Normen
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §39
AVG §67c
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §39
AVG §67c
Spruch:
I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit jeweils
S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheiden vom 29. November 1996 bzw. vom 4. Dezember 1996 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im folgenden: UVS) die an ihn gerichteten Beschwerden der nunmehrigen Beschwerdeführer wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß §67a Abs1 Z2 iVm. §67c Abs4 AVG in allen Punkten zurück. Zur Begründung wurde in beiden Bescheiden im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten in ihren Beschwerden an den UVS vom 4. Juni 1996 ua. vorgebracht, sie seien am 25. April 1996 verhaftet und am 26. April 1996 wieder enthaftet worden. Aus den vom UVS eingeholten Akten bzw. Unterlagen gehe jedoch eindeutig hervor, daß dies am 24. April 1996 bzw. am 25. April 1996 der Fall gewesen sei.
Die Beschwerden seien sohin in allen Punkten mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes zurückzuweisen: Denn die Richtigstellung sei erst aufgrund der Mitteilung des UVS vom 22. November 1996 mit Schriftsätzen der Beschwerdeführer vom 27. November 1996 - sohin nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist gemäß §67c Abs1 AVG - erfolgt.
2. Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, im wesentlichen gleichlautenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird behauptet, durch die angefochtenen Bescheide in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.
3. Der UVS als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete zu B35/97 eine Gegenschrift, in der er den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Zu B122/97 sah er von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, die er in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden hat, erwogen:
1. Die Beschwerden führen im wesentlichen aus, der UVS habe im Spruch der angefochtenen Bescheide "die Beschwerde (an den UVS) in allen Punkten zurückgewiesen". Da der UVS jeweils die Sachentscheidung verweigere, würden die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Die angefochtenen Bescheide widersprächen zudem in einem so krassen Maße dem zentralen Zweck der Bestimmungen der §§67a ff. AVG, daß überdies von einer gesetzlosen bzw. willkürlichen Entscheidung gesprochen werden müsse.
Denn nach §67c Abs2 AVG sei die Maßnahme bzw. Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, gegen die sich die Beschwerden an den UVS richteten, zu "bezeichnen" und im "Sachverhalt" so genau wie möglich zu schildern. Aus §67c Abs2 Z6 AVG werde deutlich, daß das Erfordernis der Angabe des genauen Zeitpunktes dieser Maßnahme hauptsächlich für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung bedeutsam sei. Der UVS lege einen überzogenen Maßstab an die Anforderungen eines Beschwerdeinhalts an. Es schade nicht, wenn sich die Beschwerdeführer in der genauen Datierung dieser Maßnahme um einen Tag vergreifen; es dürfe nur die Frist gemäß §67c Abs1, erster Satz, AVG noch nicht verstrichen und für den UVS die auf ihre Rechtswidrigkeit zu prüfende Maßnahme ansonsten (ausreichend) deutlich bezeichnet worden sein.
Weiters führen die Beschwerden aus, der UVS hätte den Datierungsirrtum als inhaltlichen Mangel der Beschwerden ansehen müssen, der gemäß §67c Abs3 AVG einem Verbesserungsverfahren zu unterziehen gewesen wäre. Der UVS habe entweder in Verkennung der Rechtslage ein solches Verbesserungsverfahren nicht durchgeführt, oder aber das Schreiben des UVS vom 22. November 1996 sei als Verbesserungsauftrag anzusehen, dem die Beschwerdeführer durch ihre Schriftsätze vom 27. November 1996 entsprochen hätten.
2. In seiner Gegenschrift zu B35/97 hält der UVS dem Beschwerdevorbringen entgegen:
Der Beschwerdeführer räume ein, daß seine Angaben in seiner Beschwerdeschrift an den UVS um "24 Stunden verschoben" gewesen seien und daß dies für die belangte Behörde erst im Zuge des weiteren Verfahrens aktenkundig geworden sei. Die Beschwerdeschrift an den UVS habe keinen Hinweis auf einen bloßen Schreibfehler geboten und es befinde sich in der Beschwerdeschrift an den UVS kein Hinweis auf einen anderen "Vorfallszeitpunkt". Der Beschwerdeführer räume in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, seinen Rechtsvertreter über das Datum des Vorfalls ursprünglich falsch informiert zu haben. Daher könne von einem "Vergreifen" im Datum nicht ausgegangen werden. Aber auch ein "Vergreifen" im Datum ändere in der Sache nichts, da der UVS bei Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (nur) im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte über das Vorliegen oder Nichtvorliegen des konkretisierten Beschwerdegegenstandes zu entscheiden habe, wobei der Zeitfaktor keine geringere Rolle für die Konkretisierung spiele als ihre örtliche oder sachliche Komponente. Die Richtigstellung des Datums sei jedenfalls erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist gemäß §67c Abs1 AVG erfolgt.
