European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00064.24F.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:
„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 12 EUR samt 4 % Zinsen per anno seit 13. Oktober 2021 zu bezahlen, wird abgewiesen.
2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.010,71 EUR (darin enthalten 167,65 EUR USt und 4,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 897,39 EUR (darin enthalten 146,23 EUR USt und 20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 830,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR USt und 228 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] A* P*, ein in Österreich ansässiger Verbraucher, erwarb im Internet über die Beklagte, die ein österreichweites Ticketservice betreibt, insgesamt sechs Eintrittskarten für zwei Konzerte in Österreich zu einem durchschnittlichen Preis von etwa 65 EUR je Ticket. Ihm wurde von der Beklagten eine „Servicegebühr“ von 2 EUR je Ticket verrechnet. Er unterwarf sich den AGB der Beklagten, die auszugsweise wie folgt lauten:
„Die [Beklagte] ist nicht selbst Veranstalter der angebotenen Veranstaltungen. Diese werden durch den jeweiligen Veranstalter durchgeführt, der auch Aussteller der Tickets ist. Die Leistungen im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsbesuch schuldet ausschließlich der Veranstalter gegenüber dem Karteninhaber (Kunden).
Möglicherweise gelten für diese rechtlichen Beziehungen eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen des Veranstalters. Die [Beklagte] ist bei Veranstaltungen in Österreich lediglich Besorger, bei Veranstaltungen im Ausland lediglich Vermittler der Eintrittskarten, es sei denn, sie ist im Einzelfall ausdrücklich selbst als Veranstalter ausgewiesen. Mit der Bestellung von Tickets beauftragt der Kunde die [Beklagte] mit der Abwicklung des Kartenkaufes einschließlich Versand.
Hinsichtlich des Kartenkaufes tritt der Kunde mit [der Beklagten] in eine Vertragsbeziehung.
[...]
II. Vertragsabschluss
1. Das Angebot für einen Vertragsabschluss geht vom Kunden aus, sobald er das Feld 'jetzt kaufen' angeklickt hat. Erst mit Zuteilung und Übersendung der Transaktionsnummer durch die [Beklagte] ('Ticketingunternehmen') an den Kunden kommt ein Vertrag zwischen dem Kunden und dem jeweiligen Vertragspartner (Veranstalter, lizenzierter Fan-Artikel-Verkäufer oder [Beklagte]) zustande.
IV. Preisbestandteile & Zahlungsmodalitäten
[...]
2. Bei der Internet-Bestellung werden Servicekosten erhoben, die je nach Veranstaltung variieren können. Die Servicegebühr von max. € 2,- ist im ersichtlichen Gesamtkaufpreis, der im Warenkorb angezeigt wird, bereits enthalten. [...] [im Folgenden: 'Klausel 1'; Anm]
XIV. Veranstaltungsabsage, Änderungen, Rückzahlungen
[...] Die angefallenen Service-, Versand- und Sorgenfreigebühren können aufgrund der erbrachten Leistung von [der Beklagten] nicht rückerstattet werden. [...]“ [im Folgenden: „Klausel 3“; Anm]
[2] Im Webshop der Beklagten (www.*.com) wird im Laufe des Bestellungsprozesses an verschiedenen Stellen folgender Hinweis angezeigt: „ Angezeigte Preise inkl. Servicegebühr von max. € 2,00. “ [im Folgenden: „Klausel 2“; Anm]
[3] Die – jeweils von Dritten veranstalteten – Konzerte wurden aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt. A* P* erhielt in Höhe der von ihm gezahlten (reinen) Kaufpreise Gutscheine ausgestellt. Hinsichtlich der Servicegebühr erhielt er keine Rückerstattung.
[4] Die Klägerin ist ein in § 29 Abs 1 KSchG genannter privilegierter Verband, dem A* P* seinen – im Verfahren strittigen – Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der entrichteten „Servicegebühr“ von insgesamt 12 EUR sA zum Zwecke des Inkassos und der Klageführung abgetreten hat.
