Normen
B-VG Art6 Abs3
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
EMRK Art8
AVG §39 Abs1
AVG §46
MeldeG 1991 §1 Abs7
MeldeG 1991 §17 Abs3 idF HauptwohnsitzG BGBl 505/1994
B-VG Art6 Abs3
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
EMRK Art8
AVG §39 Abs1
AVG §46
MeldeG 1991 §1 Abs7
MeldeG 1991 §17 Abs3 idF HauptwohnsitzG BGBl 505/1994
Spruch:
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof begehrt mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Anträgen (Zlen. A2000/21,22, A2000/48 bis A2000/69, A2001/64 bis A2001/76, A2001/0089 bis A2001/0117, A2001/77 bis A2001/88, A2001/63, A2001/62, A2001/145 bis A2001/148, A2001/134 bis A2001/144, A2001/124, A2001/156 bis 165, A2001/125 bis A2001/133, A2001/118 bis A2001/123 und A2001/149 bis 155), der Verfassungsgerichtshof möge §17 Abs3 Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung des ArtI des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, (im folgenden zitiert als: MeldeG 1991), als verfassungswidrig aufheben.
Ausgangspunkt sind eine Reihe von Beschwerdeverfahren, die beim Verwaltungsgerichtshof gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres (bzw. in zwei Fällen: des Landeshauptmannes von Oberösterreich) anhängig sind. Mit diesen Bescheiden wurden auf §17 Abs2 Z2 MeldeG 1991 gestützte Anträge von Bürgermeistern österreichischer Gemeinden auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes näher bezeichneter Personen an näher angeführten Adressen in anderen österreichischen Gemeinden abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof legt in seinen Anträgen dar, daß bei ihm aus Anlaß der betreffenden Beschwerden Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des (präjudiziellen) §17 Abs3 MeldeG 1991 idF des ArtI des Hauptwohnsitzgesetzes entstanden seien (s. dazu unten, Pkt. 4).
2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, daß die angefochtene Bestimmung nicht verfassungswidrig ist.
3. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Rechtsvorschriften haben folgenden Wortlaut (die vom Verwaltungsgerichtshof bekämpfte Bestimmung ist hervorgehoben):
a) Art6 Abs3 B-VG:
"Artikel 6. (1) (...)
(3) Der Hauptwohnsitz einer Person ist dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat."
b) Meldegesetz 1991 idF des ArtI des Hauptwohnsitzgesetzes:
"Begriffsbestimmungen
§1. (1) Unterkünfte sind Räume, die zum Wohnen oder Schlafen benutzt werden.
(2) (...)
(3) (...)
(4) Wohnungen sind Unterkünfte, soweit es sich nicht um Beherbergungsbetriebe handelt. Fahrzeuge und Zelte gelten dann als Wohnung, wenn sie im Gebiet derselben Gemeinde länger als drei Tage als Unterkunft dienen.
(5) Meldedaten sind mit Ausnahme der Unterschriften alle personenbezogenen Daten, die auf dem Meldezettel (§9) oder dem Gästeblatt (§10) festgehalten sind. Die Identitätsdaten bestehen aus den Namen, dem Geburtsdatum, dem Geburtsort und der Staatsangehörigkeit, bei Fremden überdies aus Art, Nummer, Ausstellungsbehörde und Ausstellungsdatum ihres Reisedokumentes.
(6) Ein Wohnsitz eines Menschen ist an einer Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort bis auf weiteres einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben.
(7) Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.
Meldepflicht und Ausnahmen von der Meldepflicht
§2. (1) Wer in einer Wohnung oder in einem Beherbergungsbetrieb Unterkunft nimmt oder eine solche Unterkunft aufgibt, ist zu melden.
(2) Nicht zu melden sind
(...)
Unterkunft in Wohnungen; Anmeldung
§3. (1) Wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt, ist innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden.
(2) Für jeden anzumeldenden Menschen ist die jeweils vorgeschriebene Anzahl von Meldezetteln (§9 Abs2) vollständig auszufüllen.
(3) (...)
Unterkunft in Wohnungen; Abmeldung
§4. (1) Wer seine Unterkunft in einer Wohnung aufgibt, ist innerhalb von drei Tagen davor oder danach bei der Meldebehörde abzumelden.
(2) (...)"
"Erfüllung der Meldepflicht
§7. (1) Die Meldepflicht trifft den Unterkunftnehmer.
(2) (...)"
"Meldezettel
§9. (1) Der Meldezettel hat hinsichtlich Inhalt und Form dem Muster der Anlage A zu entsprechen; (...).
(2) (...)"
Entsprechend dem Muster der Anlage A zum Meldegesetz 1991, auf das §9 Abs1 leg.cit. verweist, ist am Meldezettel unter anderem zu vermerken, ob es sich bei der betreffenden Unterkunft um den Hauptwohnsitz handelt.
Die mit dem Meldezettel verbundene "Information für den Meldepflichtigen" (s. gleichfalls das Muster der Anlage A) lautet in ihrem Pkt. 4:
"Ihr Hauptwohnsitz ist an jener Unterkunft begründet, an der Sie sich in der Absicht niedergelassen haben, diese zum Mittelpunkt Ihrer Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung auf mehrere Wohnsitze zu, so haben Sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem Sie das überwiegende Naheverhältnis haben.
Für den 'Mittelpunkt der Lebensbeziehungen' sind vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Der Hauptwohnsitz ist für die Eintragung in die 'Bundes-Wählerevidenz' sowie für verschiedene andere Rechtsbereiche (zB Kfz-Zulassung, waffenrechtliche Urkunden, Sozialhilfe) maßgeblich."
"Berichtigung des Melderegisters
§15. (1) (...) Die Berichtigung der Wohnsitzqualität einer Unterkunft (§1 Abs6 oder 7) ist nur nach einem Verfahren gemäß §15 Abs7 oder nach einem Reklamationsverfahren (§17) zulässig; sie hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Weisung oder den Bescheid zu erfolgen.
(2) - (4) (...)
(5) Meldebehörden, die ohne Zusammenhang mit einem Reklamationsverfahren (§17) Grund zur Annahme haben, daß ein bei ihnen mit Hauptwohnsitz angemeldeter Mensch dort keinen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat, haben dies dem Bürgermeister mitzuteilen.
(6) (...)"
"Reklamationsverfahren
§17. (1) Der Landeshauptmann führt über Antrag (Abs2) ein Reklamationsverfahren durch und entscheidet darüber, ob ein Mensch, der in einer Gemeinde seines Landes mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat. Über einen Antrag gemäß Abs2 Z2 wird das Verfahren jedoch vom Bundesminister für Inneres geführt, wenn sich die beiden betroffenen Gemeinden in verschiedenen Bundesländern befinden.
(2) Das Reklamationsverfahren wird über Antrag des Bürgermeisters
1. der Gemeinde, in der ein Mensch mit Hauptwohnsitz an angemeldet ist, oder
2. einer Gemeinde, in der ein Mensch zwar nicht mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, aber einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat,
geführt. In diesem Verfahren sind der Betroffene, der Antragsteller und der Bürgermeister der Gemeinde, in der der Betroffene mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, Partei.
(3) Die Entscheidung wird auf Grund des Vorbringens der Parteien getroffen, die zur Mitwirkung in besonderem Maße verpflichtet sind; die Bürgermeister dürfen hiebei jedoch nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen. Bestehen auf Grund dieser Vorbringen Zweifel darüber, ob der Betroffene in einer bestimmten Gemeinde (Abs2 Z1 oder 2) einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat, so kann zum Ermittlungsergebnis eine Stellungnahme des Österreichischen Statistischen Zentralamtes eingeholt werden.
(4) Wird der Hauptwohnsitz des Betroffenen aufgehoben, so ist diesem in dem Bescheid außerdem aufzutragen, binnen einem Monat bei der für seinen nunmehrigen Hauptwohnsitz zuständigen Meldebehörde die erforderliche Meldung vorzunehmen; dies gilt nicht, wenn Grund zur Annahme besteht, der Betroffene habe im Inland keinen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen. Gegen den Bescheid ist eine Berufung nicht zulässig.
(5) Der Bescheid ist nach Eintritt der Rechtskraft den für die beiden Gemeinden zuständigen Meldebehörden mitzuteilen. Die für die Unterkunft gemäß Abs2 Z1 zuständige Meldebehörde hat allenfalls auf Grund des Bescheides ihr Melderegister mit dem Datum der Rechtskraft des Bescheides zu berichtigen.
(6) Gegen den Bescheid können die Bürgermeister, die im Verfahren Parteienstellung hatten, Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben."
