OGH 8Ob92/24y

OGH8Ob92/24y14.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowiedie Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. C* B*, Rechtsanwalt, *, wider die beklagte Partei DI V* B*, vertreten durch Dr. Thomas Hofer‑Zeni, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.455,74 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. April 2024, GZ 34 R 4/24a‑42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Oktober 2023, GZ 2 C 2/23x‑36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00092.24Y.0114.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.095,12 EUR (darin 182,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.513,92 EUR (darin 762 EUR Barauslagen und 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte ist Unternehmer und hatte sich schon vor Beauftragung des klagenden Rechtsanwalts mit der Vertretung in einem Obsorge-, Kontaktrechts- und Unterhaltsverfahren in unterschiedlichen Angelegenheiten von Rechtsanwälten vertreten lassen. Dabei war meist nach dem RATG abgerechnet worden und es hatte sich um Verfahren gehandelt, in denen ein Kostenersatz vorgesehen war. In einer Pflegschaftssache hatte er sich noch nie vertreten lassen.

[2] Bereits beim Telefonat am 5. 8. 2023 wies der Kläger den Beklagten auf den von ihm verrechneten Stundensatz von 300 EUR hin. Am 8. 8. 2022 fand eine ausführliche Besprechung in den Räumlichkeiten des Klägers statt. Dabei erklärte der Kläger dem Beklagten, dass aufgrund der Verfahrensart die Länge des Verfahrens und somit auch die Höhe des Aufwands nicht abschätzbar sei. Er erörterte mit dem Beklagten, dass es umso teurer werde, je mehr Telefonate geführt und je mehr E‑Mails geschrieben würden. Er führte aus, dass es im Pflegschaftsverfahren keinen Kostenersatz gebe und deshalb eine Abrechnung nach Stunden am fairsten sei, weil auch einiges außergerichtlich passiere. Nach diesem Gespräch legte der Kläger dem Beklagten die vorgefertigte und teilweise ausgefüllte – der Stundensatz von 250 EUR zuzüglich 20 % USt wurde erst nach dem Gespräch eingesetzt – Honorarvereinbarung zur Unterschrift vor. In der Vereinbarung findet sich der Passus „Verrechnungseinheit 10 Minuten“. Der Beklagte ergänzte seine Telefonnummer und E‑Mail‑Adresse und unterschrieb die Vereinbarung im Anschluss.

[3] Der Kläger erbrachte diverse anwaltliche Leistungen, die er nach Kündigung der Vollmacht durch den Beklagten am 27. 10. 2022 (unter Berücksichtigung der geleisteten Akontozahlung von 1.200 EUR) mit 6.455,74 EUR abrechnete.

[4] Gegen die auf Zahlung dieses Honorars gerichtete Klage wendete der Beklagte insbesondere ein, die Honorarvereinbarung sei nichtig, weil nach der Entscheidung des EuGH vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., eine solche Vereinbarung nach Zeitaufwand ohne weitere Angaben nicht dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit entsprechend der KlauselRL (RL 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen) genüge.

[5] Das Erstgericht gab der Klage – unter (unangefochtener) Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens – statt. Die genannte Entscheidung des EuGH sei nicht einschlägig, weil sie sich auf eine – anders als hier – nicht im Einzelnen ausgehandelte Klausel in einem Verbrauchervertrag beziehe.

[6] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klageabweisung ab. Der Kläger habe nicht behauptet, dass er zu einer Abänderung der Honorarvereinbarung bereit gewesen wäre. Diese beruhe daher auf einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel, weshalb die KlauselRL auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei. Trotz des überdurchschnittlichen Kenntnisstands des Beklagten und der Belehrung durch den Kläger sei die Vertragsklausel ausgehend von den vom EuGH entwickelten Kriterien nicht klar und verständlich im Sinn des Art 4 Abs 2 KlauselRL, weil der Beklagte die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistung des Klägers nicht einzuschätzen vermocht habe. Weder sei eine (geschätzte) Stundenzahl genannt worden, noch habe es andere Parameter gegeben, aus denen auch der Größenordnung nach annähernd die Gesamtkosten zu schätzen gewesen seien. Zwar habe sich der Kläger das Recht vorbehalten, zu jedem beliebigen Zeitpunkt Rechnung zu legen, doch gebe es keine vertragliche Verpflichtung des Klägers zur regelmäßigen Rechnungslegung oder Übermittlung einer Aufstellung der geleisteten Stunden. Ob die intransparente Honorarvereinbarung gröblich benachteiligend im Sinn des Art 3 KlauselRL sei, könne dahingestellt bleiben, weil die Honorarvereinbarung auch nach § 6 Abs 3 KSchG unwirksam sei. Diese innerstaatliche Rechtsvorschrift gewährleiste im Sinn des Art 8 KlauselRL ein höheres Schutzniveau. Nachteilige Folgen drohten dem Beklagten durch die Nichtigerklärung des Vertrags nicht. Die Honorarvereinbarung zwischen den Parteien sei daher unwirksam, der Beklagte habe kein Entgelt zu leisten.

