European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120NS00039.25V.0613.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.
Gründe:
[1] Mit Anklageschrift vom 22. April 2025 (ON 41) legt die Staatsanwaltschaft Klagenfurt * M* jeweils einem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I) und nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II/1) sowie dem Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 SMG (II/2) subsumierte Handlungen zur Last.
[2] Danach habe er vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge
(I) einem anderen überlassen, und zwar am 15. Oktober 2024 in Wien 1.000 Gramm Kokain (mit einer Reinsubstanz von 50 % [33,33-fache Grenzmenge]), indem er es einer namentlich bezeichneten Person verkauft habe;
(II/1) eingeführt, und zwar am 5. Dezember 2024 2.022,78 Gramm Kokain (mit einer Reinsubstanz von 1.736,63 Gramm [115,76-fache Grenzmenge]), indem er es von Serbien über Ungarn kommend über einen unbekannten Grenzübergang nach Österreich transportiert habe;
(II/2) mit dem Vorsatz besessen und befördert, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar am 6. Dezember 2024 das zu II/1 genannte Kokain, indem er es in einem Fahrzeug versteckt habe und damit von Wien bis zu einer Autobahnraststation in Tibitsch gefahren sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen diese Anklageschrift erhob der Angeklagte – unter anderem aus dem Grund des § 212 Z 6 StPO – Einspruch (ON 43).
[4] Mit Beschluss vom 12. Mai 2025, AZ 9 Bs 91/25p, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 5, 7 und 8 des § 212 StPO – die Akten nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei (ON 45).
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[5] Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder (wie hier) einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).
[6] Nach dieser Gesetzessystematik normiert der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS-Justiz RS0124935).
[7] Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit sind hier demnach (nur) die strafbaren Handlungen (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) maßgeblich, die sachlich in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallen (RIS-Justiz RS0133394), also der den Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I) und nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II/1) subsumierte Anklagevorwurf (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO).
[8] Da vorliegend nicht schon einer der Anknüpfungspunkte des § 37 Abs 2 erster Satz StPO die Zuständigkeit nur eines bestimmten Gerichts erbringt, ist mit der Prüfung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO fortzufahren.
[9] Indem § 37 Abs 2 dritter Satz StPO an die Begehung einer der angeklagten strafbaren Handlungen (nicht wie § 36 Abs 3 StPO an die Ausführung einer Straftat) anknüpft, stellt – ähnlich wie nach § 67 Abs 2 StGB – neben dem Ort des (gebotenen) Handelns auch jener des Erfolgseintritts einen Begehungsort dar (13 Ns 94/20g, 14 Ns 78/20m). Liegt nur einer von mehreren (auch in Form von Handlungsorten) in Betracht kommenden Begehungsorten im Sprengel der anklagenden Staatsanwaltschaft (vgl 14 Ns 60/15g), gibt dies nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO den Ausschlag für die Zuständigkeit (vgl [zu § 67 Abs 2 StGB] RIS-Justiz RS0092155, RS0092073; Salimi in WK² StGB § 67 Rz 24). Nach dem Anklagesachverhalt (ON 41, 3 ff) und Akteninhalt (insb ON 34 und ON 38; vgl RIS-Justiz RS0131309 [T3]) befindet sich zu I und II/1 der Anklageschrift keiner dieser Orte im Sprengel des Landesgerichts Klagenfurt. Auch der im Sprengel dieses Gerichts gelegene Ort, an dem der Angeklagte betreten wurde (§ 36 Abs 3 zweiter Satz letzter Fall StPO), stellt (nach dem Gesetzeswortlaut) keinen Begehungsort im Sinn des § 37 Abs 2 dritter Satz StPO dar (vgl 14 Ns 78/20m, 14 Ns 17/21t).
[10] Somit ist jenes Gericht für das (gesamte) Verfahren zuständig, in dessen Zuständigkeit (§ 36 Abs 3 StPO) die früheste der (ausschlaggebenden) Straftaten fällt. Dies ist die zu I der Anklageschrift dargestellte Tat, deren Handlungsort (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO) nach der Verdachtslage im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Wien liegt.
[11] Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das zunächst über den Einspruch zu entscheiden hat (RIS-Justiz RS0124585). Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine pauschale Verweisung auf die Begründung des bloß zur vorläufigen (nicht bindenden) Prüfung aufgerufenen Oberlandesgerichts Graz, wenn dessen Beurteilung geteilt wird (RIS-Justiz RS0125228). Im Fall der Abweisung des Einspruchs sind die Akten dem zuständigen Gericht zuzuweisen (§ 215 Abs 4 erster Satz StPO).
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