VwGH 82/06/0181

VwGH82/06/018126.1.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte Mag. Onder, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Unfried, über die Beschwerde der LB in L, vertreten durch Dr. Günther Forenbacher, Rechtsanwalt in Graz, Hans-Sachs-Gasse 14/11, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 30. Juli 1982, GZ 3-338 Ba 66/7-1982, betreffend Verpflichtung zum Kanalanschluß (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde L, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3 impl;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3 impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 11. Dezember 1980 stellte der Bürgermeister der Marktgemeinde L die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zum Anschluß ihres Grundstückes Nr. 584, KG. L, an das öffentliche Kanalnetz gemäß § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 des Steiermärkischen Kanalgesetzes 1955 fest und trug ihr auf, den Anschluß sämtlicher Schmutzwässer (Hausleitungen) längstens binnen drei Wochen nach Fertigstellung des Hausanschlußschachtes vorzunehmen.

In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, daß keine Anschlußpflicht an das öffentliche Kanalnetz bestehe, da sie seit jeher einen Obstgarten, einen Gemüsegarten und eine Wiese mit zusammen über 3000 m2 besitze, weiters eine Jauchepumpe und Leitungen, mit denen sie alle Stellen ihres Grundes zwecks Düngung erreichen könne. Die mit der Gülle aus ihrer Senkgrube gedüngten Bodenstellen wiesen einen außerordentlich vermehrten Ertrag gegenüber den nichtgedüngten Bodenstellen auf; auch die Qualität der Früchte durch Nichtbefall mit Schädlingen und Krankheiten habe bemerkbar zugenommen. Leider sei der Gülleanfall zu gering, um jährlich wenigstens einmal den ganzen Grund düngen zu können. Es würden auch die Nachbarn durch diese Düngung keineswegs beeinträchtigt, wohl aber entwickelten die vier Kanalschächte der Gemeinde häufig üblen Geruch.

Mit Bescheid vom 21. April 1981 gab der Gemeinderat der Marktgemeine L der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge, da diese keine Landwirtschaft betreibe. Die Versickerung sämtlicher Haushaltswässer einschließlich der darin enthaltenen chemischen Reinigungsmittel im Garten der Beschwerdeführerin würde genau das bewirken, was sie zu Unrecht für den Fall der Einleitung der Abwässer in die Kanalisation befürchte, nämlich eine Gefährdung des Grundwassers und in weiterer Folge der öffentlichen Gewässer. Da die Liegenschaft der Beschwerdeführerin innerhalb einer Entfernung des Bauwerkes von dem für den Anschluß in Betracht kommenden Kanalstrang von 50 m liege, sei die Anschlußpflicht zu Recht festgestellt worden.

Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung holte die belangte Behörde zunächst ein Gutachten des Baubezirksamtes Graz ein. Dieses schätzte im Hinblick auf die im Wohnhaus der Beschwerdeführerin ständig anwesenden drei Bewohner, den täglichen Schmutzwasseranfall aus Küche, Bad und WC mit 600 l, was unter Annahme einer Sammelgrube mit einem Fassungsraum von 10.000 l zur Folge hätte, daß diese alle 17 Tage entleert werden müßte. Damit könne aber auf einen jahreszeitlich günstigen Zeitpunkt für die Verwertung des Räumgutes keine Rücksicht genommen werden; vielmehr müsse damit gerechnet werden, daß auch zu Zeiten, in denen eine sinnbringende Verwertung der Badewässer, Küchenwässer und Fäkalien nicht möglich sei, das Räumgut auf der Gartenfläche verteilt werde. Eine "landwirtschaftliche" Verwertung der häuslichen Abwässer sei auch wegen des geringen Flächenausmaßes (3198 m2 einschließlich Bauflächen, Hofflächen u. dgl.) nicht möglich. Beim Verteilen der Abwässer auf einem eigenen Grund handle es sich um eine konzentrierte Ablagerung von Grobteilen und eine konzentrierte Versickerung häuslicher Abwässer mit nachteiliger Auswirkung auf die Umwelt in hygienischer Hinsicht, verbunden mit einer Beeinträchtigung des Grundwassers und umliegender Brunnen.

