VfGH B1228/01

VfGHB1228/0111.12.2003

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes über eine damals noch minderjährige Prostituierte infolge einer gerichtlichen Verurteilung wegen eines Drogendeliktes; keine Berücksichtigung der Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der bereits als Kleinkind aus dem ehemaligen Jugoslawien weggezogenen Beschwerdeführerin sowie Ignorierung des Parteienvorbringens hinsichtlich der Notwendigkeit von Krankenbehandlungen der an Hepatitis C erkrankten sowie HIV-positiven Beschwerdeführerin

Normen

EMRK Art8 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §36, §37, §38
EMRK Art8 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §36, §37, §38

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 1.962,-- €

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine serbisch-montenegrinische Staatsangehörige, wurde am 21. Jänner 1984 in Ruma Novigrad, nunmehr Serbien, geboren. Nach der Scheidung der Eltern wurde dem Vater das Sorgerecht für die Beschwerdeführerin übertragen. Sie reiste mit ihm im April 1990 nach Österreich. Hier besuchte sie 1 Jahr die Vorschule, 4 Jahre die Volksschule und 3 Jahre die Hauptschule und verfügte laufend über Aufenthaltsberechtigungen, zuletzt gültig bis 2. Juni 2000.

Laut einem Bericht des Jugendamtes des Magistrates Salzburg vom 12. Jänner 2001 sei es mit der Übersiedlung nach Österreich zum zweiten weit reichenden Wohnsitzwechsel für das Mädchen gekommen, da sie zuvor schon mit ihren Eltern nach Slowenien gezogen war. Mit den Übersiedlungen und vor allem mit der Scheidung der Eltern sei die Beschwerdeführerin mit ausgesprochen schwerwiegenden und einschneidenden Erlebnissen bzw. Erfahrungen konfrontiert und von frühester Kindheit sich selbst überlassen gewesen. Die Mutter sei unauffindbar und die Obsorge des Vaters mangelhaft, weshalb sie ab dem 9. Lebensjahr in verschiedenen Heimen bzw. Anstalten untergebracht worden sei. Mangels ausreichender Strukturen sei die Beschwerdeführerin schließlich zum Drogenkonsum und zur damit verbundenen Beschaffungskriminalität verleitet worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 12. April 1999 wurde die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls und des Vergehens gemäß §27 Abs1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu 10 Monaten Freiheitsstrafe, davon 7 1/2 Monate bedingt, und mit Urteil vom 8. August 2000 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahles, des Vergehens der Urkundenunterdrückung, des Vergehens nach §27 Abs1 SMG und des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt. Weiters wurde die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet und die bedingte Strafnachsicht des Urteils vom 12. April 1999 widerrufen.

2. Auf Grund dieser Verurteilungen erließ die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen mit Bescheid vom 17. Jänner 2001 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen die damals noch minderjährige Beschwerdeführerin. In der dagegen erhobenen Berufung wurden die schwierigen persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin dargelegt, insbesondere dass ihre Mutter nicht auffindbar sei, der Vater sich nicht im erforderlichen Umfang um die Beschwerdeführerin gekümmert habe und sie dadurch in die Drogenabhängigkeit und die damit verbundene Straffälligkeit abgeglitten sei. Weiters wurde ausgeführt, dass sie keinen Bezug zu ihrem Geburtsland habe und kein Serbokroatisch spreche. Die Beschwerdeführerin habe sich mit Hepatitis C infiziert und sei HIV-positiv, weshalb sie dringend einer psychosozialen und medizinischen Behandlung bedürfe. Diese Maßnahmen seien nur in Österreich sichergestellt, sie könne weder im ehemaligen Jugoslawien noch in benachbarten westeuropäischen Ländern (mangels Aufenthaltsbewilligung) solche Behandlungen erhalten.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Juli 2001 wurde der Berufung keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges, der maßgeblichen Rechtsgrundlagen und des Strafurteils vom 8. August 2000 Folgendes aus:

"Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes (Verurteilung wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls, des Vergehens der Urkundenunterdrückung, des Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz sowie des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbar[e] Krankheiten) geht die erkennende Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung davon aus, dass die Verhängung des Aufenthaltsverbotes nach den Bestimmungen des §36 Fremdengesetzes 1997 dem Grunde nach zulässig ist, da Ihr Verhalten zweifelsfrei eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Aus dem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt geht eindeutig hervor, dass Sie Ihre diversen Diebstähle bzw. Einschleichdiebstähle verübten um sich die Mühe zu ersparen einer geregelten Arbeit nachzugehen und darüber hinaus, um Ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Weiters sind Sie der Geheimprostitution nachgegangen, obwohl Ihnen bekannt war, dass Sie an Hepatitis C erkrankt sind. Hiebei sei angemerkt, dass die Geheimprostitution an sich verboten ist. In das Gerichtsurteil des LG Klagenfurt, vom 08.08.2000, Zahl 16 EVr 1560/00, Hv 162/00, wurde Einsicht genommen.

Wie bereits angeführt sind Sie auch vor dieser Verurteilung bereits zu teilbedingten und bedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden. Sie haben bereits als Strafunmündige gestohlen und noch vor Ihrem fünfzehnten Geburtstag wurden Sie bereits zu einer bedingt ausgesprochen[en] Freiheitsstrafe verurteilt.

III. Gefährdungsprognose:

Im Zuge der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes hat die Behörde zu beurteilen, ob der Aufenthalt des Fremden gemäß §36 Abs1 Ziffer 1 Fremdengesetz 1997 die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder gemäß Ziffer 2 allfälligen im Artikel 8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufen würde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Behörde bei Auslegung der in dieser Gesetzesstelle verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe, namentlich des Begriffes der 'Gefährdung der öffentlichen Ordnung' und 'anderer öffentlicher Interessen' auf objektive Maßstäbe und Vorstellungen Bedacht nehmen, wie sie sich in bestimmten Lebens- und Sachbereichen herausgebildet haben. Unter diesem Gesichtspunkt stellt ein Bruch der Rechtsordnung eine den öffentlichen Interessen widerstreitende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar (siehe VwGH-Erkenntnis vom 14.12.1983, Zahl 83/01/0370).

Wie bereits angeführt, wurden Sie bereits dreimal gerichtlich verurteilt, davon das letzte Mal vom Landesgericht Klagenfurt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr, wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung, des Suchtmittelgesetzes sowie der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Aufgrund dieses Urteils wurde auch der bedingt nachgesehene Teil des Urteilspruches der im Jahre 1999 teilbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe in der Dauer von siebeneinhalb Monaten widerrufen.

Von den öffentlichen Sicherheitsinteressen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung) könne immer dann gesprochen werden, wenn besonders schutzwürdige Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, Freiheit oder Vermögen bedroht werden (siehe VwGH-Erkenntnis vom 13.5.1981, Zahl 81/01/0027). Von diesem weiten Begriff der öffentlichen Sicherheit geht auch das Fremdengesetz aus. Es muss demnach als rechtskonform angesehen werden, wenn überall dort, wo die öffentliche Sicherheit durch einen Fremden gefährdet wird, mit dem Institut des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Artikel 8 Abs2 der Konvention genannten, dem Wohl und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, im Bereich der Republik Österreich wohnender Menschen vorgegangen wird.

Ihr Verhalten in der Vergangenheit lässt jedenfalls für die Behörde den Schluss auf eine besonders sozialschädliche Neigung Ihrerseits zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen im Interesse eines geordneten Zusammenlebens bestehen, zu.

