VwGH 85/08/0153

VwGH85/08/015312.12.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Novak, über die Beschwerde des IE in R, Israel, vertreten durch Dr. Alexander Kubicek, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. Juli 1985, Zl. MA 14-E 13/81, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §229 Abs1 Z2;
ASVG §229 Abs1 Z4 lita;
ASVG §4 Abs1 Z3;
ASVG §500;
ASVG §229 Abs1 Z2;
ASVG §229 Abs1 Z4 lita;
ASVG §4 Abs1 Z3;
ASVG §500;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 6. Oktober 1980 lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die vom Beschwerdeführer gemäß §§ 500 ff ASVG beantragte Begünstigung für die Zeit vom 11. August 1938 bis 31. März 1959 ab, weil der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1927 und der Emigration weder Beitrags- noch Ersatzzeiten aufzuweisen habe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Am 23. Juli 1981 im Zuge des Einspruchsverfahrens in der österreichischen Botschaft in Tel Aviv niederschriftlich vernommen gab der Beschwerdeführer an, 1932/33, nach dem Ableben seines Vaters, in das mütterliche Geschäft eingetreten zu sein. Er sei damals 13 Jahre alt gewesen und seine Tätigkeit habe in der Übernahme und Aushändigung von Kleidungsstücken und im Bügeln bestanden. Das Geschäft seiner Mutter sei eine Wäschereiübernahme gewesen. Seine Tätigkeit habe er auf Grund familiärer Bindung ausgeübt, für ein vertragliches Dienstverhältnis sei er zu jung gewesen. Das Geschäft sei von 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends mit einer einstündigen Mittagsperre geöffnet gewesen; wenn mehr Arbeit angefallen sei, sei die Arbeitszeit über 7 Uhr abends ausgedehnt worden. Seine Arbeitszeit sei durchgehend von Geschäftsbeginn bis Geschäftsschluß gewesen. In dringenden Fällen habe er das Geschäft vorübergehend verlassen können. Die Notwendigkeit seiner Mitarbeit im Geschäft habe sich durch den Tod des Vaters ergeben, da seine Mutter allein gewesen sei. Ursprünglich hätte er eine Lehre in einer Badener Wäscherei absolvieren und später das Geschäft seiner Mutter übernehmen sollen. Seine Mutter habe ihm Aufträge erteilt, die er ausgeführt habe. Diese hätten auch Kundenbetreuung, Abholung oder Zustellung von Wäsche und Botengänge umfaßt. Seine Mutter habe für ihn voll gesorgt; er habe ein Taschengeld erhalten, das für seine Bedürfnisse ausgereicht habe. An einzelne Beträge könne er sich nicht mehr erinnern. Wenn er nicht im Geschäft gearbeitet hätte, hätte seine Mutter jemand anderen aufnehmen müssen. Seine Tätigkeit habe mit der Sperre sämtlicher jüdischer Geschäfte durch die Nazis geendet. Er sei dann nach London ausgewandert.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 6. Oktober 1980 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und stellte gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß für den Beschwerdeführer die Zeit vom 11. August 1938 bis 31. März 1959 aufgrund von § 502 Abs. 4 ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten nicht begünstigt anzurechnen sei. Diesbezüglich werde der angefochtene Bescheid bestätigt. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides habe der am 29. Jänner 1921 geborene Begünstigungswerber im Alter von ungefähr 13 Jahren aufgrund einer familiären Verpflichtung im Rahmen des Familienverbandes in der Wäscherei seiner Mutter Arbeitsleistungen zu verrichten begonnen. Er habe dafür von seiner Mutter ein Taschengeld in nicht mehr feststellbarer Höhe erhalten. Seine Arbeit habe vorwiegend in der Übernahme und Auslieferung von Wäschestücken sowie in Botengängen bestanden. Im Jahre 1939 sei der Beschwerdeführer aus Gründen der Abstammung nach England, später nach Israel emigriert und danach bis zum 31. März 1959 nicht mehr nach Österreich zurückgekehrt. Schon zufolge der eigenen Angaben des Beschwerdeführers zeige sich, daß es sich bei der von ihm geschilderten Tätigkeit im Betrieb seiner Mutter um den Ausfluß einer familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung gehandelt habe. So habe der Genannte selbst vorgebracht, seine Tätigkeit aufgrund familiärer Bindung ausgeübt zu haben. Bereits hiedurch sei klar zum Ausdruck gebracht, daß der Beschwerdeführer seine Tätigkeit nicht als die eines untergeordneten Beschäftigten erbracht habe. Dies werde auch durch seine weiteren Angaben charakterisiert, seine Mutter habe für ihn voll gesorgt und er habe ein Taschengeld erhalten, welches für seine Bedürfnisse ausgereicht habe. In diesem Zusammenhang sei auch die Antwort des Beschwerdeführers zur Frage der Anwesenheits- und Arbeitspflicht beachtlich, die Anwesenheit während der Arbeitszeit sei gegeben gewesen, es habe jedoch keine konkreten diesbezüglichen Abmachungen gegeben; in dringenden Fällen habe er das Geschäft vorübergehend verlassen können. Der Beschwerdeführer sei somit nicht Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG gewesen. Die Beschäftigungszeit im Betrieb der Mutter könne daher nicht als Ersatzzeit nach § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG gewertet werden. Damit liege für den Beschwerdeführer jedoch keine Vorversicherungszeit nach § 502 Abs. 4 ASVG vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die in § 502 Abs. 1 und 4 ASVG, in der Fassung der 19. und 29. Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 67/1967 und 31/1973, vorgesehene begünstigte Erwerbung von Anwartschaften und Ansprüchen für Zeiten (u.a.) einer aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung veranlaßten Arbeitslosigkeit (Abs. 1) oder Auswanderung (Abs. 4) gilt für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 zurückgelegt haben.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist allein strittig, ob der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit im Betrieb der Mutter eine Ersatzzeit nach § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG erworben und damit die Voraussetzungen für eine Begünstigung nach § 502 Abs. 4 ASVG erfüllt habe.

