VfGH G290/09 ua

VfGHG290/09 ua15.12.2011

Abweisung von Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung landesgesetzlicher Ausführungsbestimmungen über die Bedarfsprüfung für selbständige Ambulatorien im Hinblick auf die mit Erkenntnis festgestellte Verfassungsmäßigkeit der grundsatzgesetzlichen Bestimmung des KAKuG

Normen

KAKuG §3 Abs2 lita
Nö KAG 1974 §5 Abs1, Abs2, Abs3, Abs7, §6 Abs1, §8 Abs1, Abs5, §11 Abs1
KAKuG §3 Abs2 lita
Nö KAG 1974 §5 Abs1, Abs2, Abs3, Abs7, §6 Abs1, §8 Abs1, Abs5, §11 Abs1

 

Spruch:

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren, Antragsvorbringen

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu G290/09,

G116/10, G117/10, G118/10 und G119/10 Anträge des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art140 Abs1 B-VG auf Aufhebung von die Bedarfsprüfung hinsichtlich selbständiger Ambulatorien betreffenden Bestimmungen des Niederösterreichischen Krankenanstaltengesetzes (NÖ KAG), anhängig.

2.

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof begehrt in dem zu G290/09 protokollierten Antrag,

"1) im NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. 9440,

die Wortfolge 'dass ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder' in §5 Abs2 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0), §5 Abs3 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0) und

die Wortfolge 'Kann ein Bedarf nicht ausgeschlossen werden und' in §6 Abs1 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0) sowie

§8 Abs1 lita (idF. zuletzt der 24. Novelle LGBl. 9440-26)

als verfassungswidrig aufzuheben sowie

2) festzustellen, dass im NÖ KAG, LGBl. 9440,

die Wortfolge 'ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§21a) gegeben ist und' in §5 in Abs1 (idF. zuletzt der 7. Novelle LGBl. 9440-8)"

verfassungswidrig war.

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof trug gegen die angefochtenen Bestimmungen im Wesentlichen dieselben Bedenken vor, die er in seinen Anträgen zu G182/09 und zu G279/09, gegen die entsprechenden Bestimmungen des Steiermärkischen Krankenanstaltengesetzes und des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes vorgebracht hatte, nämlich dass sie seit dem Urteil des EuGH 10.3.2009, Rs. C-169/07 , "Hartlauer Handelsgesellschaft mbH", Slg. 2009, I-1721, nur mehr auf Sachverhalte ohne Unionsrechtsbezug anwendbar seien und daher insoweit dem Gleichheitssatz widersprechen würden.

3. Der Verfassungsgerichtshof nahm u.a. die zu

G290/09 protokollierten Anträge des Verwaltungsgerichtshofes zum Anlass, mit Beschluss vom 8. Juni 2010, G289/09, G290/09, aus eben denselben Bedenken und im Hinblick auf die Bindungswirkung des Grundsatzgesetzes für den Ausführungsgesetzgeber ein Gesetzesprüfungsverfahren ob der Verfassungsmäßigkeit des §3 Abs2 lita des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG), BGBl. 1/1957 idF BGBl. I 155/2005, einzuleiten.

Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluss (vorläufig) davon ausgegangen, dass er die Bestimmung des §3 Abs2 lita KAKuG bei Beurteilung der Verfassungskonformität der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmungen des KALG und des OÖ KAG 1997 anzuwenden hätte, obgleich sie sowohl von den Behörden in den den verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren als auch vom Verwaltungsgerichtshof selbst weder angewendet wurden noch anzuwenden waren (s. dazu VfSlg. 15.576/1999). Die Präjudizialität dieser Bestimmung ist nämlich - so die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes - auch dann gegeben, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Verfassungsmäßigkeit des nicht unmittelbar anzuwendenden Bundesgesetzes eine Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der unmittelbar anzuwendenden Landesgesetze bildet (vgl. dazu VfSlg. 3024/1956).

