OGH 1Ob19/81

OGH1Ob19/8115.7.1981

 

Spruch:

Der Bund haftet nach dem Amtshaftungsgesetz für den Schaden aus durch uniformierte Zollwachebeamte unter Ausnützung ihrer dienstlichen Stellung vorgenommenen Diebstählen aus einem Zollager

OGH 15. Juli 1981, 1 Ob 19/81, (OLG Linz 3 R 37/81; LG Salzburg 8 Cg 381/80)

 

Die klagende Partei betreibt im Rahmen ihrer Zweigniederlassung in Salzburg ein Zolleigenlager. In diesem waren u. a. Zigaretten ausländischer Marken gelagert. Aus Anlaß mehrerer Bestandaufnahmen im Jahre 1977 wurden Fehlmengen festgestellt, die nach den Belegen des Zollamtes nicht ausgelagert worden waren. Für diese Mengen wurden vom Zollamt Salzburg als Ersatz der Eingangsabgaben und der Tabaksteuer der klagenden Partei mit drei Bescheiden, von denen der erste von der klagenden Partei durch Berufung an die Finanzlandesdirektion Salzburg erfolglos bekämpft wurde, Beträge von insgesamt 825 786 S vorgeschrieben und von dieser auch bezahlt. Ein Antrag auf Stundung der mit den beiden jüngeren Bescheiden vorgeschriebenen Abgabenschulden wurde vom Zollamt Salzburg unbekämpft abgewiesen.

Wilhelm N und Theodor R waren vom Zollamt Salzburg dem Salzburger Bahnhof-Fracht als Zollwachrevisoren zugeteilt gewesen. Auf Grund ihrer Amtstätigkeit hatten sie Zutritt zum Zolleigenlager der klagenden Partei gehabt. In mehreren Angriffen hatten Wilhelm N und Theodor R aus dem Zolleigenlager ausländische Zigaretten, auf denen der klagenden Partei vorgeschriebene Eingangsabgaben und Tabaksteuer in der Höhe von 546 815 S ruhten, gestohlen. Die Ausübung der Diebstähle war den beiden Zollwacherevisoren deswegen möglich gewesen, weil sie auf Grund ihrer dienstlichen Stellung Zugang zum Zolleigenlager gehabt hatten und dabei im Regelfall in Uniform gewesen waren.

Die klagende Partei begehrte von der beklagten Partei, der Republik Österreich, im Amtshaftungsverfahren u. a. den Zuspruch des im Revisionsverfahren noch dem Gründe (nicht der Höhe) nach strittigen Betrages von 546 816 S samt Anhang. Die Zollwacherevisoren Wilhelm N und Theodor R hätten zur Mittagszeit, während der das Magazin vereinbarungsgemäß von den Zollbeamten plombiert werden sollte, in Uniform und unter Ausnützung der ihnen durch ihre Tätigkeit gebotenen Gelegenheit die Zollplombe vorübergehend entfernt, die Diebstähle ausgeführt und die Plombe sodann wieder angebracht. Wilhelm N und Theodor R sei als Dienstbereich insbesondere das Lager der klagenden Partei von ihrer Dienstbehörde zugewiesen gewesen. Die Diebstähle hätten sie während ihrer Dienstzeit verübt, indem sie unter Ausnützung ihrer dienstlichen Stellung sich den Zutritt zum Lager der klagenden Partei verschafft hätten. Pflicht der beiden Zollwacherevisoren sei es gewesen, das Lager der klagenden Partei zu überwachen. Das Zollager hätten sie daher in Vollziehung der Gesetze betreten.