3. §67c AVG, BGBl. 51/1991 idF BGBl. 471/1995, samt Überschrift lautet:
"Beschwerden wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt
§67c. (1) Beschwerden nach §67a Abs1 Z2 sind innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem Unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde.
(2) Die Beschwerde hat zu enthalten:
1. die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes,
2. soweit dies zumutbar ist, eine Angabe darüber, welches Organ den angefochtenen Verwaltungsakt gesetzt hat und welcher Behörde er zuzurechnen ist (belangte Behörde),
3. den Sachverhalt,
4. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
5. das Begehren, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären,
6. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.
(3) Beschwerden, die nicht den Anforderungen des Abs2 entsprechen, sind zur Behebung der Mängel unter Anberaumung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung.
(4) ...
(5) ..."
4. Die Beschwerdevorbringen erweisen sich als berechtigt:
4.1. Nach der neueren Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 13836/1994, 14191/1995, 14369/1995, 14393/1995) enthält ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, (auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Eine Verletzung des durch dieses BVG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat (s. VfGH 19.6.1996, B3047/95, ferner VfGH 14.191/1995, 14.369/1995).
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).
4.2. Nach §67c Abs2 Z1 AVG ist der angefochtene Verwaltungsakt zu bezeichnen. Doch ist den Bestimmungen des AVG jeglicher Formalismus fremd (s. VfSlg. 8738/1980, 9051/1981, 9205/1981, 9626/1983, 11597/1988, 13339/1993, 13882/1994). So ist etwa eine offenkundig falsche Angabe für ein Rechtsmittel nicht schädlich (zu einem bloßen Schreibversehen s. VfSlg. 12267/1990). Dies hat aber auch für eine unrichtige Angabe zu gelten, wenn der Behörde der Fehler auffallen mußte - oder wie im vorliegenden Fall - sogar aufgefallen ist. Ist die Behörde nämlich der Auffassung, ein Anbringen weise in inhaltlicher Hinsicht einen Mangel auf, der sie darin hindert, es in Behandlung zu nehmen, und läßt sich dieser Mangel durch eine klarstellende Erklärung der Partei beheben, so trifft sie die Verpflichtung, der Partei im Ermittlungsverfahren gemäß §37 AVG Gelegenheit zur Geltendmachung der klärenden Umstände zur Wahrung ihrer Rechte zu geben (s. VwSlg. 11625 A/1984). Ebenso wie die Behörde etwa verpflichtet ist, den Sinn eines mehrdeutigen Parteienantrages durch Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung festzustellen (s. VfSlg. 3517/1959, 7684/1975), hat sie sich im Zweifelsfall darüber Klarheit zu verschaffen, gegen welchen Verwaltungsakt sich ein Rechtsmittel richtet. Hiebei handelt es sich nicht um die Nachholung einer an sich befristeten Prozeßhandlung, sondern um die Klärung des Inhaltes einer zwar rechtzeitigen, jedoch undeutlichen Prozeßhandlung (s. VfSlg. 9101/1981).
Unbeschadet der Tatsache, daß eine Maßnahmebeschwerde nach Ablauf der sechswöchigen Frist gemäß §67c Abs1 AVG unzulässig ist, sind im Grunde des §39 AVG auch im Verfahren nach §67c AVG die Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit zu beachten. Das hat zur Folge, daß der UVS auf neue Tatsachen und Beweismittel, mag er aus welchem Grund immer davon Kenntnis erlangt haben, Bedacht zu nehmen hat. Den Parteien kann es daher keineswegs verwehrt sein, im weiteren Verlauf des Verfahrens, solange die Bescheide des UVS nicht ergangen sind, neue Tatsachen und Beweise vorzubringen. Mit diesen hat sich der UVS, soweit nicht der Beschwerdegegenstand "ausgetauscht" wird - solches liegt hier jedoch nicht vor - mangels eines sich aus dem AVG ergebenden Neuerungsverbotes auf jeden Fall auseinanderzusetzen. Denn nur in bezug auf die formalen Erfordernisse einer Beschwerde gilt der Grundsatz, daß nach Ablauf der Berufungsfrist nichts mehr nachgetragen werden darf (s. VfGH 26.6.1996, B1652/94).
Der UVS hat also, indem er die Zulässigkeit der Konkretisierung auch nach dem Ablauf der Beschwerdefrist gemäß §67c Abs1 AVG verneinte, einen derart gravierenden Fehler begangen, daß dieser als Willkür beurteilt werden muß.
4.3. Die Beschwerdeführer wurden deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden verletzt.
Die Bescheide waren daher aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung
stützt sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Beträgen sind jeweils S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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