European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00146.23Y.0426.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin macht Ansprüche aus Gewährleistung und Schadenersatz aus dem Umstand geltend, dass zugunsten einer Liegenschaft, die sie vom Beklagten erworben hat, kein Geh- und Fahrrecht über Liegenschaften Dritter im kaufvertraglich zugesagten „uneingeschränkten“ Umfang, sondern lediglich ein nicht umfassendes und von den Nachbarn bestrittenes Geh- und Fahrrecht bestanden habe. Sie begehrt den Ersatz jener Aufwendungen, die sie getätigt habe, um mit den Eigentümern der dienenden Liegenschaften Dienstbarkeitsverträge abzuschließen.
[2] Der Beklagte hielt dem entgegen, er habe aus dem Kaufvertrag nur dafür einzustehen, dass die Liegenschaft über einen „rechtlich gesicherten Anschluss an das öffentliche Straßennetz“ verfüge. Ein solcher sei vorgelegen. Darüber hinaus bestritt er die Notwendigkeit der geltend gemachten Aufwendungen.
[3] Der Nebenintervenient schloss sich dem Vorbringen des Beklagten an.
[4] Das Erstgericht gab der Klage mit 76.270,68 EUR samt Zinsen statt und wies das Mehrbegehren von 5.091,75 EUR, ein Zinsenmehrbegehren sowie ein Feststellungsbegehren unbekämpft ab.
[5] Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinn einer vollständigen Klageabweisung ab und ließ die Revision nicht zu. Es legte den Kaufvertrag dahin aus, dass der Beklagte für einen „rechtlich gesicherten“ Anschluss an das öffentliche Straßennetz, der für die von der Klägerin geplante Bebauung ausreiche, einzustehen habe. Allerdings verneinte es einen Rechtsmangel, weil der zugesicherte Anschluss an das öffentliche Straßennetz aufgrund einer 1882 begründeten Dienstbarkeit bestanden habe und die Zufahrt zugunsten der geplanten Wohneinheiten keine unzulässige Erweiterung der Servitut begründe.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig.
[7] 1.1. Die Frage der (allenfalls unzulässigen) Erweiterung einer bestehenden Servitut und die Ermittlung des Umfangs einer Dienstbarkeit nach dem Inhalt des Titels (RS0011720) können stets nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (1 Ob 30/21z [Rz 6]; vgl RS0011720 [T7]).
[8] 1.2. Bei einer „ungemessenen“ Dienstbarkeit, deren Art und Umfang – wie hier – durch den Erwerbstitel nicht eindeutig bestimmt ist, orientiert sich ihr Inhalt am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Guts im Rahmen der ursprünglichen oder der vorhersehbaren Bewirtschaftungsart (5 Ob 22/18y [ErwGr 4.1.]; 4 Ob 25/14a [ErwGr 2.1.]; RS0097856). Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt jedenfalls nur dann vor, wenn das dienende Gut dadurch erheblich schwerer belastet wird (4 Ob 25/14a [ErwGr 2.1.]; RS0011733; RS0016370; RS0011720 [T16]).
[9] Kulturänderungen geben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ausdehnung eines Geh- und Fahrrechts (RS0016364 [T2]). Hingegen ist eine Anpassung der Benützungsart durch den Servitutsberechtigten an die fortschreitende technische Entwicklung zulässig (RS0016364 [T5]). Die Servitutsbelasteten haben daher ein Verkehrsaufkommen hinzunehmen, wie es „nach den heutigen Gegebenheiten“ mit der Art von Bebauung, die im Entstehungszeitpunkt der Servitut bestand oder absehbar war, verbunden ist (4 Ob 25/14a [ErwGr 3.2.] unter Hinweis auf 1 Ob 144/07v: Verkehrsaufkommen, das nach den heutigen Gegebenheiten mit dem Bewohnen von zwei größeren Privatvillen verbunden ist). Bei baulichen Änderungen auf dem herrschenden Gut kommt es darauf an, ob sich daraus eine nachteilige Beanspruchung des dienenden Guts ergibt (4 Ob 25/14a [ErwGr 2.2.]). Ist dies der Fall, kann die dadurch verursachte Mehrbelastung – und nur diese – des dienenden Guts untersagt werden (4 Ob 25/14a [ErwGr 3.1.]).
[10] 2.1. Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision eine unvertretbare Auslegung des Umfangs des Geh- und Fahrrechts durch das Berufungsgericht geltend. Sie steht auf dem Standpunkt, der Servitutsweg habe dem Erreichen eines landwirtschaftlich genutzten Stadels und höchstens eines Wohnhauses gedient.
