European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00079.24W.0129.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiete: Amtsdelikte/Korruption, Wirtschaftsstrafsachen
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) führt zu (nunmehr) AZ 17 St 18/23x ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen Mag. Fl* und * Fr*, MSc, wegen des Verdachts der Verbrechen der Untreue nach §§ 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB und der Bestechlichkeit nach §§ 304 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB sowie wegen des Verdachts der Verantwortlichkeit des Verbands „Die *“ nach § 3 Abs 1 Z 1 VbVG für die von seinem Entscheidungsträger im Sinn des § 2 Abs 1 VbVG zu seinen Gunsten begangenen Taten.
[2] Am 16. August 2022 ordnete die WKStA gegenüber dem Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) die Sicherstellung folgender Gegenstände an: „E‑Mail-Postfächer, eOffice‑Dokumente (oder sonstige Co‑Working-Spaces), persönlich zugeordnete Laufwerke (und diesbezügliche Backups und Sicherungskopien) von sämtlichen MitarbeiterInnen des Bundeskanzleramtes, die im Zeitraum 19. Dezember 2017 bis 6. Oktober 2021
‑ im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und/oder in der Stabsstelle für strategische Kommunikation tätig waren (insbesondere Pressearbeit, Journalistenbetreuung, Digitale Kommunikation, Informationsdienst),
‑ im Bereich der Informationstätigkeit der Bundesregierung (insbesondere Informationsinitiativen, Mediaplanung- und Budget)
‑ im Kabinett, die für die beiden genannten Bereiche zuständig waren, samt jeweils allfällig zugeordneter TeamassistentInnen und BüromitarbeiterInnen“ (ON 2892 S 1 f).
[3] Ein Ersuchen um Amtshilfe wurde mangels Zugriffsmöglichkeit der Dienstbehörden auf private Inhaltsdaten der Bediensteten, die im Rahmen zulässiger Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik des Bundes generiert wurden, als nicht möglich erachtet. Denn die Behörde könne im Rahmen ihres „gesetzlichen Wirkungsbereichs“ (Art 22 B‑VG) auf private Daten im Sinn des § 79e Abs 3 BDG nicht zugreifen (ON 2892 S 9 f).
[4] Mit Ausnahme der Anordnung, die Löschung von Backups mit den gesuchten Daten zu unterbinden, wurde die betreffende Sicherstellungsanordnung nicht umgesetzt (ON 2910 S 2; Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 7. September 2023, AZ 17 Bs 295/22i, S 7 [die im Folgenden mit BS bezeichneten Seitenangaben beziehen sich jeweils auf diesen Beschluss]; vgl die in der Folge erlassene Anordnung ON 3288).
[5] Mit Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 StPO vom 14. September 2022 beantragte die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, (im Wesentlichen) die bezeichnete Anordnung der Sicherstellung für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben, weil diese mangels ausreichender Konkretisierung der sicherzustellenden Gegenstände nicht gesetz- und verhältnismäßig sei, eine Vielzahl privater und sensibler Daten betroffen wäre und überdies Amtshilfe vorrangig gewesen wäre (ON 2992 S 7 ff, 17).
[6] Nach Vorlage des Einspruchs an das Landesgericht für Strafsachen Wien mit ablehnender Stellungnahme der WKStA vom 6. Oktober 2022 (ON 3033) berief sich die Einspruchswerberin in ihrer Gegenäußerung vom 19. Oktober 2022 auf eine Verletzung „in ihren subjektiven Rechten nach § 5 StPO auf gesetzesgemäße Führung des Ermittlungsverfahrens sowie die gesetzmäßige Ausgestaltung der Ermittlungsmaßnahmen, nach § 5 iVm § 74 Abs 2 StPO auf Beachtung des Grundsatzes der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit beim Verarbeiten personenbezogener Daten, nach § 5 iVm §§ 102 und 110 StPO auf die ausreichende Konkretisierung und Begründung der Anordnung der Sicherstellung vom 16. August 2022 und nach § 5 iVm §§ 95 und 96 StPO auf Errichtung eines gesetzmäßigen Aktenvermerks“ (ON 3116 S 7).
[7] Im Umfang des Antrags, den Aktenvermerk vom 16. September 2022 (ON 2989) für rechtswidrig zu erklären (ON 3116 S 39 f), wertete die WKStA die Gegenäußerung als erneuten Einspruch wegen Rechtsverletzung, zu welchem sie ablehnend Stellung nahm (ON 3225).
[8] Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies die Einsprüche wegen Rechtsverletzung mit Beschluss vom 6. Dezember 2022, GZ 316 HR 191/20p‑3296, zurück und ab.
