VfGH G112/93

VfGHG112/938.3.1994

Kein Verstoß der stichprobenweisen Überwachung des Briefverkehrs von Schubhäftlingen in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechts über den Strafvollzug; Überwiegen öffentlicher Interessen im Sinne des materiellen Gesetzesvorbehalts des Art8 Abs2 EMRK

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art10
EMRK Art8
FremdenpolizeiG §5 Abs5
FremdenG §86 Abs3
VStG §53c
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art10
EMRK Art8
FremdenpolizeiG §5 Abs5
FremdenG §86 Abs3
VStG §53c

 

Spruch:

§5 Abs5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 75/1954, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 451/1990, war nicht verfassungswidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1676/92 eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

1.1. Der nigerianische Staatsangehörige E A, der sich seit 1991 in Österreich aufgehalten hatte, war von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck am 1. Juli 1992 in vorläufige Verwahrung (Schubhaft) genommen und es war über ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen worden. Da die genannte Behörde nicht über einen Haftraum verfügt, wurde E A in das Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Innsbruck eingeliefert.

Mit Schreiben vom 20. Juli 1992 wandte sich E A an den beschwerdeführenden Rechtsanwalt und ersuchte um Unterstützung seiner Interessen, insbesondere um die Erwirkung seiner Freilassung; auf dem Kuvert befanden sich der Name mit akademischem Grad und die Adresse des Beschwerdeführers.

E A übergab diesen Brief am späten Nachmittag des 20. Juli 1992 unfrankiert einem Beamten des Polizeigefangenenhauses Innsbruck. Dieser Brief wurde am nächsten Tag (21. Juli 1992) in der Früh (ca. 7.45 Uhr) zur Einlaufstelle der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht und um ca. 9.00 Uhr desselben Tages mit der übrigen Post vom Amtsboten bei der Einlaufstelle der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck abgegeben. In der Folge gelangte dieser Brief in die Hände des Sachbearbeiters der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, der den Schubhaftbescheid gegen E

A erlassen hatte. Der Beamte hat diesen Brief geöffnet, durchgesehen, wieder verschlossen und am (Freitag) 24. Juli 1992 zur Post geben lassen. Der Brief langte am 27. Juli 1992 beim Beschwerdeführer ein.

1.2. Unter dem 3. August 1992 erhob der Beschwerdeführer beim unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im folgenden: UVS) eine auf Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm. §67c AVG gestützte Beschwerde gegen die Bundespolizeidirektion Innsbruck und gegen die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in welcher die Feststellung durch den UVS begehrt wurde, daß die Weiterleitung des Briefes von der Bundespolizeidirektion Innsbruck an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck sowie dessen Öffnung und Durchsicht rechtswidrig gewesen seien.

1.3. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und einer mündlichen Verhandlung erging der Bescheid des UVS vom 9. Oktober 1992, mit welchem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß §79a AVG zum Kostenersatz verpflichtet wurde.

1.4. Gegen diesen Bescheid des UVS wendet sich die zu Zl. B1676/92 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Briefverkehrs gemäß Art8 EMRK, aber auch auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am 16. Juni 1993 gemäß Art140 Abs1 B-VG, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §5 Abs5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954, in der Fassung der Novelle BGBl. 451/1990 (im folgenden: FrPolG), einzuleiten.

Er nahm im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung an, die erwähnte Bestimmung greife in unzulässiger Weise in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz des Briefgeheimnisses gemäß Art10 StGG ein. Von den in dieser Verfassungsbestimmung taxativ vorgesehenen Eingriffsermächtigungen komme nur der Tatbestand der "gesetzlichen Verhaftung" in Betracht; darunter dürften aber keineswegs alle Festnahmen und Anhaltungen schlechthin fallen, sondern nur jene, die in Zusammenhang mit der Strafrechtspflege (einschließlich der Verwaltungsstrafrechtspflege) erforderlich sind. Die durch die in Prüfung genommene Bestimmung vorgesehenen Eingriffe bezögen sich aber auf bloße Vollstreckungsmaßnahmen (Festnahme und Anhaltung auf Grund eines - vollstreckbaren - Schubhaftbescheides).

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluß dargelegten Bedenken entgegenhält:

"2. Eine Betrachtung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Begriff der 'Verhaftung' im Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 87, über den Schutz der persönlichen Freiheit zeigt kein einheitliches Bild.

Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich bereits in den Erkenntnissen VfSlg. 2286/1952 und 2287/1952 ausgesprochen, daß der Begriff der 'Verhaftung' 'im materiellen Sinne' aufzufassen sei und darunter 'jede Maßnahme verstanden werden (muß), durch die in die persönliche Freiheit des einzelnen mit physischen Mitteln eingegriffen wird' (vgl. auch VfSlg. 3449/1958). So qualifizierte er etwa eine zwangsweise Eskortierung von einem Ort zum anderen (VfSlg. 2287/1952) oder eine Festnahme zur Verbüßung einer verwaltungsbehördlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe als Verhaftung (VfSlg. 2816/1955; vgl. Erk. v. 17.6.1991, B1223/90). Mit Erkenntnis VfSlg. 2951/1956 setzte der Verfassungsgerichtshof die unter Begleitung einer Fürsorgeschwester und eines Kriminalbeamten erfolgte Vorführung einer Minderjährigen zur amtsärztlichen Untersuchung einer Verhaftung gleich. Ebenso erkannte der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 2764/1954, daß der Befehl, ein Lager nicht zu verlassen, einer Verhaftung gleichkomme.

Nicht bloß die unmittelbare Herbeiführung einer Freiheitsbeschränkung durch eine Amtshandlung der staatlichen Vollzugsorgane (vgl. VfSlg. 3315/1957) wurde vom Verfassungsgerichtshof als 'Verhaftung' angesehen. Gerade auch für Zwecke des Anwendungsbereiches des Art10 StGG wurde vom Verfassungsgerichtshof der Begriff der 'Verhaftung' auch in anderer Hinsicht weit ausgelegt, und zwar so, daß auch der Vollzug einer vom Gericht verhängten Freiheitsstrafe als 'Verhaftung' zu qualifizieren sei (vgl. VfSlg. 6464/1971, 6564/1971, 6720/1972).

Andererseits wurde vom Verfassungsgerichtshof die unmittelbare Herbeiführung einer Freiheitsbeschränkung auch dann nicht immer als 'Verhaftung' im Sinne des §2 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit qualifiziert, wenn derartige Akte für Zwecke der Strafrechtspflege erfolgten. So betrachtete der Verfassungsgerichtshof regelmäßig - etwa in den Erkenntnissen VfSlg. 2692/1954, 2798/1955, 5232/1966 und 11695/1988 - Fälle von durchaus im Dienste der Strafjustiz, aber ohne richterlichen Befehl erfolgten Festnahmen gemäß §177 StPO nicht als 'Verhaftung' im Sinne des §2 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. Nr. 87/1862, sondern als den Fall einer 'Verwahrung' gemäß §4 des genannten Gesetzes. Ebensowenig ist vom Verfassungsgerichtshof etwa im Erkenntnis VfSlg. 11568/1987 eine Festnehmung gemäß §35 VStG als 'Verhaftung' im Sinne des §2 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit 1862 angesehen worden.

In manchen Erkenntnissen verwendet der Verfassungsgerichtshof den Begriff 'Verhaftung' auch als Umschreibung des tauglichen Gegenstandes einer dagegen gerichteten Maßnahmenbeschwerde schlechthin (vgl. VfSlg. 11568/1987), setzt den Begriff offensichtlich jeder durch Organe des Staates unmittelbar vorgenommenen Freiheitsentziehung gleich und nennt etwa auch den Fall einer Festnahme gemäß §4 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit 1862 eine 'Verhaftung' (vgl. etwa VfSlg. 11456/1987, 11491/1987).

3. Der Verfassungsgerichtshof hat dem Begriff der 'Verhaftung' somit in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht immer dieselbe Bedeutung beigemessen. Der Bundesregierung scheint daher seine im Einleitungsbeschluß zum Ausdruck gebrachte Prämisse, der Begriff 'Verhaftung' im Art10 StGG umfasse nur jene Freiheitsbeschränkungen, die im Zusammenhang mit der Strafrechtspflege (einschließlich der Verwaltungsstrafrechtspflege) erforderlich sind, nicht zwingend. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Begriff der 'Verhaftung' wird man sohin durchaus die Auffassung vertreten können, auch die Maßnahme der Schubhaft könne als eine 'Verhaftung' im Sinne des Art10 StGG qualifiziert werden.

Ähnlich wie die vom Verfassungsgerichtshof als 'Verhaftung' qualifizierte Strafhaft (vgl. VfSlg. 6464/1971, 6564/1971, 6720/1972), ist die Schubhaft nämlich eine Sicherungs- und Vollstreckungsmaßnahme und kann vertretbarer Weise auch für Zwecke des Art10 StGG ebenso wie eine Stafhaft behandelt werden.

