OGH 4Ob30/24a

OGH4Ob30/24a23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. *, geboren * 2015, und 2. *, geboren * 2017, beide wohnhaft beim und vertreten durch den Vater *, dieser vertreten durch Mag. Michael Kathrein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Mutter *, vertreten durch Dr. Simon Tonini, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 29. Juni 2023, GZ 55 R 25/23i‑82, womit infolge Rekurs der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 4. April 2023, GZ 5 Pu 169/22i‑73, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00030.24A.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die im Jahr 1992 geborene Mutter der minderjährigen Antragsteller ist russische Staatsbürgerin, zog nach Österreich, nachdem sie deren nunmehrigen Vater kennengelernt hatte, und heiratete ihn im Jahr 2014. Nach der Geburt der gemeinsamen Kinder 2015 und 2017 bezog die Mutter Kinderbetreuungsgeld bis September 2019. Sodann beschlossen die Eltern einvernehmlich, dass ein berufsbegleitendes Online‑Studium der Mutter, samt der damit verbundenen finanziellen Unterstützung durch ein Stipendium, ein Weg sei, die finanzielle Situation der Familie zu verbessern und die Betreuung der Kinder trotz der Vollzeitbeschäftigung des Vaters sicherzustellen.

[2] Die Mutter begann im Herbst 2019 den Bachelorlehrgang „Betriebswirtschaft online, Business Administration online“. Das Studium ist auf sechs Semester ausgerichtet und berufsbegleitend organisiert. Die flexible Zeitgestaltung ermöglicht es, währenddessen Vollzeit zu arbeiten; der Aufwand wird mit 20 Stunden pro Woche beziffert.

[3] Mit einstweiliger Verfügung vom 25. 11. 2020 wurde die Mutter aus der Ehewohnung weggewiesen. Die Eltern leben seitdem getrennt, die Obsorge kommt nunmehr dem Vater alleine zu, der Mutter wurde ein begleitetes Kontaktrecht eingeräumt.

[4] Nach Beendigung des Bachelor-Studiums (in den vorgesehenen sechs Semestern) begann die Mutter im Oktober 2022 das Master-Studium „Management, Communication & IT“. Die Organisationsform ist „berufsfreundlich/Vollzeit“, die Studiendauer beträgt vier Semester. Der Lehrplan ermöglicht es den Studierenden, ihre berufliche Tätigkeit während des Studiums fortzusetzen oder Erfahrungen in der Praxis zu sammeln.

[5] Das Erstgericht ging davon aus, dasses der Mutter seit ihrem Auszug möglich und zumutbar (gewesen) sei, neben dem Bachelor- und dem Master-Lehrgang einer weitergehenden geringfügigen Beschäftigung nachzugehen als tatsächlich ausgeübt, dies ungeachtet ihrer eingeschränkten Deutschkenntnisse, erfolgloser Bewerbungen und festgestellter psychischer und physischer Beschwerden. Damit hätte sie im Bereich Reinigungsgewerbe, im Handel oder Verkauf oder in anderen Hilfsarbeiterbereichen ein Einkommen bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze erwirtschaften können, zumal die Arbeitsmarktsituation sehr günstig (gewesen) sei und sie keine Betreuungspflichten mehr habe. Unter Berücksichtigung derausbezahlten Stipendien, Mietzinsbeihilfen und Fahrtkostenzuschüsse sei daher von einer (fiktiven) Bemessungsgrundlage von monatlich 1.500 EUR rückwirkend ab 1. 12. 2020 auszugehen; abzugsfähig sei lediglich der (jedoch der Höhe nach zu vernachlässigende) ÖH‑Beitrag. Das Erstgericht wies daher den Antrag der Mutter, die vom Gericht beschlossenen vorläufigen Unterhaltsbeiträge von 121,90 EUR pro Kind und Monat einzuschränken, ab und verhielt sie zur Nachzahlung des offenen Unterhalts.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an.

[7] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nachträglich zu, weil ihm im Hinblick auf die Entscheidung 6 Ob 157/18h, in der eine Unterhaltspflicht bis zum Abschluss eines zielstrebig verfolgten Studiums verneint wurde, womöglich eine unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen sei.

[8] Mit ihrem Revisionsrekurs begehrt die Mutter, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass sie im Ergebnis nur zu einem monatlichen Unterhalt von 30 EUR pro Kind verpflichtet werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[9] Die Antragsteller beantragen, den Revisionsrekurs zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig.

[11] 1. In der zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses ins Treffen geführten Entscheidung 6 Ob 157/18h hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass dann, wenn der Unterhaltspflichtige bereits bei Entstehen der Unterhaltspflicht ein Studium betreibt, der Studienabschluss abzuwarten ist, solange der Unterhaltspflichtige zielstrebig und erfolgreich studiert. Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor, vielmehr vereinbarten die Eltern, dass die Mutter berufsbegleitend studieren solle, in concreto um weiterhin Betreuungsleistungen für die beiden Antragsteller erbringen zu können, die durch ihre Wegweisung allerdings entfielen.

[12] 2. Weiters wird von der Mutter nicht verlangt, ihr Studium abzubrechen, weswegen auch nicht von der Entscheidung 1 Ob 603/92 abgegangen wurde.