[9] Inhaltlich erachtete es den Einspruch hinsichtlich der Verletzung subjektiver Rechte nach § 5 iVm § 74 Abs 2 StPO auf Beachtung des Grundsatzes der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit beim Verarbeiten personenbezogener Daten und nach § 5 iVm §§ 102 und 110 StPO auf ausreichende Konkretisierung und Begründung der Anordnung der Sicherstellung vom 16. August 2022 als zulässig, jedoch nicht berechtigt. Soweit die Einspruchswerberin eine Verletzung in ihren subjektiven Rechten nach § 5 StPO auf gesetzesgemäße Führung des Ermittlungsverfahrens sowie die gesetzmäßige Ausgestaltung der Ermittlungsmaßnahmen und nach § 5 iVm §§ 95 und 96 StPO auf Errichtung eines gesetzmäßigen Aktenvermerks geltend machte, wies es die Einsprüche zurück (ON 3296 S 9 ff). In tatsächlicher Hinsicht ging das Gericht davon aus, dass die Republik Österreich Inhaberin der sicherzustellenden Daten sei (ON 3296 S 11).
[10] Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen erhobenen Beschwerde der Republik Österreich (ON 3364) mit Beschluss vom 7. September 2023, AZ 17 Bs 295/22i, nicht Folge.
[11] Zur Legitimation zur Erhebung eines Einspruchs nach § 106 Abs 1 StPO und einer Beschwerde nach § 87 Abs 1 StPO führte das Beschwerdegericht aus (BS 27 f), dass als von der Sicherstellung Betroffener (vgl § 48 Abs 1 Z 4 StPO) nur ein rechtsfähiges Subjekt (juristische Person/natürliche Person) in Betracht komme. Die gegenständliche Sicherstellungsanordnung beziehe sich auf Daten in der faktischen Verfügungsmacht des Bundeskanzleramts, welches als Bundesministerium bloß einen Hilfsapparat der Behörde „Bundeskanzler“ darstelle, sodass der Bund (Republik Österreich) als erstes rechtsfähiges Subjekt in der Kette als „Betroffener“ zu qualifizieren sei. Diesem, vertreten durch die Finanzprokuratur, komme sohin als Träger von Rechten und Pflichten auch die Legitimation zur Erhebung eines Einspruchs nach § 106 Abs 1 StPO und einer Beschwerde nach § 87 Abs 1 StPO zu. Da § 112a StPO sonst keinen Anwendungsbereich habe, sei Sicherstellung grundsätzlich auch in Behörden und öffentlichen Dienststellen zulässig (BS 27 ff). Der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin, wonach sich § 112a StPO lediglich auf außerhalb der Amtsräumlichkeiten sichergestellte (amtliche) schriftliche Aufzeichnungen oder Datenträger beziehe, werde […] nicht beigetreten (BS 31). Daraus, dass das ersuchende Organ ein subjektives Recht auf Leistung […] von Amtshilfe nicht habe, lasse sich nicht ableiten, dass es der ersuchten Behörde verwehrt wäre, in jenen Fällen, in denen sie von einer Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unmittelbar betroffen ist, […] Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO zu erheben (BS 38).
[12] Allerdings liege – soweit hier wesentlich – eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren subjektiven Rechten nach § 5 iVm § 74 Abs 2 StPO auf Beachtung des Grundsatzes der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit beim Verarbeiten personenbezogener Daten und nach § 5 iVm §§ 102 und 110 StPO auf ausreichende Konkretisierung und Begründung der Sicherstellungsanordnung nicht vor, sodass die Abweisung des Einspruchs zu Recht erfolgt sei (BS 31 ff, 44 f).
[13] In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur Folgendes aus:
1./ Gemäß § 106 Abs 1 StPO steht Einspruch wegen Rechtsverletzung jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein. Diese Verletzung kann entweder in der Verweigerung eines durch die StPO eingeräumten Rechts bestehen (§ 106 Abs 1 Z 1 StPO) oder darin begründet sein, dass eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnet oder durchgeführt wurde (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO). Die aktive Legitimation zur Einbringung eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung beschränkt sich demnach nicht bloß auf den Kreis der eigentlichen Verfahrens-beteiligten, sondern kommt letztlich jeder natürlichen oder juristischen Person zu, die sich durch die Führung eines Ermittlungsverfahrens nach der StPO kausal in einem subjektiven Recht verletzt erachtet.
