Spruch:
Bei einem Delikt des Erfüllungsgehilfen innerhalb des vom Geschäftsherrn vertraglich übernommenen Pflichtenkreises haftet der Geschäftsherr nach § 1313a ABGB. für den durch den Erfüllungsgehilfen Verschuldeten Schaden.
Entscheidung vom 25. November 1959, 6 Ob 308/59.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin begehrte nach Einschränkung des Klagebegehrens von der beklagten Partei die Bezahlung von 20.000 S s. A. als Schadenersatz für verschiedene Wertgegenstände, die vom Angestellten der Beklagten Dimiter P. gestohlen worden seien. Während sie bei der Beklagten in Verwahrung gewesen seien. Die Beklagte beantragte kostenpflichtige Klageabweisung. Das Verfahren wurde auf den Grund des Anspruches eingeschränkt.
Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil den Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten als dem Gründe nach zu Recht bestehend.
Das Berufungsgericht bestätigte auf Berufung der beklagten Partei dieses Zwischenurteil.
Nach den Feststellungen der Untergerichte wurden verschiedene Wertgegenstände der Klägerin, darunter ein Platinring mit Solitär, ein Springring aus Gold, eine Dose mit einem Elfenbeinbild (Gold), ein Elfenbeinunterteil als Bestandteil einer Vase, 30 Goldmünzen und ein Täschchen aus geflochtenem Gold, von Ungarn nach Österreich transferiert und schließlich im Zug eines Strafverfahrens sichergestellt. Sie gehörten zu einem Depot des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (26 c Vr 4774/54) und wurden am 27. September 1954 als zollhängiges Gut von den Zollbeamten Ernst B. und Karl F. bei Gericht behoben und zum Hauptzollamt Wien gebracht. Nachdem sie in Gegenwart dieser beiden Beamten, des Zollamtmannes M. und des Rechtsanwaltes Dr. S., des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, sowie des Angestellten der Beklagten N. inventarisiert worden waren, wurden sie am Zollamt in eine Kiste verpackt, die verschlossen wurde. Rechtsanwalt Dr. B. war am 29. September 1954 als Vertreter der Klägerin eingeschritten und hatte die vorstehende Amtshandlung dadurch ausgelöst. Er hatte erklärt, daß er namens der Klägerin durch die beklagte Partei die Versendung des Gutes ins Ausland veranlassen werde. N. war auf Ersuchen des Dr. S. zu der Amtshandlung erschienen. Die Kiste wurde mit dem amtlichen Siegel des Zollamtes und mit dem Abdruck des privaten Siegels (Petschaft) des Dr. S. verschlossen. Hierüber wurde ein Protokoll aufgenommen. Das Zollamt stellte einen Niederlageschein aus, welcher Dr. S. als verfügungsberechtigte Partei nennt. Dieser Schein ist ein Inhaberpapier und weist den Präsentanten gegenüber der Zollbehörde als dispositionsberechtigt aus. Die Kiste wurde sodann im Magazin X des Zollamtes Wien in einem Tresor in Verwahrung genommen. Dr. S. händigte den Niederlageschein dem N. als Vertreter der Beklagten aus. Die Beklagte stellte einen Lagerschein aus, welcher ihr gegenüber die Dispositionsbefugnis des Präsentanten aufwies. Am 12. November 1954 bewirkte die beklagte Partei unter Benützung des Niederlagescheines eine Auslagerung der Kiste, die in das Transitlager der Beklagten gebracht wurde. Dort blieb sie nur einige Stunden und wurde noch am 12. November 1954 wieder beim Zollamt eingelagert, weil das Transitlager der Beklagten für die Aufnahme von Pretiosen nicht geeignet war. Aus Anlaß der Wiedereinlagerung führte das Zollamt ein neues Einlagerungsverfahren durch, eröffnete eine neue Niederlage-Registerpost und stellte einen neuen Niederlageschein aus. Die Bleiplombe, welche bei der Auslagerung angebracht worden war, befand sich bei der Wiedereinlagerung in unverletztem Zustand an der Kiste, weshalb nur eine äußere Beschau durchgeführt wurde. Eine zweite Auslagerung nahm die Beklagte am 13. Juli 1955 unter Vorweisung des Niederlagescheines vom 12. November 1954 mit einem Begleitschein vor, wonach die Kiste für das Zollamt Buchs zum Austritt aus dem Bundesgebiet bestimmt war. Am 21. Juli 1955 