OGH 10ObS80/24y

OGH10ObS80/24y13.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, Ungarn, vertreten durch Saxinger Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenpension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2024, GZ 10 Rs 99/23 m‑17, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. Juni 2023, GZ 25 Cgs 64/23v‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00080.24Y.0813.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Witwenpension nach ihrem 2022 verstorbenen Lebensgefährten.

[2] Die Klägerin und der Versicherte lebten seit 1999 in einer emotionalen und wirtschaftlichen Gemeinschaft in einem Haushalt faktisch zusammen. Nach einer ungarischen Gesetzesänderung vom 1. Jänner 2010 wurde die Beziehung am 28. Jänner 2010 bei einem Notar registriert und war seither als „Elettärsi viszony letesitese“ („Lebensgemeinschaftsbeziehung“) erfasst.

[3] Nach ungarischem Recht entsteht die nichteheliche Lebensgemeinschaft (die sogenannte Lebenspartnerschaft) – im Gegensatz zur Ehe und zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, die förmlich eingegangen werden – durch das Zusammenleben eines verschieden- oder gleichgeschlechtlichen Paares in einer emotionalen und wirtschaftlichen Gemeinschaft in einem Haushalt. Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Eine deklaratorische Registrierung ist aus Gründen der Rechtssicherheit möglich; das Register der lebenspartnerschaftlichen Erklärungen führt die Landesnotarkammer.

[4] Mit Bescheid vom 20. März 2023 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Witwenpension mit Stichtag 1. September 2022 ab. Die von der ungarischen Behörde bestätigte Lebensgemeinschaft begründe nicht die Rechtswirkungen einer in Österreich geschlossenen Ehe.

[5] Das Erstgericht gab der auf Zahlung einer Witwenpension im gesetzlichem Ausmaß gerichteten Klage ab 26. August 2022 statt. Im Gesamteindruck würden die gemeinsamen Merkmale der ungarischen eingetragenen „Lebensgemeinschaftsbeziehung“, die nur durch Formalakt begründet werden könne, zu einer österreichischen eingetragenen Partnerschaft bzw Ehe überwiegen.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Der entscheidende Unterschied zwischen einer bloßen Lebenspartnerschaft nach ungarischem Recht und einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG liege darin, dass für die Begründung einer bloßen Lebenspartnerschaft keine vor einer Behörde gemeinsam abgegebene Willenserklärungen (§ 6 EPG) erforderlich seien. Die bloße Lebenspartnerschaft entstehe faktisch mit der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft (gemeinsamer Haushalt). Anders als bei einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG sei die Begründung einer bloßen Lebenspartnerschaft selbst bei einer formell noch aufrechten Ehe möglich. An diesem Befund ändere die bloß deklarative Eintragung in ein notarielles Register in Ungarn nichts.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage der Sachverhaltsgleichstellung einer bloßen Lebenspartnerschaft nach ungarischem Recht mit einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

[8] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[11] 1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall.

[12] 2. Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst in der Entscheidung zu 10 ObS 118/23k mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen eine im Ausland begründete Partnerschaft einen Anspruch auf Witwenpension begründen kann, und kam zu folgendem Ergebnis (Rz 9):

[13] Die Wirksamkeit einer im Ausland begründeten Partnerschaft ist aufgrund des nach § 27a IPRG anzuwendenden Rechts zu prüfen. Dafür bedarf das Zusammenleben zwischen dem Anspruchswerber und dem Versicherten aber zunächst einmal einer (ersten) Qualifikation als „eingetragene Partnerschaft“ im Sinn der lex fori. Das ist nur bei ausländischen Partnerschaftsformen der Fall, die (bei weiter Auslegung) einer eingetragenen Partnerschaft funktionell gleichwertig sind, dh ihre Kernelemente aufweisen. Eingetragene Partnerschaften sind daher alle Arten von Lebensgemeinschaften, die förmlich begründet wurden (aber keine Ehen sind) und familien- und personenstandsrechtliche Wirkungen entfalten, auch wenn sie hinter jenen Wirkungen zurückbleiben, die eingetragenen Partnerschaften nach dem EPG zukommen. Liegen diese Charakteristika nicht vor, besteht keine eingetragene Partnerschaft, sondern selbst dann nur eine schlichte bzw faktische Lebensgemeinschaft, wenn die ausländische Rechtsordnung gewisse Rechtsfolgen an diese knüpft (RS0085158 [T1]).

[14] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang.

[15] Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht entsprechen einander die eingetragene Partnerschaft nach dem EPG und die ungarische Lebenspartnerschaft hinsichtlich ihrer Begründung nicht, weil die ungarische Lebenspartnerschaft bereits durch das Zusammenleben eines verschieden- oder gleichgeschlechtlichen Paares in einer emotionalen und wirtschaftlichen Gemeinschaft in einem Haushalt begründet wird. Die nach ungarischem Recht mögliche Registrierung der Lebenspartnerschaft hat demgegenüber nur deklaratorischen Charakter, sodass diese Art der Lebensgemeinschaft – anders als die Ehe und die eingetragene Lebenspartnerschaft, die auch nach ungarischem Recht förmlich eingegangen werden – nicht förmlich begründet wird und einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG somit nicht gleichgehalten werden kann. Der in der Revision betonte Umstand, dass das ungarische Recht an eine solche Lebenspartnerschaft gewisse Rechtsfolgen, wie etwa einen Anspruch auf Hinterbliebenenpension, knüpft, ändert nichts an den nach innerstaatlichem Recht zu beurteilenden Voraussetzungen für eine (österreichische) Hinterbliebenenpension.

[16] 4. Eine Gleichstellung der Lebenspartnerschaft nach ungarischem Recht mit einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG ergibt sich auch nicht aus Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 , wonach der zuständige Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen Sachverhalte oder Ereignisse so berücksichtigt, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären. Die Mitgliedstaaten bleiben weiterhin zuständig und frei in der Festlegung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen (10 ObS 83/13y ErwGr 2.). Aus welchen Gründen sich die Qualifikation der Art des Zusammenlebens der Klägerin und des Versicherten unter der Annahme, der maßgebliche Sachverhalt hätte sich in Österreich verwirklicht, ändern könnte, ist der Revision nicht zu entnehmen.

[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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