VfGH B606/11

VfGHB606/111.3.2012

Entzug des gesetzlichen Richters durch Versagung der Parteistellung der Nachbarn hinsichtlich der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für ein Änderungsanzeigeverfahren; verfassungskonforme Interpretation der gewerberechtlichen Bestimmungen im Sinne der Vorjudikatur geboten

Normen

B-VG Art83 Abs2
GewO 1994 §81 Abs2 Z9, Abs3, §345 Abs6
B-VG Art83 Abs2
GewO 1994 §81 Abs2 Z9, Abs3, §345 Abs6

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

II. Der Bescheid wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.980,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 2. Juni 2008 war die Anzeige der Rechtsvorgängerin der beteiligten Partei betreffend die Änderung der Betriebsanlage durch Errichtung und Betrieb neuer Maschinen und Geräte sowie von Containern gemäß §81 Abs2 Z9, Abs3 GewO zur Kenntnis genommen worden. In der Begründung wurde festgestellt, dass die Realisierung der angezeigten Maßnahmen zu keinen Änderungen führte, die das Emissionsverhalten der Betriebsanlage nachteilig beeinflussen könnten, und wurde auf den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark (in der Folge: UVS) vom 3. Juli 2006 verwiesen. Damit hatte dieser in einem Verfahren zur Anordnung von Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen nach §360 GewO festgestellt, dass von einem Erlöschen der Genehmigungen wegen Zeitablaufs gemäß §80 Abs1 GewO nicht auszugehen sei.

2. Der Antrag der Beschwerdeführer vom 7. Oktober 2010 auf Zustellung des im Anzeigeverfahren ergangenen Bescheides wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 15. November 2010 mit der Begründung zurückgewiesen, dass für das Betriebsgrundstück seit 1950 zahlreiche gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigungen bestanden hätten, die angezeigten Änderungen als emissionsneutral zu werten wären und den Nachbarn in einem Anzeigeverfahren nach §81 Abs2 Z9 GewO keine Parteistellung zukomme.

3. Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des UVS vom 22. März 2011 mit der Maßgabe abgewiesen, dass im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides die Bestimmung des §345 Abs8 Z6 GewO durch jene des §345 Abs6 ersetzt wurde und die Bestimmungen des §17 Abs1 AVG und des §73 Abs1 AVG entfielen. Begründend wird im angefochtenen Bescheid Folgendes ausgeführt:

"In einem Folgeverfahren gemäß §356 Abs3 GewO 1994 ist die Parteistellung der Nachbarn abschließend geregelt, eine solche ist [in] einem Änderungsanzeigeverfahren nach §81 Abs3 iVm §345 Abs6 GewO 1994 nicht vorgesehen. In einem solchen Verfahren hat die Behörde vielmehr im Rahmen ihrer gesetzlichen Verantwortung ohne diesbezügliche Parteistellung der Nachbarn die Tatbestandsvoraussetzungen des §81 Abs2 Z9 leg cit zu klären. Es ist den Nachbarn kein Recht eingeräumt, geltend zu machen, die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle wären von der Behörde zu Unrecht als gegeben angenommen worden (vgl. VwGH 22.04.2009, 2009/04/0002 bzw. VwGH 27.06.2007, 2006/04/0091).

[...]

Die belangte Behörde hat sich im nunmehr

angefochtenen Bescheid vom 15.11.2010 zu Recht auf die rechtskräftige Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 03.07.2006 bezogen,

[...].

Es kann auch die Argumentation der BerufungswerberInnen dahingehend, die Frage des aufrechten Bestehens der 'Altgenehmigungen' hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Betriebsanlage wäre vor Erlassung des UVS-Bescheides vom 03.07.2006 keine wesentliche Frage gewesen, nicht gefolgt werden, da ausschließlich diese Frage zur Beurteilung dahingehend, ob der damals angefochtene Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 13.09.2005 (Verfügung gemäß §360 Abs1 GewO 1994) zu Recht ergangen ist oder nicht, wesentlich und zu beurteilen war. Diesbezüglich war auch der Bürgermeister der Stadt Graz als nunmehr wieder belangte Behörde an den Inhalt dieses UVS-Bescheides vom 03.07.2006 gebunden (vgl. VwGH 25.09.1990, 90/08/0049)."

