OGH 11Os82/24d

OGH11Os82/24d24.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. September 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Faulhammer LL.M. (WU) als Schriftführer in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 20. März 2024, GZ 9 Hv 141/23s‑53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00082.24D.0924.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird der Wahrspruch, der sonst unberührt bleibt, im Unterbleiben einer Beantwortung der Eventualfrage 3 (Nr 7) und wird das auf dem verbleibenden Wahrspruch beruhende Urteil aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs zur Hauptfrage 1 (Nr 1), Eventualfrage 2 (Nr 5) und Zusatzfrage 3 (Nr 6) der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden – Urteil wurde der Angeklagte * C* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 23. Jänner 2023 in G* * P* absichtlich eine an sich schwere Körperverletzung und eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) zugefügt, indem er ihm mit einer spitzen Glasscherbe eines zerbrochenen Spiegels zielgerichtet wuchtige Stiche in Thorax, Oberbauch und Hals versetzte, wobei * P* durch die Tathandlungen des Angeklagten multiple Stich‑ bzw Stich‑Schnittverletzungen im Bereich der linken Kragenfalte sowie der linken seitlichen Brustkorbwand erlitt, die neben der Eröffnung von Brust‑ und Bauchhöhle den Eintritt von Luft und Blut in den linken Brustfellsack, eine Verletzung der Lunge, eine Blutung in die freie Bauchhöhle, eine Verletzung des Zwerchfells sowie eine subtotale Durchtrennung des linken Armnervengeflechts zur Folge hatten, die notfallmedizinisch versorgt werden mussten.

[3] In Bezug auf die vom Schuldspruch umfasste Tat verneinten die Geschworenen zunächst die (nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte) Hauptfrage 1 (fortlaufende Nr 1). Hingegen bejahten sie die nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB gestellte Eventualfrage 2 (fortlaufende Nr 5). Hinsichtlich der – zutreffend alternativ gefassten (vgl RIS‑Justiz RS0100451, RS0102740 [T1]) – Zusatzfrage 3 (fortlaufende Nr 6) verneinten die Geschworenen stimmenmehrheitlich (nämlich 5 : 3) die Fragenvariante nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr durch notwendige Verteidigung nach § 3 Abs 1 erster Satz StGB (Fragenteil 3a), bejahten hingegen – wiederum stimmenmehrheitlich (nämlich 5 : 3) – die Fragenvariante nach dem Schuldausschließungsgrund der Notwehr-überschreitung aus asthenischem Affekt nach § 3 Abs 2 StGB (Fragenteil 3b). Die Beantwortung der Eventualfrage 3 (fortlaufende Nr 7) nach dem „Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung infolge fahrlässiger Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt nach § 88 Abs 4 erster Fall StGB iVm § 3 Abs 2 StGB“ unterblieb jedoch.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 8, 9 und 12 StPO gestützte – der Sache nach (allein) zu Gunsten des Angeklagten (§ 282 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 344 erster Satz StPO) ausgeführte – Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

 

[5] Die prozessordnungsgemäße Ausführung einer Instruktionsrüge (Z 8) verlangt den Vergleich der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung mit deren nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichem Inhalt und die darauf gegründete deutliche und bestimmte Darstellung der Unrichtigkeit der den Geschworenen zuteil gewordenen juristischen Information (RIS‑Justiz RS0119549).

[6] Indem die Instruktionsrüge vorbringt, die Rechtsbelehrung sei unrichtig und unvollständig, weil sie keinen Hinweis darauf enthalte, dass die Geschworenen bei Bejahung der Variante b der Zusatzfrage 3 (nach Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt) über die Eventualfrage 3 (nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung) abzustimmen gehabt hätten, hält sie – prozessordnungswidrig (vgl RIS‑Justiz RS0119071) – nicht am tatsächlichen Inhalt der Rechtsbelehrung (ON 52.3, S 34 f) und den diesbezüglichen Hinweisen im Fragenschema (ON 52.5, S 5 [= US 4]; vgl dazu RIS‑Justiz RS0100674; Świderski, WK‑StPO § 321 Rz 24) fest. Denn in der Instruktion wird für den Fall, dass zwar die Zusatzfrage 3 insgesamt bejaht wird, aber nicht zumindest vier Ja‑Stimmen auf die Variante 3a entfallen, somit nicht Notwehr iSd § 3 Abs 1 StGB, sondern Notwehrüberschreitung im asthenischen Affekt angenommen wird, gar wohl die Beantwortung der Eventualfrage 3 angeordnet (arg: „… ist Eventualfrage 3 zu beantworten“).