Aufgrund Ihrer mehrmaligen Verurteilung, vor allem der letzten wegen diverser Verbrechen und Vergehen ist die vorstehende Schlussfolgerung gerechtfertigt. Daher ist auch davon auszugehen, dass Sie auch weiterhin eine Gefährdung für fremdes Vermögen aber auch die Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten darstellen, indem Sie auch in Zukunft Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung, insbesondere gegen das Strafrecht, begehen werden. Dies stellt eine bedeutende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, im Speziellen für das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit der in diesem Staate lebenden Bürger, dar. Es ist insbesondere auch Aufgabe des Fremdenrechtes derartige Gefahren durch Erlassung eines Aufenthaltverbotes hintanzuhalten. Dies geht auch eindeutig aus dem §36 Abs2 Ziffer 1 Fremdengesetz 1997 hervor, da die strafbare Handlung, welche von einem inländischen Gericht mit einer unbedingt[en] Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten (Sie wurden zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, zudem wurde der bedingt ausgesprochen[e] Teil der Freiheitsstrafe vom 12.04.1999 widerrufen, sodass die Strafe insgesamt ein Jahr und siebeneinhalb Monate Freiheitsstrafe beträgt) geahndet wird, als eigenes Tatbestandsmerkmal angeführt ist. Ihr Vorbringen, dass Ihr Verhalten großteils von den Lebensumständen bedingt sei und Sie nach Ihrer Entlassung aus der Strafhaft dringend einer psychosozialen und medizinische[n] Behandlung bedürften und auch Bemühungen in die Wege geleitet worden seien, nach Ihrer Entlassung ein[en] Therapieplatz für Sie zu erhalten, kann die vorhin gehegte Gefährdungsprognose jedoch in keinster Weise entkräften. Wie aus dem Urteil ersichtlich und auch im gegenständlichen Bescheid angeführt sind Sie bereits vor Erreichung der Strafmündigkeit des Diebstahls überführt worden und widersetzen sich in der Folge regelmäßig und offensichtlich erfolgreich den Versuchen, Sie in einem Heim unterzubringen. Weiters wurden Sie danach bereits in einem Alter von nicht einmal fünfzehn Jahren zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Sie haben immer wieder diverse Diebstähle begangen um Ihren Lebensunterhalt, sowie Ihre Rauschgiftsucht zu finanzieren. Darüber hinaus waren Sie, wie ebenfalls schon angeführt als Geheimprostituierte tätig, obwohl Sie wussten, dass Sie an Hepatitis C erkrankt waren und so bewusst Ihre Kunden der Gefahr einer Ansteckung mit dieser Krankheit aussetzten. Somit kann die Gefährdungsprognose keinesfalls zu Ihren Gunsten ausgelegt werden.

IV. Ermessensübung:

Da es sich bei §36 Abs1 Fremdengesetz 1997 um eine Ermessensentscheidung handelt (arg.: kann), hat sich die Behörde mit diesem Ermessensspielraum auseinander zusetzen.

Ermessensdeterminanten sind insbesondere die §§35 bis 38 Fremdengesetz 1997. Dabei ist in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja, welche bestimmten Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung für und gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechen und hat sich die Behörde hiebei insbesondere von den Vorschriften des Fremdengesetzes 1997 leiten zu lassen.

Wie bereits unter Punkt II. und III. angeführt, misst im Gegensatz zu Ihrer Auffassung die Rechtsordnung der Beachtung von strafrechtlichen Vorschriften ein solches Gewicht bei, dass selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliegt. Der Schutz von fremdem Vermögen aber auch jener der körperlichen Unversehrtheit gehört zu den wichtigsten staatlichen Aufgaben und ist dies auch aus den Strafdrohungen des StGB erkennbar. Insofern kommt dem Schutz der Rechtsgüter 'fremdes Vermögen bzw. Gesundheit' ein besonderes Gewicht zu. Insbesondere kann die Behörde aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes (Verurteilung wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahles sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung, nach dem SMG sowie der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten) nicht ausschließen, dass Sie weiterhin schwerwiegende Rechtsbrüche, insbesondere gegen Leib und Leben sowie fremdes Vermögen, begehen. Diese Annahme wird dadurch verstärkt, dass Sie bereits vor Vollendung des vierzehnten Lebensjahres bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder Diebstähle durchführten, um sich ihren Lebensunterhalt sowie Ihre Drogensucht zu finanzieren. Darüber hinaus erschlossen Sie eine weitere Geldquelle durch die Durchführung der Geheimprostitution - dies noch dazu obwohl Sie wussten, dass Sie an einer ansteckenden Krankheit leiden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erscheint daher vor dem Hintergrund der hiefür wesentlichen Rechtsbestimmung erforderlich, damit Sie für einen längeren Zeitraum vom Bundesgebiet ferngehalten werden können. All diesen, den öffentlichen Sicherheitsinteressen besonders abträglichen Komponenten steht zwar die Tatsache entgegen, dass Ihr Vater in Österreich aufhältig ist, jedoch sieht sich die Behörde trotz dieser familiären und privaten Beziehungen aufgrund des vorangeführten Sachverhaltes außer Stande, die Kannbestimmung des §36 Abs1 Fremdengesetz 1997 zu Ihren Gunsten anzuwenden.

