European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00037.24V.0627.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Über die Berufung hat das Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * V* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB untergebracht.
[2] Danach hat er am 1. März 2023 in I* unter dem maßgeblichen Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden (§ 11 StGB) schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, die einer Geisteskrankheit gleich zu halten ist, nämlich einer organisch und durch Substanzen bedingten Störung in Form einer Polytoxikomanie (F19.22 ICD‑10), einer aufgrund von Substanzen bedingten Persönlichkeits- und Wesensveränderung (F19.71 ICD‑10), einer aufgrund von Substanzen bedingten kognitiven Beeinträchtigung (F19.74 ICD‑10) sowie einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol (F10.21 ICD‑10), wobei ein Raptus im Rausch vorlag, versucht,
I./ * I* schwer am Körper zu verletzen, indem er ihm einen wuchtigen Kopfstoß gegen dessen Gesicht sowie Faustschläge und Tritte gegen dessen Körper versetzte und versetzen wollte, wobei die Tat aufgrund von Ausweichbewegungen und Abwehrhandlungen des * I* beim Versuch geblieben ist,
II./ Polizeibeamte durch Gewalt und durch gefährliche Drohung mit einer Körperverletzung an Amtshandlungen zu hindern, nämlich der Abwehr und Beendigung eines gefährlichen Angriffs (§ 21 SPG) gegenüber * I*, indem er sich aus der Fixierung des Beamten B* mit erheblicher Kraft herauszuwinden versuchte, sowie in weiterer Folge seiner weiteren Fixierung und Durchsetzung seiner Festnahme durch vier im Urteil genannte Beamte, indem er sich durch Losreißen aus den Festhaltegriffen und Einsatztechniken der Beamten zu befreien versuchte und ihnen gegenüber mehrfach sinngemäß äußerte, dass er sie alle umbringen werde, wenn sie ihn nicht gehen lassen würden,
und dadurch Taten begangen, die als Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I./) und nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (II./) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus Z 5, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen ist – in teilweiser Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.
[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist die von den Tatrichtern zu I./ – auch mit Blick auf die Wucht des Kopfstoßes (US 8) – vorgenommene Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehen (US 15) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0116882).
[5] Die zu II./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, dass das festgestellte Herauswinden und Losreißen aus dem Festhaltegriff des einschreitenden Polizeibeamten mangels Überschreitens der Erheblichkeitsschwelle keine Gewalt im Sinn des § 269 Abs 1 StGB darstelle. Dieses Argument vernachlässigt jedoch prozessordungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die Konstatierung (US 10), dass der Betroffene unter Einsatz von Körperkraft handelte (vgl dazu im Übrigen RIS-Justiz RS0094001 [insb T4, T9]).
[6] Aufgrund der somit erfolglosen Infragestellung dieser Tatbestandsvariante des § 269 Abs 1 StGB erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen zur Frage des Vorliegens des Tatmittels der gefährlichen Drohung.
[7] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) vermisst ebenso wie die Generalprokuratur Sachverhaltsannahmen dazu, dass die psychische Störung des Betroffenen für die Anlasstat „maßgeblich“ im Sinn des § 21 Abs 1 StGB war.
[8] Der durch das MVAG 2022 (BGBl I 2022/223) neu eingefügte Begriff „maßgeblich“ verlangt keine sachverhaltsmäßige Quantifizierung des Einflusses der Störung im Sinn des § 21 Abs 1 StGB auf die Anlasstat (vgl Haslwanter in WK2 StGB § 21 Rz 11). Hatte die Störung keine Auswirkung auf die Begehung der Anlasstat, war sie für diese unmaßgeblich, mit anderen Worten ohne Einfluss darauf. Dementsprechend gelingt es auch den Gesetzesmaterialien nicht, das bloß mit dem Synonym „bedeutend“ umschriebene Wort „maßgeblich“ mit einem eigenständigen Begriffsinhalt zu versehen (vgl EBRV MVAG 2022, 8 f; vgl 11 Os 80/23h Rz 6a; zur vergleichbaren Problematik in Bezug auf die Wortfolgen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ und „in absehbarer Zukunft“ in § 21 Abs 1 StGB vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 719; Ratz, EvBl 2024/18, 62; Haslwanter in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 4/1). Dem Gesetz kann somit ein Erfordernis zusätzlicher Sachverhaltsannahmen nicht entnommen werden.
[9] Nach dem erkennbaren Feststellungswillen der Tatrichter (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) verlor der Betroffene bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines (einer Störung im Sinn des § 21 Abs 1 StGB zu subsumierenden) organischen Psychosyndroms und eines durch Alkohol und THC beeinträchtigten Zustands die Impulskontrolle, sodass er seine Affekte nicht mehr steuern konnte (US 14 und 16 f). Der Beschwerde zuwider reichen diese Feststellungen für die rechtliche Beurteilung, dass der Betroffene die Anlasstat unter dem maßgeblichen Einfluss der Störung beging.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
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