Hiezu äußerte sich die Beschwerdeführerin, daß die Wasserverbrauchschätzung von 600 l pro Tag stark überhöht sei; der nach dem Wasserstandsglas des Windkessels geschätzte Verbrauch liege für WC, Bad und Küche knapp bei 100 1 pro Tag. Der jährliche Wasserverbrauch von etwa 40 m3, verteilt auf 3189 m2, ergebe eine Höhe von 12,5 mm, was gegenüber 1000 mm Regenfall im Jahr unmerkbar sei. Eine Grube von 10.000 l Inhalt würde demnach nicht in 17 Tagen, sondern in etwa 90 Tagen voll werden. Auch die Annahme des Baubezirksamtes, daß auf einen jahreszeitlich günstigen Punkt für die Verwertung des Räumgutes keine Rücksicht genommen werden könne, gehe ins Leere, da aus diesen Gründen eine eigene Grube für Fäkalien und eine für die anderen Wässer vorgesehen sei. Die Fäkalien, die nie mehr als 2000 l pro Jahr betragen hätten, würden als Gülle im richtigen Zeitpunkt auf den Gemüse- und Obstgarten gebracht, welche Flächen die Beschwerdeführerin mit rund 500 m2 schätze, verteilt also etwa 4 mm Höhe auf der Erde. Damit sei die richtige landwirtschaftliche Verwertung sichergestellt. Für Brunnen bestünde keine Gefahr, weil in der Umgebung die früher bestandenen Brunnen außer Betrieb seien. Schließlich verwies die Beschwerdeführerin auf die Fachliteratur, wonach die Filtration durch die Erde die vollkommenste und unübertreffbare Reinigungsart für Abwässer sei.

In der Folge holte die belangte Behörde noch das Gutachten des Landeshygienikers für Steiermark ein, das sich allerdings auf allgemeine Ausführungen beschränkte, ohne auf die von der Beschwerdeführerin dargestellten Verhältnisse einzugehen; es kam zu dem Ergebnis, daß "aus hygienischer ärztlicher Sicht gesehen, der Abwasserbeseitigung der Hausabwässer auf Privatgrund in mehr oder weniger verbautem Gebiet keine Zustimmung erteilt werden" könne, "da sowohl human- und veterinärmedizinische als auch ästhetische Grundsätze, die unbedingt zu erfüllen sind, nicht erreicht werden können".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Nach Wiedergabe der Stellungnahmen des Baubezirksamtes und des Landeshygienikers als ärztlichen Sachverständigen kam die belangte Behörde, ohne selbst irgendwelche Feststellungen zu treffen oder Überlegungen vorzunehmen, zu dem Ergebnis, aus diesen Äußerungen gehe in schlüssiger Weise hervor, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme von der Anschlußpflicht im Sinn des § 5 des Kanalgesetzes nicht vorlägen. Diese Aussagen könnten durch die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht entkräftet werden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluß vom 25. November 1982, GZ. B 476/82-8, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Beim Verwaltungsgerichtshof beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Aus den Ausführungen ergibt sich, daß sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt erachtet, die Abwässer ihres Hauses selbst zu verwerten und daher mit ihrem Grundstück nicht an die Kanalanlage der Gemeinde angeschlossen zu werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 5 des Steiermärkischen Kanalgesetzes 1955, LGBl. Nr. 70 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 165/1968, sind die Liegenschaftseigentümer dort, wo ein öffentliches Kanalnetz besteht, umgebaut oder neugebaut wird, verpflichtet, die Abwässer ihrer bestehenden oder künftig zu errichtenden Bauwerke auf eigene Kosten in das öffentliche Kanalnetz zu leiten, sofern die kürzeste Entfernung eines Bauwerkes von, dem für den Anschluß in Betracht kommenden Kanalstrang nicht mehr als 50 m beträgt und die Höhenlage und Beschaffenheit des Kanalstranges den Anschluß zulassen. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung kann die Baubehörde für Bauten vorübergehenden Bestandes, für untergeordnete Nebengebäude und Bauteile sowie für Bauten mit ausreichender anderweitiger Schmutzwasserbeseitigung Ausnahmen von der Verpflichtung nach Abs. 1 zulassen, weiters nach Abs. 4 bei Schmutzwässern, wenn diese nachweisbar zu Dungzwecken benötigt werden. Nach Abs. 5 dürfen Ausnahmen nach Abs. 3 und 4 nur gewährt werden, wenn hiedurch keine Schädigung öffentlicher Interessen und kein Nachteil für die Nachbarschaft entsteht.