Die beklagte Partei wendete ein, daß die beiden Zollwachebeamten die Diebstähle außerhalb des Dienstes verübt hätten. Sie hätten lediglich bei der Gelegenheit der Ausführung der ihnen obliegenden Aufgaben bzw. ohne jeden Zusammenhang zu diesen das nunmehr als haftungsbegrundend bezeichnete Verhalten gesetzt. Schon aus diesem Gründe liege kein Handeln in Vollziehung der Gesetze vor. Überdies habe die klagende Partei gegen ihre sich aus § 2 Abs. 2 AHG ergebende Rettungspflicht verstoßen. Sie habe gegen die verfehlte Abweisung eines Stundungsansuchens kein Rechtsmittel erhoben, in einem anderen Fall überhaupt kein Stundungsansuchen gestellt. Auch eine Maßnahme nach § 237 BAO sei nicht möglich gewesen, da die Abgaben schon entrichtet gewesen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Wilhelm N und Theodor R hätten anläßlich der Verübung der Diebstähle nicht in Vollziehung der Gesetze gehandelt. Bei der Grenzziehung zwischen einem rechtswidrigen Akt der Vollziehung und einem Nichtakt, d. h. einem nicht mehr dem Rechtsträger zurechenbaren und daher dessen Haftung ausschließenden Verhalten des Organes, werde darauf abgestellt, daß sich die Vertretungsmacht des Organes im Zweifel auf alle Verrichtungen erstrecke, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringe. Auch bei Überschreitung dieser Befugnisse sei eine Haftung des Rechtsträgers noch nicht schlechthin ausgeschlossen, wenn die Handlung des Organs rein objektiv betrachtet noch in Vollziehung der Gesetze erfolgen konnte. Nur dann, wenn Situationen denkbar seien, in denen der Akt der Vollziehung als rechtmäßiger Hoheitsakt bestehen könnte, kann das Organhandeln noch dem Rechtsträger zugerechnet werden. Selbst bei ausdehnender Auslegung dieser Grundsätze könne das Handeln der beiden Zollwachebeamten nicht mehr als überzogener Hoheitsakt gedeutet werden. Diebstahl und Hehlerei stunden mit den den Organen eingeräumten Befugnissen in keinem Zusammenhang; es sei daher schon begrifflich ausgeschlossen, sie als bloße Überschreitung ihrer Befugnisse anzusehen. Sie hätten daher ihre Taten nur bei Gelegenheit und anläßlich der Ausführung der ihnen obliegenden Amtsverrichtungen verübt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei keine Folge. Wenn auch der Betrieb von öffentlichen Zollagern der privatwirtschaftlichen Tätigkeit des Rechtsträgers zuzuordnen sei, stehe der öffentliche Charakter der Zollaufsicht über ein Eigenlager außer Zweifel. Für die Beaufsichtigung der Lagerwaren und die Absperrung der Lagerräume sei die Lagerverwaltung ebenso selbst veranwortlich wie für den Nachweis der rechtmäßigen Auslagerung. Die besondere Zollaufsicht bestehe u. a. in einem zollamtlichen Mitverschluß, Prüfungsrechten, Bestandsaufnahmen und der Kontrolle der Auslagerung, sohin in einer finanzhoheitlichen Tätigkeit der Aufsicht über zollerhebliche Vorgänge. In diesem Bereich der Vollziehung bestunde zwischen dem Geschädigten und dem Rechtsträger kein zivilrechtliches Verhältnis. Die beklagte Partei könne daher allenfalls nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes haften. Der Zollbehörde komme aber nicht die Betreuung oder Bewachung des Zolleigenlagers zu, sondern dessen Überwachung. Eine Verpflichtung, denjenigen schlechthin vor Nachteilen zu schützen, dessen Ware im Eigenlager eingelagert sei, bestehe nicht. Die klagende Partei könne daher nicht in der Richtung argumentieren, der Schaden wäre auch dadurch eingetreten, wenn die Zollorgane ihre Pflicht zur Bewachung des Lagers vernachlässigt und Dritte die Diebstähle verübt hätten. Die klagende Partei behauptete nämlich nicht, die Zollorgane hätten amtsmißbräuchlich Diebstähle ermöglicht, sondern vielmehr, daß die Organe ihre dienstliche Stellung dazu mißbrauchten, selbst zu stehlen. Es sei unbestritten, daß der Schaden der klagenden Partei durch die genannten Zollbeamten schuldhaft verursacht worden sei, indem sie unter Ausnützung ihrer dienstlichen Stellung rechtswidrig Diebstähle verübten. Es erscheine vorerst von Bedeutung, ob diese Diebstähle der beklagten Partei als Organhandlung zugerechnet werden könnten. Die konkreten Handlungen müßten diesfalls von den Zollbeamten in ihrer Eigenschaft als Zollorgane gesetzt worden sein. Stelle man aber auf das Erfordernis der Zuständigkeit zur schuldhaften Handlung oder auf das Auftreten der Beamten als Zollwacheorgane ab, ergebe sich, daß die Diebstähle in keinem Zusammenhang mit den Aufgaben der Zollbeamten gestanden seien. Sie hätten insoweit nicht als Zollorgane gehandelt. Sie seien von ihrem vorgeschriebenen Verhalten in einem solchen Maße abgewichen, daß deutlich keine Organhandlungen gesetzt worden sein könnten. Die Haftung des Rechtsträgers setze voraus, daß das Organ die Schadenszufügung in Vollziehung der Gesetze und nicht bloß gelegentlich der Vollziehung herbeiführe. Die Schadenszufügung müsse zwar nicht zu den Geschäftsaufgaben des Organes gehört haben, aber mit diesen Geschäftsaufgaben in Zusammenhang stehen. Überschreite das Organ seine Befugnisse, so genüge es für die Haftung des Rechtsträgers, wenn die Handlung rein objektiv betrachtet noch in Vollziehung der Gesetze erfolgen konnte. Habe das Organ aber nur bei Gelegenheit der Ausführung seiner Verrichtungen gehandelt, so hafte die juristische Person nicht. Da Diebstähle aus dem Zolleigenlager völlig außerhalb aller Verrichtungen liegen, die der den Zollbeamten zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringe, sei dem Erstgericht darin beizupflichten, daß die beiden Zollwacherevisoren bei Begehung ihrer Straftaten nicht in Vollziehung der Gesetze gehandelt hätten. Daß die beiden Zollwacherevisoren zolltechnisch bedeutsame Manipulationen zur Verschleierung der Diebstähle vorgenommen hätten, die nur sie bewerkstelligen konnten, sei nicht behauptet worden. Wohl konnten sie den Zollamtsmitverschluß entfernen und wieder anbringen, doch stehe auch diese Tätigkeit nicht im Zusammenhang mit den Diebstählen, obwohl sie den Mißbrauch der eigenmächtig verlassenen Organstellung deutlich aufzeige. An diesem Ergebnis könne auch nichts ändern, daß die beiden Zollwachebeamten die Diebstähle in Uniform und während des Dienstes begangen haben, da daraus eben noch kein unmittelbarer Zusammenhang mit den aufgetragenen Dienstverrichtungen, wie er etwa bei Manipulationen mit Begleitscheingut vorliegen würde, entstanden sei. Diebstähle könnten nicht einer bloßen Zollhinterziehung gleichgesetzt werden. Die beiden Beamten hätten sohin nicht bloß Handlungen begangen, die zwischen der Vorbereitung und dem Abschluß einer hoheitlichen Tätigkeit lagen, sondern den Zusammenhang mit ihrer hoheitlichen Tätigkeit und Organstellung deutlich und für jedermann erkennbar unterbrochen. Sie seien dabei nicht in Vollziehung der Gesetze tätig geworden.

