OGH 2Ob162/24y

OGH2Ob162/24y15.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Gunther Ledolter, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Mag. Roland Schratter, Rechtsanwalt in Wolfsberg, wegen zuletzt 483.695,62 EUR sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Juli 2024, GZ 5 R 23/24b‑179, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00162.24Y.1015.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Die Rechtsmittel werden, soweit sie sich inhaltlich als Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richten, zurückgewiesen.

II. Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte errichtete als Werkunternehmerin eine Anlage für die Reinigung von Keramikelementen. Der Kläger war als Arbeitnehmer der Werkbestellerin für die Programmierung der Anlage – samt der Ventilsteuerung zur Vermeidung eines Überdrucks – zuständig. Bei einem Testbetrieb am 12. 3. 2015 wurde der Kläger schwer verletzt, weil ein Deckel des Reaktors wegen Überdrucks abgesprengt wurde. Ob der Überdruck durch einen Programmierungsfehler verursacht wurde, steht nicht fest. Zur Vermeidung einer Überdrucksituation hätte – entsprechend dem Stand der Technik – (zusätzlich) ein Überdruckventil verbaut bzw dem Druck standhaltende Schrauben beim Deckel verwendet werden müssen.

[2] Mit seiner am 26. 4. 2017 eingebrachten Klage begehrt der Kläger ua Schmerzengeld sowie Verdienstentgang und stellt ein Feststellungsbegehren.

[3] Das Erstgericht sprach dem Kläger Teilschmerzengeld für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz sowie Verdienstentgang zu, wies aber ein erst in der mündlichen Streitverhandlung vom 6. 9. 2023 für den Zeitraum April 2015 bis Dezember 2019 ausgedehntes, (zeitlich) nicht näher aufgeschlüsseltes Verdienstentgangsbegehren wegen Verjährung ab.

[4] Das Berufungsgericht bejahte – wie schon das Erstgericht – eine Verletzung auch zu Gunsten des Klägers wirkender werkvertraglicher Sorgfalts- und Warnpflichten durch die Beklagte. Sie habe Kenntnis vom Anschluss der Anlage an mit sechs Bar Druck arbeitenden Druckleitungen zur Durchführung der Abreinigung gehabt und es entgegen dem Stand der Technik verabsäumt, dem bei einer Fehlfunktion allenfalls auftretenden Druck durch die Verwendung entsprechender Schrauben oder eines Überdruckventils vorzubeugen. Ein Mitverschulden der Werkbestellerin oder des Klägers liege nicht vor. Eine Globalbemessung des Schmerzengeldes komme nicht in Betracht, weil künftige Schmerzen nur bis zum fünfzigsten Lebensjahr des Klägers abschätzbar seien. Die Abweisung des ausgedehnten Verdienstentgangsanspruchs hob das Berufungsgericht aber auf und trug dem Erstgericht insoweit eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die im Zeitpunkt der Einbringung der Klage noch nicht fälligen Verdienstentgangsansprüche seien – anders als die zu diesem Zeitpunkt schon fälligen Verdienstentgangsansprüche – im Hinblick auf die Unterbrechungswirkung der Feststellungs-klage, der stattgegeben wurde, nicht verjährt. Das ausgedehnte Verdienstentgangsbegehren sei daher zeitlich aufzuschlüsseln, um dessen Verjährung beurteilen zu können. Das Berufungsgericht ließ weder die ordentliche Revision gegen sein Teilurteil noch den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionen des Klägers und der Beklagten sind mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Zu I.:

[6] Beide Revisionen richten sich ausdrücklich auch gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts. Inhaltlich wird damit ein Rekurs erhoben. Zwar schadet die Fehlbezeichnung nicht (RS0036258), allerdings ist der Rekurs nicht zulässig. Die Zulässigkeit des Rekurses gegen einen berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss setzt nicht nur eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sondern auch die Zulässigerklärung des Rekurses durch das Berufungsgericht voraus. Wird ein solcher Ausspruch – wie hier – unterlassen, ist der Rekurs unzulässig (RS0043880).

Zu II.:

Revision der Beklagten:

[7] 1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8] 2. Die Beklagte zieht die vom Berufungsgericht dargelegten Grundsätze zur Anwendbarkeit der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter und Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich ihres mit der Werkbestellerin abgeschlossenen Werkvertrags nicht in Zweifel.

[9] 3. Der Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter gewährt geschützten Dritten aus der Verletzung der dem Schuldner obliegenden Schutz- und Sorgfaltspflichten einen eigenen Schadenersatzanspruch aufgrund vertraglicher Haftung des Schuldners (RS0013961 [T2]). Zwar wird nicht die Pflicht begründet, die Hauptleistung (hier: mängelfreie Errichtung der Anlage) dem Dritten gegenüber zu erbringen (6 Ob 1/14m). Allerdings kann auch eine mangelhafte Werkausführung die Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten insbesondere gegenüber jenen Personen begründen, die (vorhersehbar) mit der Hauptleistung in Kontakt kommen (vgl RS0017058 und 6 Ob 21/04p). Der Anspruch reicht aber nicht weiter, als der vertragliche Ersatzanspruch des Gläubigers (RS0013961).

