OGH 11Os102/13d

OGH11Os102/13d17.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hans H***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 13. März 2013, GZ 20 Hv 64/12v-20, sowie dessen Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 494 Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, in welches verfehlt auch Aussprüche über die Anordnung von Bewährungshilfe (§ 50 StGB) und die Erteilung einer Weisung (§ 51 StGB) aufgenommen wurden (US 3; vgl RIS-Justiz RS0120887), wurde Hans H***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 „Z 1 und 2“ StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in K***** und A*****

I./ im Sommer 2012 mit der am 29. Dezember 2004 geborenen, sohin unmündigen Sophie H***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er seinen Zeigefinger in ihre Scheide einführte;

II./ außer dem Fall des § 206 StGB in einer Vielzahl von Angriffen geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, indem er deren unbekleidete Vagina streichelte, und zwar:

A./ von Dezember 2004 bis August 2012 an der am 29. Dezember 2004 geborenen Sophie H*****;

B./ von Mai 2008 bis zumindest August 2012 an der am 11. Mai 2008 geborenen Linda H*****;

III./ durch die zu I./ und II./ geschilderten Handlungen mit seinen minderjährigen Kindern, die seiner Aufsicht unterstanden und unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 3, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt fehl.

Die eine Ausgeschlossenheit (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO) der Vorsitzenden wegen einer § 164 Abs 4 letzter Satz StPO verletzenden Fragestellung behauptende Besetzungsrüge (Z 1) geht schon deshalb ins Leere, weil der (durch einen Verteidiger vertretene) Angeklagte seiner Rügeobliegenheit (§ 281 Abs 1 Z 1 zweiter Halbsatz StPO) nicht entsprochen hat.

Die Verfahrensrüge (Z 3) wendet ein, dass die Hinterlegungsnachricht (vom 15. Februar 2013; vgl das bezughabende Schriftstück im Akt) betreffend die Ladung für die Hauptverhandlung am 13. März 2013 offenbar versehentlich dem Vater des Angeklagten zugestellt worden sei, der in der Folge die Ladung bei der Post übernommen habe. Indem die Beschwerde jedoch nicht behauptet, dass die Ladung dem Angeklagten in weiterer Folge gar nicht zugekommen ist oder einen verspäteten Zeitpunkt einer allfälligen Heilung des angeblichen Zustellmangels (§ 7 ZustellG) benennt, macht sie in Wahrheit gar keinen Verstoß gegen die Mindestvorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 StPO geltend. Auch wird mit der weiteren Argumentation, dass der Verteidiger nur ein kurzes Gespräch mit dem Angeklagten vor dem Verhandlungssaal geführt habe, der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 iVm § 221 Abs 2 StPO nicht angesprochen.

Ebensowenig besteht bei Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung gemäß § 263 StPO oder (wie hier - ON 19 S 3) einer bloßen Anklagemodifikation, die die Tatidentität unberührt lässt, ein Recht des Angeklagten auf Wahrung einer Vorbereitungsfrist. Einen - aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewehrten - Vertagungsantrag hat der Angeklagte übrigens nicht gestellt (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0098367).

Der Einwand (Z 3) ungerechtfertigten Ausschlusses der Öffentlichkeit (§ 228 Abs 1 StPO) während der Vernehmung der Aloisia S***** versagt schon deshalb, weil diese Zeugin über Umstände im Sinn des § 229 Abs 1 Z 2 StPO, nämlich insbesondere von Erzählungen des Tatopfers über Tatumstände (ON 19 S 24) und von eigenen Wahrnehmungen über eine Rotfärbung des Genitals der Sophie H***** (ON 19 S 25), berichtete.

Der weiteren Rüge zuwider wurden die Zeuginnen Sophie und Linda H***** anlässlich ihrer Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zu Recht nicht nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO und § 157 Abs 1 Z 1 StPO belehrt. Während erstere Vorschrift eine kontradiktorische Vernehmung voraussetzt und demgemäß bereits bei dieser diese Aussagebefreiung schon denklogisch nicht in Betracht kommt, greift die zweitgenannte Bestimmung nur bei Gefahr der Strafverfolgung des Angehörigen in einem abgesondert geführten oder bloß möglichen Verfahren (Kirchbacher, WK-StPO § 157 Rz 8). Der der vorliegenden Verfahrenskonstellation entsprechenden Belehrungspflicht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht im Ermittlungsverfahren - wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei - ohnedies entsprochen (ON 10 S 3 und ON 11 S 3). Im Übrigen erfolgte die Verlesung der Vernehmungsprotokolle einverständlich (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO; ON 19 S 27).

Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) zuwider betrifft die Bewertung der Tatrichter, dass der Angeklagte die Pflegemaßnahmen im Genitalbereich der Sophie H***** „über das übliche Ausmaß“ hinauszögerte (US 5), keinen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidenden Umstand. Aus welchem Grund die Feststellung intensiven Betastens des Scheidenbereichs der Tatopfer keine Abgrenzung zwischen straflosen Hygienemaßnahmen und strafbaren Missbrauchshandlungen ermöglichen soll, erklärt die weitere Beschwerde (Z 5 erster Fall) nicht.

Der geltend gemachte Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Feststellung vorsätzlichen Verhaltens und der - jedoch die (Strafzumessungs-)Schuld betreffenden - Urteilsannahme, dass der Angeklagten die „Schwere und Bedeutung seiner Tathandlung, insbesondere auch im Hinblick auf die sexuelle Entwicklung seiner beiden mj. Töchter sich nicht eingestehen konnte oder wollte“ (US 17), liegt nicht vor.

Die gegen den Schuldspruch I./ und III./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) nimmt mit der Behauptung, das Berühren der Scheide des Tatopfers mit der Fingerkuppe stelle gar keine geschlechtliche Handlung dar, prozessordnungswidrig nicht an den (von ihm selbst zitierten) Urteilsfeststellungen Maß, wonach der Angeklagte mit der Fingerkuppe in die Scheide der Sophie H***** eindrang (US 6). Solcherart entzieht sich die Beschwerde aber sachbezogener Erwiderung.

Gleiches gilt, soweit die den Schuldspruch II./ betreffende Beschwerde im Eincremen und Berühren der Geschlechtsorgane der Tatopfer im Zuge genitaler Hygienemaßnahmen keine geschlechtlichen Handlungen im Sinn des § 207 Abs 1 StGB erblicken will und dabei das festgestellte intensive Betasten der Scheide der Unmündigen (US 5) ignoriert.

Aus welchem Grund das konstatierte Wissen und Wollen des Angeklagten, seine Töchter (teils schwer) sexuell zu missbrauchen, zur Annahme vorsätzlichen Verhaltens im Sinn der §§ 206 Abs 1, 207 Abs 1 StGB (vgl im Übrigen die entsprechende gesetzliche Überschrift zu diesen Bestimmungen) nicht ausreichen soll, macht die Rüge (Z 9 lit a) nicht deutlich.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) erschöpft sich in der unsubstantiierten Rechtsbehauptung, wonach das Eindringen mit der Fingerkuppe in die Scheide des Tatopfers keine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung darstelle (vgl jedoch RIS-Justiz RS0094905; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25) und verfehlt solcherart den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588 ff). Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, der Oberste Gerichtshof hätte zu 15 Os 11/92 (EvBl 1992/180 = JBl 1992, 729) das gewaltsame Einführen eines Fingers in die Scheide dem Tatbild des § 202 StGB unterstellt, trifft im Übrigen nicht zu.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung und der (implizierten) Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO zum Schuldspruch III./ anzumerken, dass sich § 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB nur dadurch unterscheiden, dass die Willenseinschränkung des Tatopfers nach Z 1 der genannten Bestimmung vermutet wird (Kienapfel/Schmoller, BT III2 §§ 212-213) und daher nicht eigens festzustellen ist (Fabrizy, StGB10 § 212 Rz 8). Da somit Z 1 den Unwert der Z 2 des § 212 Abs 1 StGB vollständig erfasst, kommt die Annahme echter Idealkonkurrenz zwischen diesen Bestimmungen nicht in Betracht. Mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten kann dieser Subsumtionsfehler jedoch auf sich beruhen; das Oberlandesgericht ist an den diesbezüglichen Ausspruch des Erstgerichts nicht gebunden (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 27a; RIS-Justiz RS0118870).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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