4. Seine Bedenken gegen die angefochtene Norm begründet der Verwaltungsgerichtshof wie folgt (Zitat aus dem zu G139/00 protokollierten Antrag):
"3.1. Art11 Abs2 B-VG sieht vor, dass abweichende Regelungen in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen von den auf Grund der Bedarfskompetenz dieses Artikels (durch den Bundesgesetzgeber) erlassenen einheitlichen Vorschriften u. a. des Verwaltungsverfahrens nur dann getroffen werden dürfen, wenn sie zur Regelung des Gegenstands erforderlich sind. Gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist eine solche abweichende Regelung nur zulässig, wenn dies durch 'besondere Umstände' erforderlich (VfSlg. Nr. 8583/1979) oder 'unerlässlich' (VfSlg. Nr. 8945/1980 und 11.564/1987) ist.
Gemäß §37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Nach den Erläuternden Bemerkungen zu §37 AVG, BGBl. Nr. 274/1925 (116 BlgNR II. GP, 5), der in der Regierungsvorlage noch der §38 AVG war, wurde mit dieser Regelung angestrebt 'bloß die für jedes Ermittlungsverfahren gültigen Grundsätze der objektiven Feststellung des Sachverhaltes und des Parteiengehöres auszusprechen'. Für das Beweisverfahren gilt gemäß §46 AVG die Unbeschränktheit der Beweismittel. Danach kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Das AVG ist auf der Grundlage der Bedarfskompetenz gemäß Art11 Abs2 B-VG vom Bundesgesetzgeber als einheitliches Verwaltungsverfahrensgesetz erlassen worden.
§17 Abs3 MeldeG enthält zu diesen Regelungen des AVG eine abweichende Regelung, indem dort vorgesehen ist, dass die Entscheidung auf Grund des Vorbringens der Parteien zu treffen ist, die zur Mitwirkung in besonderem Maße verpflichtet sind. Auch die im Zweifelsfalle vom Österreichischen Statistischen Zentralamt abzugebende Stellungnahme ist nur zu dem vorliegenden Ermittlungsergebnis zu erstatten.
In den Gesetzesmaterialien zu der angefochtenen Bestimmung (RV 1334 BlgNR. XVIII. GP) wird ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren 'im Hinblick auf die nicht unbeträchtliche datenschutzrechtliche Sensibilität besonderen Beschränkungen unterworfen' wird, 'die - soweit sie von den durch das AVG geprägten Grundsätzen abweichen - ihre Erforderlichkeit gemäß Art11 Abs2 B-VG im Schutzanspruch des Art8 EMRK finden. Im Gegensatz zur sonst herrschenden Unbeschränktheit der Beweismittel wird eine strikte Einengung vorgenommen: Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist ausschließlich das Parteienvorbringen, wobei den Äußerungen des Betroffenen besonderes Gewicht zukommt. Ihm wird es vor allem obliegen darzulegen, welche Umstände dafür maßgeblich sind, dass er an der betreffenden Unterkunft einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Die Bürgermeister der beteiligten Gemeinden werden zur Einspeisung personenbezogener Daten nur insoweit ermächtigt, als ihnen diese bereits zur Verfügung stehen und zwar auf Grund rechtmäßiger Vollziehung von Bundes- oder Landesgesetzen. Eigene 'zusätzliche' Ermittlungen dürfen nicht stattfinden. Auch Privatwissen der Bürgermeister kann in das Verfahren nicht einfließen.
In Zweifelsfällen ... kann eine Stellungnahme des Österreichischen Statistischen Zentralamtes zur Sache eingeholt werden. Dieses ist hiebei auf das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens angewiesen. Es ist nicht ermächtigt, auf personenbezogene Daten zurückzugreifen, die es früher - aus welchem Grund immer - ermittelt hat.'
Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des §17 Abs3 MeldeG 1991 und die wiedergegebenen Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen dazu ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung dahin, dass amtswegige Ermittlungen zulässig sind, nicht möglich.
Aus folgenden Erwägungen erscheint dem Verwaltungsgerichtshof die dargestellte Einschränkung der Beweismittel und das Abgehen vom Grundsatz, den maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln (nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes wird durch die Einschränkung der Beweismittel auch dieser Grundsatz eingeschränkt, weil es den Behörden vielfach nicht möglich sein wird, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt allein auf Grund des Vorbringens der Parteien - der Betroffene und die beiden betroffenen Bürgermeister - zu eruieren), im Lichte des Art8 EMRK nicht als gemäß Art11 Abs2 B-VG erforderlich.
Es ist zutreffend, dass Ermittlungen zur Feststellung, wo jemand tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt hat, in das Recht auf Privatleben eingreifen (vgl. VfSlg. Nr. 12.689/1991). Ein solcher Eingriff ist - wie Thienel (Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 124ff, insb. 129f, FN 31) ausführt - aber nur verfassungswidrig, wenn er ohne triftigen Grund erfolgt. Die Feststellung gemäß §17 Abs1 MeldeG 1991, ob eine Hauptwohnsitzmeldung richtig ist bzw. die Aufhebung rechtswidriger Meldungen dient aber nicht nur wie etwa Bachmann, Melderecht, in Bachmann u.a., Besonderes Verwaltungsrecht², 1998, 128f, meint, den finanziellen Vorteilen der Hauptwohnsitzgemeinde. Da der Hauptwohnsitz - wie Thienel, a.a.O., zutreffend meint - Anknüpfungspunkt für politische Rechte, für die Mandatsverteilung und für zahlreiche weitere in der Rechtsordnung vorgesehene Rechtsfolgen ist, handelt es sich um ein zentrales Ordnungskriterium für die gesamte Rechtsordnung. Thienel (a.a.O.) führt weiters aus:
'Bei der Feststellung, wo jemand seinen ('materiellen') Hauptwohnsitz hat, geht es somit nicht mehr allein um Fragen der ungestörten Gestaltung des privaten Bereiches, sondern um die Feststellung jener Kriterien, die Voraussetzung für die politische Mitwirkung am Staatsleben sind, und die der Zuordnung zu politischen Gemeinschaften (Wahlkörpern) dienen. Die Aufhebung des Hauptwohnsitzes und der Auftrag zur Vornahme einer korrekten Meldung hindert den Betroffenen nicht, frei zu entscheiden, wo er seinen Lebensmittelpunkt begründet; es geht nur um die Klärung, ob seine Meldung den Tatsachen entspricht. Die Feststellung, ob eine Hauptwohnsitzmeldung richtig ist, dient somit dem zulässigen Eingriffsziel der Verteidigung der öffentlichen Ordnung iS des Art8 Abs2 EMRK, wozu die Einhaltung aller Vorschriften zählt, die das reibungslose Zusammenleben der Menschen regeln (vgl. dazu jüngst Hauer, Die Polizeizwecke der Grundrechtsschranken der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Grabenwarter/Thienel, Kontinuität und Wandel der EMRK (1998) 115 (124ff, 132ff)). Diese Ermittlungen sind in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil sie Voraussetzung für das Funktionieren der demokratischen Einrichtungen sind (vgl. auch jüngst EGMR im Fall Ahmed vom 2.9.1998, 65/1997/849/1056, Z52); ... .'
Auch dem Verwaltungsgerichtshof erscheint maßgeblich, dass der Hauptwohnsitz im Lichte der gesamten österreichischen Rechtsordnung ein zentrales Ordnungskriterium ist (insbesondere als Anknüpfungspunkt für politische Rechte und für die Mandatsverteilung). Bei der Feststellung, ob eine Hauptwohnsitzmeldung den tatsächlichen Lebensumständen des Betreffenden entspricht, geht es somit auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr allein um Fragen der ungestörten Gestaltung des privaten Bereiches, sondern um die Feststellung jener Kriterien, die Voraussetzung für die politische Mitwirkung am Staatsleben sind und die der Zuordnung zu politischen Gemeinschaften (Wahlkörpern) dienen sowie für den Finanzausgleich von Bedeutung sind.
Gemäß Art8 Abs1 EMRK hat jedermann u. a. Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in dieses Recht ist gemäß Art8 Abs2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für die öffentliche Ruhe und Ordnung notwendig ist.
Das Anknüpfen des Gesetzgebers an das Kriterium des Hauptwohnsitzes als zentrales Ordnungskriterium im Zusammenhang mit der Gewährleistung politischer Rechte, für die Mandatsverteilung und für zahlreiche weitere in der Rechtsordnung vorgesehene Rechtsfolgen erscheint im Lichte des Art8 EMRK (insbesondere des Abs2) grundsätzlich zulässig.
