Normen
B-VG-Nov 1988 BGBl 685 ArtIX Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
EMRK Art5
VStG §54b Abs2
B-VG-Nov 1988 BGBl 685 ArtIX Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
EMRK Art5
VStG §54b Abs2
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch die am Vormittag des 16. September 1990 erfolgte Festnahme durch zwei Beamte der Städtischen Sicherheitswache Dornbirn und die daran anschließende Anhaltung zunächst in der Wachstube derselben, sodann im Landesarrest Bludenz bis 13.00 Uhr desselben Tages in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit 15.000,-- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer begehrt in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 16. September 1990 dadurch, daß er durch einen Gendarmeriebeamten des Gendarmeriepostens Dornbirn (richtig: durch zwei Beamte der Städtischen Sicherheitswache Dornbirn) festgenommen, zunächst in dessen Posten kurzzeitig, sodann im Landesarrest Bludenz angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art8 StGG verletzt worden.
Diese Festnahme sei darauf gestützt worden, daß der Beschwerdeführer die mit einer Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch verhängte Geldstrafe nicht bezahlt habe; in Wirklichkeit sei diese Geldstrafe bei der Amtskasse der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch schon am 16. Juli 1990 beglichen worden.
1.2. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Bezirkshauptmannschaften Feldkirch und Dornbirn sowie des Bürgermeisters der Stadt Dornbirn und dem damit in allen entscheidungswesentlichen Punkten übereinstimmenden Parteienvorbringen geht hervor, daß über den Beschwerdeführer mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 14. April 1989, Zl. X-4707/1989, wegen zweier Verwaltungsübertretungen, und zwar gemäß §102 Abs1 und §7 Abs1 Kraftfahrgesetz 1967 iVm.
§4 Abs4 Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung bzw. gemäß §102 Abs2 Kraftfahrgesetz 1967 Geldstrafen von 800,-- S und 300,-- S (insgesamt 1.100,-- S) und Ersatzarreststrafen von 48 bzw. 18 Stunden (insgesamt 66 Stunden) verhängt wurden. Diese Strafverfügung, deren Zustellung durch Hinterlegung beim Postamt erfolgte, erwuchs offenkundig in Rechtskraft.
Da die Geldstrafe nicht bezahlt wurde, betrieb die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt.
Mit Note vom 19. Juni 1990 übertrug die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch die Durchführung des Strafvollzuges gemäß §29a VStG 1950 auf die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, welche unter dem 10. Juli 1990 die Städtische Sicherheitswache Dornbirn ersuchte, dem Beschwerdeführer die Vorführung zum Strafantritt zu übermitteln und seine Vorführung zu veranlassen.
Am 16. Juli 1990 suchte ein Beamter der Städtischen Sicherheitswache Dornbirn den Beschwerdeführer zu Hause auf, um diesen Auftrag auszuführen. Der Beschwerdeführer berief sich aber darauf, daß die Geldstrafe schon bezahlt sei, worauf die Vorführung unterblieb. Am selben Tage wurde der Strafbetrag von 1.100,-- S bei der Amtskasse der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch in bar erlegt. Aus Versehen der genannten Behörde wurde das Strafvollzugsersuchen jedoch nicht widerrufen.
Am 16. September 1990 vormittags wurde sodann der Beschwerdeführer in Dornbirn von zwei Beamten der Städtischen Sicherheitswache Dornbirn festgenommen, mit deren Dienstfahrzeug vorläufig in die Wachstube gebracht und sodann in den Landesarrest Bludenz überstellt, wo er von ca. 11.00 Uhr bis 13.00 Uhr festgehalten wurde; um ca. 13.00 Uhr desselben Tages wurde der Beschwerdeführer - nach neuerlicher Bezahlung der Geldstrafe (welche inzwischen refundiert wurde) - auf freien Fuß gesetzt. Ob dem Beschwerdeführer bei seiner Festnahme die Verfügung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch zum Strafantritt - datiert mit 14. März 1990 - ausgehändigt wurde, ist nicht aktenkundig.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:
2.1.1. Die geschilderte Festnehmung und Anhaltung des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangener Verwaltungsakt, der nach Art144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar ist.