Über Revision der klagenden Partei änderte der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen dahin ab, daß er die beklagte Partei schuldig erkannte, der klagenden Partei den Betrag von 546 816 S samt 4% Zinsen seit 1. Mai 1980 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der Zollwache handelt es sich gemäß § 23 Abs. 1 ZollG um einen uniformierten bewaffneten Wachkörper im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z. 14 B-VG und § 5 Abs. 1 BVG vom 7. Dezember 1929 betreffend Übergangsbestimmungen zur zweiten Bundesverfassungsnovelle, BGBl. 393 (Klecatsky - Kobzina, Das österr. Zollrecht, 98 Anm. 1). Wachkörper sind zwar keine Verwaltungsbehörden mit einem bestimmten gesetzlich festgelegten Kompetenzbereich, sondern Hilfsorgane, die in der Regel keine eigene Entscheidungs- und Verfügungskompetenz haben (VfSlg. 4692/1964). Sie haben aber die Anordnungen der Behörden, denen sie beigegeben wurden, zu vollziehen und sind damit zwangsausübende Organe. Ihre Akte sind der Behörde zuzurechnen, als deren Hilfsorgane sie im einzelnen Fall tätig wurden (Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts[3], 196). Die Zollwache hat nach Maßgabe der Bestimmungen des Zollgesetzes bei der Besorgung der Geschäfte der Zollverwaltung mitzuwirken (§ 20 Abs. 2 ZollG). Das Zollwesen ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Daß Wilhelm N und Theodor R im Sinne des § 1 Abs. 2 AHG Organe der beklagten Partei sind, ist daher nicht strittig. Die klagende Partei macht nicht den Wert der gestohlenen oder verhehlten Waren geltend, sondern den Ersatz der auf Grund der unbefugten Auslagerungen vorgeschriebenen Zölle und sonstigen Eingangsabgaben.