Der Verwaltungsgerichtshof geht bei seinen Erwägungen von folgendem Konzept des Meldegesetzes in Bezug auf die Frage des Hauptwohnsitzes aus, wie dies von Thienel (Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 134) dargelegt wurde: Soweit das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes Voraussetzung für bestimmte Rechtsfolgen ist, ist in erster Linie zu prüfen, ob eine Hauptwohnsitzmeldung in Österreich vorliegt. Ist das der Fall, gilt der betreffende Ort als Hauptwohnsitz. Eine Überprüfung der Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben im Meldezettel ist dem Reklamationsverfahren gemäß §17 MeldeG vorbehalten, in allen anderen Verfahren soll diese Angabe jedoch Tatbestandswirkung haben, bis eine Änderung der Meldung erfolgt. Fehlt hingegen eine Hauptwohnsitzmeldung, ist das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes anhand der materiellen Kriterien zu prüfen, die in den Hauptwohnsitzdefinitionen angeführt sind.
Auch im Rahmen der Überprüfung der Hauptwohnsitzmeldung im Reklamationsverfahren kommt es somit auf die faktischen Lebensverhältnisse an, auf die im Falle eines Überprüfungsverfahrens einzugehen ist. Ob sich eine Person im Sinne des wiedergegebenen §1 Abs7 MeldeG 1991 an einer Unterkunft in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen, ist gemäß dieser Bestimmung auf Grund einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen zu beurteilen. Als Bestimmungskriterien für das Vorliegen eines 'Mittelpunktes der Lebensbeziehungen' an einem Wohnsitz nennen die Erläuternden Bemerkungen (RV 1334 BlgNR XVIII. GP, S 12, Pkt. 8) folgende:
'Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.'
Ferner wird in den Erläuternden Bemerkungen unmittelbar anschließend zur Lösung der Frage, ob ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen vorliegt, ausgeführt:
'Es kommt somit auf eine Gesamtschau an: Am Hauptwohnsitz muss nicht der Schwerpunkt der beruflichen, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen bestehen, sondern es muss sich bei Betrachtung des beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes eines Menschen ergeben, dass er dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Hiebei ist es etwa durchaus möglich, dass am Hauptwohnsitz wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen.'
Die vorliegenden Bedenken beziehen sich nun darauf, dass die mit der Vollziehung des §17 MeldeG 1991 beauftragten Behörden prüfen und klären müssen, ob der gemeldete Hauptwohnsitz ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen im Sinne des §1 Abs7 MeldeG 1991 ist. Die Bedenken beziehen sich nicht darauf, dass der Betroffene im Falle des Vorliegens mehrerer Hauptwohnsitze im Sinne des §1 Abs7 MeldeG 1991 gemäß dieser Bestimmung bzw. gemäß Art6 Abs3 B-VG ein Wahlrecht besitzt.
Soweit die betroffene Person im Rahmen ihres eigenen Vorbringens konkrete Lebensumstände in beruflicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht bekannt gibt, erscheint es dem Verwaltungsgerichtshof aus dem Gesichtspunkt der Achtung des Privatlebens nicht einsichtig, warum in dem Fall, dass einem nach §17 Abs2 MeldeG 1991 Antragsbefugten Zweifel an der Richtigkeit einer Hauptwohnsitzmeldung einer Person kommen, im Rahmen des Vorbringens dazu nicht von Amts wegen Ermittlungen stattfinden dürfen, um die Frage objektiv klären zu können, ob eine Person nach ihren tatsächlichen Lebensverhältnissen den Hauptwohnsitz im Sinne des §1 Abs7 MeldeG 1991 in jener Gemeinde hat, in der sie den Hauptwohnsitz angemeldet hat. Solche amtswegigen Ermittlungen der zur Vollziehung des §17 MeldeG beauftragten Behörden sind vor allem in den Fällen geboten, in denen sich auf Grund des Vorbringens der Parteien (der Betroffene und die beiden involvierten Bürgermeister) Widersprüche ergeben bzw. das Vorbringen des Betroffenen (insgesamt bzw. in seinen Teilen) zweifelhaft erscheint bzw. unvollständig bzw. lückenhaft ist. Auch der Umstand, dass im Zweifelsfall eine Stellungnahme des Österreichischen Statistischen Zentralamtes einzuholen ist, ändert an den dargelegten Bedenken nichts, da auch das Österreichische Statistische Zentralamt bei seiner Beurteilung auf das Vorbringen der Parteien eingeschränkt ist.
3.2. Die verfahrensgegenständliche Regelung des Ermittlungsverfahrens im §17 Abs3 MeldeG 1991 stößt aber auch auf Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. Nr. 11196/1986, 12683/1991 und 13003/1992) wird aus dem Rechtsstaatsprinzip auch abgeleitet, dass Rechtsschutzeinrichtungen u.a. der Erlangung einer rechtsrichtigen Entscheidung dienen. Wenn einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einzig und allein das Vorbringen der Parteien zu Grunde gelegt werden darf, kann nicht davon gesprochen werden, dass in einem solchen Rechtsschutzverfahren die Erlangung einer rechtsrichtigen Entscheidung gesichert ist.
3.3. Im Übrigen erweckt die vorliegende Einschränkung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens auch Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz gemäß Art7 Abs1 B-VG. Wenn es der Behörde nicht möglich ist, das Vorbringen der Parteien (insbesondere das ohne Zweifel zentrale Vorbringen des Betroffenen zu seinen beruflichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensbeziehungen) zu überprüfen (insbesondere im Falle von Widersprüchen und Zweifeln, die sich dazu ergeben, bzw. bei Unglaubwürdigkeit der Angaben), liegt die Entscheidung der Behörde über die Bestimmung des Hauptwohnsitzes im Sinne des §1 Abs7 MeldeG 1991 in unkontrollierbarer Weise sozusagen in den Händen bzw. in dem Vorbringen der Parteien (des Betroffenen und der beiden Bürgermeister). Der Willkür scheint damit Tür und Tor geöffnet. Eine solche Vorgangsweise bei der Überprüfung des Vorliegens des angegebenen Hauptwohnsitzes, der insbesondere zur Sicherung der politischen Rechte der österreichischen Staatsbürger von großer Bedeutung ist, steht nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht im Einklang (vgl. zu Letzterem Öhlinger, Verfassungsrecht4, S 321, Rz 765-767 und die dort angeführte Judikatur)."
5. Die Bundesregierung führt in der von ihr erstatteten Äußerung (s. oben, Pkt. 2) zu den einzelnen vom Verwaltungsgerichtshof aufgeworfenen Bedenken im wesentlichen folgendes aus:
"1.1. Zu den Bedenken hinsichtlich Art11 Abs2 B-VG:
Der Verwaltungsgerichtshof vermeint in §17 Abs3 Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992 idF des ArtI des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, eine Verfassungswidrigkeit insoweit zu erblicken, als die dort vorgesehenen, gegenüber dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten im Reklamationsverfahren nicht den Anforderungen des Art11 Abs2 B-VG entsprechen. §17 Abs3 Meldegesetz normiert, dass die Entscheidung im Reklamationsverfahren auf Grund der Vorbringen der Parteien zu treffen ist, wobei die Bürgermeister nur Tatsachen geltend machen dürfen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen. Darüber hinaus kann in Zweifelsfällen allenfalls noch eine Stellungnahme der Statistik Österreich eingeholt werden.
Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, liegt ein im Sinne des Art11 Abs2 B-VG zulässiges Abweichen von den Bestimmungen des (hier) Verwaltungsverfahrens dann vor, wenn dieses Abweichen als im Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften (hier des Meldegesetzes) unerlässlich anzusehen ist (vgl. etwa VfSlg. Nr. 15351/1998; 11564/1987 ua.).
Daher ist die Verfassungsmäßigkeit - im Sinne des Art11 Abs2 B-VG - der Vorschrift des §17 Abs3 Meldegesetz anhand der für die Bestimmung des Hauptwohnsitzes maßgebenden Vorschriften des Meldegesetzes zu beurteilen:
Die für die Beurteilung eines Wohnsitzes als Hauptwohnsitz heranzuziehenden Kriterien finden sich in §1 Abs7 Meldegesetz, wobei eine 'Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen' vorzunehmen sind. Zu diesen 'objektiven' Kriterien tritt hinzu, dass der letzte Satz des §1 Abs7 leg. cit. die Pflicht eines Menschen normiert, jenen Wohnsitz als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, '...zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat', falls die 'objektiven' Kriterien auf mehrere Wohnsitze zutreffen. Aus der Verwendung des Wortes 'Naheverhältnis' scheint sich zu ergeben, dass der Gesetzgeber bei der Wahl des Hauptwohnsitzes der 'subjektiven Komponente' ein nicht unbedeutendes Gewicht beimessen wollte.
