei sie nur in den Jahren 1934 bis 1936 beschäftigt gewesen. Vorher und nachher habe sie nur Taschengeld bekommen. Bis 1934 habe sie der Mutter nach dem Schulbesuch im Geschäft geholfen. Zwischen 1934 und 1936 habe sie ganztägig gearbeitet. Zwischen 1936 und 1938 sei sie nur an Samstagen im Geschäft gewesen oder manchmal nach der Schule oder nach ihrer Tätigkeit im Kindergarten. Sie sei bei ihrer Mutter aufgrund einer mündlichen Vereinbarung angestellt gewesen. Ihre Arbeitszeit sei insofern geordnet gewesen, als sie täglich mit ihrer Mutter ins Geschäft gekommen sei und den ganzen Tag wie jeder andere Angestellte habe arbeiten müssen. Es habe für sie persönliche Anwesenheits- und Arbeitspflicht bestanden, da es niemanden anderen gegeben habe, der ihre Arbeit verrichtet hätte. Sie sei ihrer Mutter gegenüber verantwortlich gewesen. Welche konkreten Folgen eine mangelhafte Arbeitsverrichtung nach sich gezogen hätte, wisse sie nicht, da dies nie der Fall gewesen sei. Sie habe das Geschäft aufgesperrt, sauber gemacht, Waren hergerichtet, ihrer Mutter beim Bedienen der Kunden geholfen, Lieferungen ausgetragen, am Ende des Tages die Waren wieder in den Kühlschrank gegeben und den Laden mit ihrer Mutter zusammen versperrt. Sie habe monatlich S 325,-- als Lohn erhalten, wisse jedoch nicht, auf welcher gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Grundlage diese Zahlung beruht habe. Sie wisse auch nicht, ob dieser Betrag ordnungsgemäß verbucht worden sei. Er sei jedoch versteuert worden, da sie sonst im Jahre 1938 keinen Reisepaß erhalten hätte. Daß sie im Vorverfahren vor der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, bei dem sie zur Abgabe eines kompletten Beschäftigungsverlaufes verhalten worden sei, die Beschäftigung bei ihrer Mutter nicht angegeben habe, hänge damit zusammen, daß sie nicht gewußt habe, daß sie für eine Pension bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, diese Zeiten auch angeben müsse. Sie habe geglaubt, eine solche Pension nur aufgrund ihres Schulbesuches zu erhalten.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt verwies in einer Stellungnahme darauf, daß die Beschwerdeführerin ursprünglich angegeben habe, von 1934 bis 1938 ganztägig bei ihrer Mutter beschäftigt gewesen zu sein, nunmehr jedoch die ganztägige Beschäftigung auf die Zeit von 1934 bis 1936 einschränke.

In einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem österreichischen Generalkonsulat in New York gaben F und IR übereinstimmend an, sie hätten die Beschwerdeführerin im Geschäft ihrer Mutter arbeiten gesehen. Frau R erklärte, daß die Beschwerdeführerin zwei Jahre lang in eine Schule für Kindergärtnerinnen gegangen sei ("Ich glaube zwischen 1934 und 1936.") und nach der Schule oder an Samstagen im Geschäft gearbeitet habe. Zwischen 1936 und 1938 habe sie dann ganztägig bei den Eltern gearbeitet. F und IR gaben übereinstimmend an, daß sie nicht mit der Beschwerdeführerin an derselben Arbeitsstätte tätig gewesen seien und daher nur aussagen könnten, daß sie die Beschwerdeführerin dort hätten arbeiten sehen und ungefähr wüßten, was diese dort zu tun hatte. Die Beschwerdeführerin habe Kunden bedient, sei an der Kassa gestanden und habe öfters auch Waren eingekauft. Die Zeugin R nehme an, daß die Beschwerdeführerin entlohnt worden sei, da sie immer Geld bei sich gehabt habe, wieviel und in welcher Art wisse sie nicht.