[5] Die Klägerin begehrt von der Beklagten 12 EUR (jeweils 2 EUR pro Ticket) sA. Sie brachte vor, diese Gebühr sei von der Beklagten für die Einlösung bzw Ausstellung von Veranstaltergutscheinen iSd KuKuSpoSiG verrechnet worden, was unzulässig sei. Zudem seien die Klauseln 1 bis 3 der AGB der Beklagten wegen Intransparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG unwirksam. A* P* habe daher einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von 12 EUR gegen die Beklagte, den er an die Klägerin abgetreten habe.
[6] Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. Sie wandte mangelnde Passivlegitimation ein mit der Begründung, die Pflicht zur Ausstellung von Gutscheinen treffe ausschließlich den Veranstalter, nicht die Beklagte als Ticketingunternehmen. Darüber hinaus betonte sie, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Kunden vollständig und ordnungsgemäß erfüllt, insbesondere diesem die Tickets besorgt zu haben. Die Ausstellung von Gutscheinen bei Veranstaltungsabsage tätige sie bloß als Erfüllungsgehilfin des Veranstalters.
[7] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stelle im Wesentlichen den eingangs ausgeführten – und vom Obersten Gerichtshof um Passagen aus der unstrittig echten Beilage Beilage ./E (AGB) ergänzten (vgl RS0121557 [T3]) – Sachverhalt fest, dies mit der Modifikation, dass nach dem von ihm angenommenen Sachverhalt die Servicegebühr von 2 EUR „für jeden der sechs ausgestellten Gutscheine […] einbehalten [wurde]“. Rechtlich vertrat es die Ansicht, § 3 KuKuSpoSiG gelte auch für die Beklagte. Nach dieser Vorschrift sei es unzulässig, für die Ausstellung von Gutscheinen dem Kunden Kosten anzulasten. Damit stehe die Klausel 3 in Widerspruch; weil sie die Rechtslage falsch darstelle, sei sie unwirksam. Unwirksam sei auch die Klausel 1, weil sie lediglich einen Maximalbetrag der Servicegebühr bestimme; dies mache sie nach § 6 Abs 3 KSchG intransparent. Die Servicegebühr sei folglich zwischen der Beklagten und dem Kunden nicht einmal wirksam vereinbart worden, weshalb Anspruch auf ihre Rückerstattung bestehe.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte im Ergebnis das Urteil des Erstgerichts, ersetzte jedoch dessen Feststellung, die Servicegebühr sei für die ausgestellten Gutscheine einbehalten worden, durch jene, dass die Beklagte 2 EUR Servicegebühr pro Ticket verrechnet und „auch nach Ausstellung der Gutscheine“ einbehalten habe. Rechtlich schloss es sich der Beurteilung des Oberlandesgerichts Wien in dessen – einen Parallelprozess betreffenden – Entscheidung vom 19. 12. 2023 zu 1 R 51/23m an, die Klauseln 1 bis 3 seien wegen Intransparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG unzulässig. Schon wegen ihrer Unwirksamkeit bestehe kein Anspruch der Beklagten auf die Servicegebühr, weshalb diese zur Rückzahlung verpflichtet sei.
[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, die Frage der Intransparenz der Servicegebührklauseln der Beklagten sei eine erhebliche iSd § 502 Abs 1 ZPO.
[10] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus den Revisionsgründen des § 503 Z 2 und Z 4 ZPO sowie wegen unrichtiger Beweiswürdigung erhobene Revision der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.
[11] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Frage der Zulässigkeit der Klauseln 1 bis 3 abweichend von der jüngst ergangenen (das Urteil des OLG Wien vom 19. 12. 2023 zu 1 R 51/23m abändernden) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. 4. 2024, 9 Ob 34/24a, verneint hat. Die Revision ist auch berechtigt.