Gemäß § 46 Abs. 1 ZollG 1955 wird jede Ware, die über die Zollgrenze eintritt, mit Ausnahme der in elektrischen Leitungen beförderten elektrischen Energie, zollhängig und unterliegt dem Zollverfahren. § 47 Abs. 1 lit. c ZollG sieht als eine der Arten der Durchführung des Zollverfahrens die Abfertigung zum gebundenen Verkehr durch Anweisung oder durch Einlagerung im Zollager vor. Zollager sind Lager, die unter zollamtlichem Verschluß stehen und zur Lagerung zollhängiger Waren dienen, welche später in freien Verkehr gesetzt, vorgemerkt, angewiesen oder ausgeführt werden sollen; sie sind entweder Zollager oder Zolleigenlager; sie unterliegen der besonderen Zollaufsicht nach § 26 ZollG (§ 98 Abs. 1 und 2 ZollG). Die Lagerbewilligung wird vom Bundesministerium für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie erteilt (§ 98 Abs. 3 ZollG). Die Institution der Zollager ist ein unentbehrliches Instrument des modernen Warenverkehrs geworden. Das Zollager ermöglicht nicht nur die zollfreie Disposition über zollhängige Transitwaren, sondern auch die Entrichtung der Eingangsabgaben für die zum freien inländischen Verkehr bestimmten zollhängigen Waren erst in dem Zeitpunkt, in dem die Waren für den inländischen Verkehr wirklich benötigt werden (Manhart - Fuchs, Das österreichische Zollrecht[2] I, 436 Anm. 1 zu § 98 ZollG). Die Räume eines Zollagers müssen so beschaffen sein, daß Waren weder in sie gebracht noch aus ihnen entfernt werden können, ohne daß der Zollverschluß, der neben dem Privatverschluß anzulegen ist, verletzt wird oder die Räume in leicht wahrnehmbarer Weise beschädigt werden. Die Lagerverwaltung hat den zollamtlichen Anordnungen über die zollsichere Einrichtung der Lagerräume und die Lagerung der Waren Folge zu leisten (§ 99 Abs. 1 ZollG). Anzahl und Ort der angelegten Zollverschlüsse sind in einem Verschlußverzeichnis festzuhalten. In diesem Verschlußverzeichnis sind außer dem Tag und der Stunde einer jeden Öffnung und Wiederverschließung des Zollagers Anzahl und Ort der hiebei abgenommenen und wiederangelegten Zollverschlüsse durch ein Zollorgan einzutragen. Die Richtigkeit dieser Eintragung ist sowohl durch das Zollorgan als auch durch den Lagerhalter durch Unterschrift zu bestätigen (Dienstanweisung für die Zollämter vom 7. 4. 1966, Zl. 97 103-12/66, wiedergegeben in Manhart - Fuchs a.a.O., 444). Kann die Lagerverwaltung den Nachweis der rechtmäßigen Auslagerung nicht erbringen, hat sie Ersatz für den Zoll zu leisten, der auf solche Lagerwaren entfällt (§ 99 Abs. 3 ZollG). Bei Auslagerung der Waren aus dem Zollager ist vom Verfügungsberechtigten unter Vorlage des seinerzeit ausgestellten Niederlagescheines eine schriftliche Warenerklärung abzugeben, in der das anschließende Zollverfahren zu beantragen ist (§ 109 Abs. 1 ZollG). Zollager sind vom Zollamt jährlich wenigstens einmal zu überprüfen; dabei ist eine Bestandaufnahme durchzuführen (§ 110 Abs. 1 ZollG). Die für Zollager angeordnete besondere Zollaufsicht berechtigt die Organe der Zollverwaltung unter anderem auch zur Nachschau, d. i. zur Befugnis, nach Erfordernis Lager und Betriebsräume während der Betriebszeit ohne besondere Erlaubnis zu betreten, darin zu verweilen, in die kaufmännischen Bücher und in die nach Anordnung der Zollverwaltung zu führenden besonderen Geschäftsaufschreibungen Einsicht zu nehmen, die vorhandenen Warenvorräte zu erheben und Auskünfte über sie zu verlangen (§ 26 Abs. 2 lit. a ZollG). Diese Befugnisse können jederzeit ausgeübt werden und sind nicht auf Verdachtsfälle beschränkt (Manhart - Fuchs a. a.O., 89 Anm. 4). Der Aufgabenkreis der Zollwache ist im § 23 ZollG zusammengefaßt. Die Zollwachebeamten können u. a. auch zur Warenbeaufsichtigung in Zollagern und zur Anlegung und Abnahme der Zollverschlüsse zugeteilt werden (§ 23 Abs. 2 ZollG).