Nach § 1 Abs. 2 des Kanalgesetzes sind Schmutzwässer im Sinne dieses-Gesetzes Fäkal-, Haus-, Stall-, Brauch- und Betriebswässer. Nach der Sachlage ist offensichtlich davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 des Kanalgesetzes über den Anschlußzwang hinsichtlich der Liegenschaft der Beschwerdeführerin zutreffen. Die Gemeindebehörden und damit die Vorstellungsbehörde hatten daher lediglich zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand gegeben ist. Ob und welcher Ausnahmetatbestand in Betracht käme, hat die belangte Behörde - offensichtlich ausgehend von ihrer Rechtsansicht, daß nach § 5 Abs. 5 Ausnahmen ohnehin ausgeschlossen seien - nicht geprüft. Während die Gemeindebehörden die diesbezüglichen Behauptungen der Beschwerdeführerin überhaupt ungeprüft ließen, begnügte sich die belangte Behörde mit einer Stellungnahme des Baubezirksamtes, das ohne Prüfung der konkreten Verhältnisse von allgemeinen Angaben ausging, und mit allgemeinen Darlegungen eines ärztlichen Sachverständigen zu grundsätzlichen Fragen der Verwendung von Schmutzwässern zu eigenen Düngungszwecken; dies, obwohl die Beschwerdeführerin konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit der bloßen Annahme der Abwassermenge (u. dgl.) erhoben hatte.

Die Vorstellungsbehörde ist wohl nicht verpflichtet, den zu ihrer Entscheidung erforderlichen Sachverhalt selbst zu klären; vielmehr kann sie zu diesem Zweck mangelhafte Gemeindebescheide aufheben und die Sache an die Gemeinde zurückverweisen. Entschließt sie sich jedoch, den Sachverhalt selbst zu ermitteln, dann hat sie alle Vorschriften der §§ 37 ff AVG 1950 zur mängelfreien Ermittlung des Sachverhaltes einzuhalten. Ob die Beschwerdeführerin Schmutzwässer zu Düngezwecken benötigt und ob durch diese Verwendung ein Nachteil für Nachbarn oder öffentlichen Interessen besteht, kann nicht auf Grund theoretischer Überlegungen, auch nicht von Ö-Normen, sondern nur auf Grund der konkreten Gegebenheiten geklärt werden. Soll die Häufigkeit der Entleerung der Sammelgrube berechnet werden, dann bedarf es vor allem der Ermittlung ihrer Größe (und nicht bloß theoretischer Annahmen). Es kann auch nicht ohne weiteres von einem theoretischen Wasserverbrauch ausgegangen werden, wenn die Partei konkrete Gründe dagegen geltend macht. Es ist Sache der ermittelnden Behörde und nicht der zu Beweiszwecken herangezogenen Amtssachverständigen, die erforderlichen Feststellungen zu treffen; die Sachverhaltsfeststellungen, die in einem Bescheid zu treffen sind, können sich daher nicht durch die bloße Wiedergabe zweier, noch dazu infolge weitgehenden Fehlens eines Befundes mangelhafter, "Stellungnahmen" ersetzt werden.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 aufzuheben.

Aus verfahrensökonomischen Gründen sei darauf hingewiesen, daß entgegen der offensichtlichen Annahme der Beschwerdeführerin nicht etwa zu prüfen ist, ob die Verwendung von Schmutzwässern zu eigenen Düngezwecken oder die Kanalisierung die Umwelt weniger belastet; der Landesgesetzgeber hat vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung zum Anschluß an einen bestehenden Kanal normiert, die nur unter gewissen, genau begrenzten Voraussetzungen Ausnahmen zuläßt.

Mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides erübrigt es sich, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gesondert abzusprechen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. In dem zugesprochenen Schriftsatzaufwand ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodaß ein gesonderter Zuspruch nicht erfolgen kann.

Wien, am 26. Jänner 1984

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