2.1.2. Ein Instanzenzug kommt vorliegendenfalls nicht in Betracht. Das gegenständliche verfassungsgerichtliche Verfahren war beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 anhängig und ist deshalb gemäß ArtIX Abs2 des BVG BGBl. 685/1988 nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Das - gemäß Art8 Abs4 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988, hier (noch) anzuwendende (s. dazu 2.1.2.) - Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz im Sinne des Art44 Abs1 B-VG zu gelten hat, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Zu diesen im Gesetz bestimmten Fällen zählt auch die Bestimmung des §54b Abs2 VStG 1950, welche die Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe davon abhängig macht, daß die "Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist"; der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe hat aber zu unterbleiben, soweit die ausstehende Geldstrafe erlegt wird. Fände die Festnehmung und Anhaltung des Beschwerdeführers in dieser Gesetzesvorschrift keine Deckung, wäre er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art8 StGG und Art5 MRK verletzt worden (vgl. VfSlg. 8642/1979, 8770/1980, 9837/1983, 10.418/1985 ua.).
2.2.2.1. Wie der Sachverhaltsdarstellung (s. 1.2.) zu entnehmen ist und von allen befaßten Behörden uneingeschränkt zugestanden wird, hatte der Beschwerdeführer die über ihn verhängte Geldstrafe am 16. Juli 1990, also zwei Monate vor der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe beglichen. Eine gesetzmäßige Vollstreckung der Geldstrafe kam nach diesem Zeitpunkt somit überhaupt nicht mehr in Betracht, insbesondere durfte die nur für den Fall der Nichteinbringung verhängte Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollzogen werden. Die Verhaftung und Anhaltung des Beschwerdeführers war allein schon deshalb, weil sie trotz Fehlens der Voraussetzung der Nichtbezahlung der verhängten Geldstrafe vorgenommen wurde, gesetzwidrig.
2.2.2.2. Sie ist aber auch aus dem weiteren Grund rechtswidrig, weil das VStG 1950 (vgl. früher §53 Abs4 VStG 1950, seit der Novelle BGBl. 516/1987 §54b Abs2 leg.cit.) nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe anstelle der Geldstrafe keineswegs in das Belieben der Vollzugsbehörde stellt. Vielmehr hat diese Behörde, ehe sie die Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug setzt, entweder ein Vollstreckungsverfahren durchzuführen oder aber Erhebungen zu pflegen, deren Ergebnis die Annahme rechtfertigen muß, die verhängte Geldstrafe sei mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich (vgl. VfSlg. 8642/1979, 8679/1979, 9046/1981, 9837/1983, 10.418/1985 ua.).
Ein Vollstreckungsverfahren (im Sinne des §3 VVG 1950) wurde hier nach Lage der Akten nicht durchgeführt. Auch sind Erhebungen über die allfällige Einbringlichkeit der Geldstrafe weder aktenkundig noch wurden solche von irgendeiner Seite behauptet.
Daraus folgt, daß auch in dieser Hinsicht die Voraussetzung einer Festnahme und Anhaltung gemäß §54b Abs2 VStG 1950 nicht gegeben waren.
2.2.2.3. Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob hier die weitere Voraussetzung der in §53b Abs1 VStG 1950 - zwingend - vorgeschriebenen Aufforderung zum Antritt der (Ersatz-)Freiheitsstrafe (s. VfSlg. 8642/1979, 8770/1980, 10.555/1985, 10.860/1986, 11.527/1987 ua.) erfüllt war.
2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der Beschwerdeführer, wie er zutreffend geltend macht, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG, Art5 MRK) verletzt wurde.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500,-- S enthalten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist als belangte Behörde nicht die beauftragende, sondern die beauftragte, also jene Behörde anzusehen, die dem Beschwerdeführer gegenüber handelnd aufgetreten ist (vgl. VfSlg. 3449/1958, 3784/1960, 6352/1970, 8770/1980). Das war hier die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. Da diese in Vollziehung einer Verwaltungsstrafe nach dem Kraftfahrgesetz in ihrer Funktion als Organ des Bundes (Art10 Abs1 Z9 B-VG - Kraftfahrwesen) gehandelt hat, war der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) zum Kostenersatz zu verpflichten (vgl. VfSlg. 8770/1980).
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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