OGH 1Ob160/24x

OGH1Ob160/24x21.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei I*, vertreten durch Melicharek Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Dr. R*, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner, Rechtsanwältin in Graz, wegen Ehescheidung, hier wegen einstweiligen Unterhalts gemäß § 382 Z 8 lit a EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Juni 2024, GZ 2 R 44/24s‑185, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00160.24X.0121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Parteien heirateten 1996. Der Mann zog im April 2015 aus der gemeinsamen Ehewohnung aus. Die Ehe wurde mittlerweile rechtskräftig gemäß § 55 EheG geschieden und der Antrag der Frau, das überwiegende Verschulden des Mannes an der Zerrüttung auszusprechen, rechtskräftig abgewiesen (1 Ob 142/24z). Zwischen den Parteien ist seit 2019 ein Unterhaltsverfahren nach § 94 ABGB für den Zeitraum ab 1996 anhängig. Seit 1. 2. 2024 behängt auch ein Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG.

[2] Mit ihrem am 5. 10. 2020 im Scheidungsverfahren eingebrachten Antrag begehrte die Antragstellerin den Zuspruch einstweiligen Ehegattenunterhalts während aufrechter Ehe sowie einen Prozesskostenvorschuss für bereits angefallene und künftig anfallende Verfahrenskosten gemäß § 382 Z 8 lit a EO.

[3] Der Antragsgegner wandte ua ein, seine Geldunterhaltszahlungen ab Oktober 2020 deshalb eingestellt zu haben, weil die Frau ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe. Er stützte sich primär darauf, dass die Frau ein in seinem Alleineigentum stehendes Bild mit einem Wert von rund einer Million EUR ohne sein Wissen verkauft habe, daneben aber auch auf andere Eheverfehlungen.

[4] Das Erstgericht wies den Provisorialantrag der Frau ab. Zwar habe der Mann seine Unterhaltspflicht verletzt. Die Antragstellerin habe ihren Unterhaltsanspruch – einschließlich ihres Anspruchs auf einen Prozesskostenvorschuss – jedoch verwirkt, weil sie das dem Mann gehörende wertvolle Bild ohne sein Wissen verkauft habe, obwohl sie wusste, dass es in seinem Alleineigentum gestanden sei. Außerdem habe sie von der Aufteilung ausgenommene Sachen des Mannes nicht an ihn herausgegeben. Es sei ihr auch anzulasten, dass sie nach dessen Auszug ohne seine Zustimmung eigenmächtig auf seine Geschäftsdaten zugegriffen habe und eine außereheliche Beziehung eingegangen sei.

[5] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, wobei es die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs vor allem aus dem unberechtigten Verkauf des Bildes und dem eigenmächtigen Zugriff auf die Daten ableitete. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs der Frau, der sich gegen die von den Vorinstanzen angenommene Unterhaltsverwirkung wendet, ist mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

[7] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 528a ZPO, § 78 EO).

[8] 2. Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB bleibt der Unterhaltsanspruch des den Haushalt führenden Ehegatten nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen, wenn nicht seine Geltendmachung – besonders wegen der Gründe, die zu deren Aufhebung geführt haben – ein Missbrauch wäre. Dieser Einwand steht auch im Provisorialverfahren zu (4 Ob 17/12x). Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs erfordert eine schwerwiegende Verletzung der ehelichen Verhaltenspflichten, die dessen Geltendmachung grob unbillig (rechtsmissbräuchlich) erscheinen ließe (RS0009759; RS0005919; RS0009766). Auch schwere Verfehlungen gegen die wirtschaftliche Sphäre des Ehepartners können den Unterhaltsanspruch verwirken. Ob ein Anspruch auf (einstweiligen) Unterhalt verwirkt wurde, wobei ein weiter Beurteilungsspielraum besteht (1 Ob 26/19h; 1 Ob 161/21i, je mwN), hängt vom Einzelfall ab und begründet daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage (RS0009759 [T13]; RS0009766 [T4, T9]).

[9] 3. Bescheinigt wurde, dass die Frau ein Bild des Mannes 2019 während aufrechter Ehe in Kenntnis des Alleineigentums des Mannes und ihrer fehlenden Verfügungsbefugnis um „zwischen 646.000 EUR und 700.000 EUR“ verkaufte, ohne ihn davon zu informieren. Eine Aufforderung des Mannes zur Herausgabe des Bildes hatte sie vor dessen Verkauf ignoriert. Einem Ersuchen des Mannes um Herausgabe des Bildes nach dessen Verkauf entgegnete die anwaltlich vertretene Frau nur allgemein, dass sie hinsichtlich des Hausrats von ehelicher Errungenschaft ausgehe. Dass sie das Bild bereits verkauft hatte, teilte sie ihm nicht mit. In ihrem Antrag auf Zuerkennung einstweiligen Unterhalts behauptete sie, dass es das vom Mann herausverlangte Bild „nicht gebe“. Erst aufgrund seiner weiteren Nachfrage, ob sich dieses noch in der ehemaligen Ehewohnung befinde, weil es nur dort versichert sei, entgegnete sie, das Bild „vor einer Weile“ verkauft zu haben. Sie gab ihm weder die Höhe des Kaufpreises noch die Identität des Käufers bekannt.

[10] 4. Dass das Rekursgericht auf Basis dieser Feststellungen sowie der eingangs dargelegten Grundsätze eine Unterhaltsverwirkung annahm, begründet keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[11] 4.1. Für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs kommt es neben dem objektiven Gewicht des Fehlverhaltens auch auf die subjektive Verantwortlichkeit (also das Verschulden an der Eheverfehlung) an (RS0005919 [T3 und T4]).