Aus dem Allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 1334 BlgNR. XVIII. GP, Z8.) zu §1 Abs7 leg. cit. ist ersichtlich, welche Bestimmungskriterien der Gesetzgeber als für die Eigenschaft eines Hauptwohnsitzes ausschlaggebend erachtet hat. Es ist daher nicht anzunehmen, dass in einem Reklamationsverfahren nach §17 Abs3 leg. cit. Tatsachen, die über diese Kriterien hinausgehen, entscheidungsrelevant sein sollen. Die erschöpfende Geltendmachung dieser Tatsachen kann jedoch durch das Vorbringen der Bürgermeister und des Betroffenen erfolgen, sodass eine weitere - auf die entscheidungsrelevanten Tatsachen beschränkte - Ermittlung der Behörde (etwa durch Vernehmung von Zeugen) nicht notwendig erscheint. Dem Betroffenen selbst scheinen hinsichtlich seines Vorbringens in diesem Verfahren keine Grenzen gesetzt zu sein, die Bürgermeister sind jedoch bei der Geltendmachung von Tatsachen auf jene beschränkt, 'die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem besonderen Übermittlungsverbot unterliegen' (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bestimmung des §15 Abs6 Meldegesetz).
Ein darüber hinausgehendes Ermittlungsverfahren ist jedoch nicht nur nicht erforderlich, sondern wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht auch unzulässig.
Wie sich aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 1334 BlgNR. XVIII. GP) ergibt, hat der Gesetzgeber bei Erlassung der Bestimmung des §17 Abs3 MeldeG 1991 von der Kompetenz gemäß Art11 Abs2 B-VG Gebrauch gemacht, von den Grundsätzen des AVG abweichende Regelungen vorzusehen, um einen Konflikt mit der im Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art8 EMRK zu vermeiden.
Die Bundesregierung stimmt der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zu, dass die Überprüfung einer Hauptwohnsitzmeldung in das Privat- und Familienleben des Betroffenen eingreift (siehe in diesem Sinn auch Thienel (Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 123ff) und Bachmann (Bachmann u.a., Besonderes Verwaltungsrecht, 1998)). Anders ist die Feststellung, ob ein Mensch an einer Unterkunft einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen im Sinne des §1 Abs7 MeldeG hat, nicht denkbar. Der Beurteilung ist dabei eine Gesamtschau der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen zu Grunde zu legen.
Hier ein im Sinne des AVG unbeschränktes Ermittlungsverfahren vorzusehen, würde es notwendig machen, Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen vorzunehmen, die bis in intime Lebensbereiche des Betroffenen reichen und selbst besonders schutzwürdige Daten im Sinne des §4 Z2 Datenschutzgesetz 2000, BGBl. I Nr. 165/1999, betreffen können. Wenn sich etwa gesellschaftliche Beziehungen, die in die Beurteilung, ob jemand eine bestimmte Unterkunft zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen gewählt hat, einzufließen haben, auf die Führung einer Lebensgemeinschaft mit einem bestimmten Menschen gründen, würde die Anwendung der Grundsätze des AVG-Verfahrens bedingen, auch diese Umstände zu erheben.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht nur im Hauptwohnsitz ein Ordnungskriterium von grundlegender und gesamtstaatlicher Bedeutung, die es rechtfertigt oder sogar angezeigt erscheinen lässt, jedes Beweismittel heranzuziehen, um den tatsächlichen Sachverhalt festzustellen. Auch der Gesetzgeber des Meldegesetzes sah - zumindest in bestimmtem Rahmen - die Notwendigkeit, die Richtigkeit einer Hauptwohnsitzmeldung zu überprüfen. Eine Abwägung der Interessen des Betroffenen auf Schutz seines Privat- und Familienlebens und jenen des Staates an der vollkommenen Aufklärung des Sachverhaltes hat ihn aber dazu veranlasst, bestimmte Grenzen für die Überprüfung einzuziehen.
Art8 Abs2 EMRK eröffnet zwar die Möglichkeit des Eingriffes in das geschützte Recht, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für die öffentliche Ordnung notwendig ist. Der EGMR versteht darunter, dass ein Eingriff einem zwingenden sozialen Bedürfnis entsprechen und verhältnismäßig sein muss (siehe Mayer, B-VG2, 563 mit weiteren Judikaturhinweisen). Die unbestrittenermaßen und vom Verwaltungsgerichtshof ausführlich dargelegte Bedeutung des Hauptwohnsitzes für viele Bereiche rechtfertigt im Hinblick auf diese Bestimmung der EMRK zwar einen Eingriff in das Grundrecht, doch nach dem Dafürhalten des Gesetzgebers (siehe RV BlgNR. 1334, XVIII. GP) keinen unbeschränkten; insbesondere ist im Rahmen der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen den berührten Interessen und dem zu erreichenden Ziel abzuwägen. Es scheint zwar jedenfalls angezeigt, die Bezeichnung eines Wohnsitzes als Hauptwohnsitz nicht gänzlich der Willkür des Betroffenen zu überlassen, da etwa bei Fehlen jeglicher oder nur geringer Beziehung zum bezeichneten Hauptwohnsitz die für viele staatliche Belange notwendige Erreichbarkeit nicht mehr gegeben wäre.
Auch die vom Verwaltungsgerichtshof dargelegte Bedeutung des Hauptwohnsitzes als Anknüpfungspunkt für politische Rechte und die 'Mandatsverteilung' vermag einen Widerspruch des §17 Abs3 Meldegesetz zu Art11 Abs2 B-VG nicht zu begründen. Eine eventuell objektiv unrichtige Hauptwohnsitzmeldung in Österreich hätte etwa auf das Wahlrecht des Betroffenen zum Nationalrat keinen Einfluß; ein solcher wäre jedoch auf die Berechnung der Zahl der Mandate in den Wahlkreisen nach der jeweils letzten Volkszählung gem. §4f NRWO, BGBl. 471/1992 idgF, denkbar. Diese knüpft in §4 Abs2 an das Volkszählungsgesetz an, welches wiederum in §3 Abs1 jene Personen zur Auskunftserteilung verpflichtet, die in der Zählgemeinde ihren Hauptwohnsitz haben. Eine 'unrichtige' Meldung eines - nach den Kriterien des Meldegesetzes zu ermittelnden - Hauptwohnsitzes hätte die Folge, dass der Betroffene nicht jenem Wahlkreis zugerechnet würde, in welchem sein Hauptwohnsitz tatsächlich liegt. Dass es für die genannten Zwecke erforderlich sei, ein über das in §17 Abs3 Meldegesetz hinausgehende Ermittlungsverfahren vorzusehen, wird jedoch vom Verwaltungsgerichtshof nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Mandatsberechnung auf die nur alle zehn Jahre stattfindende Volkszählung abstellt und in diesem Zeitraum eintretende Änderungen des Hauptwohnsitzes nicht berücksichtigen kann; auch vor diesem Hintergrund kann nicht argumentiert werden, ein in alle Einzelheiten eingehendes Ermittlungsverfahren könne im Rahmen der Abwägung gemäß Art8 Abs2 EMRK einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
Zur Bedeutung der Feststellung des tatsächlichen Hauptwohnsitzes für den Finanzausgleich ist festzuhalten, dass dies zwar nachhaltigen Einfluss auf die Finanzen der Gemeinden hat, aber dennoch nicht notwendigerweise einen über das derzeit vorgesehene Maß hinausgehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben nach sich ziehen muss. Ein Eingriff in dieses Recht ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nämlich nicht notwendig, wenn es andere, weniger eingreifende Wege gibt, dasselbe Ziel zu erreichen. So wird etwa im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 1991, VfSlg.Nr. 12.689, ausgeführt, dass es nicht erkennbar ist, warum es zur Erzielung von öffentlichen Einnahmen erforderlich sein soll, gerade die Anmietung von Programmträgern und Filmen zum Steuergegenstand zu machen und damit die Registrierung der Person des Anmietenden und des Vorganges der Anmietung im einzelnen zu provozieren, wenn es ebensogut möglich ist, indirekte Steuern einzuheben.