Unter einem subjektiven Recht wird eine Rechtsmacht verstanden, die dem Einzelnen von der Rechtsordnung verliehen ist. Als subjektive Rechte im Sinn des § 106 StPO sind zum einen jene Rechte anzusehen, die dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach der StPO einräumen, zum anderen solche, welche die bei der Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach der StPO konkret einzuhaltenden Voraussetzungen und Bedingungen festlegen.
§ 106 StPO bezieht sich nicht nur auf ausdrücklich als Rechte titulierte Bestimmungen der StPO, sondern auch auf Vorschriften, deren Sinn und Zweck zeigen, dass der Betroffene an der Einhaltung eben dieser Vorschrift ein berechtigtes Interesse hat; allerdings ist der Rechtsbehelf auf die Geltendmachung jener subjektiven Rechte eingeschränkt, die nach der StPO eingeräumt sind (zu alldem: Pilnacek/Stricker, WK‑StPO § 106 Rz 10 ff).
Nach den Materialien zum Strafprozessreformgesetz sind unter Eingriffen „in ein subjektives Recht durch Ausübung einer Befugnis nach dieser Strafprozessordnung“ nur „Grundrechtseingriffe“ zu verstehen. Da zum Einspruch nur legitimiert ist, wer sich „unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet“ (EBRV 25 BlgNR 22. GP 141, 143), ist kommissarischer Rechtsschutz durch staatliche Organe nicht erfasst. Um zum Einspruch legitimiert zu sein, müssten Behörden demnach Grundrechtsträger sein (Ratz, Zwangsmittel gegen und „subjektive“ Rechte von Behörden, ÖJZ 2023, 942 [943]). Da Behörden aber – so wie alle staatlichen Organe – Träger von Hoheitsgewalt und als solche ausschließlich grundrechtsverpflichtet sind, können sie selbst keine Grundrechte innehaben; es kann daher auch nicht von Eingriffen in die Rechte von staatlichen Akteuren gesprochen werden (Zerbes, Und es gibt sie doch: die Gewaltentrennung im Strafprozess – Amtshilfe statt Zwangsmittel, in Lewisch, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2020, 41 [45 f]; vgl auch Ratz, Sicherstellung, Durchsuchung und Amtshilfe im Verhältnis zueinander, ÖJZ 2023, 599 [FN 90]).
Eine Gebietskörperschaft ist dementsprechend überhaupt kein „Betroffener“ im Sinn der §§ 48 Abs 1 Z 4 und 106 Abs 1 StPO (Tipold/Zerbes, WK‑StPO Vor §§ 110–115 Rz 15/1 [allerdings zur Rechtslage vor Einführung des § 112a StPO]). Dass eine Behörde bzw deren Rechtsträger zur Erhebung eines Einspruchs nach § 106 Abs 1 StPO nicht berechtigt ist, führt auch zu keinem Rechtsschutzdefizit. Denn Zwangsmaßnahmen gegen Behörden und öffentliche Dienststellen kommen – auch unter Berücksichtigung von § 112a StPO, der keine Eingriffsbefugnis normiert – ohnehin nicht in Betracht, sodass diese keiner strafprozessualen Remedien als Amtspartei bedürfen (Ratz, Sicherstellung, Durchsuchung und Amtshilfe im Verhältnis zueinander, ÖJZ 2023, 599 [604 f]).
Unzulässige Einsprüche, etwa infolge fehlender Anspruchslegitimation, sind zurückzuweisen. In allen anderen Fällen, in denen das Gericht zu einer materiellen Prüfung des Einspruchs veranlasst ist, kommt nur eine Entscheidung in der Sache selbst und damit die Stattgebung oder Abweisung des Einspruchs jeweils durch Beschluss in Betracht (Pilnacek/Stricker, WK‑StPO § 107 Rz 13 f).
Indem das Landesgericht für Strafsachen Wien den Einspruch wegen Rechtsverletzung der Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen Verletzung in ihren subjektiven Rechten nach § 5 iVm § 74 Abs 2 StPO und nach § 5 iVm §§ 102 und 110 StPO als zulässig (wenn auch nicht berechtigt) erachtete (ON 3296 S 9) und die Einsprüche insoweit abwies (ON 3296 S 1, 18 f) und das Oberlandesgericht Wien diese Rechtsansicht bestätigte (BS 27 ff, 44 f), verletzen die betreffenden Beschlüsse §§ 106 Abs 1 und 107 Abs 1 erster Satz StPO.