beantragte Dimiter P., ein Angestellter der beklagten Partei, eine Richtungsänderung auf das Zollamt Schwechat - Flughafen in Richtung Zürich. Tatsächlich ging die Kiste nach Zürich ab. Am 6. September 1955 wurde die Kiste neuerlich beim Zollamt Wien eingelagert, nachdem sie aus dein Ausland wieder auf dem Flughafen Schwechat eingelagert war. Die oben erwähnte Bleiplombe des Zollamtes Wien war aus Anlaß des Austrittes der Kiste aus dem Bundesgebiet entfernt worden. Am 6. September 1955 trug diese eine Zollplombe des Zollamtes Schwechat - Flughafen, die aus Anlaß des Wiedereintrittes in das Bundesgebiet angebracht worden war. Bei der äußeren Beschau wurde festgestellt, daß der Deckel der Kiste eingedrückt war. Eine innere Beschau fand nicht statt, weil die beklagte Partei als Einlagerer keine Inventaraufnahme verlangte. Aus Anlaß der Einlagerung am 6. September 1955 wurde ein neuer Niederlageschein ausgestellt und der Beklagten übergeben, wobei diese von P. vertreten wurde. Am 20. Februar 1957 erwirkte die Klägerin persönlich unter Vorweisung des Niederlagescheines vom 6. September 1955 eine Auslagerung der Kiste. Hiebei zeigte sich, daß ein Teil der in dem seinerzeit errichteten Inventar erwähnten Gegenstände fehlte. Hierüber wurde eine Niederschrift aufgenommen. Die Benennung der von der Klägerin vermißten Gegenstände stimmt im wesentlichen mit der Benennung der Gegenstände überein, deren Fehlen die Klägerin in diesem Rechtsstreit behauptet.
Mit Urteil des Kreisgerichtes Krems vom 13. August 1957, GZ. 4 Vr 564/57-27, wurde Dimiter P. schuldig erkannt. Im September oder Oktober 1955 in Wien in Gesellschaft des Ladislaus A. als Diebsgenossen um seines Vorteiles willen fremde bewegliche Sachen in einem 10.000 S übersteigenden Wert, und zwar einen Platinring mit einem Brillanten von ungefähr 3 Karat (Wert 16.000 S) und mindestens 30 Goldmünzen im Wert von 4300 S aus dem Besitz der Klägerin ohne deren Einwilligung durch Überwindung eines beträchtlichen, die Sache gegen Wegnahme sichernden Hindernisses, Eröffnung eines Siegels und einer Zollplombe, entzogen und dadurch das Verbrechen des Diebstahls begangen zu haben. P. wurde zu einer Zusatzstrafe, nämlich zu schwerem verschärftem Kerker in der Dauer von zwei Monaten, verurteilt. Das Urteil des Kreisgerichtes Krems enthält u. a. die folgenden tatsächlichen Feststellungen: im September oder Oktober 1955 begab sich P., der damals Angestellter der beklagten Partei war und als solcher die Luftfrachtsendungen bearbeitete, zum Hauptzollamt Wien und ersuchte unter Vorweisung des in seinen Händen befindlichen Niederlagescheines einen Hilfsbeamten, zu gestatten, das schon erwähnte, bei den mehrfachen Beförderungen durch die Luftpost beschädigte Schmuckpaket umpacken zu dürfen. Während des Umpackens entnahm er in Gegenwart des Ladislaus A. dem Paket ein Päckchen mit mindestens 30 Goldmünzen und eine kleine Schachtel mit einem brillantenbesetzten Platinring und ersetzte diese Schmuckstücke zum Zwecke des Gewichtsausgleiches durch ein mitgebrachtes, mit Leim gefülltes Säckchen. Diese nach Eröffnung des Siegels des Rechtsanwaltes Dr. S. und einer Zollplombe gestohlenen Sachen übergab P. dem A., von dem er dafür 4000 S erhielt.
Am 13. August 1957 war P. bereits wegen Übertretung nach § 13 der Ausländerpolizeiverordnung, wegen Vergehens nach §§ 396, 401a, 401b AbgO., § 12 Abs. 1 AHVG. 1953 (Steuerhinterziehung und Bannbruch), schließlich wegen Verbrechens der Veruntreuung nach § 183 StG. vorbestraft. P. hatte sich mit Schreiben vom 6. Oktober 1954 um eine Anstellung bei der Beklagten beworben, der er von ihrem früheren Prokuristen Dr. G. empfohlen wurde. Dr. G. kannte P. von der Hochschule. Dieser führte zu Recht einen inländischen Doktorgrad und hatte bei der Beklagten angegeben, daß seine wirtschaftlichen Verhältnisse geordnet seien und er nicht bestraft sei. Die Einholung von Leumundsauskünften war unterblieben, weil sie als entbehrlich erachtet wurde.