Die Beschränkung der im Reklamationsverfahren vorgesehenen Beweismittel auf das Vorbringen der Bürgermeister und des Betroffenen scheint - neben Art8 EMRK - auch im Lichte der ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Bestimmung des §1 Abs2 Datenschutzgesetz 2000 erforderlich zu sein. Nach dieser Bestimmung dürfen Gesetze die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Besonders schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen im Sinne des Datenschutzgesetzes sind gemäß §4 Z2 leg.cit. u.a. die Gewerkschaftszugehörigkeit, ihre politische Meinung, religiöse oder philosophische Überzeugung oder ihr Sexualleben. Wie oben dargelegt, kann insbesondere im Hinblick auf Erhebungen zu den gesellschaftlichen Lebensbeziehungen die Erhebung solcher Umstände durchaus Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens sein, wenn im Reklamationsverfahren die Unbeschränktheit der Beweismittel zugelassen würde. Nicht nur, dass es sich beim Reklamationsverfahren bereits um ein Mehr-Parteien-Verfahren handelt, könnten durch die entscheidende Behörde im Rahmen ihrer - uneingeschränkten - Ermittlungen unter anderem auch Zeugen vernommen werden; damit könnten die vom Datenschutzgesetz geforderten angemessenen Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen kaum noch gewährleistet werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Erhebung sensibler Daten zur Wahrnehmung wichtiger öffentlicher Interessen erforderlich ist, könnte man im Reklamationsverfahren nicht den zusätzlich an solche Regelungen geforderten Ansprüchen gerecht werden. Damit macht auch die Verfassungsbestimmung des §1 Abs2 Datenschutzgesetz eine Abweichung von den im Sinne des Art11 Abs2 B-VG erlassenen Bestimmungen des AVG im Reklamationsverfahren notwendig und entspricht den sich aus der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes deutlich werdenden Anforderungen an eine solche Regelung.
1.2 Zu den Bedenken im Hinblick auf den Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip
Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich unter anderem auf das Erkenntnis des VfGH, SlgNr. 13.003/1992. In diesem Erkenntnis wurde - bezogen auf den gesetzlichen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung eines Einspruches - ausgesprochen, dass es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Ebenso ist nach dieser Entscheidung bei der Schaffung eines Rechtsschutzinstrumentes nicht nur die Position des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie schließlich öffentliche Interessen. Der Gesetzgeber hat dabei unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist; auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen werden muss, lässt sich nicht allgemein sagen.
Im vom Verwaltungsgerichtshof ebenfalls angeführten Erkenntnis VfSlg. 11196/1986 führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin gipfelt, 'daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. Der VfGH neigt zur Meinung, daß die hier unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen.'
Damit scheint klargestellt, dass - wie offensichtlich vom Verwaltungsgerichtshof intendiert - es nicht allein auf die Interessen des antragstellenden Bürgermeisters ankommen kann, sondern sehr wohl auch auf die Interessen des Betroffenen. Der Gesetzgeber des Meldegesetzes hat nun den Interessensausgleich zwischen den beteiligten Parteien so gelöst, dass er zwar eine Prüfung der Angaben des Betroffenen zu seinem Hauptwohnsitz zuließ, und damit die Interessen des antragstellenden Bürgermeisters berücksichtigte, aber - zur Wahrung der Interessen des Betroffenen - eine Grenze im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beweismittel einzog.
Des weiteren ist darauf zu verweisen, dass es sich bei dem in '17 Meldegesetz vorgesehenen Verfahren um keine Einrichtung eines Rechtsschutzinstrumentes in dem Sinne handelt wie es den zitierten Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zugrundegelegen ist. Vielmehr ist in diesem Verfahren lediglich die Richtigkeit einer von einem Menschen vorgenommenen Meldung eines Hauptwohnsitzes zu überprüfen. Es scheint daher bereits an dem in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes genannten 'Akt staatlicher Organe' zu mangeln. Ein solcher könnte allenfalls in der gemäß §4a Meldegesetz vorgesehenen Vornahme der An- und Abmeldung gesehen werden. In der Vornahme der Meldung eines Hauptwohnsitzes allein kann kein behördliches Handeln gegenüber einer rechtsunterworfenen Person gesehen werden, gegen welche - für den Fall dass diese Entscheidung nicht 'rechtsrichtig' im weitesten Sinne wäre - ein Rechtsschutzinstrument des Normunterworfenen vorgesehen werden müsste. Es ist auch nicht anzunehmen, dass dem antragstellenden Bürgermeister ein 'subjektives Recht', welches im Rechtsschutzwege durchzusetzen wäre, darauf zustünde, dass ein bestimmter Mensch in der Gemeinde, deren Bürgermeister er ist, einen Hauptwohnsitz begründet hat oder keinen solchen besitzt.
Aus den dargelegten Erwägungen kann daher auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip nicht gesehen werden.
1.3 Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz
Gegen die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes ist einzuwenden, dass die Einschränkung der Beweismittel aus den bereits unter 1.1. ausgeführten Gründen sachlich gerechtfertigt ist und daher kein Verstoß gegen das aus dem Gleichheitssatz gemäß Art7 Abs1 B-VG abgeleitete Sachlichkeitsgebot im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes gesehen werden kann."
Sodann stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die durch den Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bestimmung nicht verfassungswidrig ist. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen; sie sei erforderlich, weil diesfalls das gesamte Reklamationsverfahren und insbesondere die Zuständigkeiten des Bundesministers für Inneres in erster Instanz überdacht und neu geregelt werden müßten.
6. Eine der vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Parteien übermittelte einen Schriftsatz, in dem sie sich dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes anschließt.
Die Magistratsdirektion der Stadt Wien wies in einem Schreiben vom 11. Jänner 2001 darauf hin, daß "derzeit ca. 4.300 Reklamationsverfahren beim Bundesministerium für Inneres auf Antrag Wiens anhängig sind". Weitere würden in nächster Zeit folgen, "wobei nach den bisherigen vergleichbaren Erfahrungen im Zusammenhang mit Volkszählungen mit ca. 30.000 Reklamationen gerechnet werden kann". Es wird weiters angeregt, im Falle der Aufhebung des §17 Abs3 MeldeG 1991 "die einschlägigen, beim Verwaltungsgerichtshof bzw. beim Bundesministerium für Inneres anhängigen Fälle in den Kreis der Anlassfälle einzubeziehen und keine Frist für das Außerkrafttreten zu setzen".
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Anträge erwogen:
A) §17 MeldeG 1991 regelt das Verfahren zur Feststellung, ob eine bestimmte Person in der Gemeinde, in der sie tatsächlich mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin ihren Hauptwohnsitz hat.
§17 Abs3 leg. cit. normiert, daß die Entscheidung im Reklamationsverfahren aufgrund des Vorbringens der Parteien (d.s. erstens der Betroffene selbst, zweitens der Bürgermeister der Gemeinde, in der der betroffene Mensch mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, und drittens der Bürgermeister jener Gemeinde, in der der Betroffene einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat, jedoch nicht mit Hauptwohnsitz angemeldet ist) getroffen wird. Die Bürgermeister sind in ihren Vorbringen auf die Geltendmachung von Tatsachen beschränkt, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen. Der Betroffene, um dessen Hauptwohnsitz es geht, kann alle Tatsachen geltend machen. Alle Parteien unterliegen einer besonderen Mitwirkungspflicht.
Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres (bzw. in zwei Fällen: des Landeshauptmannes von Oberösterreich) wurde jeweils der Antrag eines Bürgermeisters gemäß §17 Abs2 Z2 MeldeG 1991 auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes näher bezeichneter Personen an näher angeführten Adressen in anderen österreichischen Gemeinden abgewiesen (s. oben, Pkt. I.1). Die Entscheidungen in diesen Verfahren beruhen auf §17 leg.cit. Da der Verwaltungsgerichtshof nun zu überprüfen hat, ob die bescheiderlassenden Behörden diese Norm rechtsrichtig angewandt haben, ist sie offensichtlich von ihm selbst anzuwenden. Es ist daher davon auszugehen, daß die angefochtene Bestimmung präjudiziell ist.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.
B) Die Anträge sind jedoch nicht begründet.
a) In Zusammenhang mit den Bedenken, die der Verwaltungsgerichtshof gegen §17 Abs3 MeldeG 1991 deshalb erhebt, weil diese Bestimmung nicht erforderlich im Sinne des Art11 Abs2 B-VG sei (s. Pkt. 3.1. der Anträge), ist vorweg zu untersuchen, ob die angefochtene Bestimmung überhaupt eine "abweichende Regelung" iS des Art11 Abs2 (zweiter Halbsatz) B-VG darstellt und deshalb an den in dieser Verfassungsbestimmung normierten Anforderungen zu messen ist.
Nach §46 AVG kommt im Ermittlungsverfahren als Beweismittel "alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist." Für die Durchführung des Reklamationsverfahrens nach dem Meldegesetz 1991 hat der Gesetzgeber in §17 Abs3 leg.cit. hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens eine Spezialregelung getroffen: Ihr zufolge soll die Entscheidung nur "auf Grund des Vorbringens der Parteien ..., die zur Mitwirkung in besonderem Maße verpflichtet sind" getroffen werden. (Nach Vorliegen des Ermittlungsergebnisses kann dieses zudem zur Stellungnahme dem Österreichischen Statistischen Zentralamt übermittelt werden.) Die Heranziehung sonstiger Beweismittel - etwa die Einvernahme von Zeugen, die Einholung diverser Sachverständigengutachten oder die Vornahme eines Augenscheins - ist im Reklamationsverfahren somit nicht vorgesehen.
