OGH 504Präs17/24w

OGH504Präs17/24w16.5.2024

Der Präsident des Obersten Gerichtshofs fasst in der Disziplinarsache gegen Dr. H* F*, Rechtsanwalt, *, AZ D 193/19 des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer über die Ablehnung des Präsidenten des Disziplinarrats den

Beschluss:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:504PRA00017.24W.0516.000

Rechtsgebiet: Undefined

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

Der Disziplinarbeschuldigte lehnt den Präsidenten des Disziplinarrats „in den Disziplinarsachen des Antragstellers, insbesondere im Verfahren D 193/19“ nach § 26 Abs 3 DSt als befangen ab.

Der Disziplinarbeschuldigte behauptet, nach mehr als zehnjähriger Befassung und zahlreichen explorativen Verfahrensführungen zu wissen, dass die österreichische Gerichtsbarkeit nahezu vollständig in der Hand einer Verbindung höherer Richter:innen stehe, welche durch gezielte Manipulationen und systematische Rechtsbrüche an entscheidenden Schnittstellen der Gerichtsbarkeit das rechtsstaatliche Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung außer Kraft gesetzt hätten.

Konkret stützt der Disziplinarbeschuldigte seinen Ablehnungsantrag darauf, dass im Eugen von Mühlfeld‑Saal der Rechtsanwaltskammer Wien, in welchem die regelmäßigen Sitzungen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien stattfänden, seit dem Jahr 1945 ein Portrait von Dr. Walter Richter hänge, welcher von 1939‑1945 Präsident der nationalsozialistisch „gesäuberten“ Rechtsanwaltskammer Wien gewesen sei. Der Disziplinarbeschuldigte habe zu Beginn der Disziplinarverhandlung vom 21. März 2024 verlangt, dieses Portrait umgehend abhängen zu lassen. Als dies verweigert wurde, habe der Disziplinarbeschuldigte den Disziplinarsenat wegen uneindeutiger Positionsname zu NS‑Devotionalien und dem daraus resultierenden Anschein rechtsstaatfeindlicher Gesinnung abgelehnt. Nachdem dieser Antrag abgewiesen worden sei, habe der Disziplinarbeschuldigte den Verhandlungssaal verlassen. Nach Ablehnung eines weiteren Ablehnungsantrags bei einer weiteren Verhandlung habe der Disziplinarbeschuldigte neuerlich die Disziplinarverhandlung verlassen.

Der Präsident des Disziplinarrates sei nach § 4 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates verpflichtet, die Geschäftsführung des Disziplinarrates zu überwachen und für die Handhabung der Geschäftsordnung zu sorgen. Die Durchführung von Disziplinarverhandlungen gegen einen Rechtsanwalt vor dem Portrait eines Mannes, der NSDAP‑Mitglied gewesen sei, stelle eine Handlungsweise dar, welche als geradezu paradox anmuten müsse.

Über einen Ablehnungsantrag gegen den Präsidenten des Disziplinarrats entscheidet gemäß § 26 Abs 5 DSt der Präsident des Obersten Gerichtshofs.

Rechtliche Beurteilung

Der Ablehnungsantrag ist nicht berechtigt.

§ 26 DSt unterscheidet zwischen Ausgeschlossenheits‑ und Befangenheitsgründen. Von der Teilnahme am Disziplinarverfahren ist ein Mitglied des Disziplinarrats gemäß § 26 Abs 1 DSt ausgeschlossen, wenn das Mitglied durch das Disziplinarverfahren selbst betroffen war oder Anzeiger war, Rechtsfreund oder gesetzlicher Vertreter des Betroffenen oder Anzeigers ist oder der Beschuldigte, der Anzeiger oder der Betroffene Angehöriger des Mitglieds im Sinne des § 157 Abs 1 Z 1 StPO ist. Daneben bestehen – in einzelnen nicht näher angeführte – Befangenheitsgründe, was sich schon daraus ergibt, dass nach § 26 Abs 4 DSt die Mitglieder des Disziplinarrats sie betreffende Ausschließungs‑ und/oder Befangenheitsgründe dem Präsidenten des Disziplinarrats unverzüglich bekanntzugeben haben.

Nach dem – sinngemäß anzuwendenden (§ 77 Abs 3 DSt) – § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Derartige Gründe bringt der Disziplinarbeschuldigte im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht zur Darstellung:

Diese Bestimmung umfasst alle Fälle der Hemmung einer unparteiischen Entscheidungsfindung durch unsachliche Motive (15 Os 54/06i; Lässig in Wiener Kommentar StPO § 43 Rz 9). Entscheidend ist dabei nicht die subjektive Ansicht des Ablehnungswerbers, sondern die Frage, ob die äußeren Umstände geeignet sind, bei einem vollständig würdigenden objektiven Beurteiler naheliegende Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung zu wecken (RS0097086; 12 Ns 56/07t; Lässig aaO § 43 StPO Rz 10).

Die Bestimmung hat in erster Linie persönliche Beziehungen des Richters zu einer der Prozessparteien, deren Vertreter oder einer Beweisperson im Auge (Lässig aaO § 43 StPO Rz 11 mwN). Der bloße Umstand, dass sich die Rechtsansicht des Richters nicht mit jener des Ablehnungswerbers deckt, reicht demgegenüber nicht aus (Lässig aaO § 43 StPO Rz 12 mwN).

Dass sich in einem Saal der Rechtsanwaltskammer Wien, der zudem nach einem bekannten liberalen Rechtsanwalt benannt ist, unter den Portraits früherer Kammerfunktionäre auch dasjenige von Dr. Walter Richter befindet, der 1939 durch Erlass des NS‑Reichsministeriums für Justiz zum Leiter der Kammer ernannt wurde, lässt keinen Rückschluss auf eine persönliche Voreingenommenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten erkennen. Dass zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und Funktionären der Wiener Rechtsanwaltskammer unterschiedliche – im vorliegenden Verfahren inhaltlich nicht zu beurteilende – Vorstellungen über die zweckmäßige Ausgestaltung von Kammerräumlichkeiten bestehen, lässt keinen Rückschluss auf die mangelnde Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats zu. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf verwiesen, dass auf der Homepage der Wiener Rechtsanwaltskammer im Zuge der Behandlung ihrer Geschichte ausdrücklich auf die in der Zeit des Nationalsozialismus im Zuge der rassischen Verfolgung aus der Liste gestrichenen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hingewiesen wird. Ebenso wird ausgeführt, dass der seit 1868 freie Advokat in dieser Zeit zum Beamten des Großdeutschen Reiches wurde. Von einer mangelnden Distanzierung zum Nationalsozialismus und einer

„NS‑Devotionalie“ kann im vorliegenden Zusammenhang sohin keine Rede sein.

Soweit der Ablehnungswerber sich auf frühere Ablehnungsanträge stützt und auf diese verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung Hinweise auf frühere Schriftsätze einer unmittelbaren Rechtsmittelausführung nicht genügen; auf den Inhalt eines in einem früheren Rechtsgang eingebrachten Rechtsmittels ist nicht Bedacht zu nehmen (RS0100102; vgl RS0100063; RS0100038). Diese primär zu Nichtigskeitsbeschwerden ergangene Rechtsprechung ist auf Ablehnungsanträge sinngemäß anzuwenden.

Zusammenfassend bringt der Ablehnungswerber sohin keine Gründe zur Darstellung, die geeignet wären, die Unbefangenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien in Zweifel zu ziehen, sodass der Antrag spruchgemäß abzuweisen war.

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