FE gab in einer vor dem österreichischen Generalkonsulat in New York aufgenommenen Niederschrift an, sie wisse, daß die Beschwerdeführerin im Geschäft ihrer Mutter gearbeitet habe. Sie selbst habe sie dort gesehen. Sie sei allerdings nicht mit der Beschwerdeführerin an derselben Arbeitsstätte tätig gewesen. Die Beschwerdeführerin habe auch immer Geld bei sich gehabt, das sie im Geschäft ihrer Mutter verdient habe. Von diesem Geld habe sie ihr Studium bezahlt. Wieviel sie allerdings verdient habe, wisse sie nicht.

In einer Stellungnahme zu diesen Aussagen verwies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt darauf, daß anläßlich der Befragung der Zeugen keine neuen Tatsachen und Beweise hervorgekommen seien. Daß die Beschwerdeführerin immer Geld bei sich gehabt habe, sei ein Umstand, aus dem weder dem Grunde noch der Höhe nach auf irgendwelche Entgeltansprüche oder faktisch gewährte Entgelte geschlossen werden könne. Ein Widerspruch ergebe sich auch daraus, daß die Zeugin FR nunmehr erkläre, die Beschwerdeführerin habe zwischen 1936 und 1938 ganztägig bei ihren Eltern gearbeitet.

In einer abschließenden Stellungnahme führte die Beschwerdeführerin aus, der Bestand der Versicherungspflicht stütze sich grundsätzlich auf Fremdbestimmung der Tätigkeit, Weisungsgebundenheit, disziplinäre Verantwortlichkeit und fixe Arbeitszeit. Dies gelte allerdings nur im Prinzip und nicht uneingeschränkt. Beispielsweise sei fixe Arbeitszeit auf die Gegebenheiten des Betriebes ausgerichtet, bei hochqualifizierten Arbeiten sei Weisungsgebundenheit auch in einer stillen Autorität des Dienstgebers zu erblicken, bei einfachen Arbeiten seien Anweisungen kaum erforderlich. In Kleinbetrieben gebe es auch normalerweise keinen fixen Arbeitsplatz; jeder wisse, daß er die Arbeit ordnungsgemäß zu verrichten habe und einigermaßen pünktlich sein müsse. Im gegebenen Fall habe ein Geflügelgeschäft vorgelegen. Das geschilderte Tätigkeitsbild entspreche den Tätigkeiten in einem solchen als überwiegend manuelle nicht qualifizierte Arbeit. Auch Zeugen könnten nicht über alle Einzelheiten des Arbeitsverhältnisses informiert sein. Die Höhe der Entlohnung sei offensichtlich irrtümlich angegeben worden. Es bestehe jedoch kein Einwand, die Beschwerdeführerin als Hilfsarbeiterin in einem gewerblichen Betrieb des Handels einzustufen.

1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und stellte gemäß den §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß die Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung der Arbeiter aufgrund von § 502 Abs. 4 ASVG zu Recht erfolgt sei.

In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Sachverhaltes und der gesetzlichen Grundlagen darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeführerin eine nicht näher spezifizierte Berufstätigkeit im elterlichen Betrieb bereits ab dem Jahre 1932 geltend gemacht habe. Abgesehen von der Frage, ob die Beschwerdeführerin im damals äußerst jugendlichen Alter überhaupt vom geistigen und körperlichen Reifegrad her habe berufstätig sein können, besage dies noch lange nicht, daß es sich dabei tatsächlich um eine Tätigkeit gehandelt habe, die unter die Versicherungspflicht gefallen wäre. Wenn die Beschwerdeführerin ihr Begehren auf Anrechnung von Vorversicherungszeiten auf § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG stütze, so postuliere sie, die gleichen Beschäftigungsmerkmale gehabt zu haben, die jeder Dienstnehmer im Rahmen des ASVG zum jetzigen Zeitpunkt für den Eintritt der Versicherungspflicht zu erbringen habe. Dies seien die strikte