Art11 Abs2 B-VG lautet:
"Soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, werden das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht (...) durch Bundesgesetz geregelt; abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind."
§39 Abs1 AVG hat folgenden Wortlaut:
"Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens sind die Verwaltungsvorschriften maßgebend."
Nach §39 Abs2 erster Satz AVG hat die Behörde, "(s)oweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten", von Amts wegen vorzugehen und "unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften (Anm.: §§37 bis 55 AVG) den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen."
Schon der Bericht des Verfassungsausschusses des Nationalrats aus 1925 über die entsprechende Regierungsvorlage trifft zu §39 AVG folgende Feststellung: "Die ... Priorität der in den einzelnen Verwaltungsvorschriften enthaltenen Bestimmungen über das Ermittlungsverfahren wird hier mit aller Schärfe zum Ausdruck gebracht." (s. Zitat in Walter/Thienel: Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, I. Band², FN 1 zu §39 AVG)
Für die vom Verwaltungsgerichtshof (ebenso wie von der Bundesregierung) implizit getroffene Annahme (die auch den Prämissen der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage in Zusammenhang mit der angefochtenen Bestimmung entspricht), der Verfassungsgesetzgeber wollte den Anwendungsbereich des Art11 Abs2 B-VG auch auf die aufgrund des AVG (§39) selbst zulässigen und vorrangigen (besonderen) Verwaltungsvorschriften (über die Durchführung des Ermittlungsverfahrens) erstrecken, finden sich keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß in diesem Regelungsbereich des Verwaltungsverfahrens (nämlich: Durchführung des Ermittlungsverfahrens) der Gesetzgeber gerade eben kein "Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet" hat, von welchem Art11 Abs2 erster Halbsatz B-VG ausgeht (arg.: "Soweit ein Bedürfnis ..." in Art11 Abs2 B-VG). Demgemäß sind Verwaltungsvorschriften, die aufgrund des §39 AVG "Priorität" gegenüber allfälligen Regelungen des AVG genießen, keine "abweichende(n) Regelungen" iS des Art11 Abs2 zweiter Halbsatz, bei denen zu prüfen wäre, ob sie "zur Regelung des Gegenstandes erforderlich" sind.
Weil es sich somit bei §17 Abs3 MeldeG 1991 um keine Regelung handelt, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit im Lichte des Art11 Abs2 (zweiter Halbsatz) B-VG zu untersuchen wäre, ist auf die vom Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf diese Verfassungsnorm vorgebrachten Bedenken nicht einzugehen.
Diesem Ergebnis steht auch das Erk. VfSlg. 13.838/1994 nicht entgegen, in dem sich der Verfassungsgerichtshof unter dem Gesichtspunkt des Art11 Abs2 B-VG mit einer das verwaltungsbehördliche Ermittlungsverfahren betreffenden, vom AVG abweichenden Spezialregelung im Asylgesetz 1991 beschäftigte. Der Verfassungsgerichtshof entkräftete in dieser Entscheidung lediglich die in einer Bescheidbeschwerde erhobenen einschlägigen Bedenken, ohne daß im Rahmen der Erledigung des damaligen Falles auf die Frage einzugehen war, ob überhaupt die den Bedenken zugrundeliegende Prämisse - die in Rede stehende Bestimmung im Asylgesetz 1991 sei ein Anwendungsfall des Art11 Abs2 B-VG - zutraf.
b)aa) Beim Verwaltungsgerichtshof erweckt die "vorliegende Einschränkung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens" auch Bedenken im Hinblick auf Art7 Abs1 B-VG, da die Entscheidung der Behörde im Reklamationsverfahren "in unkontrollierbarer Weise sozusagen in den Händen bzw. in dem Vorbringen der Parteien (des Betroffenen und der beiden Bürgermeister)" läge. Da somit - aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes - "der Willkür Tür und Tor geöffnet" scheint, stünde die Regelung auch mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot in Widerspruch (s. Pkt. 3.3 der Anträge).
Der Verfassungsgerichtshof hatte sich in der Vergangenheit mehrfach, insbesondere aber in seinem Erkenntnis VfSlg. 9598/1982 ausführlich mit Fragen zu beschäftigen, die den Begriff des Wohnsitzes (nach damaliger Rechtslage: "Ordentlicher Wohnsitz") und Belange seiner Erhebung betrafen.
Der Begriff "Ordentlicher Wohnsitz" war im §2 Abs4 Volkszählungsgesetz 1980, BGBl. 199/1980, (im folgenden kurz: VZG 1980), wie folgt definiert (wobei als Grundlage die Umschreibung des Begriffes in §66 Abs2 Jurisdiktionsnorm einerseits und die in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze andererseits dienten):
"(4) Der ordentliche Wohnsitz iS des Abs3 ist an dem Orte begründet, an dem sich die zu zählende Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Orte zu bleiben. Personen, die behaupten, daß diese Voraussetzungen für sie an mehreren Orten zutreffen, haben anläßlich der Ausfüllung der Drucksorten anzugeben, welcher Wohnsitz als ordentlicher Wohnsitz gelten soll."
Der (nunmehr maßgebliche) Begriff "Hauptwohnsitz" ist in Art6 Abs3 B-VG (s. oben, Pkt. I.3.a) im wesentlichen wortgleich mit (dem damaligen) §2 Abs4 erster Satz VZG 1980 umschrieben.
Der Verfassungsgerichtshof ist im erwähnten Erkenntnis VfSlg. 9598/1982 zum Ergebnis gelangt,
"daß es für die Frage, ob ein ordentlicher Wohnsitz iS des Volkszählungsgesetzes 1980 begründet wurde, nicht bloß auf schlichte Angaben (Behauptungen) der Auskunftspflichtigen, sondern auf das tatsächliche Vorliegen der für eine solche Wohnsitzbegründung maßgebenden Merkmale (...) ankommt. (...)
(...)