4. Die Niederösterreichische Landesregierung

erstattete eine Äußerung, in der sie Folgendes ausführt:

"I. Der Europäische Gerichtshof ist in seinem Urteil vom 10. März 2009, Rs. C-169/07 , betreffend ein Zahnambulatorium davon ausgegangen, dass selbständige Ambulatorien und Gruppenpraxen im Allgemeinen die gleichen medizinischen Leistungen anbieten und denselben Marktbedingungen unterliegen (vgl. Rn 58). Selbständige Ambulatorien und Gruppenpraxen können auf dem betreffenden Markt für medizinische Leistungen eine ähnliche Bedeutung haben und daher die wirtschaftliche Situation der Vertragsärzte in gleicher Weise berühren (vgl. Rn 60). Im Ergebnis hat daher der Europäische Gerichtshof die nur für selbständige Ambulatorien vorgesehene Bedarfsprüfung - in ihrer konkreten Ausgestaltung - als Verstoß gegen Art43 EG in Verbindung mit Art48 EG (nun Art49 AEUV in Verbindung mit Art54 AEUV) erachtet. Dieses Urteil ist bereits ausführlich besprochen worden [...].

Zu diesem Urteil ist zu bemerken, dass der Europäische Gerichtshof nicht ausreichend darauf eingegangen ist, dass die Voraussetzungen der Leistungserbringung unterschiedlich sind [...]. Gerade die unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen wirken sich auf die Marktverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit aus [...]. Es wäre daher sehr wohl eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von selbständigen Ambulatorien und Gruppenpraxen möglich gewesen. Es hatte daher Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 9. September 2008 auch noch vorgeschlagen, dass der Verwaltungsgerichtshof selbst näher zu prüfen hätte, ob die beiden Einrichtungen ihre Tätigkeiten tatsächlich auf demselben Markt ausüben (Rn 123).

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil allerdings eine andere Meinung vertreten.

II. Im Hinblick auf die grundsatzgesetzliche Verpflichtung des §3 Abs2 lita KAKuG, in der Ausführungsgesetzgebung eine Bedarfsprüfung vorzusehen, ist es dem Landesgesetzgeber wohl verwehrt, allenfalls zur Herstellung eines Art7 B-VG entsprechenden Zustandes die Bedarfsprüfung aufzuheben."

Der Beschwerdeführer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erstattete keine Äußerung.

5. Mit Beschluss vom 21. Februar 2011 wurde das Verfahren zu G289/09 nach Zurückziehung des Antrages durch den Verwaltungsgerichtshof eingestellt.

6.

6.1. In seinen zu G116/10 und G117/10 protokollierten Anträgen begehrt der Verwaltungsgerichtshof,

"1) im NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. 9440,

die Wortfolge 'dass ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder' in §5 Abs2 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0), §5 Abs3 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0), §5 Abs7 (idF. der 10. Novelle LGBl. 9440-11) und

den zweiten Satz des §8 Abs5 (idF. der 3. Novelle LGBl. 9440-3),

in eventu

den vorletzten Satz des §11 Abs1 (idF. der 3. Novelle LGBl. 9440-3)

als verfassungswidrig aufzuheben sowie

2) festzustellen, dass im NÖ KAG, LGBl. 9440,

die Wortfolge 'ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§21a) gegeben ist und' in §5 Abs1 (idF. zuletzt der 7. Novelle LGBl. 9440-8) und

§8 Abs1 lita (idF zuletzt der 23. Novelle LGBl. 9440-25)

verfassungswidrig waren."

6.2. In seinem zu G118/10 protokollierten Antrag

begehrt der Verwaltungsgerichtshof,

"im NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. 9440,

die Wortfolge 'ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landeskrankenanstaltenplan gegeben ist und' in §5 Abs1 (idF. der 26. Novelle LGBl. 9440-28),

die Wortfolge 'dass ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder' in §5 Abs2 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0),

§5 Abs3 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0),

§5 Abs7 (idF. der 10. Novelle LGBl. 9440-11),

§8 Abs1 lita (idF der 26. Novelle LGBl. 9440-28) und

den zweiten Satz des §8 Abs5 (idF. zuletzt der 3. Novelle LGBl. 9440-3)

als verfassungswidrig aufzuheben."