Gemäß § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG in der Fassung der 29. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 31/1973, gelten als Ersatzzeiten vor dem 1. Jänner 1956 in der Pensionsversicherung der Arbeiter bzw. in der Pensionsversicherung der Angestellten überdies vor dem Zeitpunkt der Einführung der Pflichtversicherung in der Pensions(Renten)versicherung gelegene Zeiten, für die der Versicherte die Ausübung einer Beschäftigung im Betrieb der Eltern, Großeltern, Wahl- oder Stiefeltern, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet hätte, nachweist.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 bis 3 ASVG (letztere Bestimmung in der Fassung des Art. II Z. 1 der 20. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 201/1967) sind in der Kranken- , Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet: 1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer; 2. die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen (Lehrlinge); 3. die im Betrieb der Eltern, Großeltern, Wahl- oder Stiefeltern ohne Entgelt regelmäßig beschäftigten Kinder, Enkel, Wahl- oder Stiefkinder, die das 17. Lebensjahr vollendet haben und keiner anderen Erwerbstätigkeit hauptberuflich nachgehen, alle diese, soweit es sich nicht um eine Beschäftigung in einem land- oder forstwirtschaftlichen oder gleichgestellten Betrieb (§ 27 Abs. 2) handelt.

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber dem Merkmal selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihres Bescheides mit der Frage auseinandergesetzt, ob die vom Beschwerdeführer behauptete Tätigkeit im Betrieb der Mutter eine Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG begründen konnte, und ist dabei schon aufgrund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers zur Wertung gelangt, daß es sich bei dieser Tätigkeit des Beschwerdeführers um den Ausfluß einer familienrechtlichen Mitarbeitsverpflichtung gehandelt habe. Dem vermag der Beschwerdeführer keine stichhältigen Einwände entgegenzusetzen:

Der Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe ihrer Prüfung bloß die Verhältnisse im Zeitpunkt seines Eintrittes in den Betrieb der Mutter zugrunde gelegt, trifft nicht zu. Für eine solche Annahme, für die der Beschwerdeführer jede konkrete Begründung schuldig bleibt, finden sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht die geringsten Anhaltspunkte. Wohl ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, daß aus seiner Angabe, er habe das Geschäft in dringenden Fällen vorübergehend verlassen können, es habe keine konkreten Abmachungen diesbezüglich gegeben, Entscheidungen seien fallweise getroffen worden, kein Indiz für das Fehlen der für ein Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG charakteristischen Bindung an den Arbeitsort und die Arbeitszeit abgeleitet werden kann. Damit ist für seinen Standpunkt jedoch nichts Entscheidendes gewonnen, weil er keine Kriterien aufzuzeigen vermag, die den Erfahrungssatz, daß im Familienverband lebende minderjährige Kinder in der Regel aufgrund einer familienrechtlichen Verpflichtung im Betrieb ihrer Eltern mithelfen (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1984, Zl. 82/08/0019), im Beschwerdefall widerlegen könnten.

Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde davon ausgegangen ist, daß der Beschwerdeführer durch die Tätigkeit im Betrieb seiner Mutter keine Ersatzzeiten nach § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG erworben hat.

Mit Recht macht der Beschwerdeführer jedoch - zumindest sinngemäß - geltend, daß die belangte Behörde nicht geprüft habe, ob die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Betrieb der Mutter, soweit er sie nach Vollendung des 17. Lebensjahres ausgeübt hat, den § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG zu subsumieren war. Eine Prüfung in diese Richtung wäre insbesondere deshalb nahe gelegen, weil der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Vernehmung am 23. Juli 1981 angegeben hat, von seiner Mutter bloß ein "Taschengeld" erhalten zu haben. Da aus der bloßen Bezeichnung einer Leistung als "Taschengeld" noch nicht abgeleitet werden kann, ob diese ein Entgelt im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG darstellt oder nicht, müssen die näheren, einer solchen Leistung zugrunde liegenden Umstände erhoben werden. Handelt es sich beim "Taschengeld" um einen einem Minderjährigen im Rahmen der Unterhaltsleistung von den Eltern zur freien Verfügung überlassenen Geldbetrag, so fällt dieser nicht unter den Entgeltsbegriff des § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG. Unter "Entgelt" im Sinne dieser Bestimmung ist vielmehr eine Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen eines synallagmatischen Rechtsverhältnisses zu verstehen. Die Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z. 3 ASVG setzt nicht das Bestehen eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG voraus; damit wird vielmehr auch die unentgeltliche Kindermitarbeit im elterlichen Betrieb der Sozialversicherung unterstellt (vgl. Krejci, Das Sozialversicherungsverhältnis, S. 77 f).

Diese Rechtslage verkannte die belangte Behörde, womit sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Bezüglich der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985. Das über den in Art. I A Z. 1 dieser Verordnung festgesetzten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand hinausgehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diesem Begehren die gesetzliche Grundlage fehlt.

Wien, am 12. Dezember 1985

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