[7] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Auswirkungen des Urteils des EuGH in der Rechtssache C‑395/21 auf Honorarvereinbarungen wie die vorliegende fehle.

[8] Der Kläger strebt mit seiner Revision die Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils an.

[9] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig, weil die Frage, welchen Transparenzanforderungen die Vereinbarung eines Stundensatzes für anwaltliche Leistungen im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., zu genügen hat, über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Sie ist auch berechtigt.

[11] 1.1. Gemäß § 5a Abs 1 Z 3 KSchG muss der Unternehmer den Verbraucher, bevor dieser durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise über den Gesamtpreis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern und Abgaben, wenn aber der Preis aufgrund der Beschaffenheit der Ware oder Dienstleistung vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung und gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Versandkosten oder, wenn diese Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, das allfällige Anfallen solcher zusätzlicher Kosten, informieren.

[12] 1.2. Diese Bestimmung, mit der Art 5 Abs 1 lit c VerbraucherrechteRL (Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher) wörtlich übernommen wurde, gilt auch für die Honorarvereinbarung zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten, wenn diese – wie hier – Verbraucher sind (3 Ob 112/19w; 3 Ob 146/23a).

[13] 1.3. Bei anwaltlichen Leistungen, die primär in der Vertretung in einem Obsorge-, Kontaktrechts- und Unterhaltsstreit bestehen, ergibt sich aus der Beschaffenheit der zu erbringenden Dienstleistung, dass der Gesamtpreis vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann. Er ist vielmehr davon abhängig, in welchem Umfang Handlungen des Mandanten, seines Gegners und des Gerichts anwaltliche Tätigkeiten erforderlich machen.

[14] 1.4. Demnach verpflichtete § 5a Abs 1 Z 3 KSchG den Kläger nur dazu, den Beklagten in klarer und verständlicher Weise über die Art der Preisberechnung zu informieren. Dies ist durch die Bekanntgabe des Stundensatzes und der Verrechnungseinheit von 10 Minuten hinreichend erfolgt, weil daraus für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ohne Weiteres erkennbar ist, dass für jeweils angefangene 10 Minuten ein Sechstel des vereinbarten Stundensatzes zur Verrechnung gelangen soll. Dabei kommt es – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – nicht darauf an, ob neben dem schriftlichen Hinweis auf die Verrechnungseinheit auch noch eine mündliche Erläuterung zum selben Thema erfolgt ist. Dem Kläger ist jedenfalls keine Verletzung seiner Informationspflichten nach § 5 Abs 1 lit c KSchG vorzuwerfen.

[15] 2.1. In der Entscheidung vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A. (ÖJZ 2023/47 [Kumin/Maderbacher] = NJW 2023, 903 [Kilian] = NJ 2023, 157 [krit Niebling]; vgl dazu auch Gitschthaler, Rechtsanwalt, Verbraucher, Zeithonorar, EuGH, EF‑Z 2023/45; Perner/Spitzer, EuGH und Verbraucherschutz im Bankrecht, ÖJZ 2023/22; Lurger, „Gupfinger“ – oder der lange Weg zum fairen Verbrauchervertrag, ÖBA 2024, 554 [557 f]), leitet der EuGH jedoch aus dem Transparenzgebot nach Art 4 Abs 2 KlauselRL weitergehende Informationspflichten des Unternehmers ab. Auf die VerbraucherrechteRL, die in ihrem Art 4 grundsätzlich eine Vollharmonisierung (vgl aber auch Art 5 Abs 4 VerbraucherrechteRL) vorsieht, geht er dabei nicht ein.

[16] 2.2. Das Transparenzgebot nach Art 4 Abs 2 und Art 5 Satz 1 KlauselRL wurde in Österreich durch § 6 Abs 3 KSchG umgesetzt (RS0037107; RS0115219 [T4]). Danach ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0037107 [T3]; RS0115217 [T8]). Der Verbraucher soll nicht durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten werden. Daraus kann sich konkret eine Verpflichtung zur Vollständigkeit ergeben, wenn die Auswirkung einer Klausel sonst unklar bliebe (RS0115219; RS0037107 [T3, T11]). Bis zu einem gewissen Grad muss der Verbraucher insbesondere auch die wirtschaftlichen Folgen einer Regelung abschätzen können (RS0115219 [T9]).