6.3. In seinem zu G119/10 protokollierten Antrag

begehrt der Verwaltungsgerichtshof,

"1) im NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. 9440,

die Wortfolge 'dass ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder' in §5 Abs2 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0), §5 Abs3 (in der Stammfassung LGBl. 9440-0), §5 Abs7 (idF. der 10. Novelle LGBl. 9440-11) und

den zweiten Satz des §8 Abs5 (idF. der 3. Novelle LGBl. 9440-3),

in eventu

den vorletzten Satz des §11 Abs1 (idF. der 3. Novelle LGBl. 9440-3)

als verfassungswidrig aufzuheben sowie

2) festzustellen, dass im NÖ KAG, LGBl. 9440,

die Wortfolge 'ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§21a) gegeben ist und' in §5 Abs1 (idF. zuletzt der 7. Novelle LGBl. 9440-8)

verfassungswidrig war."

7. Der Verwaltungsgerichtshof trug gegen die angefochtenen Bestimmungen im Wesentlichen dieselben Bedenken vor, die er in seinen Anträgen zu G290/09 hinsichtlich des NÖ KAG vorgebracht hatte, nämlich dass sie seit dem Urteil des EuGH 10.3.2009, Rs. C-169/07 , "Hartlauer Handelsgesellschaft mbH", Slg. 2009, I-1721, nur mehr auf Sachverhalte ohne Unionsrechtsbezug anwendbar seien und daher insoweit dem Gleichheitssatz widersprechen würden.

8.

8.1. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete in den zu G116/10, G117/10, G118/10 und G119/10 protokollierten Verfahren eine Äußerung, in der sie Folgendes ausführt:

"1. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung, BGBl. I Nr. 61/2010, auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10. März 2009, Rs. C-169/07 , reagiert.

Das Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung hat mit Art3 Z. 7 den §3 Abs2 lita KAKuG, der die Ausführungsgesetzgebung zur Normierung einer Bedarfsprüfung verpflichtet hat, geändert. Gemäß Art3 Z. 28 des Bundesgesetzes zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung (§65a Abs1 KAKuG) hat die Landesgesetzgebung die Ausführungsbestimmungen zum geänderten §3 Abs2 lita KAKuG zu erlassen.

Ein Entwurf zur Anpassung des NÖ KAG an die neuen grundsatzgesetzlichen Vorgaben befindet sich zurzeit in Begutachtung. Die Begutachtungsfrist endet am 10. Jänner 2011.

2. Für den Fall der Aufhebung wird beantragt, für das Außerkrafttreten nach Art140 Abs5 B-VG eine Frist von achtzehn Monaten zu bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen. [...]"

8.2. Darüber hinaus erstatteten die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse sowie die Österreichische Zahnärztekammer als mitbeteiligte Parteien eine Äußerung.

9. Mit Erkenntnis vom 6.10.2011, G41,42/10 ua.,

sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die genannte Bestimmung des KAKuG nicht verfassungswidrig war. Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

"Die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass hinsichtlich der Bedarfsprüfung für Ambulatorien aufgrund der in Prüfung gezogenen Bestimmung des KAKuG bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung am 19. August 2010 eine Rechtslage vorlag, die dazu führte, dass inländische Bewilligungssachverhalte in unsachlicher Weise schlechter behandelt werden als in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende Sachverhalte, erweist sich angesichts der begrenzten zeitlichen Geltungsdauer dieser Rechtslage im Ergebnis als nicht zutreffend.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

2.1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber Ausländern am Gleichheitssatz zu messen und bedarf daher einer besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl. VfSlg. 13.084/1992, 14.863/1997, 14.963/1997). In seinem Erkenntnis

VfSlg. 14.963/1997 hat der Verfassungsgerichtshof - in Wiederholung der Bedenken des Prüfungsbeschlusses - dazu ausgeführt,

'[...] daß der Gesetzgeber auch bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts jedenfalls insofern an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung durch diese nicht inhibiert wird, was in der Lehre als 'doppelte Bindung' des Gesetzgebers bei Umsetzung von Gemeinschaftsrecht bezeichnet wird (vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht2, 1995, 86).'