Aus dem den beiden Zollwachebeamten konkret zugewiesen gewesenen Pflichtenkreis folgt entgegen der Ansicht der Vorinstanzen, daß sie nicht nur bei Gelegenheit der Ausübung öffentlicher Gewalt einen Dritten schädigten, in welchem Falle privates, den Rechtsträger nicht verpflichtendes Handeln vorläge, sondern sie haben, zumindest was den durch Vorschreibung von Zöllen und anderen Eingangsabgaben der klagenden Partei entstandenen Schaden betrifft, in Vollziehung der Gesetze gehandelt. Selbst der Mißbrauch eines Amtes zu eigennützigen, schikanösen oder gar strafbaren Zwecken, eine Pflichtwidrigkeit aus eigensüchtigen oder rein persönlichen Beweggründen beseitigt noch nicht den für das Handeln in Vollziehung der Gesetze maßgeblichen inneren Zusammenhang. Eine Betätigung in Vollziehung der Gesetze liegt auch dann noch vor, wenn das Organ das Gegenteil dessen tut, was seine Dienstpflicht gewesen wäre und was es anderen zu wehren gehabt hätte (1 Ob 14/81; vgl. BGH VersR 1962, 1079; BGHZ 11, 181, 185; Staudinger - Schäfer 10/11 II/5 RZ 86 zu § 839; Kreft in BGB-RGRK[12], § 839 RZ 77), wenn das Organ nur unter dem Anschein hoheitlichen Handelns Schaden zufügt; dies gilt insbesondere, wenn es sich der Form behördlicher Erledigungen bedient, sich auf seine Amtsstellung beruft oder dem Geschädigten rechtlich oder tatsächlich nicht jene Vorsicht und Gegenwehr zugemutet werden kann, mit der er eine Schädigung dieser Art durch einen privaten Schädiger abwehren könnte (Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, 275). Der Staat muß den äußeren Anschein gegen sich gelten lassen, so wie er selbst Vertrauen in die äußeren Zeichen seiner Macht wie etwa in die Uniform fordert (1 Ob 14/81; Antoniolli a.a.O., 274. Siehe Nr. 80).