2./ Gegen die Ansicht, dem „Staat“ kämen prinzipiell keine subjektiven Rechte, insbesondere keine Grundrechte, zu, weshalb eine Einspruchslegitimation zu verneinen wäre, lässt sich allerdings Folgendes einwenden:
Der Gesetzgeber hat Gebietskörperschaften und staatlichen Organen in diversen Verwaltungsverfahren nicht nur Parteistellung eingeräumt, sondern diesen bisweilen explizit „subjektive Rechte“ zuerkannt (Pöschl, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 16. ÖJT Band I/2, 6 [8, 30 und 33]; siehe auch die Beispiele bei Grabenwarter, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 16. ÖJT Band I/1, 5 [136 ff]), wobei Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte anzusehen sind (Pöschl, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 16. ÖJT Band I/2, 6 [9]).
Der Verwaltungsgerichtshof lässt Parteibeschwerden iSd Art 131 Abs 1 Z 1 B‑VG (idF vor BGBl I 2012/51; nunmehr Revision iSd Art 133 Abs 6 Z 1 B‑VG) zu, soweit das staatliche Organ eine eigene Interessenssphäre hat, die ihm dem Staat gegenüber zusteht (VwGH 1. 7. 2005, 2003/03/0082; siehe auch Grabenwarter, Subjektive Rechte und Verwaltungsrecht, 16. ÖJT Band I/1, 5 [150]).
Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs können juristische Personen des öffentlichen Rechts – einschließlich der Gebietskörperschaften – Grundrechtsträger sein (VfSlg 9320/1982 [Bund], 11.828/1988 [Land], 12.669/1991 und 17.557/2005 [Gemeinden]; vgl auch Berka/Binder/Kneihs, Die Grundrechte² 121, Kucsko-Stadlmayer in Merten/Papier/Kucsko‑Stadlmayer, Handbuch der Grundrechte VII/1², Grundrechte in Österreich § 3 Rz 30 und Pöschl in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer, Handbuch der Grundrechte VII/1², Grundrechte in Österreich § 14 Rz 30).
Die Lehre nimmt eine Grundrechtsträgerschaft staatlicher bzw staatlich beherrschter Rechtsträger insbesondere dann an, wenn diese in einer, privaten Rechtsträgern vergleichbaren Weise einer anderen staatlichen Herrschaftsgewalt unterworfen sind (Holoubek, Grundrechtsschutz vor neuen Herausforderungen, 21. ÖJT Band I/1, 57). Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Gebietskörperschaften sind hybride Erscheinungen, die je nach ihrer Rolle Hoheitsträger und als solche nicht grundrechtsfähig oder Adressaten hoheitlicher Gestionsmaßnahmen und als solche sehr wohl Grundrechtsträger sind. Denn auch juristische Personen des öffentlichen Rechts können von staatlichen hoheitlichen Entscheidungen betroffen und potentiell in (subjektiven) Rechten berührt bzw verletzt sein, welche Rechtsverletzung auch in die Grundrechtssphäre reichen kann. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine Behörde der juristischen Person einem Individuum gleich hoheitlich entgegentritt – in aller Regel bescheidmäßig oder durch sonstige Zwangsakte. Eine auch in Deutschland geläufige Lehre geht davon aus, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts dann Grundrechtsträger ist, wenn sie sich in einer Rechtsposition befindet, die jener eines privaten Grundrechtssubjekts gleichkommt oder ähnelt (Strejcek in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer, Handbuch der Grundrechte VII/1², Grundrechte in Österreich § 4 Rz 44 ff).
In Bezug auf die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien wird (in Österreich, Deutschland und der Schweiz) regelmäßig angenommen, dass diese grundsätzlich jedem zugutekommen, der an einem entsprechenden Verfahren beteiligt ist, sodass auch Entitäten vom Schutzbereich umfasst sind. Gebietskörperschaften sind etwa berechtigt, sich auf Art 83 Abs 2 B‑VG zu berufen. Auch in Bezug auf das Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 DSG wird vertreten, dass dieses sogar juristische Personen des öffentlichen Rechts hinsichtlich ihrer „behördlichen Aufgaben“ schützt (Dopplinger, Die Grundrechtssubjektivität staatlicher Akteure in: Juristische Schriftenreihe – Band 287, S 115 f, 189, 198 f und 223).