Das Prinzip der doppelten Bindung des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht lässt es daher im Allgemeinen nicht zu, den Umstand, dass eine bestimmte Regelung gemeinschaftsrechtlich geboten ist, zugleich als alleinige sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von Inländern und Unionsbürgern bei Anwendung einer Norm heranzuziehen. Dies gilt entsprechend für die Differenzierung zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und - jeweils bezogen auf Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR - grenzüberschreitenden Sachverhalten bzw. Sachverhalten mit Bezügen zum Unionsrecht.

2.2. Urteile des EuGH, die aussprechen, dass

unmittelbar anwendbares Unionsrecht einer innerstaatlichen Norm entgegensteht, haben die Wirkung, dass die betreffenden Teile der nationalen Rechtsordnung wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Bestimmungen künftig unangewendet zu bleiben haben, sodass eine nach innerstaatlichen Maßstäben an sich verfassungskonforme Rechtslage im Gefolge des Urteils des EuGH nur mehr auf Sachverhalte, die nicht vom Vorrang des Unionsrechtes betroffen sind, weiterhin anzuwenden ist. Ein solches Urteil des EuGH kann daher mit seiner Erlassung in diesem Restanwendungsbereich im Ergebnis eine sogenannte 'Inländerdiskriminierung' bewirken.

2.3. In einem solchen Fall ergibt sich die Ungleichbehandlung rein innerstaatlicher Sachverhalte aus dem Nebeneinander von innerstaatlichem Recht und Unionsrecht, vornehmlich von Regelungen über die Grundfreiheiten (wie zB der Kapitalverkehrsfreiheit, vgl. zB EuGH vom 15.5.2003, Rs. C-300/01 , Salzmann II, Slg. 2003, I-4899, und VfSlg. 17.150/2004 zum grundverkehrsbehördlichen Genehmigungsvorbehalt des §8 Abs3 Vbg. GVG 2000). Diese Rechtsfolge kann nicht nur auf Rechtsgebieten eintreten, auf denen den Organen der Europäischen Union nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eine Regelungskompetenz zukommt, sondern - unabhängig von den Zuständigkeiten der Unionsorgane - auch auf jeglichem anderen Rechtsgebiet, sofern dessen Regelungen insbesondere eine der Grundfreiheiten des Unionsrechtes in unionsrechtswidriger Weise beschränken.

2.4. Ein Urteil des EuGH kann also auf jedwedem Rechtsgebiet eine - wie auch die beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Gesetzesprüfungsanträge des Verwaltungsgerichtshofes zur Bedarfsprüfung im Krankenanstaltenrecht zeigen - beachtliche Anzahl von rein inlandsbezogenen Folgefällen provozieren, die im Falle der erfolgreichen Geltendmachung einer nunmehr eingetretenen Verfassungswidrigkeit der Norm dazu führen können, dass aufgrund der Anlassfallwirkung eines das Gesetz aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG Bewilligungen ohne die Berücksichtigung von im öffentlichen Interesse bestehenden Schranken des Gesetzes erlangt werden können, die bei Fortbestehen der früheren Rechtslage nicht hätten erteilt werden dürfen.

2.5. Dieser Effekt kann den öffentlichen Interessen zuwiderlaufen, wenn - wie hier - der in der Norm vorgesehene Erlaubnisvorbehalt zur Errichtung von Krankenanstalten an sich unionsrechtlich zulässig ist, aber nur in seiner konkreten Ausgestaltung als unionsrechtswidrig festgestellt wurde. In einem solchen Fall stehen dem Gesetzgeber nämlich im Allgemeinen mehrere Reaktionsmöglichkeiten unionsrechtskonformer Neuregelungen offen, einschließlich der Möglichkeit, den strittigen Erlaubnisvorbehalt - vorbehaltlich der unionsrechtlich erforderlichen Begleitmaßnahmen - beizubehalten.

2.6. Eine geordnete Krankenanstaltenplanung dient der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung und der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, wie der EuGH in der Entscheidung 'Hartlauer Handelsgesellschaft mbH' (10.3.2009, Rs. C-169/07 , Slg. 2009, I-1721) erneut ausdrücklich anerkannt hat (Rz 47 unter Hinweis auf das frühere Urteil vom 16.5.2006, Rs. C-372/04 , Watts, Slg. 2006, I-4325; vgl. auch 28.4.1998, Rs. C-158/96 , Kohll, Slg. 1998, I-1931, Rz 41; in diesem Sinne auch schon VfSlg. 15.456/1999 - Bedarfsprüfung OÖ KAG), und damit dem wichtigen öffentlichen Interesse an einem funktionierenden Gesundheitswesen.