Unterordnung des Dienstnehmers unter eine Betriebsordnung, die Unterordnung des Dienstnehmers unter einen fremd bestimmten Arbeitszweck durch Ausübung der disziplinär abgesicherten Dienstgeberhoheit sowie die gleichfalls in der Ausübung der Dienstgeberhoheit begründete Weisungsgebundenheit, durch welche dem Dienstnehmer die Abfolge der Tätigkeiten grundsätzlich vorgegeben sein müsse. Ausgelöst ebenfalls durch Betriebsordnung und Fremdbestimmung der Arbeit müsse dem Dienstnehmer, solle die ausgeübte Tätigkeit überhaupt die Versicherungspflicht auslösen, im weitgehend überwiegenden Maße die Möglichkeit genommen sein, über die ihm zu Gebote stehende Tagesarbeitszeit frei zu verfügen, wobei nicht unerheblich sei, ob nun der Dienstgeber, gleichviel wer immer Dienstgeber sei, fallweise Variationen der Arbeitszeit zugunsten persönlicher Bedürfnisse des Dienstnehmers zulasse oder nicht, da der substanzielle Gehalt der die Versicherungspflicht auslösenden Arbeitszeitregelung jedenfalls erhalten bleiben müsse. Im weiteren müsse auch ein familiärer Dienstgeber bei den eigenen Familienmitgliedern die Disziplinarhoheit wie gegenüber familienfremden Dienstnehmern ausüben, widrigenfalls es zu einer Bevorzugung der Familienmitglieder bei der Erbringung der Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht komme, wovon im Gesetzeswortlaut der diesbezüglichen Bestimmung jedoch keine Rede sein könne, da § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG keine Besserstellung, sondern einzig und allein eine völlige Gleichstellung der Familienmitglieder mit Familienfremden statuiere. Diese Merkmale erfülle das Beschäftigungsbild der Beschwerdeführerin jedoch nicht, viel weniger werde noch das Beschäftigungsbild in Richtung Versicherungspflicht durch die Zeugen gebracht, die nur sehr ungefähre, für die entscheidenden Merkmale nicht dienliche Angaben machen konnten, dies nur aus der fallweisen Anschauung heraus, daß die Beschwerdeführerin im Geschäft ihrer Mutter als tätig erblickt worden sei, wobei die Zeugen das tatsächliche innerbetriebliche Beschäftigungsbild mangels, entsprechender Kenntnisse nicht herauszuarbeiten vermochten. Dies sei den Zeugen schon deshalb unmöglich, weil die Angaben der Beschwerdeführerin in eindrucksvoller und klarer Weise auf den Umstand abstellten, es habe in Wahrheit eine echt familienhafte Beschäftigung im Familienverband vorgelegen, wie dies auch dem zwischen 1932 und 1936 noch sehr jugendlichen Alter der Beschwerdeführerin durchaus entsprochen habe. Die Quintessenz der sich immer auf alle Fragen inhaltlich wiederholenden Angaben der Beschwerdeführerin sei nämlich, daß ihre Mutter sich habe verlassen können, sie würde alle nur erdenklichen Agenden pünktlichst verrichten. Aus dieser Aussage folge jedoch in logischer Konsequenz, daß es der Beschwerdeführerin letztlich im Tagesablauf auch unter Bedachtnahme auf das jugendliche Alter unter dem damit verbundenen Ausbildungsmangel selbst überlassen geblieben sei, auf welche Art und Weise und wo im Geschäft sie der Mutter bzw. den von den Zeugen geschilderten im höheren Alter befindlichen Eltern Hilfestellung geben wollte. Daran ändere auch nichts, daß die Frage der Entlohnung zuletzt von der Beschwerdeführerin als irrtümlich hingestellt und auch vorgebracht worden sei, die Merkmale der Versicherungspflicht seien nicht auf alle Fälle uneingeschränkt anzuwenden. Wollte man dieser Anschauung folgen, so würde dies auf die Schaffung zweier Arten von Versicherten hinauslaufen, wobei der Kreis der nach § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG zu beurteilenden Personen unter die leichtere Kategorie zu fallen hätte, was jedoch dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller ASVG-Adressaten zuwiderliefe und daher völlig undenkbar und undurchführbar sei. Berechtigte Zweifel, ob eine derartige Tätigkeit überhaupt ausgeübt worden sei, schienen auch aufgrund des Umstandes berechtigt, daß die Beschwerdeführerin einerseits im Verfahren bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten trotz der Verpflichtung zur Erstellung eines lückenlosen Lebenslaufes keinerlei Erwähnung darüber machte und andererseits das frühere Begünstigungsbegehren nur auf eine Ausbildungszeit stützte, während derer sie nach ihrer nunmehrigen Darstellung schon voll im mütterlichen Geschäft tätig gewesen sein wolle. Es müsse auch der Angabe der Beschwerdeführerin entgegengetreten werden, es habe sich in Geflügelgeschäften nur um unqualifizierte Tätigkeiten gehandelt, da der Geflügelhandel ein Spezialgebiet des Lebenshandels sei. Aus der Gesamtschau des Verfahrens sei es der Beschwerdeführerin keineswegs gelungen, die Merkmale einer versicherungspflichtigen Beschäftigung offenzulegen und erweisen zu können. Dem Einspruch habe daher der Erfolg versagt bleiben müssen.