Dem Begriff "in Vollziehung der Gesetze" darf also keine zu enge Auslegung gegeben werden; die Haftung der Rechtsträger wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß Organe aus eigensüchtigen Gründen ihre Pflichten verletzten. Das seinerzeitige Reichsgericht nahm so Staatshaftung unbedenklich an, wenn ein Kriminalbeamter bei einer ihm aufgetragenen Untersuchung oder ein Gerichtsvollzieher bei einer Pfändung eine Erpressung gegenüber den Personen verübte, gegen die seine Amtshandlung sich richtet (RGZ 104, 286, 289), aber auch dann, wenn eine Wachmannschaft, die Plünderungen verhindern soll, selbst plündert (RGZ 104, 304, 306). Im vorliegenden Fall waren die Zollwachebeamten, die die Diebstähle begingen, die den Schaden der klagenden Partei zur Folge hatten, dadurch, daß sie sich der Form gesetzesvollziehenden Handelns bedienten, rechtlich und tatsächlich in eine Lage versetzt, in der der klagenden Partei nicht jene Vorsicht und Gegenwehr möglich war, die sie zur Wahrung ihrer Interessen einem Privaten gegenüber anwenden hätte können; dadurch, daß sie unter Ausnützung der sich aus ihrer amtlichen Überwachungspflicht ergebenden Möglichkeiten sich Zutritt zum Diebsgut verschafften, setzten sie die der klagenden Partei obliegende Bewachungspflicht und -möglichkeit außer Kraft. Unter diesen Voraussetzungen bestand zwischen dem Handeln in Vollziehung der Gesetze und der hiebei genützten Möglichkeit zum Mißbrauch ein so enger Zusammenhang, daß nicht nur von einer Tätigkeit "bei Gelegenheit" der Vollziehung der Gesetze gesprochen werden kann. Dies entspricht auch der Judikatur zur Abgrenzung zwischen der Haftung nach § 1313a ABGB und nach § 1315 ABGB. Danach haftet der Geschäftsherr für Delikte des Erfüllungsgehilfen innerhalb des vertraglich übernommenen Pflichtenkreises; für den Gehilfen eines Installateurs, dessen sich der Installateurmeister zur Ausführung einer vertraglich übernommenen Reparatur in einer Wohnung bedient und der dabei aus der Wohnung etwas stiehlt, haftet der Meister nur, wenn der zu reparierende Gegenstand oder Bestandteile dieses Gegenstandes gestohlen werden (SZ 32/153; vgl. Koziol, Österr. Haftpflichtrecht, 268 ff.). Im vorliegenden Fall war auch das Diebsgut zu überwachen, lag also innerhalb des Pflichtenkreises der Zollwachebeamten, auch wenn sie es nicht bewachen mußten. Unter diesen Voraussetzungen wurde der Mißbrauch hoheitlichen Handelns noch kein privates.