[11] Soweit sie vorbringt, in Wahrheit habe das Geh- und Fahrrecht überhaupt nur dem Erreichen des Stadels, nicht hingegen der Zufahrt zu Wohnzwecken gedient, lässt sie die Feststellung außer Acht, dass die Eigentümerinnen des herrschenden Guts (in seiner damaligen Ausdehnung) zum Zeitpunkt der Servitutseinräumung auf derselben Liegenschaft, auf der sich auch der Stadel befand, wohnten. Sie tritt auch der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung des Servitutsbestellungsvertrags dahin, dass die Bezugnahme auf ein Fahren zum Stadel nur den Wegverlauf und nicht den Zweck der Zufahrt beschreibe, nicht konkret entgegen.
2.2. Ausgehend davon, dass das Geh- und Fahrrecht zugunsten der zunächst noch ungeteilten herrschenden Liegenschaft bereits ursprünglich nicht auf die Nutzung eines Wirtschaftsgebäudes beschränkt war, sondern stets auch die Zufahrt zu Wohnzwecken umfasste, wird das Hinzutreten eines neuen Nutzungszwecks nicht aufgezeigt. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der späteren Teilung des herrschenden Guts: Wird das herrschende Gut geteilt, besteht eine Grunddienstbarkeit mangels Vereinbarung zugunsten aller Teile fort (§ 844 Satz 4 ABGB). Die Teilung des herrschenden Guts lässt daher nicht Teilrechte, sondern eine Mehrheit selbständiger Dienstbarkeiten zugunsten der Sachteile entstehen (1 Ob 30/21z [Rz 8]). Daher bestand im vorliegenden Fall das auch die Zufahrt zu Wohnzwecken deckende Geh- und Fahrrecht nach der später erfolgten Teilung der herrschenden Liegenschaft auch zugunsten der von der Klägerin erworbenen Grundstücke inhaltlich unverändert fort (vgl 1 Ob 30/21z [Rz 10]) und umfasste beide Benützungszwecke, also die Zufahrt zu Wohnzwecken und die Zufahrt zur Erreichung eines landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäudes.
[12] 2.3. Die außerordentliche Revision wendet sich im Wesentlichen gegen die ohne Beweiswiederholung getroffene Annahme des Berufungsgerichts, auf der herrschenden Liegenschaft habe im Zeitpunkt der Servitutseinräumung 1882 ein zweiter Haushalt bestanden. Damit wird aber keine für den Ausgang des Rechtsstreits präjudizielle Rechtsfrage aufgeworfen:
[13] 2.3.1. Zutreffend stellte das Berufungsgericht auf das zu prognostizierende Verkehrsaufkommen bei der in Aussicht genommenen Bebauung als entscheidend für eine allfällige unzulässige Erweiterung des Geh- und Fahrrechts ab. Dabei beurteilte es das Verkehrsaufkommen zum Erreichen eines landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäudes, das nach der heutigen technischen Entwicklung die Zufahrt mit landwirtschaftlichen Maschinen und LKW mit sich bringe, als belastender für die dienenden Grundstücke als die Zufahrt zu einem Mehrfamilienhaus bzw mehreren Wohneinheiten bei gleichzeitigem Wegfall der landwirtschaftlichen Nutzung. Zusätzlich ging es davon aus, dass zum Zeitpunkt der Servitutseinräumung bereits mit einer „Erweiterung des berechtigten Personenkreises“ zu rechnen gewesen sei.
[14] 2.3.2. Beide Argumente werden in der außerordentlichen Revision nicht konkret angegriffen. Die Klägerin wendet sich auch nicht gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweislastverteilung, wonach es an ihr gelegen wäre darzulegen, dass die geplanten Wohneinheiten zu einem für die dienenden Grundstücke wesentlich belastenderen Verkaufsaufkommen geführt hätten, als es nach den heutigen Gegebenheiten zugunsten (jedenfalls) eines Wohnhauses und eines landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäudes der Fall gewesen wäre. Derartige Darlegungen enthält auch das außerordentliche Rechtsmittel der Klägerin nicht. Damit wird in der außerordentlichen Revision nicht aufgezeigt, dass die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, nicht nur die zu erwartende Verkehrsfrequenz, sondern auch die Art der zufahrenden Fahrzeuge für die Beurteilung der Belastung der dienenden Liegenschaften zu berücksichtigen, unvertretbar wäre.
[15] 2.4. Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt daher – unabhängig vom Vorhandensein nur eines oder zweier Haushalte auf dem herrschenden Grundstück im Jahr 1882 – nicht auf, dass das Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall den ihm bei der Beurteilung der (angeblich) unzulässigen Erweiterung einer Servitut zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte. Es wird daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgeworfen.
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