4. Zwar könnte dem Art10 StGG ein Konzept insoferne unterstellt werden, als darin der Grundsatz gesehen werden könnte, daß, außer in Kriegsfällen, eine Beschränkung des Briefgeheimnisses nur aufgrund richterlicher Anordnung erfolgen darf, zumal bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Staatsgrundgesetzes die Beschlagnahme und Öffnung von Briefen des Beschuldigten gemäß den §§146 ff StPO der richterlichen Genehmigung vorbehalten war (vgl. auch §2 des Gesetzes vom 6. April 1870, zum Schutze des Brief- und Schriftengeheimnisses, RGBl. Nr. 42). Es könnte argumentiert werden, daß auch die Beschlagnahme und Öffnung von Briefen im Rahmen einer Hausdurchsuchung nur dann zulässig ist, wenn der richterliche Hausdurchsuchungsbefehl hiefür eine ausdrückliche Ermächtigung oder zumindest insoferne eine Ermächtigung enthält, als nach einer Sache zu suchen ist, die in einem Brief enthalten sein kann (vgl. VfSlg. 2990/1956, 3592/1959, 6829/1972, 11098/1986).

Der Annahme, daß aufgrund des Art10 StGG für jede Beschränkung des Briefgeheimnisses eine richterliche Ermächtigung erforderlich ist, steht jedoch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Eröffnung von Briefen für Strafgefangene durch die Anstalt entgegen. Für derartige Akte hat der Verfassungsgerichtshof nämlich keine gerichtliche Genehmigung verlangt (VfSlg. 6464/1971, 6564/1971, 6720/1972).

5. Auch was schließlich den Zweck der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle anlangt, so unterscheidet sich der Zweck der Kontrolle des Briefverkehrs bei Schubhäftlingen (im fremdenpolizeilichen Verfahren) vom Zweck dieser Maßnahme bei Verwahrungs- oder Untersuchungshäftlingen (im Strafprozeß) nicht signifikant. Letztlich sind beide Formen der Freiheitsbeschränkung als Sicherungsmaßnahme mit präventiver Ausrichtung anzusehen. Wie die Verwahrungshaft der Sicherung des Strafverfahrens (im Hinblick auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr) und der Verhinderung von strafbaren Handlungen (im Hinblick auf Tatbegehungs- und Ausführungsgefahr) dient, so bezweckt auch die Schubhaft nach dem klaren Wortlaut des für die Beurteilung der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle maßgeblichen §5 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes einerseits die Sicherung der Außerlandesschaffung des Fremden und des zu diesem Zweck durchzuführenden Verwaltungsverfahrens, andererseits aber auch die Verhinderung eines unmittelbar zu befürchtenden strafbaren Verhaltens des Fremden.

6. Abschließend darf auch darauf hingewiesen werden, daß nach Auffassung der Bundesregierung die Kontrolle des Briefverkehrs eines Schubhäftlings öffentlichen Interessen, die in Art8 Abs2 EMRK angeführt sind, dient, insbesondere der öffentlichen Ruhe und Ordnung; im Hinblick auf Art8 Abs2 EMRK kann sie daher eine notwendige Maßnahme sein, um etwa der Verabredung der Flucht entgegenzuwirken."

Abschließend stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle nicht verfassungswidrig war.

4. Der UVS verzichtete auf die Abgabe einer Äußerung.

II. Die wichtigsten, dem Bescheid des UVS zugrundeliegenden Rechtsvorschriften lauten (die in Prüfung genommene Regelung ist hervorgehoben):

1. §5 Abs3 und 5 FrPolG:

"§5. (1) ...

(2) ...

(3) Die Schubhaft ist im Haftraum der Behörde zu vollziehen, die sie verhängt hat. Kann diese Behörde die Schubhaft nicht vollziehen, so ist die nächstgelegene Bezirksverwaltungs- oder Bundespolizeibehörde, die über einen Haftraum verfügt, um den Vollzug zu ersuchen. Kann auch diese Behörde die Schubhaft nicht vollziehen, so ist der Leiter des gerichtlichen Gefangenenhauses, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, um den Vollzug zu ersuchen; er hat dem Ersuchen zu entsprechen, soweit dies ohne Beeinträchtigung anderer gesetzlicher Aufgaben möglich ist.

(4) ...

(5) Für die Anhaltung in Schubhaft im Haftraum einer Verwaltungsbehörde gilt §53 c Abs1 bis 5 VStG 1950 sinngemäß.

(6) ..."