2.7. In dieser Konstellation widerspricht ein

zwischen der Verkündung des Urteils des EuGH und dem Zeitpunkt der Neuregelung durch den Gesetzgeber als Folge der Anlassfallwirkung einer Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof entstehendes gesetzliches Vakuum dem jeweils der Norm zugrundeliegenden öffentlichen Interesse an einer geordneten Krankenanstaltenplanung, weil dadurch der Zugang zu Bewilligungen eröffnet werden kann, die weder nach alter Rechtslage noch nach einer (möglichen) unionsrechtskonformen neuen Rechtslage erteilt werden dürfen.

2.7.1. Es besteht in einer Konstellation wie der hier vorliegenden daher ein erhebliches öffentliches Interesse an der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des nationalen Regelungsregimes zumindest im überwiegend innerstaatlichen Restanwendungsbereich für jenen Zeitraum, der vom Gesetzgeber für eine (unionsrechtlich zulässige) Neuregelung benötigt wird.

2.7.2. Dieses öffentliche Interesse vermag daher die aus (allein) unionsrechtlicher Ursache entstandene 'inländerdiskriminierende' Wirkung einer Norm vorübergehend, nämlich für die Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit, sachlich zu rechtfertigen.

2.7.3. Was die Dauer eines solchen Zeitraums

betrifft, so ist der in Art140 Abs5 B-VG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch hier sinngemäß zu berücksichtigen. Im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses ist daher - in einem Fall wie dem vorliegenden - die diskriminierende Wirkung einer Norm aus den genannten Gründen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorübergehend für einen angemessenen Zeitraum hinzunehmen.

2.8. Diesen Zeitraum hat der Gesetzgeber hier nicht überschritten:

2.8.1. Unter Berücksichtigung der sich aus dem Urteil des EuGH im Fall 'Hartlauer Handelsgesellschaft mbH' (10.3.2009, Rs. C-169/07 , Slg. 2009, I-1721) ergebenden Schlussfolgerungen wurden mit dem am 18. August 2010 ausgegebenen Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung, BGBl. I 61/2010, neben einer Neuregelung der Bedarfsprüfung für selbständige Ambulatorien im KAKuG spezielle Regelungen für das Zulassungsverfahren von Gruppenpraxen nach dem ÄrzteG 1998 und dem ZÄG getroffen (vgl. dazu im Einzelnen §52c ÄrzteG 1998 und §26b ZÄG idF BGBl. I 61/2010; zur Abgrenzung zwischen Gruppenpraxis und selbständigen Ambulatorien nach der neuen Rechtslage s. Stärker, ecolex 2010, 1123 ff.). Mit dieser gesetzgeberischen Maßnahme ist der im 'Hartlauer'-Urteil des EuGH genannte Grund für die Unanwendbarkeit der Bestimmungen über die Bedarfsprüfung von Ambulatorien bei Sachverhalten mit Unionsrechtsbezug, damit aber auch die insoweit eingetretene Ungleichbehandlung von Sachverhalten, die nicht vom Vorrang des Unionsrechts betroffen sind, weggefallen. Der sich daraus ergebende Zeitraum von rund 16 Monaten, während dessen das Gesetz eine diskriminierende Wirkung gegenüber Sachverhalten ohne Gemeinschaftsrechtsbezug entfalten konnte, kann nach diesem Maßstab als angemessen erachtet werden.

2.8.2. Dem Verfassungsgerichtshof war es daher im Lichte des vorstehend Gesagten verwehrt, für den Zeitraum ab der Erlassung des Urteils des EuGH in der Rechtssache 'Hartlauer Handelsgesellschaft mbH' am 10. März 2009 bis zum In-Kraft-Treten der gesetzlichen Neuregelung der Bedarfsprüfung für Ambulatorien und Gruppenpraxen am 19. August 2010 eine Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen und durch die dargelegte Neuregelung des KAKuG außer Kraft getretenen Bestimmung zu erkennen.

2.9. Die in den Prüfungsbeschlüssen formulierten Bedenken haben sich daher im Ergebnis als unbegründet erwiesen."

II. Rechtslage

1.1. §5 Abs2 und 3 und §6 Abs1 des Niederösterreichischen Krankenanstaltengesetzes (NÖ KAG), idF LGBl. 9440-0, §5 Abs1 NÖ KAG idF LGBl. 9440-8 und §5 Abs7 idF LGBl. 9440-11, lauten auszugsweise wie folgt (die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"§5

(1) Liegt ein ordnungsgemäßer Antrag im Sinne des §4 vor, ist zu erheben, ob ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§21a) gegeben ist und gegen den Bewerber keine Bedenken bestehen."

"(2) Ergeben die Erhebungen, daß ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder daß gegen den Bewerber Bedenken bestehen, ist der Antrag abzuweisen.

(3) Der Bedarf ist nach den im Einzugsgebiet (§4 Abs1 lita) und in dessen Umgebung vorhandenen Krankenanstalten, deren Belagsmöglichkeit und Entfernung zu der zu errichtenden Anstalt sowie nach den allenfalls vorhandenen Aufzeichnungen über die Häufigkeit der in Frage kommenden Krankheitsfälle, bei Ambulatorien auch nach den in der Umgebung des Standortes des zu errichtenden Ambulatoriums niedergelassenen Ärzten, zu beurteilen."

"(7) Ist der Bewerber um Bewilligung zur Errichtung eines Ambulatoriums ein Krankenversicherungsträger, sind die vorstehenden Absätze mit der Maßgabe anzuwenden, daß nur der Bedarf zu erheben ist. Dies gilt nicht, wenn die Voraussetzungen nach §8 Abs5 erster Satz zutreffen."

"§6

(1) Kann ein Bedarf nicht ausgeschlossen werden und liegen gegen den Bewerber keine Bedenken vor, ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

(2) - (4) [...]"

1.2. §5 Abs1 NÖ KAG idF LGBl. 9440-28 lautet wie

folgt (die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§5

(1) Liegt ein ordnungsgemäßer Antrag im Sinne des §4 vor, ist zu erheben, ob ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systematisierten Betten nach dem Landeskrankenanstaltenplan gegeben ist und gegen den Bewerber keine Bedenken bestehen.

1.3. §8 Abs1 lita NÖ KAG idF LGBl. 9440-25 lautet auszugsweise wie folgt (die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§8

(1) Die Bewilligung zur Errichtung ist zu erteilen, wenn

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist;

[...]"

1.4. §8 Abs1 lita NÖ KAG idF LGBl. 9440-26, der durch die Novelle LGBl. 9440-28 unverändert geblieben ist, lautet auszugsweise wie folgt (die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§8

(1) Die Bewilligung zur Errichtung ist zu erteilen, wenn

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Kassenvertragszahnärzte und Kassenvertragsdentisten, ein Bedarf gegeben ist;

b) - e) [...]"

1.5. §8 Abs5 NÖ KAG idF LGBl. 9440-3 lautet wie folgt (der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Satz ist hervorgehoben):

"(5) Beantragt ein Krankenversicherungsträger die Bewilligung zur Errichtung eines Ambulatoriums, so ist die Bewilligung zu erteilen, wenn ein Einvernehmen zwischen dem Krankenversicherungsträger und der zuständigen öffentlich-rechtlichen Interessenvertretung der Ärzte bzw. Dentisten oder zwischen dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer bzw. der Österreichischen Dentistenkammer vorliegt (§339 ASVG). Liegt kein Einvernehmen vor, ist die Bewilligung zur Errichtung zu erteilen, wenn der Bedarf im Sinne des §5 Abs6 festgestellt ist. Die Absätze 1 und 2 sind in einem solchen Fall nicht anzuwenden.

[...]"