V. Beurteilung nach §38 Absatz 1 Ziffer 4 FrG 1997:

Sie sind am 21.01.1984 in Jugoslawien geboren worden. Nach der Scheidung Ihrer Eltern reisten Sie gemeinsam mit Ihrem Vater im April 1990 nach Österreich ein und waren auch seit 17.04.1990 in Salzburg gemeldet. Seit dieser Zeit waren Sie durchgehend im österreichischen Bundesgebiet aufhältig. Damit ist davon auszugehen, dass Sie in einem Alter von etwas mehr als sechs Jahren nach Österreich eingereist sind. Zuletzt waren Sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis 02.06.2000. Ein Antrag um Verlängerung wurde offensichtlich nicht gestellt somit ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen des §38 Abs1 Ziffer 4 auf Sie nicht zutreffen da Sie zwar hier langjährig rechtmäßig niedergelassen waren, jedoch die weitere Bedingung, um in diesen Genuss der Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes zu gelangen, nämlich, dass der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen ist auf Sie jedenfalls nicht zutrifft. Als 'von klein auf im Inland aufgewachsen' sollen solche Fremde gelten deren Aufenthaltsrecht noch im Kleinkinderalter (zweites bis drittes Lebensjahr oder früher) begründet wurde. Aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.09.1998, Zahl 96/18/0150, kommt es für die Bestimmung welches Lebensalter der Wendung 'von klein auf' zu subsumieren ist, maßgeblich auf die Integration in das in Österreich gegebene soziale Gefüge, sowie auch auf die Kenntnis der deutschen Sprache an. Die Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises - wie sie für die vom Schutzzweck des §38 Abs1 Zif. 4 leg. cit. geforderten Vertrautheit mit dem sozialen Gefüge maßgeblich ist - beginnt aber aus dem Blickwinkel der Sozialisation des Kindes 'etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres', wobei jedoch die Abgrenzung vom vorangehenden Lebensabschnitt 'fließend' ist (Vergleiche den Artikel 'Sozialisation' in der Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, neunzehnte Auflage, zwanzigster Band Mannheim 1993 Seite 534). Die genannte altersmäßige Abgrenzung ist auch aus entwicklungspsychologischer Sicht, wird doch die 'Phase der Verselbständigung' - das ist das Stadium indem Kinder auch familienfremde Erzieher akzeptieren mit anderen Kindern Freundschaften anbahnen, Spiele spielen, sich ins Gruppenleben integrieren und somit Ihren Lebensbereich über ihre unmittelbare familiäre Sphäre hinaus ausdehnen können - mit etwa drei Jahren erreicht (Vergleiche Schenk Danziger Entwicklungspsychologie 24 Auflage Wien 1996, Seite 219, folgende). Vor diesem Hintergrund ist die besagte Wendung so zu deuten, dass Sie jedenfalls für eine Person die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist nicht zum Tragen kommen kann.

Aufgrund der vorangeführten Erkenntnisse des VwGH ist jedenfalls davon auszugehen, dass Sie nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sind. Sie haben die 'Phase der ersten Verselbstständigung', wie im Erkenntnis angeführt, jedenfalls in Jugoslawien und nicht in Österreich erlebt, was jedoch unabdingbar erforderlich ist, um in den Genuss der Bestimmungen des §38 Abs1 Zif. 4 zu kommen.