Mit dem Vorbringen, dass Luftaufnahmen beweisen

würden, dass die seinerzeitige Entscheidung des UVS von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen sei, könne eine Abänderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides vom 15. November 2010 nicht bewirkt werden. Diese Argumentation wäre einem Wiederaufnahmeverfahren zuzuordnen; ein darauf gerichteter Antrag sei jedoch nicht mehr zulässig.

4. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG

gestützten Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet.

4.1. Den Beschwerdeführern komme jedenfalls eingeschränkte Parteistellung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für das Anzeigeverfahren zu; andernfalls würden die gewerberechtlichen Nachbarrechte in verfassungswidriger Weise eingeschränkt. Das Anzeigeverfahren gemäß §81 Abs3 GewO hätte nicht zur Anwendung kommen dürfen, da die Voraussetzungen dafür, insbesondere das Vorliegen aufrechter gewerbebehördlicher Genehmigungen, nicht gegeben seien. Eine Entscheidung, mit der die Zustellung eines Bescheides aus dem Grund mangelnder Parteistellung verweigert werde, verletze nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Fall ihrer Rechtswidrigkeit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn sie zur Folge habe, dass der betroffenen Person eine Sachentscheidung in einer sie betreffenden Angelegenheit verweigert werde. Die zentrale Frage sei, ob den Nachbarn in einem Anzeigeverfahren nach §81 Abs3 GewO eine eingeschränkte Parteistellung in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Anwendung des Anzeigeverfahrens eingeräumt werden müsse. Da die Beschwerdeführer durch Staub-, Feinstaub-, Abgas- und Lärmimmissionen der Betriebsanlage sowie die ab- und zufahrenden LKWs belästigt und in ihrer Gesundheit gefährdet seien, hätten sie Parteistellung in Bezug auf diese Betriebsanlage.

4.2. Der Verwaltungsgerichtshof gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Nachbarn in einem Verfahren nach §81 Abs3 GewO keine Parteistellung eingeräumt sei; die Parteistellung in gewerberechtlichen Folgeverfahren sei in §356 Abs3 GewO abschließend geregelt und habe die Behörde daher im Verfahren nach §81 Abs3 GewO die Tatbestandsvoraussetzungen des §81 Abs2 Z9 GewO ohne Parteistellung der Nachbarn zu klären.

Der Beschwerde zufolge führt diese Rechtsauffassung in einem Fall wie dem vorliegenden zu einem verfassungswidrigen Ergebnis:

Es sei zwar im Hinblick auf den Zweck der Verfahrensvereinfachung und -verkürzung gerechtfertigt, Nachbarn in Verfahren über geringfügige Änderungen genehmigter Betriebsanlagen die Parteistellung zu versagen, wenn gesichert sei, dass die Behörde im Rahmen einer Einzelfallprüfung zur Wahrung der Schutzinteressen der Nachbarn verpflichtet sei. Es sei jedoch eine andere Situation, wenn nicht die Frage der Genehmigung einer Änderungsanzeige, sondern jene Frage strittig sei, ob die Durchführung eines Anzeigeverfahrens überhaupt rechtmäßig gewesen sei. Der vorliegenden Konstellation entspreche die der Judikatur zum vereinfachten gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren nach §359b GewO (VfSlg. 16.103/2001, 16.259/2001) zugrunde liegende Konstellation. Die Verfahrenserleichterung dürfe nicht soweit gehen, dass den Nachbarn die nach den Vorschriften der GewO zuerkannte Parteistellung zu Unrecht vollkommen vorenthalten werden könne, ohne dass sich diese wirksam dagegen zur Wehr setzen könnten.