[13] I.1. Der erkennende Senat hat bereits in seiner im ersten Rechtsgang ergangenen (die Frage der Zuständigkeit des mit der Klage angerufenen Erstgerichts betreffenden) Entscheidung vom 25. 1. 2023, 8 Ob 167/22z, festgehalten (Rz 2), dass das Kunst-, Kultur- und Sportsicherungsgesetz (KuKuSpoSiG) für den Fall, dass ein Kunst-, Kultur- oder Sportereignis aufgrund der COVID-19-Pandemie entfallen ist, die Möglichkeit, anstelle der Entgeltrückzahlung dem Besucher oder Teilnehmer einen Gutschein zu übergeben (§ 1), dessen Übertragbarkeit und Einlösung (§ 2) sowie dessen Kostenfreiheit und die Möglichkeit, von den Regelungen des KuKuSpoSiG konsensual abzuweichen (§ 3), regelt, nicht hingegen, ob ein Anspruch auf Rückzahlung besteht. Das Bestehen eines solchen – hier von der Klägerin, einem Verband nach § 29 KSchG, iSd § 502 Abs 5 Z 3 ZPO nach Abtretung geltend gemachten – Anspruchs wird vom KuKuSpoSiG vielmehr vorausgesetzt (arg § 1 Abs 1 leg cit).
[14] I.2. Soweit die Klägerin in erster Instanz den Klageanspruch auf die Regelung des § 3 KuKuSpoSiG über die Kostenfreiheit der Ausstellung, Übersendung und Einlösung von Gutscheinen gestützt hat, ist sie darauf hinzuweisen, dass nach den – für den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen des Berufungsgerichts der Betrag von je 2 EUR von der Beklagten dem Kunden A* P* nicht für die Gutscheinausstellung, sondern (erkennbar) bereits im Rahmen der Ticketbestellung verrechnet wurde. Die Einbehaltung der 12 EUR befindet sich damit außerhalb des (sachlichen) Anwendungsbereichs des § 3 KuKuSpoSiG, sie verletzt demnach diese Vorschrift nicht. Damit erweist sich aber für den vorliegenden Fall die von der Klägerin mehrfach ins Treffen geführte, zu 9 Ob 8/22z ergangene klagestattgebende Entscheidung gegen ein Ticketingunternehmen wegen – nach Beurteilung des 9. Senats – im Lichte von § 3 KuKuSpoSiG unzulässiger Verrechnung einer Servicegebühr für eine Gutscheinausstellung als nicht einschlägig.
[15] II. Der 9. Senat des Obersten Gerichtshofs war jüngst anlässlich einer von der selben Klägerin gegen die selbe Beklagte eingebrachten, auf Unterlassung der Verwendung bestimmter Klauseln gerichteten Verbandsklage bereits mit den auch hier von der Klägerin beanstandeten Klauseln 1 bis 3 befasst. Der 9. Senat verneinte in seinem Urteil vom 24. 4. 2024, 9 Ob 34/24a, dass die Klauseln 1 und 2 gegen § 6 Abs 3 KSchG (oder auch § 879 Abs 3 ABGB) verstießen. Hinsichtlich der Klausel 3 wurde ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss gefasst, um mit den Parteien das zwischenzeitliche Außerkrafttreten des KuKuSpoSiG mit Ablauf des 31. 12. 2023 zu erörtern und um ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Der 9. Senat führte zu den Klauseln 1 und 2, deren Zulässigkeit abschließend beurteilend, aus:
„1. Zur Klausel 1:
[...]
1.10. Die Vorinstanzen sind zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Klausel (für sich genommen) die exakte Höhe der zu zahlenden Servicegebühr nicht entnommen werden kann. Nach den Feststellungen erhält allerdings der Kunde im Rahmen des hier gegenständlichen Webshop-Bestellungsvorgangs unmittelbar vor Abgabe der Bestellung eine Information über die konkrete Höhe der Servicegebühr. Auch bei den im Bestellprozess des Webshops verwendeten Klauseln handelt es sich um vorformulierte allgemeine Vertragsbedingungen, die der Kontrolle gemäß § 28 KSchG unterliegen (RS0128261; vgl RS0128262). Beim festgestellten gesonderten Ausweis der konkret vom Kunden zu zahlenden Servicegebühr am Ende des Bestellvorgangs handelt es sich daher nicht bloß um eine im Verbandsverfahren unbeachtliche praktische Handhabung, sondern um eine weitere Bestimmung des Klauselwerks, die dem abzuschließenden Vertrag zugrunde liegt und die bei der hier vorzunehmenden Transparenzprüfung in einer Gesamtwertung miteinzubeziehen ist (vgl zur Prüfung nach § 879 ABGB: 9 Ob 69/11d Pkt 3.1; 5 Ob 205/13b Pkt 3.2.6. je mwN; 3 Ob 1/23b Rz 35).