Die gegenteilige Auffassung - die im Kern darauf hinausliefe, daß die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes durch bloße (den tatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufende) Behauptungen möglich und statthaft sei - wäre mit dem schon erörterten materiellen Gehalt des Wohnsitzbegriffs iS des Volkszählungsgesetzes 1980 schlechterdings unvereinbar; (...)" (s. VfSlg. 9598/1982, S 560; Hervorhebung im Original)
Bei der Erhebung des ordentlichen Wohnsitzes würden
"zwar im Regelfall die Angaben der Auskunftspflichtigen - die wissentlich unwahre oder unvollständige Angaben bei sonstiger Bestrafung zu unterlassen haben (§9 Volkszählungsgesetz 1980) - primäre Ermittlungs- und Feststellungsgrundlage sein, doch sind die Behauptungen der Zensiten in den Fragebogen (Drucksorten) keineswegs unangreifbar und unumstößlich, sondern einer behördlichen Nachprüfung zugänglich." (a.a.O., S 567)
Das zur Bearbeitung und Auswertung des gesamten Zählungsmaterials berufene Österreichische Statistische Zentralamt sei - wie aus §6 Abs6 VZG 1980 folge -
"zur 'Berichtigung' (dieses Materials) und damit zugleich grundsätzlich auch wie es in Satz 2 der zit. Gesetzesstelle wörtlich heißt - zur Durchführung der 'erforderlichen Erhebungen und Ergänzungen', und zwar unter Heranziehung der bei der Volkszählung mitwirkenden Stellen berechtigt (...). Die Auffassung, daß sich das Statistische Zentralamt in Befolgung der ihm gesetzlich auferlegten Pflicht zur 'Berichtigung' (unrichtiger Daten) in der Wohnsitzfrage auf eine formale Abstimmung der in den Fragebogen (Drucksorten) aufscheinenden Angaben beschränken müsse, ist mit dem (...) Erhebungsauftrag des §2 Abs3 Volkszählungsgesetz 1980 unvereinbar und würde (...) einer Aushöhlung des verfassungsrechtlich festgeschriebenen materiellen Wohnsitzbegriffs (s. Art26 Abs2 B-VG) zugunsten einer die tatsächlichen Gegebenheiten weithin außer acht lassenden formalisierenden Betrachtungsweise gleichkommen." (a.a.O., S 567)
Der Verfassungsgerichtshof stellt in dem Erkenntnis aber auch klar, daß dem Österreichischen Statistischen Zentralamt die "ihm aufgetragene Zuordnung im Berichtigungsverfahren in aller Regel bereits auf dem Boden sowohl der Reklamation als auch der im Anhörungsverfahren eingeholten Äußerung der betroffenen Gemeinde, und zwar in Prüfung und Wägung der beiderseits vorgetragenen Argumente und Gegenargumente, möglich sein wird." (a.a.O., S 568)
Unter den im konkreten Fall gegebenen Umständen hätte jedoch das Österreichische Statistische Zentralamt
"die Einwendungen der Gemeinde Wien - gleiches gilt auch für die übrigen, von anderen Gemeinden stammenden Berichtigungsbegehren - keineswegs, teilweise zwar nach formaler Anhörung der betroffenen Gemeinden, doch im wesentlichen sachlich ungewürdigt, auf sich beruhen und die Feststellung der Vermutung (Möglichkeit) des Bestehens eines ordentlichen Wohnsitzes für die Nichtberücksichtigung der Reklamationen genügen lassen dürfen, sondern die bestrittenen Wohnsitzbehauptungen der Auskunftspflichtigen so rasch wie möglich (§7 Abs1 Satz 1 Volkszählungsgesetz 1980), insbesondere an Hand der von den reklamierenden und den betroffenen Gemeinden gelieferten amtlichen Stellungnahmen und etwaigen Unterlagen, auf ihre Richtigkeit hin prüfen und beurteilen müssen. Dann (erst) hätte es, gegebenenfalls auch allein auf Grund des ihm schon vorgelegenen Materials, zu befinden gehabt, ob und inwieweit die begehrten 'Berichtigungen' vorzunehmen seien oder nicht." (a.a.O., S 570)
In Zusammenhang mit allfälligen Bedenken im Lichte des Grundrechtes auf Datenschutz iS des Datenschutzgesetzes, BGBl. 565/1978, führte der Verfassungsgerichtshof in der Folge aus:
"Wie §5 Abs1 Volkszählungsgesetz 1980 anordnet, haben die Gemeinden (im übertragenen Wirkungsbereich) bei der Durchführung der Volkszählung - und damit auch am Zustandekommen eines statistisch richtigen Volkszählungsergebnisses iS des §2 Abs1 Volkszählungsgesetz 1980 - mitzuwirken: In dieser Beziehung kommen ihnen insbesondere bestimmte Erhebungs- und Überprüfungsaufgaben zu (s. etwa §4 und §5 Abs2 Volkszählungsgesetz 1980). Mit Rücksicht auf diese Rechtslage kann nun der Gemeinde Wien nicht entgegengetreten werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Erhebung des ordentlichen Wohnsitzes ua. auch Datenverarbeitungen - im dargelegten Umfang (s. ...) - benützte und in einem späteren Verfahrensstadium in das Berichtigungsverfahren vor dem Österreichischen Statistischen Zentralamt einbrachte, weil die §§6 und 7 Abs2 DSG (Datenschutzgesetz) ein derartiges Vorgehen dann zulassen, wenn es - wie hier - sowohl für den Auftraggeber (di. die Gemeinde Wien) als auch für die Empfänger (ds. die in Betracht kommenden Bundesorgane) wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung gesetzlich übertragener Aufgaben bildet. (...)" (a.a.O., S 571)
Weiters stellte der Verfassungsgerichtshof fest, daß §6 Abs6 VZG 1980, der keine Beschränkung der Berichtigungskompetenz des Statistischen Zentralamtes auf "technische Vorgänge" enthalte(n habe), keinen Raum für eine Deutung dahingehend lasse, "daß das Statistische Zentralamt zu 'Erhebungen und Ergänzungen' (nur) dann berechtigt sei, wenn dies die technische Bearbeitung des Zählmaterials erforderlich mache" und "ein Eingehen auf die sachliche Richtigkeit des Materials (in der Wohnsitzfrage) ... demgemäß ausgeschlossen" wäre. (a.a.O., S 571 f.)
Im wesentlichen auf Grundlage dieser Erwägungen, d.h. insbesondere deshalb, weil das Statistische Zentralamt die ihm von den Gemeinden im Zuge des damaligen Berichtigungsverfahrens vorgelegten amtlichen Stellungnahmen bzw. Unterlagen unbeachtet gelassen hatte, hob der Verfassungsgerichtshof die Verordnung des Statistischen Zentralamtes über die Feststellung der Bürgerzahl als gesetzwidrig auf.
bb) Im Sinne der Begründung des zitierten Erkenntnisses wurde in der Folge durch §17 Abs3 MeldeG 1991 normiert, daß die zur Entscheidung im Reklamationsverfahren zuständige Behörde alle ihr von den Parteien vorgelegten Vorbringen bei der Entscheidung zu berücksichtigen hat (arg.: "Die Entscheidung wird auf Grund des Vorbringens der Parteien getroffen, ..."). Die Festlegung durch den Gesetzgeber, daß und welche von den Parteien geltend gemachte Vorbringen der Entscheidung zugrunde zu legen sind, scheint gerade den vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 9598/1982 konstatierten Bedenken Rechnung zu tragen, die zur Aufhebung der erwähnten Verordnung führten. Die damit aber gleichzeitig vorgenommene Beschränkung der Beweismittel auf die Parteienvernehmung ist sachlich:
Das Reklamationsverfahren bezweckt nicht vorrangig die Durchsetzung subjektiver Rechte meldepflichtiger Einzelpersonen; vielmehr dient es primär der Klärung widerstreitender Interessen von Gebietskörperschaften. Für letztere ist es - in Anbetracht der vielfältigen Auswirkungen der Hauptwohnsitznahme auf öffentliche Belange (etwa in Zusammenhang mit dem Finanzausgleich oder der Mandatsverteilung nach Wahlen) sowie der geschützten Rechtspositionen der Gemeinden in deren eigenem Wirkungsbereich - von wesentlicher Bedeutung, daß die Benennung des Hauptwohnsitzes in Entsprechung der durch Art6 Abs3 B-VG (§1 Abs7 MeldeG 1991) normierten Kriterien stattfindet. Folglich besteht die Funktion des Reklamationsverfahrens darin, in den strittigen Fällen zu einem möglichst plausiblen Ergebnis darüber zu gelangen, ob im Lichte dieser Kriterien die vom Meldepflichtigen vorgenommene Angabe des Hauptwohnsitzes zutreffend ist oder nicht.
Ziel des Hauptwohnsitzgesetzes war die Festlegung nur eines Hauptwohnsitzes jedes in Österreich niedergelassenen Menschen. Im Vorblatt zu den Erläuterungen der Regierungsvorlage (BlgNR 1334 18. GP) wird dieses Ziel wie folgt formuliert:
"Ziel:
Verankerung des durch eine gleichzeitige B-VG-Novelle in die Verfassung eingeführten Begriffes des Hauptwohnsitzes im übrigen Rechtsbestand des Bundes. Für jeden in Österreich niedergelassenen Bürger soll ein zentraler örtlicher Anknüpfungspunkt geschaffen und der Begriff des ordentlichen Wohnsitzes durchwegs durch jenen des Hauptwohnsitzes ersetzt werden."
Das Ordnungsziel war also in erster Linie, daß nur noch ein Hauptwohnsitz für jeden in Österreich niedergelassenen Bürger registriert wird. Der Gesetzgeber wollte zudem einem Meldepflichtigen - wenn er mehrere Wohnsitze hat und die objektiven Kriterien nach Art6 Abs3 B-VG bzw. §1 Abs7 MeldeG 1991 (ausnahmsweise) mehrfach zutreffen - grundsätzlich die Entscheidung überlassen, wo er seinen Hauptwohnsitz erklärt. Im Allgemeinen Teil der Erläuterungen wird wörtlich ausgeführt (Fettdruck des Originals im folgenden durch Unterstreichung wiedergegeben):
"Bei Vorhandensein mehrerer Wohnsitze eines Menschen genügt ein solcher - auf eng abgegrenzte Lebensbeziehungen ausgerichteter - Wohnsitz noch nicht, um als Hauptwohnsitz in Betracht zu kommen. Dafür bedarf es vielmehr einer solchen Verdichtung der Lebensbeziehungen, daß bei Einbeziehung sämtlicher (also der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und beruflichen) Lebensumstände des Betroffenen in die Betrachtung von einem 'Mittelpunkt der Lebensbeziehungen' gesprochen werden kann. Hat jemand, der über mehrere Wohnsitze verfügt, nur einen Wohnsitz, der diesen Mittelpunkt bildet, so ist dies sein Hauptwohnsitz. Bloß in jenen - seltenen - Fällen, in denen der Mensch sowohl über mehrere Wohnsitze als auch an mehreren dieser Wohnsitze über 'Mittelpunkte der Lebensbeziehungen' verfügt, hat er jenen 'Mittelpunkt' zu bezeichnen, der sein Hauptwohnsitz sein soll. Das subjektive Kriterium 'überwiegendes Naheverhältnis', das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, gibt in diesen Fällen letztlich den Ausschlag."
