European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00037.24H.0408.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.018,25 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der bereits verweste Leichnam des Vater des Klägers wurde in dessen Wohnung aufgefunden. Die Wohnung wurde im Beisein von zwei Polizisten durch Organe des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien (MA 15) entwest.
[2] Der Klägermacht alsGesamtrechtsnachfolger seines Vaters einen Amtshaftungsanspruch geltend. Bei der Entwesung habe entweder ein Organ der Gesundheitsbehörde oder einer der Polizisten einen Goldbarren gestohlen. Dieser Diebstahl sei – unabhängig davon, wer ihn begangen habe – dem Bund zuzurechnen. Dieser hafte daher für den Schaden.
[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil nicht ausgeschlossen werden könne, das ein Dritter über einen Schlüssel zur Wohnung verfügt und den Goldbarren gestohlen habe. Ein Diebstahl durch Organe der Gesundheitsbehörde oder der Sicherheitspolizei stehe daher nicht fest.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Amtshaftung komme schon deswegen nicht in Betracht, weil weder die Organe der Gesundheitsbehörde noch jene der Sicherheitspolizei bei einem allfälligen Diebstahl hoheitlich gehandelt hätten. Die vom Kläger bekämpfte Negativfeststellung zur Frage, ob eines dieser Organe oder ein Dritter den Goldbarren gestohlen habe, sei daher unerheblich.
[5] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage einer „Amtshaftung bei einem Diebstahl“ sowie zu den hoheitlichen Aufgaben bei einer Entwesung zu.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Revision des Klägers ist entgegen diesem –den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:
[7] 1. Ist eine Aufgabe hoheitlicher Natur, sind es auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen, die mit dieser in einem hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang stehen (RS0049948). In diesem Fall schadet auch ein strafgesetzwidriges Handeln nicht (RS0103735 [T1]). An einem inneren Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit fehlt es jedoch, wenn eine schädigende Handlung nur „bei Gelegenheit“ der Ausübung öffentlicher Gewalt begangen wurde (RS0050075). Zur Abgrenzung kann dabei auch auf die zur Gehilfenhaftung nach § 1313a ABGB entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Demnach ist eine unerlaubte Handlung des Gehilfen dem Geschäftsherrn zuzurechnen, wenn sie in einem Zusammenhang mit der Vertragserfüllung stand. Er haftet hingegen nicht für Schädigungen, die der Gehilfe nur gelegentlich der Vertragserfüllung zugefügt hat und die eine selbständige unerlaubte Handlung darstellten. Für eine vorsätzliche unerlaubte Handlung hat der Geschäftsherr nur dann einzustehen, wenn diese in den dem Gehilfen übertragenen Aufgabenbereich fiel. Im Amtshaftungsrecht ist demnach zu prüfen, ob das Verhalten eines Organs in einem Sachzusammenhang mit der ihm übertragenen hoheitlichen Funktion stand und die Schädigung objektiv Teil einer (auch mangelhaften) Diensthandlung war. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkret überantworteten Aufgaben ab, in deren Ausführung diese gesetzt wurde (1 Ob 123/20z mwN).
[8] 2. Auf dieser Grundlage könnte aus einem Diebstahl durch Organe der Gesundheitsbehörde keinesfalls ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden.
[9] 2.1. Ein von den Organen der Gesundheitsbehörde begangener Diebstahl wäre unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage für die Entwesung nur in einem äußeren (örtlichen und zeitlichen) Zusammenhang mit dieser Aufgabe gestanden. Dass die Organe der Gesundheitsbehörde die Wohnung zur Erfüllung einer dem Hoheitsbereich zuzuordnenden Aufgabe betraten, hätte ihnen bloß eine Gelegenheit zum Diebstahl geboten. Der Beweggrund dafür wäre aber ausschließlich in der Persönlichkeit des Täters und in dessen „privaten“ Motiven gelegen (1 Ob 123/20z). Ein von einem Organ der Gesundheitsbehörde begangener Diebstahl wäre dem Bund daher keinesfalls zuzurechnen.