[...]
1.12. Im vorliegenden Fall erfolgt der 'aufklärende Hinweis', nämlich konkret die Information über die exakte Höhe der Servicegebühr, im Rahmen des Bestellvorgangs (als Vertragsformblatt) unmittelbar vor Abgabe der Bestellung. Der tatsächliche Ausweis der konkreten Höhe der Servicegebühr ist daher sogar präsenter, als die in den AGB bzw Sternchenhinweisen enthaltenen Klauseln zur Servicegebühr von 'max. € 2,-'. Auch wenn sich der Verbraucher durch den Bestellvorgang klicken muss, um diese Information zu erhalten, erfolgt sie dennoch ausreichend deutlich und klar, zumal dieses 'Durchklicken' im – hier ausschließlich gegenständlichen – Webshop ohnehin und in jedem Fall notwendig ist, um den Vertrag abzuschließen. Eine allfällige 'Lockvogelwirkung' – die ohnehin kaum zu erwarten sein wird – ist nicht von Relevanz, sondern wäre in einem darauf gerichteten wettbewerbsrechtlichen Verfahren zu klären. Die Klausel 1 ist daher nach Ansicht des erkennenden Senats ausreichend transparent.
1.13. Die Klausel 1 verstößt auch nicht gegen § 879 Abs 3 ABGB. [...]
1.14. Durch die konkrete Angabe der Höhe der Servicegebühr am Ende des Bestellvorgangs ergibt sich – selbst bei kundenfeindlichster Auslegung – 'insgesamt kein einseitiges, schrankenloses Recht der Beklagten, die Servicegebühr nach freiem Ermessen festzulegen, sodass – so die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung – 'die Servicegebühr im Ergebnis auch ein Vielfaches des eigentlichen Ticketpreises betragen könnte, was einer Änderung des Entgelts und damit des Vertrags gleichkomme'. Bei dieser Servicegebühr handelt es sich – anders als etwa in 9 Ob 18/23x Rz 19 uva – auch um kein Zusatzentgelt, das das eigene Leistungsversprechen einschränkt, verändert oder aushöhlt. Nach den Feststellungen wird hier ein Gesamtpreis vereinbart, der die gegenständliche Servicegebühr bereits beinhaltet und vor Abgabe der Bestellung konkret ausgewiesen wird.
2. Zur Klausel 2:
[...]
2.5. Die Klausel 2 ist ebenfalls kontrollfähig im Sinne des § 28 Abs 1 KSchG (vgl 7 Ob 112/22d Rz 16 mwN). Im Übrigen gilt das zur Klausel 1 Gesagte, weshalb auch die Klausel 2 weder gegen § 6 Abs 3 KSchG noch gegen § 879 Abs 3 ABGB verstößt.“
[16] Der erkennende Senat schließt sich dieser rechtlichen Beurteilung für das vorliegende Verfahren an. Die Klauseln 1 und 2 sind entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam.
[17] III. Die Klausel 3 besagt, dass die angefallenen „Service-, Versand- und Sorgenfreigebühren“ aufgrund der erbrachten Leistung von der Beklagten nicht rückerstattet werden können. Die Klägerin möchte die Klausel als intransparent qualifiziert wissen mit der Begründung, sie stelle die Rechtslage in jenen Konstellationen, in denen eine Veranstaltung wegen der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden könne, unrichtig dar.
[18] Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen:
[19] III.1. Wie bereits unter Punkt I. ausgeführt, kann aus dem KuKuSpoSiG nicht abgeleitet werden, dass es unzulässig sei, dem Kunden anlässlich der Bestellung bzw Ausstellung der Eintrittskarte (des Tickets) eine Servicegebühr zu verrechnen.
[20] III.2. Mit Eintrittskarten ist nach Art der unvollkommenen Inhaberpapiere ein übertragbares Recht des Inhabers gegen den Aussteller – den jeweiligen Veranstalter – verknüpft. Der Aussteller einer Eintrittskarte gibt zu erkennen, dass er dem jeweiligen Inhaber zur Leistung verpflichtet sein will. Die Eintrittskarten haben in der Regel Wertpapiercharakter, weil die in ihnen verbriefte Forderung nach den Verkehrsgepflogenheiten nur unter Vorlage des Papiers geltend gemacht werden kann. Eintrittskarten sind damit wertpapierähnlich, sofern sie nicht im Einzelfall sogar tatsächlich ein Wertpapier sein sollten. All dem entspricht, dass Eintrittskarten – so wie auch Wertpapiere – Gegenstand eines Kaufs sein können (9 Ob 8/18v [Pkt III.1.] mwN).
III.3. Einem „Ticketservice“ (auch „Ticketingunternehmen“ oder „Vorverkaufsstelle“, allenfalls auch „Kartenbüro“ genannt), wie es die Beklagte betreibt, können– je nach der Gestaltung der Vertragsbeziehungen mit dem Kunden (Besucher) und dem Veranstalter – rechtlich mehrere Modelle zugrunde liegen:
[21] a) Zum einen ist ein Kommissionsgeschäft iSd § 383 UGB möglich. Das Ticketservice wird als Kommissionär tätig und führt den Verkauf der Eintrittskarten im eigenen Namen, aber für Rechnung des Veranstalters (des Kommittenten) durch. Kommissionsgut ist das – in der Eintrittskarte als Inhaberpapier verbriefte – Recht gegenüber dem Veranstalter auf Teilnahme an der Veranstaltung. Aus dem Kaufvertrag mit dem Kunden (Besucher) über die Eintrittskarte wird ausschließlich der Kommissionär berechtigt oder verpflichtet. Im Innenverhältnis reicht dieser die Vorteile und Nachteile aus dem Geschäftsabschluss, insbesondere das vereinbarte Eintrittsgeld, an den Veranstalter (dem Kommittenten) weiter (9 Ob 8/18v [Pkt III.2.]; BGH III ZR 192/17 [Pkt II.1.c.] = VuR 2019, 31 [33]; VIII ZR 329/21 [Rz 17] = COVuR 2023, 84 [85]; Bergmann, Kartenvorverkauf und Kommission – Das Aufspaltungsrisiko in der COVID-19 Pandemie, WM 2021, 1209 [1209]; vgl auch Rauter/Merzo in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 [2022] § 383 Rz 28).
[22] b) Zum anderen kann das Ticketservice bei der Vermarktung der Eintrittskarten als Stellvertreter des Veranstalters auftreten. Diesfalls tritt der Kunde nur mit dem Veranstalter in eine Rechtsbeziehung. Das Ticketservice verkauft die Eintrittskarte im Namen und für Rechnung des Veranstalters, wofür es sich von diesem Vertretungsmacht einräumen lässt (9 Ob 8/18v [Pkt III.2.]; vgl auch BGH VIII ZR 329/21 [Rz 17] = COVuR 2023, 84 [85]; Bergmann, WM 2021, 1209).
[23] c) Drittens ist es möglich, dass das Ticketservice den Kaufvertrag über die Eintrittskarte vermittelt (4 Ob 32/20i [Pkt 1.5.]). Hier kann zusätzlich zum vermittelten Vertrag zwischen dem Kunden und dem Veranstalter ein (Vermittlungs-)Vertrag zwischen dem Kunden und dem Ticketservice vorliegen (vgl JAB 142 BlgNR 27. GP 2 [„Konstellation zweier getrennter Verträge zwischen Veranstalter (Betreiber) und Vermittler einerseits und Vermittler und Besucher (Teilnehmer) andererseits“]; vgl weiters Kreile/Hombach, Konzertgenuss mit Hindernissen, ZUM 2001, 731 [759]; Kriegner, Kunst, Kultur, Sport: Gutscheine statt Entgeltrückzahlung, VbR 2020, 124 [126]; Spenner/Estner, Absage von Veranstaltungen wegen des Coronavirus – wer zahlt? BB 2020, 852 [853]).
[24] III.4. Nach den AGB der Beklagten ist diese „bei Veranstaltungen in Österreich lediglich Besorger, bei Veranstaltungen im Ausland lediglich Vermittler der Eintrittskarten“. Jedenfalls tritt sie – wie in der Präambel ihrer AGB weiters festgehalten – „[h]insichtlich des Kartenkaufs“ mit dem Kunden „in eine Vertragsbeziehung“.
[25] Der Oberste Gerichtshof hat in 9 Ob 8/18v (Pkt III.3.) zu den – insoweit bis heute unveränderten – AGB der Beklagten ausgeführt, dass sie in Hinsicht auf Veranstaltungen in Österreich als Verkäufer der Eintrittskarten gegenüber dem einzelnen Verbraucher als Käufer auftritt und daher in Hinsicht auf Veranstaltungen in Österreich vom Kommissionsmodell (bzw „Kommissionärs‑modell“) auszugehen sei, zumal den AGB nicht entnommen werden könne, dass die Beklagte den jeweiligen Veranstalter bloß vertrete. Der 9. Senat leitete dies damals aber auch aus einer (damaligen) Bestimmung in den AGB der Beklagten ab, wonach sich diese bei einem Verbraucher „das Eigentum an der Kaufsache bis zur vollständigen Zahlung des Rechnungsbetrags“ vorbehielt.
[26] Einen solchen Eigentumsvorbehalt enthalten die hier anzuwendenden AGB der Beklagten nicht mehr. Ob sich daraus eine von 9 Ob 8/18v abweichende Beurteilung ergibt, kann dahingestellt bleiben, weil – wie bereits vom BGH bei in wesentlich identischer Rechtslage zutreffend ausgeführt – unabhängig von der rechtlichen Konstruktion, mittels derer ein Ticketservice die Karten vertreibt, dessen Rolle ersichtlich auf den Vertrieb der Eintrittskarten und die hiermit zusammenhängende Organisation beschränkt und dieser Vorgang auch aus Sicht eines durchschnittlichen Käufers mit dem Erhalt der Eintrittskarte abgeschlossen ist (BGH VIII ZR 329/21 [Rz 35] = COVuR 2023, 84 [87]; vgl auch die Worte „Abwicklung des Kartenkaufes einschließlich Versand“ in den AGB der Beklagten). Vor diesem Hintergrund kann ein verständiger, redlicher Käufer nicht berechtigt erwarten, dass eine Vorverkaufsstelle (Ticketservice, Ticketingunternehmen), die auch aus seiner Sicht ihre geschuldete Leistung durch Übereignung der Eintrittskarten – häufig lange vor dem Veranstaltungstermin – erbracht hat, über die Pflichten eines Verkäufers hinaus bis zum Tag der Veranstaltung für deren von dem Veranstalter geschuldete Durchführung einstehen will (BGH aaO Rz 36). Wie ebenso bereits vom BGH bei vergleichbarer Rechtslage in der genannten Entscheidung ausgesprochen, liefe eine Verpflichtung einer Vorverkaufsstelle (eines Ticketservices, Ticketingunternehmens) zur Rückzahlung des Ticketpreises auch der Intention des Gesetzgebers des Art 240 § 5 EGBGB (in Österreich: KuKuSpoSiG) zuwider, durch die Gutscheinlösung unter Berücksichtigung der Interessen sowohl der Kunden als auch der Unternehmer im Veranstaltungsbereich eine abschließende Regelung zu treffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich aufzufangen (BGH aaO Rz 71; vgl auch VfGH G 141/2023: „Der Gesetzgeber hat mit § 3 Abs 1 KuKuSpoSiG (iVm den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes) einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Veranstalter, der Vermittler und der Besucher bzw Teilnehmer geschaffen.“). Vor diesem Hintergrund hat sich ein Käufer bei Absage der Veranstaltung mit dem Veranstalter auseinanderzusetzen (BGH aaO Rz 78).
