European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00090.24M.1216.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.300,72 EUR (darin enthalten 550,12 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Beklagte argumentiert, die Entscheidungen der Vorinstanzen seien nichtig, weil sie das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (vgl § 230 Abs 3, § 239 Abs 3 Z 1, § 411 Abs 2 ZPO) missachtet hätten. Er gesteht aber selbst zu, dass die Entscheidung eines Strafgerichts über die von einem Privatbeteiligten geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüche nach der Rechtsprechung nur insoweit rechtskräftig wird, als das Strafgericht dem geltend gemachten Anspruch stattgibt. Nur in diesem Umfang steht einer späteren Klage des Privatbeteiligten das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache entgegen (RS0031015 [insb T7]). Im vorliegenden Fall hat das Strafgericht der Klägerin, die sich einem Strafverfahren gegen den Beklagten als Privatbeteiligte angeschlossen hatte, anlässlich der Verurteilung des Beklagten einen Kapitalbetrag zuerkannt, aber – was der Revisionswerber selbst erkennt – keine Zinsen daraus. Die Verneinung des Prozesshindernisses der rechtskräftig entschiedenen Streitsache durch die Vorinstanzen in Ansehung der eingeklagten Zinsen steht schon deshalb mit der Rechtsprechung im Einklang.
[2] 2. Die vom Beklagten behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[3] 3. Eine Klage unterbricht die Verjährung, wenn sie „gehörig fortgesetzt“ wird (§ 1497 ABGB). Dasselbe gilt für die Geltendmachung von Ansprüchen als Privatbeteiligter in einem Strafverfahren (RS0115181; RS0115182). Keine gehörige Fortsetzung liegt vor, wenn der Gläubiger durch sein Verhalten – in der Regel durch eine ungewöhnliche Untätigkeit – den Eindruck erweckt, er wolle seinen Anspruch nicht mehr durchsetzen (RS0034765; RS0034849). Von einem Privatbeteiligten, der seine Ansprüche im Strafverfahren geltend gemacht hat, wird verlangt, dass er innerhalb einer angemessenen Frist ab jenem Zeitpunkt Klage erhebt, ab dem die Anspruchsdurchsetzung im Strafverfahren ausgeschlossen ist (vgl 6 Ob 116/15z). Das kann der Zeitpunkt der Beendigung des Strafverfahrens sein (RS0034528 [T3]; RS0034631 [T2]), aber auch jener einer (früheren) Verweisung auf den Zivilrechtsweg (RS0034528). Die Beurteilung, ob die Klage gehörig fortgesetzt wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0034805; RS0034765 [T1, T10, T29]) und begründet nur dann eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RS0021095).
[4] 4. Eine solche auffallende Fehlbeurteilung zeigt der Beklagte nicht auf:
[5] 4.1. Der Beklagte argumentiert, die Klägerin, die sich dem gegen ihn geführten Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hatte, hätte die im Strafverfahren erfolglos geltend gemachten Zinsen für jene Zeiträume, die mehr als drei Jahre vor der Klageeinbringung liegen, innerhalb einer angemessenen Frist nach der Verweisung auf den Zivilrechtsweg einklagen müssen. Hier schloss jedoch der Umstand, dass die Klägerin gegen die Verweisung auf den Zivilrechtsweg kein Rechtsmittel erhob die Anspruchsdurchsetzung im Strafverfahren nicht aus, weil der verurteilte Beklagte selbst eine auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Strafurteil anmeldete und ausführte. Diese hätte im Erfolgsfall (ua) zur Aufhebung der Entscheidung des Strafgerichts und zur Anordnung einer neuen Hauptverhandlung führen können (§ 288 Abs 2 Z 1 und 3 StPO). In diesem Fall wäre nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung in Strafsachen der Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufzuheben und im zweiten Rechtsgang neu zu treffen gewesen, ohne dass dafür das Verbot der „reformatio in peius“ gegolten hätte (vgl RS0100493; RS0100510 [T1, T2]; RS0101303). Es war daher vertretbar, dass das Berufungsgericht nicht bereits im Zuwarten der Klägerin nach der Verweisung auf den Zivilrechtsweg eine ungewöhnliche, die gehörige Fortsetzung der Klage ausschließende Untätigkeit erblickte.
[6] 4.2. Der Beklagte stützt sich weiters auf die Untätigkeit der Klägerin zwischen dem letzten (Vergleichs‑)Gespräch der Parteienvertreter, das „in der zweiten Septemberhälfte“ 2020 stattfand, und der Klageeinbringung (3. 2. 2021) – also während etwas mehr als vier Monaten. Mit seiner Beurteilung, aufgrund des Fehlens einer ausdrücklichen Ablehnung einer außergerichtlichen Einigung durch den Beklagten, der Dauer des vorangegangenen Strafverfahrens (über zehn Jahre) und des mit dem Strafverfahren sowie der Vorbereitung der Klage erkennbar verbundenen Aufwands habe die Klägerin die angemessene Frist zur Einbringung der Klage gewahrt, hat das Berufungsgericht den ihm zukommenden Spielraum nicht überschritten, hat es doch für den Beklagten – außer dem Verstreichen der Zeit – keine Hinweise darauf gegeben, dass die Klägerin ihre Ansprüche nicht mehr verfolgen wolle. Mit seinem Vorbringen, das Berufungsgericht sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, ist der Beklagte auf die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen zu verweisen, in denen die Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer und ‑kosten (3 Ob 110/11i) sowie des mit der Vorbereitung der Klage verbundenen Aufwands (4 Ob 205/18b) bei der Beurteilung der gehörigen Fortsetzung als vertretbar gewertet wurden.
[7] 5. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität war die Revision daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[8] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Da die Revisionsbeantwortung ein „weiterer“ im Weg des Elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachter Schriftsatz war, gebührt der Klägerin nur der Ersatz einer Erhöhung der Entlohnung von 2,60 EUR (§ 23a RATG).
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