OGH 12Os41/24g

OGH12Os41/24g16.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weißmann in der Strafsache gegen * K* wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 12. Jänner 2024, GZ 25 Hv 132/23k‑94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00041.24G.0516.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufung hat das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, wurde * K* mit dem angefochtenen Urteil der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 „Z 1 und 2“ StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person, nämlich seiner am 14. August 2019 geborenen Tochter * K* vorgenommen, indem er zwischen dem Zeitpunkt der Geburt seiner Tochter und dem 28. August 2023 in wiederholten Angriffen ihre Vulva über und unter der Kleidung intensiv betastete sowie kreisende Bewegungen an ihrer nackten Vulva durchführte;

II./ durch die zu I./ genannten Taten mit einer minderjährigen Person, die mit ihm in absteigender Linie verwandt ist, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5a und 9 lit b StPO sowie „Art 6 EMRK“ erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

[4] Die Tatsachenrüge (Z 5a) versucht, die der Mutter des Opfers vom Erstgericht attestierte Glaubwürdigkeit (US 11) mit eigenständiger Würdigung ihrer Aussagen, der Kritik an einem von ihr in Bezug auf Verhaltensauffälligkeiten des Opfers angefertigten Videos und dem Hinweis auf Scheidungsabsichten des Angeklagten in Zweifel zu ziehen. Solcherart argumentiert die Beschwerde aber bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung und erweckt somit keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.

[5] Die weitere Beschwerde stützt sich auf den „Nichtigkeitsgrund gem Art 6 EMRK“ (vgl aber den abschließenden Katalog der §§ 281 Abs 1, 281a StPO) und rügt (der Sache nach aus Z 5 vierter Fall) den Umstand, dass der Schöffensenat den Schuldspruch I./ ausschließlich auf die Angaben der Mutter gestützt habe. Weil das (zum Vernehmungszeitpunkt 4‑jährige) Opfer die Aussage verweigert habe (ON 47), liege eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgebots vor.

[6] Dabei verkennt die Beschwerde aber einerseits, dass die Mutter zum Teil selbst über unmittelbare Wahrnehmungen vom Tatgeschehen berichten konnte (US 11), und andererseits nichts gegen die Heranziehung mittelbarer Beweise (zB Zeugen vom Hörensagen) spräche, wenn (wie hier) das unmittelbare Beweismittel nicht zur Verfügung steht (vgl RIS‑Justiz RS0053564, RS0116588; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 2.195).

[7] Weshalb aus der kritisierten Vorgehensweise des Erstgerichts ein Verfolgungshindernis ableitbar sein soll, erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) nicht.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[9] Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO zum Schuldspruch II./ anzumerken, dass sich § 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB nur dadurch unterscheiden, dass die Willenseinschränkung des Opfers nach Z 1 der genannten Bestimmung vermutet wird und daher nicht eigens festzustellen ist.

[10] Da somit Z 1 den Unwert der Z 2 des § 212 Abs 1 StGB vollständig erfasst, kommt die Annahme echter Idealkonkurrenz zwischen diesen Bestimmungen nicht in Betracht (11 Os 102/13d; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/ Oshidari, StGB14 § 212 Rz 16). Mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten kann dieser Subsumtionsfehler jedoch auf sich beruhen; das Oberlandesgericht ist an den diesbezüglichen Ausspruch des Erstgerichts nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[11] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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