In verfassungskonformer Interpretation sei auch für Änderungsverfahren nach §81 Abs3 GewO davon auszugehen, dass der Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn sich nicht auf die grundlegenden Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anzeigeverfahrens beziehe. Andernfalls hätten die Nachbarn keine Möglichkeit, geltend zu machen, dass die Genehmigung einer Änderung durch bloße Anzeige im konkreten Fall unzulässig sei, etwa weil die Behörde zu Unrecht vom Vorliegen einer aufrechten gewerbebehördlichen Genehmigung ausgehe. Es käme dadurch auch zu einer unsachlichen Ungleichbehandlung von Nachbarn, denen im Rahmen eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens Parteistellung zukomme, und Nachbarn, denen diese Parteistellung nur deshalb aberkannt werde, weil die Behörde zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen nach §81 Abs3 GewO ausgehe. Zudem schließe der Wortlaut der Regelung des §356 Abs3 GewO die Einräumung einer beschränkten Parteistellung im Anzeigeverfahren keineswegs aus. Auch bezwecke die Regelung des §81 Abs3 GewO lediglich Erleichterungen für den Betriebsanlageninhaber, nicht aber eine Verringerung des durch §74 Abs1 GewO gewährleisteten Nachbarschutzes. Den Nachbarn müsse daher auch die Möglichkeit eingeräumt sein, sich gegen eine unzulässige Verringerung ihres Schutzes zu wehren. Die Verpflichtung der Behörde zur Wahrung der Schutzgüter nach §74 Abs2 GewO könne den Ausschluss der Parteistellung nicht rechtfertigen.

Die Beschwerdeführer behaupten im Ergebnis, dass die Zurückweisung des Antrags auf Zustellung des Bescheides auf einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Auslegung der maßgeblichen Regelungen beruhe und eine zu Unrecht erfolgte Verweigerung einer Sachentscheidung darstelle.

4.3. Soweit die belangte Behörde auf Grund des Bescheides des UVS vom 3. Juli 2006 vom Vorliegen aufrechter gewerbebehördlicher Genehmigungen sowie von einer Bindungswirkung dieses Bescheides ausgehe, sei ihr entgegenzuhalten, dass sie zu einer solchen Feststellung nicht zuständig sei. Gegenstand der Entscheidung sei nur die Frage gewesen, ob die Beschwerdeführer als Nachbarn in einem Verfahren nach §81 Abs3 GewO Parteistellung hätten oder nicht. Hingegen sei die Frage der Rechtmäßigkeit des Änderungsanzeigeverfahrens nicht zu beantworten gewesen.

Nach §38 AVG liege nur dann eine bindende

Entscheidung über eine in einem anderen Verfahren zu klärende Vorfrage vor, wenn die geklärte Frage eine Hauptfrage dargestellt habe. Die Frage, ob die gewerberechtlichen "Altgenehmigungen" erloschen seien, stelle in dem Verfahren, welches dem Bescheid vom 3. Juli 2006 zugrunde liege, keine Hauptfrage dar, sondern wurde mit diesem über die Rechtmäßigkeit einstweiliger Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen gegen die damalige Anlagenbetreiberin entschieden. Die Frage, ob die Genehmigungen erloschen waren oder nicht, habe dabei lediglich eine Vorfrage dargestellt. Ebenso sei diese Frage im Verfahren über eine Änderungsanzeige als Vorfrage zu beantworten. Abgesehen davon habe der Bescheid vom 3. Juli 2006 den Beschwerdeführern gegenüber keine Bindungswirkung entfaltet, da diese keine Parteistellung im betreffenden Verfahren gehabt hätten. Ansonsten hätten die Beschwerdeführer Beweise für das Erlöschen der Genehmigungen vorlegen können und hätte der Bescheid vom 3. Juli 2006 einen anderen Inhalt gehabt.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde unter Auferlegung des Kostenersatzes beantragt. Von den Beschwerdeführern und der beteiligten Partei wurden Äußerungen eingebracht.

II.

Die maßgeblichen Bestimmungen der GewO 1994, BGBl. 194/1994 idF BGBl. I 42/2008, lauten:

"§81. (1) Wenn es zur Wahrung der im §74 Abs2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im §74 Abs2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

(2) Eine Genehmigungspflicht nach Abs1 ist jedenfalls in folgenden Fällen nicht gegeben:

1. bescheidmäßig zugelassene Änderungen gemäß §78

Abs2,

2. Änderungen zur Einhaltung von anderen oder zusätzlichen Auflagen gemäß §79 Abs1 oder §79b,

3. Änderungen zur Anpassung an Verordnungen auf Grund des §82 Abs1,

4. Bescheiden gemäß §82 Abs3 oder 4 entsprechende Änderungen,

5. Ersatz von Maschinen, Geräten oder Ausstattungen durch gleichartige Maschinen, Geräte oder Ausstattungen; [...]

6. Änderungen durch den Einsatz von Maschinen,

Geräten oder Ausstattungen, die unter Verordnungen gemäß §76 Abs1 fallen oder in Bescheiden gemäß §76 Abs2 angeführt sind, sofern §76 Abs3 nicht entgegensteht,

7. - 8. [...]