Darüber hinaus treffen auch die Bestimmungen des §38 Abs1 Zif. 3 FrG 1997 auf Sie nicht zu, da Ihnen vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß §10 Abs1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 nicht verliehen hätte werden können. Sie sind im April 1990 nach Österreich eingereist und setzten im Jahre 1998 die zur teilbedingten Verurteilung führenden Tathandlungen. Sie waren somit bei Setzung des maßgeblichen Sachverhaltes noch nicht 10 Jahre in Österreich aufhältig. Auch die weiteren Tathandlungen, welche zu Ihrer bislang letzten Verurteilung führt, wurde teilweise noch im Jahre 1999 gesetzt, sodass Sie auch in diesen Fällen noch keine 10 Jahre in Österreich niedergelassen waren.

VI. Privat- und Familienleben:

Bei Erfassung des Aufenthaltsverbotes ist das Privat- und Familienleben gemäß §37 Fremdengesetz 1997 zu berücksichtigen. Außer Ihnen lebt noch ihr Vater im österreichischen Bundesgebiet. Aufgrund des langjährigen inländischen Aufenthaltes und im Hinblick darauf, dass Ihr Vater ebenfalls im Bundesgebiet lebt, wobei jedoch laut Aktenlage der Kontakt kein sehr starker ist, liegt ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in Ihr Privat- und Familienleben vor. Jedoch haben Sie durch das geschilderte Fehlverhalten dokumentiert, nicht gewillt zu sein, die zum Schutz von fremdem Vermögen bzw. der Gesundheit der in diesem Staate lebenden Personen aufgestellten Normen zu beachten. Das Aufenthaltsverbot ist daher zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutze der Rechte Dritter sowie der Gesundheit zulässig und aufgrund der Ihren Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten zur Erreichung der im Artikel 8 Abs2 EMRK genannten Ziele jedenfalls dringend geboten. Für die Behörde ist es nicht verantwortbar, dass man Ihnen die Möglichkeit gibt, möglicherweise Ihre kriminellen Machenschaften in Österreich fortzuführen. Insbesondere gelten Sie für die Behörde als nicht besonders integriert, wenn Sie im Gastland schwerwiegende Rechtsverletzungen setzen. Integration eines Fremden verlangt auch ein gewisses Maß an Rechtstreue. Sie sind zwar seit April 1990 in Österreich aufhältig und waren zuletzt im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis Juni 2000, jedoch kann von keinerlei sozialer Integration Ihrerseits gesprochen werden, wenn Sie bereits vor Erreichung der Strafmündigkeit Diebstähle begangen haben und bereits vor Beendigung des fünfzehnten Lebensjahres erstmals wegen Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt werden mussten und dies Sie nicht davon abhielt weiterhin strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen zu tätigen, was zu zwei weiteren Verurteilungen, zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr, sowie Widerruf des bedingt ausgesprochenen Teiles der Freiheitsstrafe vom 12.04.1999 in der Dauer von siebeneinhalb Monate mündete. Darüber hinaus sind Sie rauschgiftsüchtig und gingen auch der Geheimprostitution nach, obwohl Sie wussten, dass Sie an einer ansteckenden Krankheit (Hepatitis C) erkrankt waren und somit in Kauf nahmen, dass ihre Kunden mit dieser Krankheit ebenfalls infiziert wurden. Daher kann - wie bereits angeführt - von keinerlei sozialen Integration Ihrerseits ausgegangen werden. Aus den in den Punkten III. und IV. angeführten Gründen ist daher die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten.

VII. Dauer des Aufenthaltsverbotes:

Unter Bedachtnahme auf §39 FrG 1997 ist ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarer Weise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird und unbefristet zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann.

Aufgrund der durch Ihr Verhalten gezeigten äußerst negativen Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung, welche sich durch die Missachtung der vorgenannten strafrechtlichen Bestimmungen manifestiert, konnte ein positiver Gesinnungswechsel Ihrerseits nicht prognostiziert werden und war das Aufenthaltsverbot daher unbefristet zu verhängen."

3. Der Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Juli 2001 ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (BVG BGBl. 390/1973) geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. Insbesondere führt die Beschwerdeführerin aus, dass die Behörde denkunmöglich davon ausgehe, dass sie nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei. Weiters habe die Behörde wesentliche Teile des Vorbringens der Beschwerdeführerin ignoriert und keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Die belangte Behörde habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beschwerdeführerin zu ihrem Geburtsland keinerlei Bezug habe und auch der serbokroatischen Sprache nicht mächtig sei. Auch gehe die Behörde nicht darauf ein, dass die Beschwerdeführerin an AIDS erkrankt sei und daher intensivster medizinischer Betreuung bedürfe.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von einer gegenschriftlichen Äußerung "wegen Arbeitsüberlastung" Abstand.