Es liegt aber auch nicht der von der beklagten Partei in erster Instanz behauptete Haftungsausschluß nach § 2 Abs. 2 AHG vor. Eine Verletzung dieser Vorschriften erblickt die beklagte Partei nur darin, daß es die klagende Partei verabsäumt habe, ein Stundungsansuchen zu stellen bzw. eine zu Unrecht nicht gewährte Stundung der Abgabenschuld zu bekämpfen; dies hätte der beklagten Partei die Möglichkeit geboten, die klagende Partei gemäß § 237 BAO aus der Gesamtschuld zu entlassen. Die beklagte Partei behauptet also nicht, daß die klagende Partei ihren Schaden durch Rechtsmittel gegen die Bescheide, mit denen der klagenden Partei die klagsgegenständlichen Abgaben vorgeschrieben worden waren, abwenden hätte können. Sie hatten grundsätzlich auch keine aufschiebende Wirkung (§ 254 BAO; vgl. § 175 ZollG).

Ein Zollerlaß aus Billigkeitsgründen ist für Einfuhr- und Ausfuhrzölle sowie für sonstige von den Zollämtern erhobene Abgaben in den Vorschriften des § 183 ZollG, die eine lex specialis zu § 236 BAO darstellen, und § 237 BAO, welche Bestimmung auch für Zölle und Eingangsabgaben anzuwenden ist (Reeger - Stoll, BAO[4], Anm. 1 zu § 237), vorgesehen. Während ein Zollerlaß aus Billigkeitsgrunden nach § 183 ZollG die Zollschuld auch gegen andere Gesamtschuldner zum Erlöschen bringt (Manhart - Fuchs a.a.O., Anm. 1 zu § 183 ZollG; Reeger - Stoll, BAO, 778 Anm. 2) und daher schon wegen der Mitschuld der früheren Zollwachebeamten im vorliegenden Fall nicht in Betracht kam, wird durch die Vorschrift des § 237 BAO die Möglichkeit geschaffen, über Antrag eines Gesamtschuldners diesen aus der Gesamtschuld ganz oder teilweise zu entlassen, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre. In beiden Fällen handelt es sich um Billigkeitsentscheidungen. Ob überhaupt Anträge, über die nur Billigkeitsentscheidungen ergehen können, noch als Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 AHG, deren Unterlassung Amtshaftungsansprüche zur Gänze vernichten kann, anzusehen sind, muß sehr bezweifelt werden. Jedenfalls aber wird die Unterlassung solcher "Rechtsmittel" kaum jemals als schuldhaft angesehen werden können und gewiß nicht dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, von der beklagten Partei selbst vorgebracht wurde, ein Antrag im Sinne des § 183 ZollG ohnehin gestellt und von der in erster Instanz zuständigen Behörde abgelehnt worden war. Nur die schuldhafte Unterlassung von Rechtsmitteln schließt aber einen Amtshaftungsanspruch aus (EvBl. 1981/4 u. a.; Loebenstein - Kaniak, Komm. zum AHG, 76). Darüber hinaus genügt nicht der bloße Hinweis des geklagten Rechtsträgers, daß ein Rechtsmittel zur Verfügung gestanden wäre. Der im Amtshaftungsprozeß geklagte Rechtsträger muß vielmehr auch beweisen, daß der Schaden durch ein Rechtsmittel oder durch die Beschwerde an den VwGH abgewendet hätte werden können (Loebenstein - Kaniak a.a.O., 79). Dies wurde von der beklagten Partei nicht einmal behauptet. Die Behauptung, es wäre der beklagten Partei die Möglichkeit geboten gewesen, die klagende Partei gemäß § 237 BAO aus der Gesamtschuld zu entlassen, genügte nicht, besonders wenn von dieser Möglichkeit in einem Fall auch gar nicht Gebrauch gemacht wurde. In der Unterlassung weiterer Schritte durch die klagende Partei kann jedenfalls ein Verschulden nicht erblickt werden. Es ist dann ohne Belang, ob nicht ohnehin schon der Schaden entstanden war und daher gar nicht mehr abgewendet hätte werden können, was mangels Klärung, wann die Zahlung der Abgabenschuld erfolgte, dem Akt nicht entnommen werden kann.

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