Es ist also bis zur allfälligen Einleitung eines Reklamationsverfahrens gem. §17 MeldeG 1991 ausschließlich die "Erklärung" des Meldepflichtigen (Vermerk am Meldezettel) dafür maßgeblich, wo sein Hauptwohnsitz besteht. Erst und nur im Zuge des etwaigen Reklamationsverfahrens wird hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art6 Abs3 B-VG (§1 Abs7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht.
Das Reklamationsverfahren dient also der "Prüfung, ob die Angabe zur Wohnsitzqualität den Tatsachen entspricht" (s. die oben erwähnten Gesetzesmaterialien, S 16) und stellt somit gegebenenfalls ein gewisses Korrektiv dar, wenn eine Gemeinde (iS des §17 Abs2 Z1 oder 2 MeldeG 1991) die Angabe des Meldepflichtigen für unzutreffend hält. Im Zuge des Reklamationsverfahrens sind sowohl die betroffene Person selbst als auch - in gewissem Umfang - die Bürgermeister der am Verfahren beteiligten Gemeinden aufgerufen, jene Tatsachen offenzulegen, die zur Klärung der verfahrensgegenständlichen Frage erforderlich sind. Die in §17 Abs3 MeldeG 1991 normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien schließt deren Verpflichtung ein, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Sowohl die Vielfalt der auf diese Weise zu erlangenden Entscheidungsgrundlagen als auch der Umstand, daß sich in dem Verfahren typischerweise widerstreitende Auffassungen gegenüberstehen, legt den Schluß nahe, daß sich die zur Entscheidung berufene Behörde ein objektives, nicht von Einseitigkeit geprägtes Bild von der zu beurteilenden Sachlage machen kann. Es ist somit nicht davon auszugehen, daß - wie der Verwaltungsgerichtshof befürchtet - die Entscheidung "in unkontrollierbarer Weise sozusagen in den Händen bzw. in dem Vorbringen der Parteien" liegt und der Willkür Tür und Tor geöffnet ist. Vielmehr ist dem oben erwähnten Ordnungsziel des Hauptwohnsitzgesetzes grundsätzlich Genüge getan.
Die "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen ist für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig (vgl. dazu auch sinngemäß die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.12.1996, Zl. 93/02/0177).
Es mag zutreffen, daß die für die Abwicklung des Reklamationsverfahrens zuständigen Behörden in - gemessen an der Gesamtzahl der in Österreich meldepflichtigen Menschen - wenigen Einzelfällen eine Entscheidung zu treffen haben, obwohl die tatsächlichen Lebensverhältnisse im Sinne der Kriterien nach Art6 Abs3 B-VG bzw. §1 Abs7 MeldeG 1991 nur mangelhaft zu eruieren waren. Ein Gesetz ist jedoch nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird (vgl. etwa VfSlg. 10.455/1985; 14.301/1995, S 504; 15.031/1997).
cc) Nicht unbeachtet bleiben darf dabei auch der Umstand, daß der Gesetzgeber durch die Regelung des §17 Abs3 MeldeG 1991 bewußt die in Rede stehenden Unschärfen in Kauf nimmt, um im gegebenen Zusammenhang bestimmte behördliche Vorgangsweisen hintanzuhalten, die bei Geltung des Prinzips der Unbeschränktheit der Beweismittel nach §46 AVG denkbar oder möglicherweise sogar geboten wären. Als Beispiele erwähnt seien Zeugeneinvernahmen in Form von Befragungen von Nachbarn, Arbeits- oder Vereinskollegen usw. zum Zwecke der Ermittlung der Lebensgewohnheiten des am Reklamationsverfahren beteiligten Meldepflichtigen oder die Verwertung anderer, der Behörde überlassener Beweismittel, wie etwa Fotos, durch die Lebensumstände des Meldepflichtigen dokumentiert werden.
Insbesondere wollte der Gesetzgeber - wie auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ausführlich darlegt - dabei möglicherweise unterlaufende unverhältnismäßige Eingriffe in den Schutzbereich des Art8 EMRK von vornherein ausschließen: Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1334 BlgNR, 18. GP) führen zur angefochtenen Bestimmung (wenngleich im Lichte des Art11 Abs2 B-VG) aus (S 15), daß das Ermittlungsverfahren "im Hinblick auf die nicht unbeträchtliche datenschutzrechtliche Sensibilität besonderen Beschränkungen unterworfen" wird, "die - soweit sie von den durch das AVG geprägten Grundsätzen abweichen - ihre Erforderlichkeit gemäß Art11 Abs2 B-VG im Schutzanspruch des Art8 EMRK finden. Im Gegensatz zur sonst herrschenden Unbeschränktheit der Beweismittel wird eine strikte Einengung vorgenommen: Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist ausschließlich das Parteienvorbringen, wobei den Äußerungen des Betroffenen besonderes Gewicht zukommt."
Ausdrücklich hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf den Umstand, daß gemäß §17 Abs3 MeldeG 1991 die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister nur Tatsachen geltend machen dürfen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß es sich bei der Festlegung des (einzigen) Hauptwohnsitzes im Sinne der Definition gemäß Art6 Abs3 B-VG (§1 Abs7 MeldeG 1991) um ein zentrales Ordnungskriterium handelt und daher zweifellos ein öffentliches Interesse daran besteht, zu Ergebnissen zu kommen, die den in diesen Normen enthaltenen Vorgaben (möglichst) entsprechen. Bei diesem Anliegen ist jedoch in Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Sachlichkeit der in Rede stehenden Regelung auch zu berücksichtigen, welche Mittel und Methoden zur umfassenden Erhellung der Lebensgewohnheiten eines Menschen in Frage kommen (könnten). Wie die zuvor erwähnten Beispiele deutlich machen, wären bei Fehlen einer Beweismittelbeschränkung im Reklamationsverfahren behördliche Eingriffe in das Privatleben jener Menschen, deren Angaben auf ihre Übereinstimmung mit den gesetzlichen Voraussetzungen zu überprüfen sind, sehr naheliegend; von der Behörde wären alle Tatsachen zu ermitteln, die die konkreten Lebensumstände in Zusammenhang mit den "beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen" dieser Person betreffen. Der Behörde wäre damit ein potentiell vollständiges Bild über den betroffenen Menschen gegeben; und auch dritte Personen (wie etwa Nachbarn) würden dem Privat- und Familienleben von Menschen in ihrer Umgebung - möglicherweise motiviert durch behördliche Anfragen - unter Umständen unverhältnismäßig starke Aufmerksamkeit schenken.
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an das Erkenntnis VfSlg. 12.689/1991, in dem sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage befaßt hat, ob zur Erhebung einer Abgabe nach dem Wiener Vergnügungssteuergesetz die Aufzeichnung des Namens desjenigen, der einen Videofilm anmietet, gegen Art8 EMRK verstößt. Die in dieser Entscheidung angestellten Überlegungen haben in sinngemäß gleicher Weise für den vorliegenden Fall zu gelten.
Es ist somit nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber - auch mit Blick auf das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - die sich aus der Beweismittelbeschränkung des §17 Abs3 MeldeG 1991 allenfalls ergebenden Unschärfen in Kauf genommen und auf die Ausschöpfung aller denkbaren Ermittlungsschritte verzichtet hat.
Die zum Gleichheitssatz vorgebrachten Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes treffen daher nicht zu.
c) Auch die in den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes unter Pkt. 3.2. vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip teilt der Verfassungsgerichtshof nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt, daß es sich beim Reklamationsverfahren gemäß §17 MeldeG 1991 um kein Rechtsschutzinstrument handelt, sondern um ein Verfahren, im Zuge dessen lediglich die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen ist (s. dazu schon die Ausführungen unter litb.bb).
Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die von ihm entwickelten, aus dem Rechtsstaatsprinzip erfließenden Grundsätze auf dieses spezifische, nicht (vorrangig) im Interesse einzelner Rechtssubjekte, sondern im "gesamtstaatlichen" Interesse gelegene Verfahren nicht in der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen Form anzuwenden sind.
Daß im übrigen die Rechtsrichtigkeit der Entscheidung im Reklamationsverfahren in verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend gewährleistet ist, wurde bereits zuvor (litb) dargelegt.
III. Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes waren daher als unbegründet abzuweisen.
IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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