[10] 2.2. Die in der Revision genannte Entscheidung 1 Ob 19/81 steht dem nicht entgegen. Dort erfolgte ein Diebstahl durch Zollwachebeamte aus einem Zolllager. Dieser wurde nur deshalb dem Rechtsträger zugerechnet, weil den Zollorganen gerade auch die Beaufsichtigung der von ihnen gestohlenen Waren oblag. Macht das Organ das Gegenteil dessen, was seine Dienstpflicht gewesen wäre, handelt es nach der Rechtsprechung in Vollziehung der Gesetze (RS0049981; 1 Ob 27/23m mwN). Für den Kläger ist daraus aber nichts zu gewinnen, weil hier keine gesetzliche Pflicht der Organe der Gesundheitsbehörde ersichtlich ist, in einer zu entwesenden Wohnung befindliche Gegenstände besonders zu beaufsichtigen. Auch die Revision vermag eine solche nicht plausibel zu begründen. Die dort behauptete Verantwortlichkeit der genannten Organe für die „gesamte Wohnung“ konnte sich schon aufgrund ihres beschränkten Aufgabenbereichs nur auf ihre Tätigkeit bei der Entwesung beziehen.
[11] 2.3. Diese bereits dem Berufungsurteil zugrunde liegende Beurteilung ergibt sich aus den in der bisherigen Judikatur entwickelten Leitlinien. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich daher nicht. Die in den Rechtsmittelschriften erörterte Frage, ob die Organe der Gesundheitsbehörde überhaupt für den Bund tätig wurden, ist von bloß theoretischer Bedeutung.
[12] 3. Die Amtshaftungsklage könnte daher nur dann Erfolg haben, wenn eines der bei der Entwesung anwesenden Organe der Sicherheitspolizei die Tat begangen hätte und dieses Verhalten dem Bund amtshaftungsrechtlich zuzurechnen wäre. Ob Letzteres zutrifft, kann hier aber dahingestellt bleiben:
[13] 3.1. Notwendige Voraussetzung für die Haftung des Bundes wäre, dass tatsächlich einer der Polizisten den Goldbarrren gestohlen hätte; nur dann käme es auf die Frage an, ob ein solcher Diebstahl einen Anspruch nach § 1 AHG begründete. Auf einen Diebstahl konkret durch einen Polizisten hat sich der Kläger aber weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren gestützt. Denn schon sein erstinstanzliches Vorbringen ging von einer alternativen Schadensverursachung durch ein Organ der Gesundheitsbehörde oder durch einen der Polizisten aus, es ließ also offen, ob tatsächlich ein Polizist der Täter war. Das gilt auch für die in der Berufung begehrte Ersatzfeststellung, die ebenfalls auf eine alternative Tatbegehung durch Organe der Gesundheitsbehörde oder der Sicherheitspolizei abzielte. Selbst wenn das Berufungsgericht diese Ersatzfeststellung getroffen hätte, wäre die Klage abzuweisen gewesen, weil damit ein Diebstahl durch einen Polizisten – dessen Verhalten allenfalls dem Bund zugerechnet werden könnte – gerade nicht festgestanden wäre.
[14] 3.2. Auf die Rechtsprechung zur Solidarhaftung bei alternativer Kausalität kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht stützen. Denn sie setzt voraus, dass jede alternative Schadensursache auf einem konkret gefährlichen Verhalten beruht und die alternativen Schädiger ein Verhalten gesetzt haben, das bis auf den strikten Nachweis der Ursächlichkeit alle haftungsbegründenden Elemente enthält (RS0022721 [insb T1]). Ein konkret gefährliches Verhalten der bei der Entwesung anwesenden Polizisten steht hier aber gerade nicht fest (vgl auch das Beispiel bei Koziol, Haftpflichtrecht I4 [2020] Kap B.2 Rz 48).
[15] 4. Ob ein Diebstahl durch einen Polizisten bei der Entwesung einer Wohnung Amtshaftungsansprüche begründen könnte, ist daher im konkreten Fall ebenso irrelevant wie die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob allenfalls ein Dritter Gelegenheit zum Diebstahl hatte. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Bund hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).
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