[7] Zutreffend macht die Beschwerde jedoch aus Z 9 geltend, dass die – nach Bejahung der Eventualfrage 2 in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und der Zusatzfrage 3 im Sinn der Variante 3b nach Notwehrüberschreitung im asthenischen Affekt (§ 3 Abs 2 StGB) gebotene – Beantwortung der gestellten Eventualfrage 3 nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung – entgegen der diesbezüglichen Instruktion im Fragenprogramm und in der schriftlichen Rechtsbelehrung – unberechtigterweise unterblieben ist („entfällt“ [US 4]). Damit ist aber die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen – weil ihnen eine Verbesserung des solcherart mangelhaften Wahrspruchs (§ 332 Abs 4 StPO) nicht aufgetragen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0121340, RS0123182) – unvollständig geblieben, was Nichtigkeit des Schuldspruchs aus § 345 Abs 1 Z 9 StPO zur Folge hat (RIS‑Justiz RS0100981; Świderski, WK‑StPO § 332 Rz 7 und 17/1; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 67, 69 f).

[8] Auch mit dem in der Subsumtionsrüge (Z 12, der Sache nach wiederum Z 9) erhobenen Einwand, wonach das Erstgericht die Geschworenen in einem Verbesserungsverfahren zur Beantwortung der Eventualfrage 3 hätte auffordern müssen, zeigt die Nichtigkeitswerberin dem Inhalt nach einen Mangel der Antwort der Geschworenen iSd Z 9 auf. Feststellungsmängel, die im schöffengerichtlichen Verfahren Gegenstand der Rechts‑ und Subsumtionsrüge wären, können im Geschworenenverfahren nämlich nur – bei Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung – im Wege der Z 6 oder – wie vorliegend bei unterbliebener Beantwortung der auf den vermissten Wahrspruch abzielenden Frage – als Mangel der Antwort der Geschworenen aus der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO geltend gemacht werden (Hager/Meller/Hetlinger, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung5 S 124; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 614 f).

[9] Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass das gegenständliche Urteil eine Tat betrifft, die nach der Zeit ihrer Begehung (23. Jänner 2023) schon im (vorangegangenen) Verfahren AZ 10 Hv 161/22p des Landesgerichts für Strafsachen Graz mit (ON 17 und ON 45: seit 28. Februar 2023 rechtskräftigem) Urteil vom 24. Februar 2023 (vgl US 7) hätte abgeurteilt werden können, sodass richtigerweise nach §§ 31 Abs 1, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das erwähnte Urteil eine Zusatzstrafe zu verhängen gewesen wäre.

[10] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung stattzugeben (§§ 285e, 344 StPO).

[11] Demnach war das angefochtene Urteil, wobei der bisherige Wahrspruch der Geschworenen (Verneinung der Hauptfrage 1, Bejahung der Eventualfrage 2 sowie Bejahung der Zusatzfrage 3 nach Notwehr unter Verneinung der Variante 3a nach dem Rechtfertigungsgrund der notwendigen Verteidigung [§ 3 Abs 1 erster Satz StGB] und Bejahung der Variante 3b nach dem Schuldausschließungsgrund der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt [§ 3 Abs 2 StGB]) – zur Gänze unberührt zu bleiben hatte (§ 349 Abs 2 StPO; Kirchbacher, StPO15 § 349 Rz 1; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 14 f), im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben.

[12] Die Sache war im Umfang der Aufhebung zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht zu verweisen: Dieses wird seiner Entscheidung den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs mit zugrunde zu legen haben (§ 349 Abs 2 StPO; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 19).

[13] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese (teil‑)kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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