1.5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

1.6. Die belangte Behörde, die die Verwaltungsakten vorlegte, hat von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat in ihrer Gegenschrift den Antrag auf Abweisung der Beschwerde gestellt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 500 ASVG lautet:

"Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, werden nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt."

§ 502 Abs. 4 ASVG bestimmt:

"Personen, die in der im § 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 zurückgelegt haben, können für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis 31. März 1959, Beiträge nachentrichten (§ 533). Für die Abstattung der nachzuzahlenden Beiträge gelten Abs. 2 zweiter bis letzter Satz entsprechend."

§ 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG normiert:

"(1) Als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 gelten in den nachstehend angeführten Zweigen der Pensionsversicherung folgende Zeiten ....

4. in der Pensionsversicherung der Arbeiter bzw. der Pensionsversicherung der Angestellten überdies vor dem Zeitpunkt der Einführung der Pflichtversicherung in der Pensions(Renten)- versicherung gelegene Zeiten, für die der Versicherte

a) die Ausübung einer Beschäftigung im Betriebe der Eltern, Großeltern, Wahl- oder Stiefeltern, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet hätte, ….."

§ 4 Abs. 1 ASVG lautet auszugsweise:

"(1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind aufgrund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:

1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;

  1. 2. die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen (Lehrlinge);
  2. 3. die im Betrieb der Eltern, Großeltern, Wahl- oder Stiefeltern ohne Entgelt regelmäßig beschäftigten Kinder, Enkel, Wahl- oder Stiefkinder, die das 17. Lebensjahr vollendet haben und keiner anderen Erwerbstätigkeit hauptberuflich nachgehen, alle diese, soweit es sich nicht um eine Beschäftigung in einem land- oder forstwirtschaftlichen oder gleichgestellten Betrieb (§ 27 Abs. 2) handelt; ….."

    § 4 Abs. 2 ASVG hat folgenden Inhalt:

    "Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen."

2.2.1. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Frage strittig, ob die Beschwerdeführerin durch die von ihr behauptete Beschäftigung von 1934 bis 1938 im Betrieb ihrer Mutter eine Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG erworben hat. Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß es sich bei der von der Beschwerdeführerin geschilderten Tätigkeit um den Ausfluß einer familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung gehandelt hat.

2.2.2. Für die Beurteilung der regelmäßigen Beschäftigung einer Person im Betrieb eines nahen Angehörigen als ein auf ausdrückliche oder schlüssige dienstvertragliche Vereinbarung gegründetes Beschäftigungsverhältnis einerseits oder als eine nicht auf einem solchen Rechtstitel beruhende Beschäftigung andererseits ist das Vorliegen einer familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung von Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spricht die Vermutung im Verhältnis zwischen minderjährigen Kindern und ihren Eltern für den Ausfluß einer familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung. Die Begründung eines Dienstverhältnisses zwischen solchen Kindern und ihren Eltern ist eher als Ausnahmefall (atypisch) anzusehen (vgl. in diesem Sinn die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 1981, Zl. 08/2922/78=ZfVB 1982/3/881, vom 26. April 1984, Zl. 82/08/0019=ZfVB 1985/1/164, und vom 19. Dezember 1985, Zl. 84/08/0187).

