OGH 10ObS73/24v

OGH10ObS73/24v13.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei T*, vertreten durch Dr. Thomas Schweiger, LL.M., Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zuschusses nach Entgeltfortzahlung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 2024, GZ 25 Rs 13/24 h‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Dezember 2023, GZ 46 Cgs 104/23z (46 Cgs 105/23x)‑6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00073.24V.0813.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger ein „Unternehmen“ im Sinn des § 53b Abs 2 Z 1 ASVG betreibt.

[2] Der Kläger ist ein privatrechtlich organisierter Verein mit ca 3.000 Mitgliedern. Die Finanzierung des Klägers erfolgt überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und zu rund 25 % des Budgets durch Kostenersätze durch eine Körperschaft öffentlichen Rechts (im Folgenden: Körperschaft), die hauptsächlich aus einem Druckkostenbeitrag bzw einem Publikationsbeitrag für das Druckwerk des Klägers besteht, das alle Mitglieder der Körperschaft erhalten, auch wenn sie nicht Mitglieder des Klägers sind. Das Druckwerk enthält auch Mitteilungen dieser Körperschaft im Umfang von vier bis sechs Seiten.

[3] Im Jahr 2021 beschäftigte der Kläger neben einer Sekretärin einen weiteren Dienstnehmer, den Landessekretär, der sich vom 23. November 2022 bis zum 26. Mai 2023 durchgehend im Krankenstand befand. Der Kläger leistete (nach § 8 AngG) im Zeitraum 23. November 2022 bis 29. März 2023 eine Entgeltfortzahlung von 2.851,08 EUR brutto und im Zeitraum von 30. März 2023 bis 26. Mai 2023 eine Entgeltfortzahlung von 584,58 EUR brutto (jeweils ohne Sonderzahlungen).

[4] Mit Bescheiden vom 21. Juli 2023 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 15. Juni 2023 auf Gewährung eines Zuschusses nach Entgeltfortzahlung für die Arbeitsverhinderung des Dienstnehmers von 23. November 2022 bis 26. Mai 2023 für die Entgeltfortzahlungszeiträume von 23. November 2022 bis 29. März 2023 (zu 3974 210173‑006 E) und von 30. März 2023 bis 26. Mai 2023 (zu 3974 210173‑005 E) ab.

[5] Dagegen richten sich die zu 46 Cgs 104/23z und 46 Cgs 105/23x erhobenen und zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen, in denen der Kläger (zuletzt) einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung im gesetzlichen Ausmaß für die Arbeitsverhinderung des Landessekretärs in den Zeiträumen 23. November 2022 bis 29. März 2023 (46 Cgs 105/23x) und 30. März 2023 bis 26. Mai 2023 (46 Cgs 104/23z) begehrt. Der Kläger sei ein Unternehmen, weil er eine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit ausübe, durch die wirtschaftlich werthafte Leistungen erbracht würden, die insofern eine Wirkung nach außen hätten, als sie einem Publikum gegen zumindest kostendeckendes Entgelt angeboten würden. Da das Druckwerk des Klägers auch Personen erhielten, die nicht Mitglied des Klägers seien, und überdies im Umfang von vier bis sechs Seiten auch Mitteilungen dieser Körperschaft enthalte, leiste diese Körperschaft ein entsprechendes Entgelt an den Kläger. Ziel sei eine kostendeckende Gebarung, weswegen auch das Kriterium eines kostendeckenden Entgelts erfüllt sei.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Unter § 53b ASVG fielen nur jene Unternehmen, die wirtschaftlich werthafte Leistungen erbringen würden, die sie der Öffentlichkeit gegen Entgelt anböten. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht.

[7] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Da sämtliche Tätigkeiten des Klägers an der Wahrung der Interessen der Mitglieder ansetzten und damit innerhalb des sozialpolitischen Bereichs blieben, mangle es dem Kläger an einer Teilnahme am geschäftlichen Verkehr, sodass der Unternehmensbegriff des § 53b ASVG nicht erfüllt sei.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und sprach mit Zwischenurteil aus, dass die Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehen. Der Kläger biete (auch) Leistungen für Außenstehende gegen Entgelt an, indem er gegen Druckkosten- bzw Publikationsbeiträge der Körperschaft für redaktionelle Beiträge in dem vom Kläger herausgegebenen und auch an Nicht-Mitglieder versendeten Druckwerk zur Verfügung stelle.

[9] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob bei einem Verein mit dem hier vorliegenden Tätigkeitsbereich die Unternehmenseigenschaft im Sinn des § 53b ASVG zu bejahen sei.

[10] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] In der Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[13] 1. Der Umstand, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem völlig gleich gelagerten Sachverhalt fehlt, kann die Zulässigkeit der Revision für sich allein noch nicht begründen (RS0107773; RS0110702; RS0102181). Das gilt vor allem, wenn der Streitfall – wie hier – durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung gelöst werden kann (RS0118640; RS0042742 [T11, T13]).

[14] 2.1. Den Dienstgeber/inne/n können nach § 53b Abs 1 ASVG Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwands für die Entgeltfortzahlung einschließlich allfälliger Sonderzahlungen im Sinne des § 3 EFZG oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften an bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt unfallversicherte Dienstnehmer/innen geleistet werden. Anspruchsberechtigt sind nur jene Dienstgeberinnen und Dienstgeber, die nicht mehr als die gesetzlich vorgesehene Anzahl (50: § 53b Abs 2 Z 1 ASVG) von Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern „in ihrem Unternehmen“ beschäftigen (RS0120891; RS0121346).

[15] 2.2. Die Grundlage der Beurteilung bildet der allgemeine Unternehmensbegriff des § 1 Abs 2 UGB, wonach „jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein“, ein Unternehmen ist. Im Anwendungsbereich des § 53b ASVG ist von diesem weiten Verständnis des Unternehmensbegriffs auszugehen (10 ObS 55/18p ErwGr 4.1; 10 ObS 138/06a).

[16] 2.3. Dieser Unternehmensbegriff fordert eine auf Dauer organisierte selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, durch die wirtschaftlich werthafte Leistungen erbracht werden, die insofern eine Wirkung nach außen haben, als sie einem „Publikum“ gegen zumindest kostendeckendes Entgelt angeboten werden (10 ObS 55/18p ErwGr 4.2; 10 ObS 170/06g). Dabei sind jeweils die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen (RS0065317 [T3]).

[17] 2.4. Wie die öffentliche Hand oder Vereine können nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch politische Parteien am Erwerbsleben teilnehmen; soweit sie aber im Bereich der politischen Auseinandersetzung bleiben und darüber hinaus keine Unternehmensinteressen vertreten, liegt keine zu wirtschaftlichen Zwecken ausgeübte Tätigkeit vor (10 ObS 55/18p ErwGr 6.2). Insbesondere können auch ideelle Vereine als Unternehmer auftreten, wenn sie wirtschaftlich relevante Tätigkeiten tatsächlich entfalten und hiefür auf Dauer organisatorisch eingerichtet sind; dabei schadet es nicht, dass die unternehmerische Tätigkeit dem (ideellen) Vereinszweck untergeordnet ist (RS0122900 [zu § 1 Abs 2 KSchG]).

[18] 3. Das Berufungsgericht hat diese in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze im hier zu beurteilenden Einzelfall beachtet. Die Revision der Beklagten zeigt eine Überschreitung des ihm dabei zukommenden Beurteilungsspielraums nicht auf.

[19] 3.1. Nach dem festgestellten Sachverhalt stellt der Kläger in einem von ihm herausgegebenen Medium einem anderen Rechtsträger Raum zur Verfügung. Dass es sich dabei grundsätzlich um eine wirtschaftlich werthafte Leistung handeln kann, wird in der Revision (zu Recht) nicht in Zweifel gezogen.

[20] 3.2. Die Größe des Publikums bzw des Markts, dem gegenüber die Leistung angeboten bzw erbracht wird, ist dabei unerheblich (3 Ob 34/12i ErwGr 3.), sodass ein marktorientiertes Auftreten – wie die Beklagte in der Revision selbst erkennt – auch bei Bestehen nur eines einzigen Abnehmers vorliegen kann. Weder der in der Revision betonte Umstand, dass der Kläger die wahlwerbende Gruppe bei in der Körperschaft durchgeführten Wahlen stellt (gemeint offenbar: im Kläger tätige Personen als wahlwerbende Gruppe auftreten), noch die Ausrichtung des Druckwerks des Klägers auf die Mitglieder der Körperschaft sprechen gegen die Eigenschaft der Körperschaft als Abnehmerin der vom Kläger erbrachten Leistungen.

[21] Die weiteren Revisionsausführungen zu diesem Themenbereich, insbesondere jene zur „organisatorischen, personellen und finanziellen Verflechtung“ gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sondern legen tatsächliche Umstände zugrunde, die dem erstinstanzlichem Vorbringen der Parteien nicht zu entnehmen sind. Insofern handelt es sich um unzulässige und daher unbeachtliche Neuerungen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[22] 3.3. Die Behauptung der Beklagten, dass „das Unternehmen kein eigenständiges Erscheinungsbild im Geschäftsverkehr“ habe, übergeht das Bestehen von (eigenen) Büroflächen (seien sie auch von der Körperschaft dem Kläger an derselben Geschäftsanschrift vermietet) und den vom Berufungsgericht als zugestanden angesehenen (eigenen) Internetauftritt des Klägers. Eine Verbundenheit des Klägers und der Körperschaft aufgrund der teilweise überschneidenden Mitgliederkreise und der Heranziehung der Leistungen des Klägers zur Kommunikation mit den Mitgliedern ändert daran nichts.

[23] 3.4. Dem festgestellten Sachverhalt ist zu entnehmen, dass der Kläger seine Leistungen ua gegen Druckkosten- bzw Publikationsbeiträge erbringt. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers wurde von der Beklagten in erster Instanz auch nicht bestritten. Warum darin, wie die Beklagte nunmehr meint, keine „unmittelbare Gegenleistung“ liegen soll, erklärt sie in der Revision nicht näher.

[24] 3.5. Die Beklagte legt nicht offen, aus welchen Gründen der in der Revision thematisierten Frage, ob zu anderen Wettbewerbern ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt und Wettbewerbsabsicht im Sinn des § 1 UWG besteht, Bedeutung zukommen könnte. Ob der Unternehmensbegriff darüber hinaus (auch) aufgrund der Erbringung von Leistungen durch den Kläger an seine Mitglieder erfüllt sein könnte, ist ebenso wenig entscheidend, sodass auch darauf nicht weiter eingegangen werden muss.

[25] 3.6. Soweit die Beklagte dem Berufungsgericht unterstellt, seiner Entscheidung Umstände zugrunde gelegt zu haben, die im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht worden seien, legt sie nicht nachvollziehbar dar, auf welche konkreten Tatsachen sich dieser Vorwurf bezieht und inwiefern diese für die rechtliche Beurteilung relevant sein sollen.

[26] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO (RS0035896 [T1]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte