OGH 11Os38/24h

OGH11Os38/24h18.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2024 durch dieVizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Edermaier‑Edermayr, LL.M. (WU), als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 4. Mai 2023, GZ 38 Hv 53/23p‑1154, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00038.24H.0618.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* vom wider sie erhobenen Vorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, sie habe in S* und an anderen noch festzustellenden Orten im Ausland (zusammengefasst)

[2] I/ in der Zeit von 8. September 2014 bis 28. Jänner 2019 gewerbsmäßig (in Bezug auf die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen) – zum Teil über die von ihr beherrschte Gesellschaft Bi* Ltd, Se* – durch die Organisation zahlreicher Firmenmäntel mit Sitz in Offshore‑Destinationen samt Strohleuten als Gesellschaftsorgane, durch die Einrichtung von Bankverbindungen samt Zeichnungsberechtigten für diese Firmenmäntel, durch die Verwaltung von solchen Bankverbindungen, durch die Erstellung von Scheinrechnungen mit falschen Leistungsgegenständen wie „Marketing Services“ oder „reseller“, durch die Organisation und Bereitstellung von Zahlungsdienstleistern für die T*‑Gruppe und die einzelnen Brandbetreiber mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, zu den Handlungen zahlreicher unmittelbarer Täter („Callcenter‑Agents“) – jedenfalls zumindest im Wege weiterer, abgesondert verfolgter Mittäter – sonst beigetragen, wobei die unmittelbaren Täter durch Täuschung über das wahre Wesen von lediglich Betrugsvehikel darstellenden Online-Anlageplattformen („Brands“), die tatsächlich keine Anlageprodukte im Rahmen gesetzlicher Vorgaben vertrieben, zahlreiche (österreichische) Opfer zu Zahlungen verleitet haben, welche diese am Vermögen geschädigt haben, und zwar hinsichtlich zumindest 4.403 Personen in einem Gesamtbetrag von zumindest 9.660.002,60 Euro, 152.496,82 USD und 3.050 GBP, wobei sie durch die Tat einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt habe, und zwar:

A/ hinsichtlich der Plattform „X*“ (vormals „C*“) („B*-Brand“) in zwölf Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, zum Teil 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 12/),

B/ hinsichtlich der Plattform „O*“ („B*-Brand“) in 33 Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, überwiegend 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 33/),

C/ hinsichtlich der Plattform „S*“ („B*-Brand“) in sechs Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, jeweils 5.000 Euro nicht übersteigenden Beträgen (1/ bis 6/),

D/ hinsichtlich der Plattform „G*“ („B*-Brand“) * F* zur Zahlung von 500 USD,

E/ hinsichtlich der Plattformen „O*“, „X*“, „G*“ und „S*“ („B*-Brands“) zumindest 968 weitere, namentlich bekannte österreichische Opfer zur Zahlung von insgesamt zumindest 1.155.132 Euro, 3.050 GBP und 115.229 USD entsprechend der „der Anklageschrift“ (US 31 und Anlage B*-Brands S 1–26: dem Urteil) als integrierter Bestandteil angeschlossenen Opferliste,

F/ hinsichtlich der Plattform „Op*“ („L*-Brand“) in 43 Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, großteils 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 43/),

G/ hinsichtlich der Plattform „Xm*“ („L*-Brand“) in neun Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, großteils 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 9/),

H/ hinsichtlich der Plattform „Z*“ („L*-Brand“) in 21 Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, überwiegend 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 21/),

I/ hinsichtlich der Plattform „Z*“ („L*-Brand“) in neun Fällen namentlich genannte Personen zur Zahlung von im Urteil angeführten, überwiegend 5.000 Euro übersteigenden Beträgen (1/ bis 9/),

J/ hinsichtlich der Plattformen „Op*“, „Xm*“ und „Z*“ („L*‑Brands“) zumindest 3.310 weitere, namentlich bekannte österreichische Opfer zur Zahlung von insgesamt zumindest 4.549.920 Euro und 30.017 USD entsprechend der „der Anklageschrift“ (US 31 und Anlage L*‑Brands S 1–105: dem Urteil) als integrierter Bestandteil angeschlossenen Opferlisten;

 

II/ von 8. September 2014 bis 28. Jänner 2019 teils als unmittelbare Täterin als Zeichnungsberechtigte oder als faktisch Verfügungsberechtigte über Konten im Urteil genannter Unternehmen, teils als Beitragstäterin durch Organisation und Zur‑Verfügung‑Stellung der Firmenmäntel samt Strohleuten, Einrichtung der Bankkonten unter Verwendung dieser Strohleute und Erteilung von Vollmachten für abgesondert verfolgte Mitglieder der Tätergruppe dazu beigetragen, die Herkunft von aus mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlungen herrührenden Vermögensbestandteilen, nämlich der zu I/ angeführten Gelder, verschleiert oder sonst dazu beigetragen, indem sie oder die unmittelbaren Täter jeweils im Rechtsverkehr über den Ursprung und die wahre Beschaffenheit dieser Vermögensbestandteile falsche Angaben gemacht haben, nämlich, indem sie die von den Opfern der Vortaten zu I/ geleisteten Zahlungen unter Verwendung von Scheinverträgen bzw Scheinrechnungen mit falschen Bezeichnungen oder Leistungsgegenständen zum Teil direkt, zum Teil in Sammelüberweisungen an von * Tz* und teilweise von * Go* und weiteren abgesondert verfolgten Mittätern beherrschte und nach außen hin als Betreibergesellschaften der jeweiligen „Brands“ auftretende, im Urteil näher bezeichnete Gesellschaften sowie an weitere im Ausland ansässige Gesellschaften überwiesen und weiterüberwiesen haben, wobei sie diese Zahlungen als Dividendenausschüttungen überwiegend mit falsch dargestellten Geschäftsfällen getarnt haben, und K* die Tat in Bezug auf einen 50.000 Euro übersteigenden Wert begangen habe.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3 [nominell iVm Z 5]) bestreitet das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlesung der Vernehmungsprotokolle des Zeugen G* B* und wendet sich unter Hinweis auf den Widerspruch des Anklägers gegen die Verlesung in der Hauptverhandlung (ON 1153 S 48) gegen den nachfolgenden Vortrag des erheblichen Inhalts dieser Protokolle gemäß § 252 Abs 2a StPO.

[5] Das von der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung erteilte Einverständnis habe „sich lediglich auf ein Vorgehen nach § 252 Abs 2a StPO“ bezogen, „nachdem das erkennende Gericht trotz Widerspruchs […] die Verlesung gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO beschlossen hatte“. „Eine nachträgliche Zustimmung gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO […] sei damit […] nicht intendiert“ gewesen.

[6] Die Rüge vernachlässigt, dass die Zustimmung des Anklägers oder des Angeklagten zu einem Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO deren Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) beinhaltet, dass die vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (§ 258 Abs 1 StPO), weil der Vortrag die Verlesung oder Vorführung nach § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO substituiert, demnach eine Zustimmung zum Vortrag eine umfassende Willenserklärung zum Vorkommendürfen darstellt. Der Beschwerdeführerin wäre auch im Rahmen des § 252 Abs 2a StPO freigestanden, eine bloß teilweise Zustimmung zum Vortrag einzelner Aktenstücke zu erteilen (vgl 14 Os 34/21p Rz 8 mwN). Ein Referat gemäß § 252 Abs 2a StPO kann angesichts der Zustimmung von Ankläger und Angeklagtem – unter diesem Gesichtspunkt – daher keine Nichtigkeit bewirken (RIS‑Justiz RS0127712).

[7] Abgesehen davon ging das Erstgericht bei der Beschlussfassung davon aus (ON 1153 S 48), der Aufenthaltsort des Zeugen sei „gänzlich“ unbekannt und werde in Israel vermutet, seit Oktober 2021 sei in einem Strafverfahren beim Landesgericht für Strafsachen Wien keine Rückantwort der israelischen Behörden (erkennbar gemeint [ON 1153 S 47 iVm ON 1152]: auf ein Rechtshilfeersuchen zur Erhebung einer aktuellen Zustelladresse) erfolgt, B* sei überdies seit einigen Monaten (ON 1153 S 47 iVm ON 1 S 617 iVm ON 1062 und ON 1065 erkennbar gemeint: erfolglos) zur Aufenthaltsermittlung im Inland und im SIS ausgeschrieben, weshalb davon auszugehen sei, dass „sein Erscheinen hier nicht bewerkstelligt werden“ könne.

[8] Damit brachte das Erstgericht im Gesamtkontext (mängelfrei) zum Ausdruck, dass der beantragte Zeuge für das erkennende Gericht (oder ein Rechtshilfegericht; vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0127314) mangels Kenntnis eines aktuellen (konkreten) Aufenthaltsorts im Inland, im Schengenraum oder in Israel und angesichts der bislang (wenn auch teilweise in einem anderen Strafverfahren; vgl dazu Kirchbacher in WK‑StPO § 252 Rz 61 unter Hinweis auf 15 Os 95/05t) erfolglos gebliebenen Versuche zur Ausforschung eines solchen in absehbarer Zeit unerreichbar sei (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO). Unter diesen Umständen war der Vortrag der betreffenden Aktenteile fallkonkret auch durch § 252 Abs 1 Z 1 StPO gedeckt. Auch deshalb geht die Behauptung eines Verstoßes gegen die Verlesungsbestimmungen ins Leere (vgl RIS‑Justiz RS0098248).

[9] Die weitere Verfahrensrüge (Z 4 [nominell iVm Z 5]) wendet sich gegen die Abweisung der in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (ON 1153 S 46)

‑ auf Ladung des Zeugen G* B* „im Rechtshilfeweg über die israelischen Strafverfolgungsbehörden […], da sein genauer Aufenthaltsort bis dato unbekannt ist, aber begründet angenommen werden kann, dass er sich zur Zeit in Israel aufhält, zum Beweis dafür, dass die Angeklagte * K* maßgeblich für die Organisation der anklagegegenständlichen Offshore‑Firmen und dazugehöriger Bankverbindungen und Verfügungsberechtigten verantwortlich war, auch weiterhin Zugriff auf diverse Konten dieser Gesellschaften hatte und auch im Wissen über die Hilfe der Software des Unternehmens T* begangenen Betrugshandlungen war“;

‑ auf Ladung der Zeugin M* B* „zum Beweis dafür, dass die Angeklagte * K* maßgeblich für die Organisation der anklagegegenständlichen Offshore‑Firmen samt dazugehöriger Bankverbindungen und Verfügungsberechtigungen verantwortlich war und auch nach deren Einrichtung weiterhin Zugriff auf diverse Konten dieser Gesellschaften hatte“.

[10] Der Antrag auf Ladung (und Vernehmung) des Zeugen G* B* wurde vom Schöffensenat zu Recht abgewiesen, weil dessen Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Antragstellung bereits laut Antragsvorbringen unbekannt war. Der Antrag ließ zudem nicht erkennen, weshalb ungeachtet der im Verfahren AZ 12 Hv 18/21h des Landesgerichts für Strafsachen Wien seit 12. August 2021 im Inland (ON 1152) und seit 30. November 2022 im gegenständlichen Verfahren zusätzlich im SIS (ON 1 S 617 iVm ON 1062 und ON 1065) bestehenden (erfolglosen) Ausschreibung des Zeugen zur Aufenthaltsermittlung sowie des im genannten Verfahren des Landesgerichts für Strafsachen Wien an Israel ergangenen und (trotz Urgenz vom 22. Oktober 2022) bis dahin (offenkundig [vgl ON 1153 S 47]) unbeantwortet gebliebenen Rechtshilfeersuchens (ON 1152) dennoch in absehbarer Zeit eine erfolgreiche Ausforschung und Vernehmung durch das erkennende Gericht oder ein Rechtshilfegericht zu erwarten gewesen wäre (vgl aber RIS‑Justiz RS0099399, RS0099502 [T15]).

[11] Ebenso wenig begegnet die Abweisung des Antrags auf Ladung (und Vernehmung) der Zeugin M* B* Bedenken. Denn das Erstgericht hat die im Beweisantrag umschriebenen Handlungen in objektiver Sicht in Ansehung zahlreicher Gesellschaften ohnedies festgestellt (US 19 ff) und somit in Bezug auf diese Gesellschaften das Beweisthema iSd § 55 Abs 1 Z 3 StPO als erwiesen angenommen (US 25 f: siehe auch ON 1153 S 47). Soweit sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf Negativfeststellungen in Bezug auf die Abwicklung von Ein- und Auszahlungen durch die Angeklagte und den (tatsächlichen) Einblick der Angeklagten in Kontobewegungen und/oder die zugrundeliegenden Geschäftsbeziehungen und die (tatsächliche) Verwaltung von Konten bezieht (US 26), vermengt sie diese mit Feststellungen zu bestimmten Zugriffsmöglichkeiten (vgl auch US 13, 23 und 26 iVm ON 539 S 221 ff zu ua e-Banking-Zugriffen und E-Mail-Konversationen mittels einer bestimmten IP-Adresse durch die Angeklagte, aber auch durch andere Personen; US 19 ff zu Zugriffsmöglichkeiten der Angeklagten im Backoffice, zu ihrer Zeichnungs- und Zugangsberechtigung betreffend Konten bestimmter Gesellschaften und zur fallweisen Nennung der E-Mail-Adresse der Angeklagten für die elektronische Übermittlung von Kontoauszügen).

[12] In Ansehung weiterer (von diesen Feststellungen nicht umfassten) Gesellschaften ließ der Beweisantrag jedoch nicht erkennen, weshalb die Vernehmung der Zeugin geeignet sein sollte, das behauptete Beweisthema im Zusammenhang mit diesen (im Antrag nicht näher bezeichneten) Gesellschaften zu klären (siehe aber RIS‑Justiz RS0118444 [T5]).

[13] Die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente zur Antragsfundierung sind prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

[14] Soweit die Verfahrensrüge die erstgerichtliche Begründung für die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahmen kritisiert, entfernt sie sich vom Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0116749, RS0121628).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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