Es fehlen nun gerade in Fällen der Verwandtenmitarbeit zumeist klare und eindeutige, ja vielfach überhaupt ausdrückliche Vereinbarungen; es muß daher das, was die Parteien gewollt haben, durch eine nicht immer einfache Ausdeutung ihres Verhaltens unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles erst ermittelt werden. Nach den privatrechtlichen Grundsätzen (§ 863 ABGB) kann man seinen Willen ja nicht nur ausdrücklich durch Worte und allgemein angenommene Zeichen, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen erklären, welche mit Überlegung aller Umstände, d.h. weniger aus bestimmten Worten und einem bestimmten Verhalten als aus den Begleitumständen (Koziol-Welser, Grundriß des Bürgerlichen Rechtes I5, 75), keinen vernünftigen Grund daran, nämlich am Rechtsfolgewillen (im gegenständlichen Zusammenhang: an der Begründung eines Dienstverhältnisses im genannten Sinn), zu zweifeln, übriglassen (vgl. auch für den vorliegenden Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Oktober 1980, Zl. 1205/78, Slg. N. F. Nr. 10.258/A, ZfVB 1981/5/1358).

2.2.3. Auf dem Boden dieser Judikatur kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Wertung gelangte, es sei der Beschwerdeführerin nicht gelungen, die Merkmale einer versicherungspflichtigen Beschäftigung offenzulegen und hiefür einen anderen - nämlich dienstvertraglichen - Rechtsgrund als jenen der familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung zu erweisen, bzw. die Zeugen seien mangels entsprechender Kenntnisse nicht in der Lage gewesen, das innerbetriebliche Beschäftigungsbild herauszuarbeiten oder gar Anhaltspunkte für eine Beurteilung zu bieten, auf welchem Rechtsgrund die Mitarbeit der Beschwerdeführerin im elterlichen Betrieb beruhte. Es überwiegen im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG diejenigen Kriterien, die den Erfahrungssatz auch in der vorliegenden Angelegenheit stützen, daß im Familienverband lebende minderjährige Kinder in der Regel aufgrund einer familienrechtlichen Verpflichtung im Betrieb ihrer Eltern mithelfen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 26. April 1984, Zl. 82/08/0019=ZfVB 1985/1/164).

Dies findet eine Stütze auch darin, daß die Beschwerdeführerin in ihrem ersten Antrag bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten - trotz der Verpflichtung zur Erstellung eines lückenlosen Lebenslaufes - ihre Tätigkeit im Betrieb der Mutter nicht angegeben hat.

Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde davon ausgegangen ist, daß die Beschwerdeführerin durch die Tätigkeit im Betrieb ihrer Mutter keine Ersatzzeiten nach § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG erworben hat.

2.3. Die Beschwerdeführerin hat am 15. Jänner 1937 das 17. Lebensjahr vollendet.

Die belangte Behörde hat es nun unterlassen zu prüfen, ob die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Betrieb ihrer Mutter, soweit sie sie nach Vollendung des 17. Lebensjahres ausgeübt hat, dem § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG zu subsumieren war. Eine Prüfung in diese Richtung wäre insbesondere deshalb nahe gelegen, weil die Beschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 23. Februar 1981 angegeben hat, von ihrer Mutter vor 1934 und nach 1936 bloß ein "Taschengeld" erhalten zu haben. Da aus der bloßen Bezeichnung einer Leistung als "Taschengeld" noch nicht abgeleitet werden kann, ob diese ein Entgelt im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG darstellt oder nicht, müssen die näheren, einer solchen Leistung zugrundeliegenden Umstände erhoben werden. Handelt es sich beim "Taschengeld" um einen einem Minderjährigen im Rahmen der Unterhaltsleistung von den Eltern zur freien Verfügungsüberlassenen Geldbetrag, so fällt dieser nicht unter den Entgeltsbegriff des § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG. Unter "Entgelt" im Sinne dieser Bestimmung ist vielmehr eine Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen eines synallagmatischen Rechtsverhältnisses zu verstehen. Die Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG setzt nicht das Bestehen eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG voraus; damit wird vielmehr auch die unentgeltliche Kindermitarbeit im elterlichen Betrieb der Sozialversicherung unterstellt (vgl. Krejci, Das Sozialversicherungsverhältnis, S. 77 f, sowie das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1985, Zl. 85/08/0153). Auch die übrigen Merkmale des im § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG umschriebenen Beschäftigungsverhältnisses werden zu beachten sein.

2.4. Diese Rechtslage verkannte die belangte Behörde, womit sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.5. Bezüglich der zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

2.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 15. Mai 1986

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