[17] 3. Die gegebenenfalls im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigende Entscheidung des EuGH vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., betrifft ebenfalls Honoraransprüche eines Rechtsanwalts, wobei die Verrechnung eines Stundensatzes nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde. Soweit der EuGH diesen Umstand für unerheblich bezeichnet (Rn 33), bezieht sich dies ausschließlich auf die Frage, ob eine Klausel den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft. Zutreffend sind die Vorinstanzen daher davon ausgegangen, dass die Entscheidung nur für nicht im Einzelnen ausgehandelte Klauseln einschlägig ist (3 Ob 12/23w).

[18] 4.1.1. Inhaltlich kam der EuGH zur Frage des Transparenzgebots zum Ergebnis, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, dem Erfordernis gemäß dieser Bestimmung, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, nicht genügt, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen (Rn 45, Tenor 2).

[19] 4.1.2. Der EuGH geht dabei davon aus, dass aufgrund der bloßen Vereinbarung eines Stundensatzes und ohne weitere Angaben des Gewerbetreibenden ein normal informierter und angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher bei einem solchen Mechanismus der Festsetzung der Vergütung nicht in der Lage ist, die finanziellen Folgen der Klausel über die Vergütung, nämlich die für die Dienstleistungen insgesamt zu zahlende Vergütung, einzuschätzen (Rn 40).

[20] 4.1.3. Auch wenn – so der EuGH weiter – von einem Gewerbetreibenden nicht verlangt werden kann, dass er den Verbraucher über die endgültigen finanziellen Folgen der von ihm eingegangenen Verpflichtung informiert, die von unvorhersehbaren zukünftigen Ereignissen abhängen, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat, müssen die Informationen, die der Gewerbetreibende vor Vertragsabschluss zu erteilen hat, den Verbraucher in die Lage versetzen, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis zum einen des Umstands, dass solche Ereignisse eintreten können, und zum anderen der Folgen, die solche Ereignisse während der Dauer der Erbringung der betreffenden Rechtsdienstleistungen haben können, zu treffen (Rn 43).

[21] 4.1.4. In diesen Informationen müssen nach dieser Entscheidung des EuGH Angaben enthalten sein, anhand deren der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen vermag, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich sind, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, oder die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind (Rn 44).

[22] 4.1.5. Gleichzeitig betont der EuGH jedoch an mehreren Stellen, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände zu beurteilen hat, ob der Verbraucher durch die ihm vor Vertragsabschluss vom Gewerbetreibenden erteilten Informationen in die Lage versetzt worden ist, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der finanziellen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen (Rn 38, 44). Weiters hält er fest, dass die erteilten Informationen je nach Gegenstand und Art der in dem Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorgesehenen Leistungen und je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen können (Rn 44).

[23] 4.2.1. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist zunächst festzuhalten, dass sich in Österreich bereits aus standesrechtlichen Vorschriften die Pflicht des Rechtsanwalts zur regelmäßigen Abrechnung ergibt: Nach § 16 Abs 3 RL‑BA kann der Auftraggeber des Rechtsanwalts in angemessenen Abständen eine Zwischenabrechnung oder Darlegung der bereits erbrachten Leistungen, im Falle eines vereinbarten Zeithonorars die Darlegung der vom Rechtsanwalt und seinen Mitarbeitern bereits aufgewendeten Zeit verlangen. In der Judikatur ist die Verpflichtung des Rechtsanwalts anerkannt, nicht nur über jederzeitiges Verlangen seines Auftraggebers oder sonst Berechtigter, sondern auch jederzeit in auf den jeweiligen Anlassfall bezogener angemessener Frist (dh auch ohne Verlangen in angemessenen Abständen) eine vollständige, leicht überprüfbare und nachvollziehbare Abrechnung zu legen (RS0118887).

[24] 4.2.2. Bereits aufgrund der standesrechtlichen Vorschriften wird in Österreich daher regelmäßig – von Sonderkonstellationen abgesehen, in denen beispielsweise der Rechtsanwalt eine grobe Fehlvorstellung des Klienten über den erforderlichen Stundenaufwand erkennen konnte – den Anforderungen des EuGH in der Entscheidung vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., Genüge getan sein.

[25] 4.2.3. Außerdem hat hier der Kläger den Beklagten vor Vertragsabschluss darüber aufgeklärt, dass aufgrund der Verfahrensart die Länge des Verfahrens und somit auch die Höhe des Aufwands nicht abschätzbar war. Er informierte ihn auch, dass es umso teurer werde, je mehr Telefonate geführt und je mehr E-Mails geschrieben würden. Diese Hinweise gingen deutlich über jene hinaus, die im Ausgangsrechtsstreit des Verfahrens vor dem EuGH erteilt wurden. Der Kläger hat dem Beklagten dadurch bewusst gemacht, welche Ereignisse Einfluss auf die zu erbringenden Rechtsdienstleistungen und damit auf das zu leistende Honorar haben können.