[27] III.5. Dass der Wert des Gutscheins die Vermittlungsgebühr umfassen muss, spricht das – auf den vorliegenden Fall insofern noch anzuwendende – KuKuSpoSiG in § 1 Abs 1a ausdrücklich aus. Dass der deutsche Gesetzgeber, an dessen Art 240 § 5 Abs 3 S 1 EGBGB sich der österreichische Gesetzgeber hier orientierte, sich bei Verabschiedung der Vorschrift offenbar der Problematik nicht bewusst war, dass die Vermittlungsgebühr eine gesonderte Vergütung für eine von einem Dritten – dem Ticketingunternehmen – erbrachte Vermittlungsleistung handelt (zutr Busche in Münchener Kommentar zum BGB8 XIII [2021] Art 240 § 5 EGBGB Rz 33), ändert an der klaren Gesetzesvorschrift nichts. Es ist Sache des Veranstalters, will er sich der durch den Zerfall seines Vertragsverhältnisses zum Kunden nach § 1447 ABGB wegen Absage der Veranstaltung aufgrund von COVID‑19 (dazu bereits 8 Ob 167/22z [Rz 9] mwH) ausgelösten Verpflichtung zur Rückzahlung nach § 1435 ABGB entziehen (facultas alternativa), einen dem § 1 Abs 1a KuKuSpoSiG entsprechenden Gutschein auszustellen (Rastegar/Jenny, Der Gutscheinvertrag, VbR 2021, 123 und 169 [171]). Auf ein Ticketingunternehmen ist § 1 Abs 1a KuKuSpoSiG hingegen nicht anwendbar (VfGH G 141/2023).
[28] III.6. Weil unabhängig von der rechtlichen Konstruktion, mittels derer das Ticketservice (Ticketingunternehmen, Vorverkaufsstelle) die Karten vertreibt, dessen Rolle ersichtlich auf den Vertrieb der Eintrittskarten und die hiermit zusammenhängende Organisation beschränkt ist (BGH VIII ZR 329/21 [Rz 35] = COVuR 2023, 84 [87], kann ein redlicher Ticketerwerber nicht davon ausgehen, dass der Anspruch des Ticketservices auf Abgeltung seiner bereits erbrachten Leistung unter der auflösenden Bedingung der Durchführung der Veranstaltung stehe. Dass die Vermittlung bzw die Besorgung der Eintrittskarten durch das Ticketservice aufgrund der erfolgten Absage der Veranstaltung für den Kunden letztlich wertlos wurde, reicht nicht für eine Bejahung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (aA Kriegner, VbR 2020, 126; zur Relevanz der ergänzenden Vertragsauslegung für das genannte Rechtsinstitut vgl RS0017487 [samt T10], RS0017530 [T18] und Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 [2018] Rz 511 und 519 f mwH).
[29] III.7. Aus all dem folgt, dass die durch die COVID‑19-Pandemie eingetretene nachträgliche (zufällige) Unmöglichkeit der Veranstaltungsdurchführung unmittelbar nur einen Rückzahlungsanspruch des Kunden gegenüber dem Veranstalter auslöst, nicht gegenüber dem Ticketservice (Ticketingunternehmen, Vorverkaufsstelle). Die Klausel 3 gibt demnach die Rechtslage zutreffend wieder.
[30] IV. Bereits ausgehend von dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt erweist sich daher die Rechtsrüge der Beklagten als berechtigt; die Klage ist abzuweisen. Auf die von der Beklagten in der Revision geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel, ihre Verfahrensrüge und die von ihr darüber hinaus gerügte – jedoch keinen Revisionsgrund darstellende – „unrichtige Beweiswürdigung“ ist mangels Entscheidungsrelevanz nicht mehr einzugehen.
[31] V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO, hinsichtlich der Kosten zweiter und dritter Instanz iVm § 50 ZPO. Die Pauschalgebühr nach dem GGG beträgt bei einem Streitwert von 12 EUR für das Berufungsverfahren 20 EUR, für das Revisionsverfahren 228 EUR.
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