1.6. §11 Abs1 NÖ KAG idF LGBl. 9440-3 lautet wie

folgt (der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Satz ist hervorgehoben):

"§11

(1) Einer Bewilligung der Landesregierung bedürfen

a) eine Verlegung der Betriebsstätte der Krankenanstalt,

b) eine Veränderung der Art der Krankenanstalt (§2 Abs1 Z. 1 bis 7),

c) eine Veränderung der Bestimmung einer Sonderkrankenanstalt (§2 Abs1 Z. 2) hinsichtlich Krankheit, Altersstufe oder Zweck,

d) eine Veränderung des Aufgabenbereiches bzw. Zweckes eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z. 7),

e) eine Erweiterung der Krankenanstalt durch Zu- und Umbauten, die den räumlichen Umfang der Krankenanstalt erheblich verändern,

f) die Schaffung neuer Abteilungen und Institute bzw. den Anstaltszweck erheblich beeinflussender Einrichtungen, auch wenn damit keine räumliche Erweiterung der Krankenanstalt verbunden ist.

Im Verfahren über die Bewilligung sind die Vorschriften der §§4 bis 10 sinngemäß anzuwenden.

[...]"

III. Erwägungen

1. Prozessvoraussetzungen

Das Verfahren zu G290/09 ist zulässig (VfGH 6.10.2011, G41,42/10 ua.). Im Hinblick auf die zu G116/10, G117/10, G118/10 und G119/10 protokollierten Anträge wurden weder Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen vorgebracht noch sind solche beim Gerichtshof entstanden. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind somit auch insoweit zulässig.

2. In der Sache

2.1. Die Bedenken erweisen sich jedoch aufgrund des im Prüfungsverfahren betreffend das Grundsatzgesetz ergangenen Erkenntnisses vom 6.10.2011, G41,42/10 ua., als unbegründet.

2.2. Die im zu G290/09 protokollierten Verfahren angefochtenen Bestimmungen des NÖ KAG entsprechen den grundsatzgesetzlichen Vorgaben des §3 Abs2 lita KAKuG idF BGBl. I 155/2005, von denen der Verfassungsgerichtshof im oben genannten Erkenntnis ausgesprochen hat, dass sie nicht verfassungswidrig sind, weil die durch das Urteil des EuGH 10.3.2009, Rs. C-169/07 , "Hartlauer Handelsgesellschaft mbH", Slg. 2009, I-1721, verursachte Diskriminierung von Sachverhalten ohne grenzüberschreitenden Bezug aufgrund des wichtigen öffentlichen Interesses an einer auch weiterhin geordneten Krankenanstaltenplanung für einen angemessenen Zeitraum sachlich gerechtfertigt und insoweit hinzunehmen ist. Aus dem gleichen Grund sind die in den zu G116/10, G117/10, G118/10 und G119/10 protokollierten Verfahren angefochtenen Bestimmungen nicht verfassungswidrig.

Dieser Gedanke ist im vorliegenden Fall schon deshalb ohne weiteres den vom Verwaltungsgerichtshof vorgetragenen Bedenken entgegenzuhalten, weil die vor dem Hintergrund der erwähnten Entscheidung des EuGH nunmehr unionsrechtskonforme Rechtslage bereits durch die Einführung einer Bedarfsprüfung für Gruppenpraxen mit Inkrafttreten der Änderungen des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I 169, (vgl. dessen §52c) und des Zahnärztegesetzes, BGBl. I 126/2005, (vgl. dessen §26b) durch das Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung, BGBl. I 61/2010 am 19. August 2010, herbeigeführt und damit der "inländerdiskriminierenden" Wirkung der angefochtenen Bestimmungen ein Ende gesetzt wurde. Es kommt angesichts dieser fristgerechten "Sanierungswirkung" durch die erwähnte Neuregelung daher nicht darauf an, ob und welche Bedeutung andernfalls dem Umstand zukäme, dass die Länder durch den Bundesgrundsatzgesetzgeber für die Ausführung der - ebenfalls abgeänderten - Bestimmungen des KaKuG über die Bedarfsprüfung bei Ambulatorien eine (weitere) Frist von sechs Monaten eingeräumt erhielten.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Auch die angefochtenen Bestimmungen des NÖ KAG erweisen sich daher aus den im Erkenntnis vom 6.10.2011, G41,42/10 ua., genannten Gründen als nicht verfassungswidrig.

2. Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes waren

daher abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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