[13] Die Vorinstanzen billigten nicht nur das Bachelor-, sondern auch das Master-Studium der Mutter, anstatt sie auf eine Vollzeitbeschäftigung anzuspannen, sodass sich die im Revisionsrekurs angesprochenen Fragen zur unterhaltsrechtlichen Zulässigkeit eines aufbauenden Studiums eines Unterhaltsschuldners nicht stellen.

[14] 3. Dass ein studierender Unterhaltsschuldnerim Einzelfall zumindest auf eine geringfügige Tätigkeitangespannt werden kann, entspricht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl 12 Os 95/06x; 5 Ob 161/09a; 1 Ob 118/17k; vgl auch 1 Ob 75/12d zu einer Bildungskarenz).

[15] Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen vorliegen, ist immer aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0007096 [T5, T7]; vgl auch RS0113751).

[16] 4.1 Zwar ist der Mutter beizupflichten, dass eine Anspannung auf ein tatsächlich nicht erzieltes Einkommen nur erfolgen darf, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine (höher dotierte) Erwerbstätigkeit ausübt (vgl RS0047495), und die Erzielung eines (höheren) Einkommens daher möglich und zumutbar sein muss (vgl RS0113751 [T18]; RS0047686 [T12, T16]). Die Beweislast dafür, ein adäquates Einkommen (unverschuldet) nicht erzielen zu können, trifft aber den Unterhaltsschuldner (RS0006261 [T18]; vgl auch RS0047536, RS0111084).

[17] 4.2 Das Rechtsmittelvorbringen, wonach die Mutter wegen Prüfungsvorbereitungen, Praktika, der Verfassung der Bachelorarbeit und einer sechsmonatigen Deutschqualifizierungsmaßnahme nicht einmal einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen hätte können, lässt unberücksichtigt, dass sowohl das Bachelor- als auch das Master-Studium berufsbegleitend bzw berufsfreundlich angelegt sind. In ihrem Zweitstudium der Anglistik und Amerikanistik legte sie nach den Feststellungen bislang keine Prüfung erfolgreich ab, sodass schon deswegen kein berücksichtigungswürdiger Aufwand angefallen sein kann.

[18] Auch dass die Mutter mangels ausreichender Deutschkenntnisse vom Arbeitsmarktservice nicht vermittelt werden konnte und eigeninitiative Bewerbungen erfolglos blieben, steht einer Anspannung nicht jedenfalls entgegen.

[19] Einerseits muss die Arbeitsplatzsuche zielstrebig und tatkräftig erfolgen (vgl RS0106230 [T2]), andererseits geht es in concreto nicht um die Frage einer adäquaten Vollzeitbeschäftigung, sondern um einen geringfügigen, stundenweisen „Studentenjob“.

[20] 4.3 Damit bewegen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen aber in dem von Gesetz und Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraum, wenn sie davon ausgehen, dass die Mutter keineswegs alles Zumutbare unternommen habe, und ihr eine Tätigkeit als Hilfskraft mit einem Verdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenzemöglich gewesen wäre (sohin etwa je nach Förderungen vier bis acht Stundenwöchentlich als Haushaltshilfe anstelle der festgestellten zwei Stunden monatlich à 15 EUR). Dies lässt sich auch mit ihrem Standpunkt vereinbaren, wonach ihr während des Master-Studiums, dessen Lehrveranstaltungen in der Regel von Mittwoch Mittag bis Samstag Nachmittag stattfinden, zwei freie Tage verbleiben müssten.

[21] Die Anspannung der Mutter auf ein geringfügiges Einkommen als Hilfskraft („Studentenjob“) neben ihren berufsbegleitend bzw berufsfreundlich organisierten Studien und daher auf ein monatliches Einkommen von insgesamt 1.500 EUR seit ihrer Wegweisung aus der Ehewohnung, wodurch in concreto auch ihre Kinderbetreuungspflichten wegfielen, begegnet daher keinen Bedenken.

[22] Die Schwankungen in ihrem tatsächlichen Einkommen sind angesichts der Anspannung sohin selbst für die vergangenen Unterhaltsperioden irrelevant (vgl 4 Ob 293/00t).

[23] 5. Ausgehend von einer (wenn auch fiktiven, vgl 6 Ob 32/22g [Rz 19]) Bemessungsgrundlage von monatlich 1.500 EUR kommt es aber zu keinem Unterschreiten der Belastungsgrenze.

[24] Die dahingehenden Erwägungen im Revisionsrekurs gehen zudem von unzutreffenden Berechnungen aus. Wenn die Vorinstanzen annahmen, dass Ausgaben des täglichen Lebens grundsätzlich nicht abzugsfähig sind und daher weder der Mietzins die Unterhaltsbemessungsgrundlage mindert noch die Stromkosten, die Handy- und Internet‑Gebühren, oder die Prämien für die Hausrats- und Rechtsschutzversicherung, bewegen sie sich ebenfalls im Rahmen der ständigen Rechtsprechung (vgl etwa RS0085255; RS0047508; RS0123403; 9 Ob 30/22k [Rz 91]) und des ihnen im Einzelfall eingeräumten Beurteilungsspielraums.

[25] 6. Insgesamt vermag der Revisionsrekurs daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen, sodass er als unzulässig zurückzuweisen ist.

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