2. §53c Abs3 und 5 VStG:

"Durchführung des Strafvollzuges

§53 c. (1) ...

(2) (Handelt von Häftlingen) ...

(3) Ihr Briefverkehr darf nicht beschränkt, sondern nur durch Stichproben überwacht werden. Schriftstücke, die offenbar der Vorbereitung oder Weiterführung strafbarer Handlungen oder deren Verschleierung dienen, sind zurückzuhalten. Geld- oder Paketsendungen sind frei. Pakete sind in Gegenwart des Häftlings zu öffnen. Sachen, die die Sicherheit und Ordnung gefährden können, sind ihm jedoch erst bei der Entlassung auszufolgen, sofern sie nicht wegen ihrer Beschaffenheit vernichtet werden müssen.

(4) ...

(5) Der Brief- und Besuchsverkehr von Häftlingen mit inländischen Behörden und Rechtsbeiständen sowie mit Organen, die durch für Österreich verbindliche internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet sind, darf weder beschränkt noch inhaltlich überwacht werden. Das gleiche gilt für den Verkehr ausländischer Häftlinge mit diplomatischen und konsularischen Vertretern ihres Heimatstaates.

(6) ..."

III. 1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Das Verfahren hat nichts ergeben, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Rechtsvorschrift zweifeln ließe. Daß das FrPolG gemäß §86 Abs3 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992, mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft getreten ist, steht einer Erledigung in der Sache nicht entgegen. Ob eine Norm noch in Kraft steht oder bereits außer Kraft getreten ist, ist nämlich keine Frage der Zulässigkeit einer Normenprüfung, sondern eine solche der Sachentscheidung, die der Gerichtshof an der jeweiligen Situation auszurichten hat (vgl. VfSlg. 4920/1965, 8253/1978, 8871/1980, 11469/1987). Auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.

2. Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken erweisen sich aber als nicht begründet:

Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Verwaltungsstrafgesetz-Novelle 1987 (133 BlgNR 17. GP, S. 13) zu entnehmen ist, geht §53c Abs3 VStG

"von dem Grundsatz aus, daß der Postverkehr eines Häftlings keinen Beschränkungen unterliegt. Mit diesem Grundsatz wird der Stellung eines Verwaltungshäftlings - im Gegensatz zu den gerichtlichen Strafgefangenen - Rechnung getragen, vor allem aber besteht kein Grund, warum der Postverkehr für solche Personen grundsätzlich beschränkt werden soll. Es ist aber gleicherweise offensichtlich, daß eine gewisse Überwachung dieses Verkehrs erforderlich ist, weshalb eine stichprobenweise Überwachung des Briefverkehrs für zulässig erklärt wird. Ferner ist es notwendig, jenen Verkehr, der auf strafbares Handeln abzielt, zu unterbinden."

Angesichts dieser Überlegungen geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß es die Absicht des Gesetzgebers war, den Briefverkehr von Verwaltungshäftlingen im wesentlichen ohne Beschränkung zuzulassen. Er ist ferner der Meinung, daß die Befugnis zur Zurückhaltung von Schriftstücken gemäß dem zweiten Satz des §53c Abs3 VStG bei Schubhäftlingen von vornherein angesichts der lediglich sinngemäßen Anwendbarkeit des §53c Abs1 bis 5 VStG ausscheidet, weil eine Vorbereitung oder Weiterführung strafbarer Handlungen oder deren Verschleierung bei Schubhäftlingen nicht in Betracht kommt, dient doch die Schubhaft weder der Aufdeckung noch der Verhinderung von Straftaten, geschweige denn deren Sanktionierung, sondern lediglich der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes. Gemäß §5 Abs5 FrPolG war sohin auf Schubhäftlinge lediglich - bei grundsätzlicher Unbeschränktheit ihres Briefverkehrs - die Verpflichtung zur stichprobenweisen Überwachung dieses Briefverkehrs sowie zur Öffnung von Paketen anzuwenden. Nur diese gesetzlichen Eingriffsermächtigungen sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem Schutz des Briefgeheimnisses gemäß Art10 StGG und dem Anspruch auf Achtung des Briefverkehrs gemäß Art8 Abs1 EMRK zu prüfen.