In rechtlicher Beziehung führte das Erstgericht aus, die beklagte Partei hafte gemäß § 1313a ABGB. ihren Auftraggebern für die Delikte ihrer Angestellten. Sie hafte daher für die Folgen des von P. am Vermögen der Klägerin begangenen Diebstahls. Nach dem Vorbringen in der Klagebeantwortung und in der mündlichen Verhandlung vom 31. Jänner 1958 sei die Beklagte als Bevollmächtigte der Klägerin eingeschritten. Dagegen sei eine auch unter dem Gesichtspunkt des § 1315 ABGB. Platz greifende Haftung zu verneinen. P. habe objektiv die Eigenschaft der Gefährlichkeit gehabt, doch könne von einer Wissentlichkeit auf seiten der Beklagten nicht die Rede sein. Soweit die Beklagte sich darauf berufen habe, ihre Haftung sei nach den Allgemeinen österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp.) ausgeschlossen, habe sie selbst erklärt, Beweisurkunden über die Eindeckung der Spediteurversicherung im Sinne der AÖSp. nicht vorlegen zu können. Sie könne sich daher gemäß § 41 lit. c AÖSp. gegenüber der Klägerin auf die Allgemeinen österreichischen Spediteurbedingungen überhaupt nicht berufen.
Das Berufungsgericht teilte im wesentlichen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungssgrunden:
Soweit Haftungsbeschränkungen der Allgemeinen österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp.) ins Treffen geführt werden, ist davon auszugehen, daß den AÖSp. eine normative Wirkung gegenüber den Kunden der Spediteure nicht zukommt (SZ. XXVI 180). Es bedarf eines besonderen Tatbestandes, der die Anwendbarkeit der Speditionsbedingungen im Einzelfall auslöst. Sie können ausdrücklich vereinbart werden, es kann auch zur stillschweigenden Unterwerfung unter die Speditionsbedingungen kommen (SZ. XXVI 180, JBl. 1954 S. 359, 5 Ob 79/58 u. a.). Die Beklagte hat in ihrer Klagebeantwortung zwar vorgebracht und unter Beweis gestellt, "selbst im Falle ihres (der Beklagten) Verschuldens könne sich die Klägerin auf Grund der AÖSp. samt den Speditions- und Lagerversicherungsbestimmungen nicht an die Beklagte, sondern allein an ihre Versicherer wenden. Sie habe dies übrigens auch ausdrücklich zur Kenntnis genommen". Doch wurde dieses Vorbringen von der klagenden Partei bestritten. Feststellungen der Untergerichte darüber, ob eine ausdrückliche Vereinbarung über die Anwendbarkeit der AÖSp. getroffen wurde oder eine stillschweigende Unterwerfung unter diese Speditionsbedingungen vorliegt, sind nicht vorgenommen worden. Der Erstrichter ist in diesem Zusammenhang vielmehr von der - aus den vorstehenden Gründen irrigen - Annahme ausgegangen, die AÖSp. seien "mangels ausdrücklicher gegenteiliger Vereinbarung dein Geschäfte zugrunde gelegen". Doch macht dies nichts aus, weil sich die Beklagte aus den zutreffenden Gründen der Untergerichte gemäß § 41 lit. c AÖSp. der Klägerin gegenüber auf die Allgemeinen österreichischen Speditionsbedingungen jedenfalls nicht berufen könnte, da feststeht, daß die Beklagte entgegen dem § 39a AÖSp. die Speditionsversicherung überhaupt nicht eingedeckt hat. Die auch in der Revision wiederholte Auffassung der Beklagten, § 41 lit. c AOSp. beziehe sich nur auf Art. X (§§ 39 bis 42) der AÖSp., ist durch nichts, insbesondere nicht durch die übrigen Bestimmungen der AÖSp. begrundet. Der klare Wortlaut des § 41 lit. c AÖSp., der Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt der AÖSp. und im einzelnen auch die im § 2 lit. b AÖSp. vorgenommene Aufzählung lassen § 41 lit. c AÖSp. bedenkenfrei als eine Sanktionsbestimmung erkennen, durch welche wegen der Nichteinhaltung der Bestimmungen des § 39a AÖSp. dem Spediteur die Möglichkeit genommen werden soll, sich gegenüber dem Auftraggeber auf irgendeine Bestimmung der AÖSp. zu berufen. Damit würde es sich auch erübrigen, auf § 57 Z. 3 AÖSp. überhaupt näher einzugehen. Doch ist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß der Haftungsausschluß für den Fall eines Diebstahles durch Erfüllungsgehilfen nach Treu und Glauben der Klägerin hätte ausdrücklich mitgeteilt werden müssen, was die Beklagte nicht einmal behauptet. Da die Klägerin auf einen so weitgehenden Haftungsausschluß nicht ausdrücklich aufmerksam gemacht wurde, könnte sich die Beklagte auch aus diesem Grund der Klägerin gegenüber nicht auf § 57 Z. 3 AÖSp. berufen (ähnlich SZ. XXVI 264). Es bedurfte daher auch keines Eingehens auf Bedenken, die sich noch aus der Formulierung des § 57 Z. 3 AÖSp. in Richtung einer Sittenwidrigkeit etwa ergeben könnten.
Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß es für die Beurteilung, ob der gegenüber der Beklagten geltend gemachte Anspruch dem Grund nach zu Recht besteht, nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob zwischen den Parteien ein eigener Verwahrungsvertrag errichtet worden ist, sondern daß es darauf ankommt, daß die Beklagte als Bevollmächtigte der Klägerin handelte und daher den ihr erteilten Auftrag unter Einhaltung der ihr als Spediteur obliegenden Diligenzpflicht zu erfüllen hatte. Die Beklagte hatte mit dem (den) Niederlageschein(en) die Verfügungsmacht über die hier in Betracht kommende Schmuckkiste erlangt. Zweck der der Beklagten von der Klägerin erteilten Verfügungsmacht war es, im Rahmen der geplanten Versendung sogleich disponieren zu können. Solange die Beklagte daher zufolge ihr übergebener Präsentations-Papiere (Niederlagescheine) die Verfügungsmacht über die hier in Betracht kommenden Gegenstände hatte, handelte sie in Erfüllung des ihr erteilten Auftrages. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen des gegebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (NJW. 1954 S. 1193). Die Beklagte bediente sich zur Erfüllung der ihr im Rahmen des Auftrages der Klägerin obliegenden Verpflichtungen des Dimiter P., für welchen aus den zutreffenden Gründen des Erstgerichtes wohl eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des § 1315 ABGB. nicht in Frage kommt. § 1313a ABGB. aber ordnet ausdrücklich an, daß für den gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen wie für das eigene Verschulden gehaftet wird. Die Unterscheidung in Schuldverletzung und Delikt, wie sie die beklagte Partei vornimmt, entspricht nicht dem Gesetz. Wird das Delikt vom Erfüllungsgehilfen innerhalb des Pflichtenkreises gesetzt, den der Geschäftsherr vertraglich übernommen hat, so haftet der Geschäftsherr nach § 1313a ABGB. Anders läge der Fall nur bei einem vom Erfüllungsgehilfen außerhalb dieses Pflichtenkreises begangenen Delikt. Für den Gehilfen eines Installateurs, dessen sich der Installateurmeister zur Ausführung einer vertraglich übernommenen Badeofenreparatur in einer Wohnung bedient und der dabei aus der Wohnung eine Uhr stiehlt, wird der Geschäftsherr wegen des Diebstahls nach § 1313a ABGB. nicht herangezogen werden können. Würde aber dieser Erfüllungsgehilfe Bestandteile des zu reparierenden Ofens stehlen, so läge ein Delikt innerhalb des Pflichtenkreises des Geschäftsherrn vor und es wären die Voraussetzungen des § 1313a ABGB. gegeben. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JBl. 1931 S. 146, die ein außerhalb des Verpflichtungsverhältnisses erfolgtes Verhalten des Gehilfen betroffen hat, schließt nicht etwa eine Haftung des Geschäftsherrn für Delikte des Gehilfen schlechthin aus, sondern stellt bloß darauf ab, daß zur Anwendung des § 1313a ABGB. Voraussetzung sei, daß der vom Gehilfen verursachte Schaden innerhalb des Verpflichtungsverhältnisses des Geschäftsherrn erfolgte. Dies ist aber im konkreten Fall geschehen.
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