[12] 4.1.1. Das objektiv schwere Gewicht des Fehlverhaltens der Frau ergibt sich schon daraus, dass der Verkauf des zuletzt ausschließlich in ihrer Gewahrsame befindlichen wertvollen Bildes den objektiven Tatbestand der Unterschlagung (mit der Wertqualifikation des § 133 Abs 2 2. Fall StGB) begründete.

[13] 4.1.2. Es ist auch zumindest vertretbar, dass die Vorinstanzen der Frau den Verkauf des Bildes des Mannes subjektiv als schwere Eheverfehlung anlasteten, verkaufte sie dieses doch im Wissen, nicht dessen Eigentümer zu sein und daher nicht darüber verfügen zu dürfen. Sie kannte unzweifelhaft auch dessen hohen Wert, war dies doch ganz offensichtlich der Grund für den Verkauf (gerade) des Bildes. Für ein schweres Verschulden der Frau an ihrer Eheverfehlung spricht auch, dass sie das Bild heimlich verkaufte, obwohl der Mann zuvor dessen Herausgabe gefordert hatte, und dass sie dessen Verkauf auch danach (und bis zuletzt auch den Verkaufserlös und die Identität des Käufers) verheimlichte.

[14] 4.2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich auch im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung, ging der Oberste Gerichtshof doch bereits zu 3 Ob 221/73 davon aus, dass die widerrechtliche Wegnahme eines vom Mann nach seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hinterlassenen Geldbetrage von „dreißigtausend Schilling“ objektiv eine schwere Verfehlung des Unterhaltsberechtigten (iSd § 74 EheG) begründe, die eine Verwirkung seines Unterhaltsanspruchs rechtfertige. Die subjektive Vorwerfbarkeit wurde in der genannten Entscheidung nur deshalb verneint, weil die Frau irrtümlich der Rechtsansicht war, über das Geld verfügen zu dürfen (vgl idS auch 7 Ob 181/17v). Davon kann hier nach dem bescheinigten Sachverhalt aber nicht ausgegangen werden, verkaufte die Frau das Bild doch im Wissen, dazu nicht berechtigt zu sein. In dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall erstattete die Unterhaltsberechtigte dem Unterhaltsverpflichteten den entwendeten Betrag außerdem nach wenigen Tagen zurück, wohingegen die Frau ihre unberechtigte Verfügung über das Bild des Mannes hier noch lange Zeit zu verheimlichen versuchte.

[15] 5. Auch die weiteren Argumente der Frau überzeugen nicht:

[16] 5.1. Entgegen ihrer Ansicht entbindet die Zerrüttung der Ehe nicht von der Prüfung der Frage, ob ein Ehegatte seine Unterhaltsansprüche (danach) verwirkt hat (1 Ob 22/24b mwN).

[17] 5.2. Warum der Verkauf des Bildes gerechtfertigt gewesen sein soll, legt die Revisionsrekurswerberin auch mit ihrer Bezugnahme auf „Notwehr“ und „erlaubte Selbsthilfe“ nicht nachvollziehbar dar. Soweit sie argumentiert, dass sie das Bild nur verkauft habe, um aus dem Erlös ihre laufenden Kosten (insbesondere für gegen den Mann geführte Gerichtsverfahren) zu finanzieren, ist ihr zu entgegnen, dass sie dafür (schon früher) einstweiligen Unterhalt (auch für die Prozesskosten) nach § 382 Z 8 lit a EO beantragen hätte können. Dass und warum dies nicht zielführend gewesen wäre, legt die Rechtsmittelwerberin nicht dar. Es ist ihr auch entgegenzuhalten, dass sie das Bild des Mannes zu einem Zeitpunkt verkaufte, zu dem sie von ihm einen monatlichen Geldunterhalt von 5.000 EUR erhielt, wobei er auch die Kosten des von der Frau weiter bewohnten Hauses von monatlich rund 9.000 EUR zahlte. Daher kann auch ihr Argument, der Mann habe versucht, sie schon vor Verkauf des Bildes wirtschaftlich zu vernichten (weshalb ihr dieser nicht vorzuwerfen sei), nicht überzeugen. Zudem hätte gerade die von ihr behauptete unzureichende Unterhaltsleistung ein (früheres) Vorgehen nach § 382 Z 8 lit 1 EO gerechtfertigt. Dies ist auch ihrem Argument entgegenzuhalten, ihr wären – vor allem unter Berücksichtigung der dem Mann zuzurechnenden Privatstiftung (seines daraus erzielten Einkommens) – weitaus höhere Unterhaltszahlungen zugestanden.

[18] 5.3. Für die Unterhaltsverwirkung sind zwar – vor allem bei Eingriffen in die wirtschaftliche Sphäre eines Ehepartners – auch die Auswirkungen auf dessen Interessen zu berücksichtigen (RS0078153 [T5]). Davon, dass der Mann – wie die Frau behauptet – durch den Verkauf seines Bildes wirtschaftlich „in keinster Weise“ betroffen gewesen sei, kann aber angesichts des Kaufpreises keine Rede sein.

[19] 6. Das Rekursgericht hat daher den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es den Anspruch der Frau auf einstweiligen Unterhalt (einschließlich eines Prozesskostenvorschusses) bereits aufgrund des Verkaufs des im Alleineigentum des Mannes stehenden wertvollen Bildes als verwirkt annahm. Ob darüber hinaus auch die weiteren Vorwürfe des Mannes als schwerwiegende und daher für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs maßgebliche Eheverfehlungen anzusehen wären, muss nicht beurteilt werden.

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