Abschließend ist festzuhalten, dass durch die Einführung des § 112a StPO eine Sicherstellung in einer Behörde (vgl dazu insbesondere die Erläuterungen zum Ministerialentwurf 104/ME 27. GP 19 und 21 sowie Tipold, Hausdurchsuchung oder Amtshilfe – was für eine Frage? Hausdurchsuchung!, JSt 2021, 461 [463]) und damit eine Zwangsmaßnahme gegen eine Behörde für zulässig erklärt und der betroffenen Behörde oder öffentlichen Dienststelle ein Widerspruchs- und Beschwerderecht (§ 112a Abs 4 StPO) eingeräumt wurde. Schon aus dieser Bestimmung ist abzuleiten, dass der Behörde bzw dem betreffenden Rechtsträger auch das Recht zukommt, sich gegen eine unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnete oder durchgeführte (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO) Sicherstellung mit Einspruch zur Wehr zu setzen (zur Annahme einer Einspruchsberechtigung, wenn das Vorliegen eines Widerspruchs zu Unrecht verneint wird, siehe Reyman, Widerspruchsrecht für Behörden bei einer Sicherstellung – Der neue § 112a StPO im Überblick, ZWF 2022, 22 [24]; vgl auch Pechhacker/Rohregger, Hausdurchsuchung in Behörden-räumlichkeiten, in Lewisch, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2018, 83 [92 f] zur Beschwerdemöglichkeit des Bundes im Fall einer Hausdurchsuchung in einer untergeordneten Organisationseinheit).
Um dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit zu bieten, zu dieser (in der höchstgerichtlichen Judikatur bislang unbeantworteten) Rechtsfrage klärend Stellung zu nehmen, wird hier die zu 1./ dargelegte Rechtsansicht vertreten (vgl Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 1 und 4; E. Weiß in Schmölzer/Mühlbacher, StPO2 § 292 Rz 3).
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[14] Die StPO definiert den Begriff „subjektives Recht“ im Sinn des § 106 Abs 1 StPO nicht. Insoweit stellen aber die Gesetzesmaterialien für den hier interessierenden Aspekt des § 106 Abs 1 Z 2 StPO auf eine Kontrolle von Grundrechten (ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 143) und darauf ab, dass als Einspruchswerber nur in Betracht kommt, wer sich unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet (ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 141).
[15] Weil aber staatliche Organe im Hoheitsvollzug keine Grundrechtsträger, sondern allein grundrechts-verpflichtet sind, kommt ihnen in diesem Umfang auch keine Einspruchsberechtigung zu (Ratz, Sicherstellung, Durchsuchung und Amtshilfe im Verhältnis zueinander, ÖJZ 2023, 599 [FN 90]; Ratz, Anm zu OLG Wien 7. 9. 2023, 17 Bs 295/22i, EvBl 2023/277, 942; Zerbes, Und es gibt sie doch: die Gewaltentrennung im Strafprozess – Amtshilfe statt Zwangsmittel, in Lewisch, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2020, 41 [45 f]).
[16] Die damit zusammenhängende Frage, ob damit ein mögliches Rechtsschutzdefizit einhergeht, muss hier mangels Anfechtung der den vorliegenden Beschlüssen zugrunde liegenden Sicherstellungsanordnung der Staatsanwaltschaft (vgl aber § 23 Abs 1a StPO) auf sich beruhen.
[17] Hingegen kann der Bund nach Art 17 B‑VG Träger von Privatrechten sein, womit ihm auch als Rechtsunterworfener die Ausübung von subjektiven Rechten im oben dargestellten Sinn zustehen kann (vgl Muzak, B‑VG6 Art 17 B‑VG Rz 1 mwN).
[18] Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und 2 erster Fall StPO) dann rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt oder die Sachverhaltsannahmen entweder in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zustande gekommen oder mit einem formalen Begründungsmangel behaftet sind und demnach willkürlich getroffen wurden (RIS‑Justiz RS0126648, RS0132725; jüngst 12 Os 6/24k; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 17).
[19] Vorliegend ist den angefochtenen Beschlüssen nur entnehmbar, dass sich „die gegenständliche Anordnung der Sicherstellung […] auf Daten in der faktischen Verfügungsmacht des Bundeskanzleramtes“ beziehe (OLG Wien BS 27) bzw die Republik Österreich „Inhaberin der sicherzustellenden Daten“ sei (LG St Wien BS 11). Solcherart haben die Gerichte keine Aussage dazu getroffen, in Erfüllung welcher staatlichen Aufgabe „das Bundeskanzleramt“ oder „der Bund“ den Gewahrsam an den von der Sicherstellungsanordnung umfassten Daten begründet haben soll. Da die Generalprokuratur aber auch keine diesbezüglichen Feststellungs- oder Begründungsmängel geltend macht, ist ein Gesetzesverstoß bei der Annahme der Zulässigkeit des vorliegenden Einspruchs nicht auszumachen.
[20] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
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