OGH 4Ob31/24y

OGH4Ob31/24y19.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Serpil Dogan, Rechtsanwältin in Feldkirch, gegen die beklagte Partei *gesellschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch Dr. Michael Brandauer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen zuletzt 63.479,47 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR; Gesamtstreitwert: 69.479,47 EUR), aus Anlass der „außerordentlichen Revision“ der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2024, GZ 5 R 75/23b‑117, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00031.24Y.0319.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht erließ ein Teilurteil, mit dem es die Beklagte zur Zahlung von 13.052,40 EUR sA verurteilte, ein Zahlungsmehrbegehren von 8.626,22 EUR sA abwies, dem mit 6.000 EUR bewerteten Feststellungsbegehren im Ausmaß von zwei Dritteln stattgab und das Feststellungsmehrbegehren im Ausmaß eines weiteren Drittels (implizit) abwies.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands auch bei der gebotenen Zusammenrechnung des Leistungs- und des Feststellungsbegehrens nicht 30.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[3] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die als „außerordentliche Revision“ bezeichnete Eingabe der Beklagten, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorgelegt hat.

Rechtliche Beurteilung

[4] Entgegen der Ansicht des Erstgerichts liegt kein zulässiges Rechtsmittel vor, über das der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hätte:

[5] 1.1. Besteht der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, hat das Berufungsgericht auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt oder nicht, und wenn ja, ob er auch 30.000 EUR übersteigt oder nicht (§ 500 Abs 2 Z 1 lit a und b ZPO). Diese Bewertung ist grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042410; RS0042515). Der Oberste Gerichtshof ist nur dann nicht an die Bewertung des Berufungsgerichts gebunden, wenn das Berufungsgericht gar keine Bewertung vornehmen hätte dürfen, zwingende Bewertungsvorschriften verletzt hat oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum durch eine offenkundige Über- oder Unterbewertung überschritten hat (RS0042410 [insb T21, T22, T26, T28]; RS0042450 [insb T7, T8, T19]). Der zu bewertende Entscheidungsgegenstand ist jener, über den das Berufungsgericht tatsächlich entschieden hat; im Berufungsverfahren gegen ein Teilurteil demnach – entgegen der in der „außerordentlichen Revision“ vertretenen Ansicht – (höchstens) jener Teil des Klagebegehrens, über den das Erstgericht abgesprochen hat (RS0042348 [T5]; 1 Ob 12/14t; 2 Ob 66/18x).

[6] 1.2. Im Anlassfall hatte das Berufungsgericht ein Teilurteil zu überprüfen, mit dem das Erstgericht über einen Teil des Zahlungsbegehrens in der Höhe von 21.678,62 EUR sA und das mit 6.000 EUR bewertete Feststellungsbegehren abgesprochen hatte. Der Entscheidungsgegenstand bestand damit nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, weshalb er zu bewerten war. Der Ausspruch des Berufungsgerichts, der Entscheidungsgegenstand übersteige nicht 30.000 EUR, verletzt keine zwingenden Bewertungsvorschriften – er steht insbesondere mit der dargelegten Rechtslage zum Teilurteil im Einklang – und bleibt innerhalb des ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraums. Der Oberste Gerichtshof ist daher daran gebunden.

[7] 2.1. Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch kein außerordentliches Rechtsmittel zulässig (4 Ob 171/20f; 5 Ob 176/22a; 6 Ob 195/23d). Nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO kann die Partei nur den binnen vier Wochen ab der Zustellung des Berufungsurteils beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Zulässigkeitsausspruch zu ändern und die ordentliche Revision doch für zulässig zu erklären. In diesem Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, sind die Gründe dafür anzuführen, warum die ordentliche Revision – entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts – nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig erachtet wird. Erhebt die Partei daher in einem solchen Fall ein Rechtsmittel, ist es gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Berufungsgericht vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn sie es als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet und an den Obersten Gerichtshof richtet (RS0109623).

[8] 2.2. Im Anlassfall hat das Berufungsgericht die ordentliche Revision im Zulassungsbereich für nicht zulässig erklärt. Der Rechtszug zum Obersten Gerichtshof steht der Beklagten daher nicht offen. Es käme nur in Betracht, die „außerordentliche Revision“ dem Berufungsgericht zur Entscheidung nach § 508 ZPO vorzulegen. Ob sie – vor allem im Hinblick auf den an den Obersten Gerichtshof gerichteten Antrag, er wolle die Revision „als zulässig erachten“ – den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob sie zuvor einer Verbesserung bedarf, bleibt der pflichtgemäßen Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (vgl RS0109501; RS0109623 [T5]).

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