[10] 4. Bleibt der zugesagte Erfolg aus, weil die angebotene Ausführung nicht tauglich war, treten die Rechtsfolgen der Gewährleistung bzw des Schadenersatzrechts ein. Es obliegt dem Unternehmer, das Werk so auszuführen, dass es alle Eigenschaften hat, die ausdrücklich oder vermöge der Natur des Geschäfts stillschweigend bedungen worden sind (RS0021716) und es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht und für Werke solcher Art üblich oder angemessen ist (RS0021694). Welche Eigenschaften das Werk aufzuweisen hat, ergibt sich in erster Linie aus der konkreten Vereinbarung, hilfsweise – soweit eine Detailvereinbarung nicht besteht – aus Natur und (erkennbarem) Zweck der Leistung, letztlich aus der Verkehrsauffassung, sodass das Werk so auszuführen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Bestimmen sich die Eigenschaften des Werks nach der Verkehrsauffassung, sind die anerkannten Regeln der Technik des jeweiligen Fachs nach dem im Zeitpunkt der Leistungserbringung aktuellen Stand zu beachten (RS0021716 [T2]). Der „Stand der Technik“ gibt ein bestimmtes Fachwissen wider, mit dessen Hilfe ein Werk möglichst reibungslos mangel‑ und störungsfrei durchgeführt werden kann; er gibt Auskunft, ob und wie es gemacht werden kann oder sollte und gehört ausschließlich dem – nicht revisiblen – Tatsachenbereich an (RS0048339 [T1, T2]).

[11] 5. Das Erstgericht ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Einbau (auch) einer mechanischen Überdrucksicherung bei einer der Beklagten bekannten Abreinigung mit einem Druck von sechs Bar insbesondere bei einem Versuchsbetrieb dem Stand der Technik entsprochen hätte. Wenn die Vorinstanzen in der Ausführung der Anlage ohne Überdruckventil eine mangelhafte Werkerbringung erblickt haben, die auch eine für den Schaden des Klägers kausale Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten darstellt, ist dies nicht korrekturbedürftig.

[12] Soweit die Beklagte argumentiert, lediglich einen „drucklosen“ Apparat geschuldet zu haben, und die Verhinderung einer Überdrucksituation (allein) der Sphäre der Bestellerin im Rahmen der Softewareprogrammierung zuordnen will, ändert dies nichts daran, dass nach dem Stand der Technik auch eine mechanische Sicherheitsvorrichtung geboten und daher geschuldet gewesen wäre. Die in der Revision angesprochenen Fragen im Zusammenhang mit einer Verletzung der Warnpflicht des § 1168a ABGB können auf sich beruhen.

[13] 6. Auch im Rahmen der Haftung aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, kann der Schädiger dem geschützten Dritten nicht nur dessen eigenes Mitverschulden, sondern auch jenes seines Vertragspartners entgegenhalten (RS0013961 [T3]). Die Beklagte trifft aber die Behauptungs- und Beweislast für ein allfälliges Mitverschulden (RS0022560). Negativfeststellungen gehen zu ihren Lasten (RS0022560 [T21]).

[14] Dass die Programmierung des Klägers fehlerhaft und für die Entstehung des Überdrucks ursächlich war, steht gerade nicht fest. Aufgrund welcher konkreten Umstände der Kläger oder die Werkbestellerin Anhaltspunkte für eine mangelhafte Werkerbringung gehabt hätten, legt die Revision nicht dar. Allein der Umstand, dass mit Überdrucksituationen gerechnet wurde und auch die Werkbestellerin Sachverständige im Anlagenbau ist, bedeutet noch nicht, dass ihr oder dem Kläger die (für die Rechtsgüter des Klägers gefährliche) Mangelhaftigkeit des Werks erkennbar war.

[15] Soweit die Beklagte argumentiert, die Werkbestellerin treffe aufgrund der von ihr vorgenommenen Planung der Anlage ein Mitverschulden, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, nach dem die Werkbestellerin bloß „Zeichnungen“ beistellte und der Beklagten die fertigungstechnische Detailkonstruktion, Detailzeichnungen etc oblag.

Revision des Klägers:

1. Schmerzengeld

[16] 1.1 Wenn keine besonderen Gründe für eine zeitliche Einschränkung bestehen, ist das Schmerzengeld grundsätzlich global zu bemessen (RS0031196, RS0031055). Eine Globalbemessung kann aber dann nicht vorgenommen werden, wenn die Folgen der Körperschädigung noch nicht voraussehbar sind (RS0031082) oder wenn das Ausmaß der Schmerzen nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine globale Beurteilung möglich ist (RS0031082 [T3]). In diesem Fall kann der Geschädigte Schmerzengeld aufgrund der von ihm bereits erlittenen Schmerzen begehren. Maßgebender Zeitpunkt für die Bemessung ist in diesem Fall der Schluss der Verhandlung erster Instanz; zukünftige Schmerzen sind in diesem Fall auch bei (teilweiser) Vorhersehbarkeit nicht einzubeziehen, also keine „Teilglobalbemessung“ vorzunehmen (RS0115721; 2 Ob 60/20t Rz 19).

[17] 1.2 Wenn die Vorinstanzen aufgrund der Abschätzbarkeit bloß der bis zum fünfzigsten Lebensjahr des Klägers auftretenden Schmerzen keine „Teilglobalbemessung“ vorgenommen, sondern nur die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstandenen Schmerzen berücksichtigt haben, entspricht dies der dargelegten Rechtsprechung.

[18] 1.3 Entgegen der Revision ist der Kläger auch nicht „verpflichtet“, alle drei Jahre einen neuen Schmerzengeldprozess anzustrengen, weil die Möglichkeit zur ausnahmsweisen Geltendmachung von Teilschmerzengeld nur in seinem Interesse eröffnet wird und es angesichts dieser Interessenlage verfehlt wäre, eine verjährungsrechtliche Obliegenheit des Geschädigten anzunehmen, bei Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen eine Teilbemessung des Schmerzengeldes zu begehren. Will er sie nicht wahrnehmen – etwa weil auch er das absehbare Erfordernis mehrerer Verfahren scheut –, so gibt es keinen Grund, ihn dennoch aus verjährungsrechtlicher Sicht zu einer Leistungsklage zu zwingen. Vielmehr genügt in diesem Fall das Erheben einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist (2 Ob 60/20t Rz 21).

[19] 1.4 Soweit der Kläger argumentiert, es wären auch die schon abschätzbaren Schmerzen bis zum Lebensende festzustellen gewesen und insoweit einen sekundären Feststellungsmangel erblickt, geht dieser Einwand schon deshalb fehl, weil das Erstgericht lediglich von der Abschätzbarkeit der bis zum fünfzigsten Lebensjahr auflaufenden Schmerzen ausgegangen ist. Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich aber keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

2. Verdienstentgang

[20] 2.1 Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass – um die Verjährung eines Schadenersatzanspruchs zu verhindern, der aus zum Teil fälligen und zum Teil erst fällig werdenden Ansprüchen besteht – sowohl eine Leistungsklage für fällige Ansprüche als auch eine Feststellungsklage für erst fällig werdende (zukünftige) Ansprüche innerhalb der dreijährigen Frist des § 1489 ABGB erhoben werden muss (RS0034286).

[21] Die Einbringung einer Feststellungsklage (der später stattgegeben wird) unterbricht aber (nur) die Verjährung aller zu diesem Zeitpunkt zukünftigen Schadenersatzansprüche (RS0034771; RS0034286). Eine Klageausdehnung auf später fällig werdende Beträge ist in diesen Fällen nicht erforderlich (RS0034771 [T5]). Mit Rechtskraft des Feststellungsurteils beginnt die Verjährungsfrist für sie neu zu laufen (RS0133895 = 4 Ob 124/21w Rz 17). Die Verjährung fälliger Ansprüche (also bereits eingetretener und bezifferbarer Schäden), die mit Leistungsklage einklagbar sind, bleibt durch die Feststellungsklage hingegen unberührt und wird nicht unterbrochen (RS0034286).

[22] 2.2 Als „zukünftige“ Schäden sind dabei auch solche zu verstehen, deren Ersatz im maßgeblichen Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage mangels Bezifferbarkeit (Fälligkeit) des Anspruchs noch nicht begehrt werden können (1 Ob 130/12t mwN; RS0034771 [T8]; RS0034286). Weshalb dem Kläger – unter Beiziehung eines Sachverständigen (RS0118968 [T3]) – die Ermittlung seines bis zur Klagseinbringung entstandenen Verdienstentgangs nicht möglich oder zumutbar gewesen sein soll, legt er nicht dar. Der bloße Umstand, dass ihm selbst das fachliche Wissen fehlt, führt nicht zur Unmöglichkeit der Schadensbezifferung. Soweit er argumentiert, ihm sei die jährliche Beiziehung eines Sachverständigen und eine entsprechende Ausdehnung nicht zumutbar, spricht er damit (nur) die während des Verfahrens entstehenden Verdienstentgangsansprüche an. Eine Ausdehnung auf später fällig werdende Beträge ist aber im Hinblick auf das Feststellungsbegehren ohnehin nicht erforderlich.

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