II. Die maßgebenden Bestimmungen des Fremdengesetzes (§36 Abs1 und Abs2 Z1, §37, §38 Abs1 Z4) lauten in der für die Erlassung des Bescheides maßgeblichen Fassung (vor der Novelle BGBl. I 126/2002) wie folgt:

"Aufenthaltsverbot

§36. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2. anderen im Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

...

Schutz des Privat- und Familienlebens

§37. (1) Würde durch eine Ausweisung gemäß den §§33 Abs1 oder 34 Abs1 und 3 oder durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Eine Ausweisung gemäß §34 Abs1 oder ein Aufenthaltsverbot darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes

§38. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn

...

4. der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(2) Fremde sind jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind."

III. Die Beschwerde erweist sich, da sämtliche Prozessvoraussetzungen gegeben sind, als zulässig; sie ist auch gerechtfertigt.

1. In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass ein Bescheid das nur österreichischen Staatsbürgern verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht insbesondere dann verletzt, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür übt. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre reicht, liegt u. a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder einem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 8808/1980, 11.718/1988). Das Gleiche gilt nach der Judikatur des Gerichtshofes im Hinblick auf den Schutzumfang des durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander für dieses Fremden zustehende Recht (vgl. VfSlg. 14.650/1996 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

2. Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Aufenthalt eines Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen im Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (§36 Abs1 FrG). Der zweite Absatz des §36 konkretisiert diese Generalklausel, weiters sind die §§37 und 38 FrG zu beachten.

Die belangte Behörde hat zunächst ausführlich überprüft, ob die Voraussetzungen des §36 Abs1 FrG zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegen und legte weiters dar, aus welchen Gründen §38 Abs1 Z4 FrG nicht zur Anwendung gelangen kann. Diese Bestimmung sieht vor, dass ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden darf, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier niedergelassen ist. Der belangten Behörde ist unter Beachtung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegenzutreten, wenn sie davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Einreise nach Österreich im Alter von 6 Jahren nicht "von klein auf" im Sinne des §38 Abs1 Z4 FrG in Österreich aufhältig ist (vgl. VwGH 2.3.1999, Zl. 98/18/0244; 30.11.1999, Zl. 99/18/0112, 13.3.2001, Zl. 2000/18/0124). Die Behörde ist aber weiters verpflichtet, in einer Interessenabwägung nach §37 FrG zu beurteilen, ob das Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingreift. Ein Aufenthaltsverbot darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Insbesondere sind dabei die Dauer des Aufenthaltes und die Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen, sowie die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde hat jedoch in ihrer Interessenabwägung insbesondere bei der Berücksichtigung der Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin völlig unberücksichtigt gelassen, dass die Beschwerdeführerin als Kleinkind aus ihrem Geburtsland weggezogen ist und laut ihrem Vorbringen keinerlei Bezugspunkt zu Serbien habe und auch die Sprache dieses Landes kaum spreche. Des Weiteren hat die belangte Behörde, obwohl die Beschwerdeführerin betont, dass sie an Hepatitis C erkrankt und auch HIV-positiv sei und die notwendigen Behandlungen dieser Krankheiten nur in Österreich möglich seien, dieses Vorbringen in ihrer Interessenabwägung vollkommen ignoriert und in keiner Weise berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin in Serbien wohl kaum in ein soziales Netz eingebunden sein dürfte und daher auch keine medizinische Versorgung erwarten kann (vgl. auch VwGH 27.6.2001, Zl. 2000/18/0117; 19.5.2000, Zl. 98/21/0283).

Die belangte Behörde hat dadurch in entscheidenden Punkten das Parteivorbringen ignoriert bzw. den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen, weshalb ihr ein willkürliches Verhalten anzulasten ist und die Beschwerdeführerin dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 327,-- € auf die Umsatzsteuer.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte