OGH 14Os34/24t

OGH14Os34/24t31.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Juli 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Faulhammer LL.M. (WU) in der Strafsache gegen *H* wegen Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 63 Hv 52/23m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPOnach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00034.24T.0731.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil vom 14. August 2023 sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien* H* des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB (A) und der Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (B) schuldig und verurteilte ihn zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe (ON 47.2).

[2] Danach hat er in W*

(A) am 3. Mai 2022 als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei, nämlich im zu AZ * geführten Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten * E*, falsch ausgesagt, indem er gegenüber dem Polizeibeamten * M* wahrheitswidrig angab, dass ihm E* mit voller Wucht fünf oder sechs Mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe, der erste Schlag ihn oberhalb des linken Auges und die restlichen im Bereich des Nackens getroffen hätten, der Genannte ihn am Hals gepackt und gegen eine Wand gedrückt, ihn aufgefordert habe, einen Zettel zu unterschreiben, dabei die Faust erhoben und ihm damit gedroht habe, dass er zwei bis drei Jahre in Haft bleiben werde;

(B) einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung verdächtigte, wobei er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigungen falsch sind und die fälschlich angelastete Handlung mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und zwar E* „des Verbrechens des Missbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB“, nämlich

(I) am 13. April 2022 anlässlich der Anzeigeerstattung gegenüber dem Polizeibeamten * D*, indem er sinngemäß angab, dass ihn ein Polizist anlässlich seiner Befragung bei der PI * plötzlich mehrmals mit geballten Fäusten ins Gesicht geschlagen, ihn dabei verletzt, circa 30 Minuten auf ihn eingeschlagen und gleichzeitig gesagt habe: „Ich ficke dich jetzt“;

(II) am 3. Mai 2022 im Zuge der zu (A) genannten Handlung.

[3] Soweit hier von Relevanz berief sich der Verurteilte in der dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld auf Art 6 Abs 2 MRK sowie den Zweifelsgrundsatz und legte davon ausgehend unter Zugrundelegung einer eigenen Würdigung der Verfahrensergebnisse dar, weshalb Zweifel an seiner Schuld bestünden. Zudem seien die „prozessualen Gewährleistungen der Art 3, 5 & 8“ MRK dadurch verletzt worden, dass der Angeklagte als Opfer polizeilicher Folter just an jene Polizeiinspektion überstellt worden sei, in der die Übergriffe stattgefunden hätten.

[4] Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 13. Dezember 2023, AZ 17 Bs 268/23w, keine Folge und führte – soweit hier bedeutsam – unter anderem aus, dass der Zweifelsgrundsatz keine negative Beweisregel darstelle, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (ON 60.3, 17). Das Oberlandesgericht verneinte das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 5 iVm § 489 Abs 1 StPO und hegte keine Bedenken gegen die vom Erstgericht festgestellten entscheidenden Tatsachen und die Würdigung der Verfahrensergebnisse.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich der eine Verletzung der Art 3, 5, 6 Abs 2 und 8 MRK behauptende, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

[6] Grundlage eines Erneuerungsantrags im erweiterten Anwendungsbereich (vgl RIS-Justiz RS0122228) ist eine als grundrechtswidrig bezeichnete (letztinstanzliche) Entscheidung oder Verfügung eines dem Obersten Gerichtshof untergeordneten Strafgerichts (vgl dazu Rebisant, WK-StPO §§ 363a bis 363c Rz 34 ff). Der Antrag hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt worden zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16; zur sinngemäßen Geltung aller gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl RIS-Justiz RS0122737) – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS-Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359).

[7] Die Behandlung eines Erneuerungsantrags bedeutet daher nicht die Überprüfung einergerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS-Justiz RS0129606 [T2, T3], RS0132365).

[8] Den Einwand, dass die Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK eine (negative) Beweisregel enthalte und deshalb bereits bei der Beweiswürdigung Berücksichtigung zu finden habe, leitet der Erneuerungswerber nicht methodengerecht aus diesem Grundrecht ab (vgl aber RIS‑Justiz RS0128393; zur [verneinten] Frage nach dem Vorliegen einer Beweisregel eingehend 14 Os 73/09f). Es sei daher lediglich aus Gründen der Vollständigkeit festgehalten, dass der auf die Unschuldsvermutung zurückzuführende Zweifelsgrundsatz der Beweiswürdigung nachgelagert ist. Bleiben nach eingehender Würdigung der Beweise Zweifel an der Täterschaft oder Schuld des Angeklagten, mit anderen Worten ist das Gericht zum Vorliegen der Tatbestandsmerkmale oder Nichtvorliegen sämtlicher Ausnahmesätze zu keiner Überzeugung (§ 258 Abs 2 StPO) gelangt, ist der Angeklagte – dem Zweifelsgrundsatz folgend – freizusprechen (vgl Schmoller, WK-StPO § 14 Rz 43; Lendl, WK-StPO § 258 Rz 38; Ratz, Verfahrensführung und Rechtsschutz² Rz 22).

[9] Mit eigenständigen, nach dem Antragsvorbringen Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten hervorrufenden Beweiswerterwägungen bekämpft der Erneuerungswerber bloß die Beweiswürdigung, ohne damit eine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK begründet darzulegen.

[10] Im Übrigen wird zu Recht nicht behauptet, dass das Oberlandesgericht den Erneuerungswerber bereits vor seiner Verurteilung als schuldig behandelt hätte (vgl EGMR 12. 7. 1988, 10862/84, Schenk/Schweiz, Z 51, wo allein darauf und nicht auf die materiell- und verfahrensrechtliche Gesetzmäßigkeit der Entscheidung abgestellt wird).

[11] Soweit der Erneuerungswerber auf Art 3, 5 und 8 MRK und die dadurch gewährleisteten prozessualen Rechte hinweist, wird nicht klar, inwiefern durch eine Entscheidung oder Verfügung eines dem Obersten Gerichtshof untergeordneten Strafgerichts in diese Rechte eingegriffen worden sei. Insoweit orientiert sich der Erneuerungsantrag nicht an den eingangs dargestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl im Übrigen zu Art 5 MRK RIS-Justiz RS0123350 [insbes T1]).

[12] Der Erneuerungsantrag war somit bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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