9. Änderungen, die das Emissionsverhalten der Anlage nicht nachteilig beeinflussen,

10. [...]

(3) Der Ersatz solcher gleichartiger Maschinen,

Geräte oder Ausstattungen gemäß Abs2 Z5, wegen deren Verwendung die Anlage einer Genehmigung bedurfte, sowie Änderungen gemäß Abs2 Z9 sind der zur Genehmigung der Anlage zuständigen Behörde vorher anzuzeigen. Das ersetzte Gerät, die ersetzte Maschine, die ersetzte Ausstattung oder die dem Nachweis der Gleichartigkeit dienenden Belege sind bis zur Erlassung des Bescheides gemäß §345 Abs6 aufzubewahren.

(4) [...]

[...]

§345. (1) Die Bestimmungen der Abs2 bis 5 gelten für die nach diesem Bundesgesetz zu erstattenden Anzeigen, die bewirken, dass die Behörde Daten in das Gewerberegister neu einzutragen oder eingetragene Daten zu ändern hat.

(2) - (3) [...]

(4) Wenn die jeweils geforderten Voraussetzungen

gegeben sind und in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, hat die Behörde die sich aus der Anzeige ergebende Eintragung in das Gewerberegister vorzunehmen und den Erstatter der Anzeige von der Eintragung zu verständigen.

(5) Wenn die jeweils geforderten gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, hat die Behörde, bei der die Anzeige erstattet worden ist - unbeschadet eines Verfahrens nach §§366 ff - dies mit Bescheid festzustellen und die Maßnahme oder die Tätigkeit, die Gegenstand der Anzeige ist, zu untersagen.

(6) Die Behörde hat die Anzeigen gemäß §81 Abs3

binnen zwei Monaten nach Erstattung der Anzeige mit Bescheid zur Kenntnis zu nehmen, wenn die geforderten Voraussetzungen gegeben sind. Der Bescheid bildet einen Bestandteil des Genehmigungsbescheides. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, hat die Behörde innerhalb von zwei Monaten nach Erstattung der Anzeige einen Bescheid im Sinne des Abs5 zu erlassen. Für die den Anzeigen gemäß §81 Abs3 anzuschließenden Belege gilt §353.

[...]

§356. (1) Wird eine mündliche Verhandlung anberaumt, so hat die Behörde den Nachbarn Gegenstand, Zeit und Ort der Verhandlung sowie die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Parteistellung (§42 AVG) durch Anschlag in der Gemeinde (§41 AVG) und durch Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern bekannt zu geben. [...]

(2) [...]

(3) Im Verfahren betreffend die Abstandnahme von der Verpflichtung zur Herstellung des dem Genehmigungsbescheid entsprechenden Zustands (§78 Abs2), im Verfahren betreffend die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen (§79 Abs1), im Verfahren betreffend die Genehmigung der Sanierung (§79 Abs3), im Verfahren betreffend die Aufhebung oder Abänderung von Auflagen (§79c), im Verfahren betreffend die Anpassung einer bereits genehmigten Betriebsanlage an eine Verordnung gemäß §82 Abs1 (§82 Abs2), im Verfahren betreffend die Festlegung der von den Bestimmungen einer Verordnung gemäß §82 Abs1 abweichenden Maßnahmen (§82 Abs3) und im Verfahren betreffend die Vorschreibung der über die Bestimmungen einer Verordnung gemäß §82 Abs1 hinausgehenden Auflagen (§82 Abs4) haben jene Nachbarn Parteistellung, deren Parteistellung im Verfahren gemäß Abs1 aufrecht geblieben ist.

(4) [...]"

III.

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerdeführer behaupten die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen

Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB

VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2. Die belangte Behörde stützt sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Nach dieser kommt Nachbarn in Anzeigeverfahren nach §81 Abs3 GewO keine Parteistellung zu; dies schon deshalb, weil dem Verwaltungsgerichtshof zufolge §356 Abs3 GewO die Parteistellung der Nachbarn in (Folge‑)Verfahren betreffend Betriebsanlagen abschließend regelt und deren Parteistellung in Änderungsanzeigeverfahren nach §81 Abs3 GewO nicht vorsieht (VwGH 3.9.1996, 96/04/0042; 22.3.2000, 2000/04/0062; 27.6.2007, 2006/04/0091; 29.10.2008, 2008/04/0164). In diesen Verfahren habe die Behörde die Tatbestandsvoraussetzungen etwa des §81 Abs2 Z9 GewO vielmehr im Rahmen ihrer gesetzlichen Verantwortung ohne diesbezügliche Parteistellung der Nachbarn zu klären. Den Nachbarn sei kein Recht eingeräumt, geltend zu machen, die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle seien von der Behörde zu Unrecht als gegeben angenommen worden (VwGH 22.3.2000, 2000/04/0062; 27.6.2007, 2006/04/0091). In seinem Erkenntnis vom 29. Oktober 2008, 2008/04/0164, hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, dass er die Ansicht, "eine verfassungskonforme Interpretation verlange in einem Fall wie dem vorliegenden ein Abgehen von dieser Rechtsprechung und ähnlich wie bei §359b GewO 1994 das Bejahen der (beschränkten) Parteistellung der Nachbarn", nicht zu teilen vermag, und dazu Folgendes ausgeführt:

"Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich im Erkenntnis vom 11. März 2004, G124/03 u.a. (VfSlg. 17.165), unter Bezugnahme auf sein Erkenntnis VfSlg. 14.512/1996 zum vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß §359b GewO 1994 klargestellt, dass die dort genannten Bedenken nicht bestünden, wenn gewährleistet sei, dass zusätzlich zum Vorliegen der sonstigen (abstrakten) Voraussetzungen (Nichtüberschreiten der Messgrößen, Aufzählung in einer Verordnung) für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens 'im Einzelfall auf Grund der Ergebnisse des Verfahrens zu erwarten ist', dass Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen iSd §74 Abs2 GewO 1994 oder Belastungen der Umwelt (§69a leg. cit.) vermieden werden, sohin 'der Behörde eine Einzelfallprüfung (wenngleich ohne diesbezügliche Mitwirkung der Nachbarn als Parteien) zur Pflicht gemacht wird' (vgl. Punkt 3.1. des Erkenntnisses).

Ein derartiger Fall der Einzelprüfung ohne diesbezügliche Mitwirkung der Nachbarn liegt auch hier vor. Eine Einzelfallprüfung im genannten Sinn ist nämlich bereits Tatbestandsvoraussetzung des §81 Abs2 Z9 GewO 1994 - die Behörde darf von der Erfüllung des Tatbestandes nur dann ausgehen, wenn im konkreten Fall feststeht, dass sich das Emissionsverhalten durch die Änderung der Anlage gegenüber dem bestehenden Konsens nicht nachteilig ändert, wodurch von vornherein sichergestellt ist, dass die Schutzgüter des §74 Abs2 GewO 1994 nicht schlechter gestellt werden; [...] -, sodass eine verfassungskonforme Interpretation des §356 Abs3 GewO 1994 im Fall des §81 Abs2 Z9 GewO 1994 nicht angezeigt ist."

3. Die belangte Behörde nimmt - der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend - an, dass den Nachbarn in einem Verfahren nach §81 Abs3, §81 Abs2 Z9 iVm §345 Abs6 GewO keine Parteistellung hinsichtlich der Frage, ob ein solches Anzeigeverfahren zu Recht Anwendung findet, zukommt. Mit dieser Annahme ist sie jedoch nicht im Recht.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Bestimmung Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert (zB VfSlg. 15.274/1998, 15.581/1999, 16.103/2001). Es ist der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers überlassen, ob und inwieweit dieser Personen rechtlichen Schutz gewährt, die durch den einer anderen Person gegenüber ergangenen verwaltungsbehördlichen Bescheid in ihren Interessen betroffen sind. Jene ist verfassungsrechtlich lediglich dadurch begrenzt, dass das die Parteirechte bestimmende Gesetz dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot unterliegt (VfSlg. 14.512/1996 mwN).

3.2. Im Zusammenhang mit dem vereinfachten Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nach §359b GewO hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Ausschluss der Parteistellung in diesen Verfahren mit Rücksicht auf das Ziel der Verwaltungsvereinfachung in "Bagatellfällen" und im Hinblick auf die der Behörde auch in diesen Verfahren obliegende Prüfung der Genehmigungsfähigkeit der Betriebsanlage im Einzelfall sachlich gerechtfertigt ist (VfSlg. 14.512/1996). Es sei jedoch verfassungsrechtlich bedenklich und laufe auf eine unsachliche Ungleichbehandlung gleicher Fälle hinaus, den Nachbarn Parteirechte auch in solchen Fällen vorzuenthalten, in denen die Voraussetzungen für die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens nicht gegeben seien. Den Nachbarn komme daher ein rechtliches Interesse an einer Überprüfung der Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens und damit in verfassungskonformer Interpretation des §359b GewO eine auf diese Frage beschränkte Parteistellung zu (VfSlg. 16.103/2001).

3.3. Im Beschwerdesachverhalt ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um ein vereinfachtes Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nach §359b GewO handelt, sondern um ein Änderungsanzeigeverfahren nach §81 Abs3 GewO; dieses ist der Sache nach die vereinfachte Variante eines Betriebsanlagenänderungsverfahrens. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Verfahren nach §359b GewO auf Verfahren nach §81 Abs3 GewO übertragen. Legt man die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Verfahren nach §359b GewO zugrunde, wonach den Nachbarn in verfassungskonformer Auslegung des §359b Abs1 GewO Parteistellung hinsichtlich der Frage der Überprüfung der Voraussetzungen dieses Verfahrens zukommt (VfSlg. 16.103/2001, 16.259/2001), so wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, den Nachbarn die Parteistellung in Anzeigeverfahren nach §81 Abs3 iVm §345 Abs6 GewO schlechthin, also auch bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des Anzeigeverfahrens überhaupt vorliegen, zu versagen und diese Beurteilung allein der Behörde zu überlassen. Ein derartiger Ausschluss der Parteistellung liefe letztlich auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Nachbarn, denen im Rahmen eines Änderungsgenehmigungsverfahrens nach §81 Abs1 GewO Parteistellung zukommt, einerseits, und jener Nachbarn, die deshalb keine solche Parteistellung haben, weil die Behörde zu Unrecht die Voraussetzungen des Änderungsanzeigeverfahrens angenommen hat, andererseits hinaus.

In verfassungskonformer Interpretation sind die Bestimmungen des §81 Abs3 iVm §345 Abs6 GewO daher dahingehend auszulegen, dass den Beschwerdeführern ein rechtliches Interesse an der Überprüfung der Voraussetzungen des §81 Abs3 iVm §81 Abs2 Z9 GewO und daher eine auf die Beurteilung dieser Frage beschränkte Parteistellung zukommt. Dass §81 Abs3 GewO den Nachbarn nicht wie §359b Abs1 GewO Anhörungsrechte einräumt, hindert die Annahme einer beschränkten Parteistellung nicht (vgl. die dem Erkenntnis

VfSlg. 16.259/2001 zugrunde liegende Wertung, dass einer solchen Annahme nicht einmal der ausdrückliche Ausschluss der Parteistellung der Nachbarn entgegensteht).

4. Soweit in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Erkenntnis VfSlg. 17.165/2004 der Schluss gezogen wird, dass eine verfassungskonforme Interpretation des §356 Abs3 GewO im Fall des §81 Abs2 Z9 GewO nicht geboten ist, da von vornherein sichergestellt sei, dass die Wahrung der Schutzgüter des §74 Abs2 GewO mit Blick auf die erforderliche Einzelfallprüfung nicht vermindert werde, ist dem entgegenzuhalten, dass das Erfordernis der Einzelfallprüfung zwar den Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn im vereinfachten Genehmigungsverfahren selbst rechtfertigt, unabhängig davon aber hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bestimmungen über das vereinfachte Verfahren das Bestehen der Parteistellung der Nachbarn verfassungsrechtlich geboten ist (s. VfSlg. 16.103/2001). Gegenteiliges lässt sich aus dem Erkenntnis VfSlg. 17.165/2004 nicht ableiten.

5. Angesichts dessen hätte die belangte Behörde im Berufungsverfahren, soweit mit der Berufung das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des Anzeigeverfahrens nach §81 Abs3 GewO geltend gemacht wurde, den zurückweisenden Bescheid der Behörde erster Instanz aufheben müssen. Im Gefolge dessen wäre der Bescheid gemäß §345 Abs6 GewO vom 2. Juni 2008 zuzustellen. Durch die Abweisung der Berufung gegen den zurückweisenden erstinstanzlichen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführern zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert.

IV.

1. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 300,- sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 460,-

und eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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