Art10 StGG verbietet im ersten Satzteil die Verletzung des Briefgeheimnisses und läßt in seinem zweiten Satzteil in vier bestimmten Fällen die Beschlagnahme von Briefen zu. Unter einer derartigen Beschlagnahme ist ein Hoheitsakt zu verstehen, durch den, "ohne Rücksicht auf den Willen des Betroffenen, eine provisorische Aufhebung der faktischen oder der rechtlichen Verfügungsmöglichkeiten" über einen Brief herbeigeführt wird (Weiler, Die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte an Briefen, JBl. 1958, S. 226, unter Hinweis auf Mischler-Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch, 1. Band, 1905, S. 484). Die Beschlagnahme eines Briefes bewirkt also eine Unterbrechung des Briefverkehrs durch die Unterbindung der Beförderung des Briefes an dessen Adressaten durch staatliche Organe. Zwar wird mit Rücksicht auf den Schutzzweck des Briefgeheimnisses auch die Ermittlung des Briefinhaltes, also die Öffnung des Briefes, seiner Beschlagnahme im Rechtssinne zugeordnet (Weiler, aaO). Mag aber auch die behördliche Beschlagnahme, also die Unterbrechung des Briefverkehrs, die Kenntnisnahme des Briefinhaltes durch die Behörde umfassen, so kann doch umgekehrt noch nicht die Öffnung eines Briefes - etwa aus sicherheitspolizeilichen Gründen - bereits mit dessen Beschlagnahme gleichgesetzt werden. Ferner ist nicht anzunehmen, daß die Öffnung des Briefes durch die Behörde nur im Falle oder in Verbindung mit der Beschlagnahme des Briefes verfassungsrechtlich zulässig sein soll. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Verfassungsgesetzgeber, der sogar die Beschlagnahme von Briefen (einschließlich ihrer damit verbundenen Öffnung) in bestimmten Fällen ausdrücklich vorgesehen und zugelassen hat, den gelinderen Eingriff in den Briefverkehr, den die Ermittlung des Briefinhaltes durch die Behörde bedeutet, auch ohne Beschlagnahme des Briefes in gesetzlich begründeten Fällen zugelassen hat.

Zwar greift sohin auch die Öffnung von Briefen durch die Behörde in den Schutz des Briefgeheimnisses gemäß Art10 StGG sowie des Briefverkehrs gemäß Art8 Abs1 EMRK ein. Gleichwohl ist der Gesetzgeber nicht gehindert, aus Gründen überwiegender öffentlicher Interessen Fälle vorzusehen, in denen die Kenntnisnahme des Briefinhaltes durch die Behörde auch ohne Vorliegen eines Beschlagnahmegrundes im Sinne des zweiten Satzteiles des Art10 StGG zulässig ist. Welche öffentlichen Interessen vom Gesetzgeber als Gründe herangezogen werden können, um eine vereinzelte und ausnahmsweise Öffnung von Briefen (ohne deren Beschlagnahme) vorzusehen, ist verfassungsrechtlich dem Gesetzesvorbehalt des Art8 Abs2 EMRK zu entnehmen.

Eine auf Stichproben reduzierte Überwachung des Briefverkehrs von Schubhäftlingen (ohne Beschlagnahme von Briefen) ist als eine Maßnahme zu betrachten, die in einer demokratischen Gesellschaft für "die öffentliche Ruhe und Ordnung" sowie für "die Verteidigung der Ordnung" im Sinne des Art8 Abs2 EMRK notwendig ist. Die Schubhaft dient dazu, daß sich Fremde einem ihnen geltenden behördlichen Verfahren nicht entziehen können. Auch die im Falle eines entsprechenden Verdachts zulässige stichprobenweise Überwachung der brieflichen Kontakte von Schubhäftlingen durch die Behörde soll verhindern, daß der Zweck der Schubhaft vereitelt wird. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß gemäß dem auf Schubhäftlinge ebenfalls sinngemäß anzuwendenden §53c Abs5 VStG der Briefverkehr mit Behörden, mit Rechtsbeiständen, mit internationalen Organen für den Schutz der Menschenrechte sowie mit diplomatischen und konsularischen Vertretern ihres Heimatstaates "weder beschränkt noch inhaltlich überwacht werden" darf und damit die ausnahmsweise Zulässigkeit einer stichprobenweisen Kontrolle des Briefinhaltes eine weitere, wesentliche Einschränkung im Interesse der Wahrung des Briefgeheimnisses erfährt.

Insgesamt erweisen sich sohin die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken gegen §5 Abs5 FrPolG nicht als berechtigt.

IV. Gemäß §86 Abs3 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992, trat das FrPolG mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft. Der Verfassungsgerichtshof hatte daher gemäß Art140 Abs4 B-VG festzustellen, daß §5 Abs5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954, in der Fassung der Novelle BGBl. 451/1990, nicht verfassungswidrig war.

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