VfGH B1697/08

VfGHB1697/081.7.2009

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Feststellungsantrags eines Rechtsanwaltes betreffend Auskunftsverlangen von Polizeibehörden nach dem Sicherheitspolizeigesetz mangels Darlegung einer Rechtsgefährdung

Normen

B-VG Art83 Abs2
SicherheitspolizeiG §53 Abs3a
B-VG Art83 Abs2
SicherheitspolizeiG §53 Abs3a

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer stellte an die Bundespolizeidirektion

Wien den Antrag auf Feststellung, dass die Bundespolizeidirektion Wien nicht berechtigt sei, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste und sonstigen Diensteanbietern über ihn im Zusammenhang mit dem Betrieb seiner Rechtsanwaltskanzlei Auskünfte betreffend die im §53 Abs3a Z1 bis 3 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. 566/1991 idF BGBl. I 114/2007, genannten Informationen zu verlangen.

Die Bundespolizeidirektion Wien wies diesen Antrag als unzulässig zurück.

2. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid keine Folge. Aus der Begründung:

"Fest steht, dass das Gesetz gegenständlich die Erlassung eines Feststellungsbescheids nicht ausdrücklich vorsieht. Trotzdem dürfen nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte Verwaltungsbehörden im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit dann Feststellungsbescheide erlassen, wenn ein im öffentlichen Interesse begründeter Anlass vorliegt oder ein Parteiinteresse insoweit gegeben ist, als der Antrag für die Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt.

Ein wirtschaftliches, politisches, wissenschaftliches oder prozessuales Interesse - letzteres etwa, um einen vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfbaren Verwaltungsakt der Behörden zu erreichen (vgl. VwGH 16.10.1996, 95/01/0285) - reicht hingegen nicht aus. Die Erlassung eines Feststellungsbescheides ist aber auch dann unzulässig, wenn die für die Feststellung maßgebende Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgezeichneten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu entscheiden ist. Darüber hinaus darf die Behörde weder über die Anwendbarkeit eines Gesetzes oder gesetzlicher Bestimmungen, noch über die rechtliche Qualifikation eines Sachverhaltes durch Erlassung eines Feststellungsbescheids absprechen.

Besteht hingegen der einzige Zweck des Feststellungsbescheides darin, damit ein Mittel zu gewinnen, um die gegen ein Gesetz bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, so ist ein solcher Feststellungsbescheid seit Einführung des Individualantrages kein für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendiges Mittel (VfSlg. 11.402/1987, 12.950/1991, 16.003/2000). Es scheint allerdings, dass nach dem Wortlaut des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG (argum. 'sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist') vorliegend ein Individualantrag nicht in Frage käme.

Ein öffentliches Interesse, den begehrten Feststellungsbescheid zu erlassen, ist nicht gegeben, weil dadurch keine Gefahr von Nachteilen für die 'Allgemeinheit' abgewehrt werden könnte.

Es liegt aber auch kein Parteiinteresse in dem Sinn vor, dass der Antrag für den Berufungswerber ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellen würde. Der Berufungswerber hat - trotz des Hinweises auf seine Profession, die in der Gesetzesbestimmung nicht genannt oder schon gar hervorgehoben wird - keine stärkere Stellung als jede andere Person. Jedermann könnte unter gewissen Voraussetzungen - allerdings in sehr seltenen Fällen - von der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung betroffen sein. Ein rechtliches Interesse des Berufungswerbers wäre daher nur dann gegeben, wenn dem Feststellungsbescheid fallbezogen - also nicht bloß abstrakt - die Eignung zukäme, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung des Antragstellers zu beseitigen. Das Vorliegen eines solchen konkreten Falles wurde vom Berufungswerber aber nicht behauptet. Darüber hinaus könnte ihm selbst der begehrte Feststellungsbescheid keine grundsätzliche Rechtssicherheit verschaffen, bezieht sich der Antrag des Berufungswerbers doch nur auf eine von mehreren in einem möglichen künftigen Anlassfall in Frage kommenden Sicherheitsbehörden, nämlich die Bundespolizeidirektion Wien. Es ist aber grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass eine andere Sicherheitsbehörde - insbesondere auch die Bundesministerin für Inneres als oberste Sicherheitsbehörde - eine Auskunft nach §53 Abs3a SPG betreffend den Berufungswerber einholt, der gegenüber ein Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien keine bindende Wirkung entfalten kann. Insoweit würde sich der Feststellungsantrag des Berufungswerbers nicht als geeignetes Mittel zur Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung erweisen.

Im Antrag des Berufungswerbers kann endlich nur die Manifestation eines rein prozessualen Interesses, um einen vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfbaren Verwaltungsakt der Behörden zu erreichen, gesehen werden. Würde man der Argumentation des Berufungswerbers folgen, müssten die Sicherheitspolizeibehörden jedenfalls gegenüber hunderten, wenn nicht tausenden (antragstellenden) Personen, die Verschwiegenheitspflichten zu beachten haben (Rechtsanwälte, Ärzte, Notare, Wirtschaftstreuhänder usw.), Feststellungsbescheide erlassen. Nimmt man das Kriterium der Verschwiegenheitspflicht - so wie die Berufungsbehörde - für die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des §53 Abs3a SPG als nicht ausschlaggebend an, könnte sogar 'jedermann' den Anspruch auf Erlassung eines ihn betreffenden Feststellungsbescheides ableiten, was auf die Feststellung der Gesetz- oder sogar Verfassungswidrigkeit der Bestimmung hinauslaufen würde."

3. Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer sei im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt, weil sein Feststellungsantrag zurückgewiesen worden sei, obwohl er ein rechtliches Interesse an der bescheidmäßigen Feststellung habe. Denn der Beschwerdeführer könne sich gegen auf §53 Abs3a SPG gestützte verfassungswidrige Eingriffe in seine Rechtssphäre nicht anders als mit Hilfe eines Feststellungsantrages zur Wehr setzen. Da die beanstandete Überwachungsbefugnis gemäß §53 Abs3a SPG auch die Interessen der Klienten des Beschwerdeführers und der Allgemeinheit an einer intakten Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege tangiere, bestehe auch ein öffentliches Interesse an der Erlassung des beantragten Feststellungsbescheides.

Darüber hinaus behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG). Die belangte Behörde habe die Rechtslage grob verkannt und damit Willkür geübt. Völlig abwegig sei die im angefochtenen Bescheid ausgedrückte Rechtsansicht, dass dem Beschwerdeführer das Parteieninteresse deshalb abzusprechen sei, weil die Gesetzesbestimmung nicht zwischen Trägern gesetzlicher Verschwiegenheitspflichten und gewöhnlichen Personen differenziere und weil der Beschwerdeführer keinen konkreten Fall einer Rechtsgefährdung behauptet habe. Für das rechtliche Interesse genüge die potentielle Betroffenheit. Konkrete Fälle könne der Beschwerdeführer nicht nennen, weil er von solchen in der Regel gar nicht zu informieren sei.

Schließlich behauptet der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des §53 Abs3a SPG im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), auf Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), auf Schutz des Brief- und Fernmeldegeheimnisses (Art10 und 10a StGG), auf Schutz des Hausrechts und der Wohnung (Art9 EMRK), auf Datenschutz (§1 DSG 2000) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) und regt die amtswegige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung an. Da diese Bestimmung die Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides sei, verletze der Bescheid die genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Beschwerdeführers.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.

5. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst nahm auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs hin zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des §53 Abs3a SPG Stellung.

II. §53 Abs3a SPG lautet:

"(3a) Die Sicherheitsbehörden sind berechtigt, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste (§92 Abs3 Z1 Telekommunikationsgesetz 2003 - TKG 2003, BGBl. I Nr. 70) und sonstigen Diensteanbietern (§3 Z2 E-Commerce-Gesetz - ECG, BGBl. I Nr. 152/2001) Auskunft zu verlangen über

  1. 1. Namen, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses,

  1. 2. Internetprotokolladresse (IP-Adresse) zu einer bestimmten Nachricht und den Zeitpunkt ihrer Übermittlung sowie

  1. 3. Namen und Anschrift eines Benutzers, dem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war,

wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen und sie diese Daten als wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung der ihnen nach diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben benötigen. Die Bezeichnung eines Anschlusses nach Z1 kann für die Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht oder die Abwehr gefährlicher Angriffe auch durch Bezugnahme auf ein von diesem Anschluss geführtes Gespräch durch Bezeichnung eines möglichst genauen Zeitraumes und der passiven Teilnehmernummer erfolgen. Die ersuchte Stelle ist verpflichtet, die Auskunft unverzüglich und kostenlos zu erteilen."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Behauptung der Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter:

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides nicht nur dann zulässig, wenn sie im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung hierüber zwar nicht besteht, die Erlassung eines solchen Bescheides aber im öffentlichen Interesse oder insofern im Interesse einer Partei liegt, als sie für die Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt. Ein solches rechtliches Interesse ist aber nur dann zu bejahen, wenn dem Feststellungsbescheid im konkreten Fall die Eignung zukommt, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung der Partei abzuwenden (zB VfSlg. 11.764/1988, 17.788/2006).

2. In seinem Feststellungsantrag weist der Beschwerdeführer zunächst auf die ihm als Rechtsanwalt obliegende Verschwiegenheitspflicht hin. Er führt weiters aus, es könne nicht angehen, dass unter den sehr weit gehaltenen und zum Teil unbestimmt gefassten Voraussetzungen des §53 Abs3a SPG die Sicherheitsbehörden sich Kenntnis darüber verschaffen können, mit wem der Beschwerdeführer (im Rahmen des Betriebes seiner Kanzlei) telefonisch oder über E-Mail kommuniziere bzw. zu welchen Themen oder Fachgebieten er im Internet recherchiere oder nach welchen Personen er suche. Durch die Kenntnis, mit wem er häufig telefoniere oder elektronischen Informationsaustausch pflege, könnten sich die Sicherheitsbehörden (mittelbar) auch Kenntnis über Umstände verschaffen, die unter die gesetzlich geschützte Verschwiegenheitspflicht fallen (Mandantenkreis, Kontakte zu Dritten, die im Zuge eines Mandats gepflogen werden, etc.).

Dem ist entgegenzuhalten: §53 Abs3a SPG ermächtigt die Sicherheitsbehörden bloß, bei Vorliegen gesetzlich bestimmter Voraussetzungen von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste und von sonstigen Diensteanbietern bestimmte Auskünfte zu verlangen (vgl. VfGH 1.7.2009, G147,148/08).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist daher nicht geeignet, die Gefährdung einer Rechtsposition darzutun, die mittels der begehrten bescheidmäßigen Feststellung abgewehrt werden könnte.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer daher zu Recht eine Sachentscheidung verweigert. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

3. Der Behauptung der Verfassungswidrigkeit des §53 Abs3a SPG und der Verletzung in Rechten wegen Anwendung dieser Bestimmung im bekämpften Bescheid ist zu erwidern, dass diese Bestimmung anlässlich der hier bekämpften Zurückweisung eines Feststellungsantrags nicht präjudiziell ist.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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