[26] 4.2.4. Der Beklagte wurde dadurch in die Lage versetzt, abhängig von der Intensität der geführten Rechtsstreitigkeiten die Größenordnung der zu erwartenden Honoraransprüche des Klägers einzuschätzen und seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der finanziellen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen.

[27] 4.3. Selbst unter Heranziehung der strengen Kriterien, die der EuGH in der zitierten Entscheidung aufgestellt hat, erweist sich die gegenständliche Honorarvereinbarung demnach nicht als intransparent im Sinn des Art 4 Abs 2 KlauselRL und damit auch des § 6 Abs 3 KSchG.

[28] 5.1. Daher ist nicht mehr darauf einzugehen, dass § 6 Abs 3 KSchG insofern als überschießende Umsetzung zu werten ist, als dort stets die Unwirksamkeit einer intransparenten Klausel angeordnet ist, während Art 6 Abs 1 KlauselRL dies nur für missbräuchliche Klauseln fordert (EuGH 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A.,Rn 52 und Tenor 3). Ebenso wenig ist demnach zu erörtern, welche Rechtsfolgen aus diesem Umstand abzuleiten sind. Das in der Revisionsbeantwortung angeregte Vorabentscheidungsersuchen ist schon aus diesem Grund nicht zu stellen.

[29] 5.2. Auch die Frage, ob im gegenständlichen Fall angesichts des unstrittigen Urkundeninhalts (RS0121557 [T3]) der Honorarvereinbarung auch ohne weiteres Vorbringen von einer im Einzelnen ausgehandelten Vereinbarung auszugehen ist, erweist sich angesichts dieses Ergebnisses nicht mehr als relevant.

[30] 6.1. Die Begründung des Berufungsgerichts trägt die Abweisung des Klagebegehrens daher nicht, weshalb auf die vom Beklagten in der Rechtsrüge seiner Berufung geltend gemachten und vom Berufungsgericht nicht behandelten Argumente einzugehen ist (Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 507 ZPO Rz 22; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 507 ZPO Rz 24; 1 Ob 33/16h).

[31] 6.2. Der Einwand, das Telefonat und die Prüfung der E‑Mail vom 5. 8. 2022 seien vor Unterfertigung der Honorarvereinbarung am 8. 8. 2022 erfolgt und daher nicht nach Stundensatz zu honorieren, ist eine im Berufungsverfahren unzulässige und unbeachtliche Neuerung (§ 482 Abs 2 ZPO). Gleiches gilt für die begehrte Preisminderung aufgrund der angeblichen Schlechtvertretung wegen Unterlassung eines Vorbringens.

[32] 6.3.1. Nach dem Wuchertatbestand des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB sind Verträge nichtig, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Wert der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht.

[33] 6.3.2. Wucher im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB erfordert als objektives Merkmal eine grobe, leicht erkennbare Äquivalenzstörung, wobei die gesamten beiderseitigen Leistungswerte in ein Verhältnis zu setzen sind (RS0016947). Auffallend ist das Missverhältnis dann, wenn die Gegenleistung den Wert der Leistung bedeutend übersteigt, ohne dass die Übermäßigkeit durch besondere Umstände des Falls, etwa die Gewagtheit des Geschäfts, sachlich gerechtfertigt wäre. Bloßes Fehlen der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit reicht nicht aus (RS0104128 [insb T1]).

[34] 6.3.3. Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass weder aufgrund der Höhe des vereinbarten Stundensatzes noch wegen der Höhe der gesamten Honorarforderung ein auffallendes Missverhältnis anzunehmen ist. Den Ausführungen in der Revision, dass eine Abrechnung nach dem RATG – wenn überhaupt – nur unwesentlich günstiger gewesen wäre, hält die Revisionsbeantwortung nichts entgegen.

[35] 6.3.4. Unerfahrenheit liegt im Übrigen nur bei allgemeinem Mangel an Lebenserfahrung oder von Geschäftskenntnissen, nicht aber schon dann vor, wenn die bloß für ein bestimmtes Geschäft erforderlichen besonderen Kenntnisse fehlten (RS0110120). Gemütsaufregung ist ein Zustand vorübergehender psychischer Erregung, der das ruhige Überlegen und Sondieren der Sachlage verhindert (RS0016880). Die Unerfahrenheit des Beklagten bei der Vereinbarung eines Stundensatzes in Bezug auf ein Rechtsanwaltshonorar reicht daher ebenso wenig für die Anfechtung der Vereinbarung wegen Wuchers aus wie die behauptete emotional angespannte Gemütslage im Zusammenhang mit den Kontaktrechten.

[36] 7. Im Ergebnis war der Revision sohin Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

[37] 8. Die Kostenentscheidung zweiter und dritter Instanz beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Revision gebührt nur der niedrigere ERV‑Zuschlag nach § 23a RATG (8 Ob 88/24k mwN).

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